Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Erster Quartettmorgen

Ouverturen Gesammelte Schriften über Musik und Musiker (1854) von Robert Schumann
Erster Quartett-Morgen
Zweiter Quartettmorgen


[245]
Erster Quartett-Morgen.
Quartette von J. Verhulst, L. Spohr und L. Fuchs.


„Gab es Schuppanzigh’sche, gibt es David’sche Quartette, warum nicht auch –,“ dachte ich bei mir und bat mir ein Kleeblatt zusammen. „Es ist noch nicht lange her,“ eröffnete ich diesem, „daß Haydn, Mozart und noch Einer lebten, die Quartetten geschrieben: sollten solche Väter so wenig würdige Enkel hinterlassen, diese gar Nichts von jenen gelernt haben? Und könnte man nicht nachfühlen, ob ein neues Genie irgendwo unter der Knospe, das nur der Berührung bedürfe? Mit einem Worte, Verehrteste, die Instrumente stehen bereit und des Neuen gibt es Mancherlei, das gespielt werden könnte in unserer ersten Matinee.“ Und ohne viel Bedenkens, wie es bügelfesten Musikern ziemlich, saßen sie an den Pulten. Gern berichte ich, unter welchen Werken uns der Morgen verflossen, wenn auch nicht im kritischen Lapidarstyl, sondern in leichter Weise den ersten Eindruck festhaltend, den jene auf mich, zugleich mit Wahrnehmung dessen, den sie auf die Quartettisten selbst [246] gemacht, da ich einen einfachen Fluch eines Musikers oft höher anschlage, als ganze Aesthetiken.

Von einem Quartett von Hrn. J. J. H. Verhulst dürfte man eigentlich Nichts verrathen, da es eben noch warm aus der Werkstatt, noch Manuscript, und dazu das erste, das der Componist geschrieben. Indeß da die Zukunft sich manches Erfreuliche von diesem jungen Künstler versprechen darf, sein Name über kurz und lang doch der Oeffentlichkeit verfallen wird, so sei er vorläufig als ein Musiker von Beruf eingeführt, dem seine Geburt als Holländer ein zweites Interesse verleiht. So sehen wir in neuer Zeit aus allen Völkerschaften junge Talente hervorsteigen: aus Rußland berichtet man von Glinka; Polen gab uns Chopin; in Bennett hat England einen Vertreter, in Berlioz Frankreich; Lißt als Ungar ist bekannt; in Belgien wird von Hansens, als von einem bedeutenden Talente gesprochen; in Italien bringt jeder Frühling welche, die der Winter wieder verweht; endlich kommt auch Holland, das uns sonst nur Maler sandte, obwohl auch van Bree u. A. sich bekannt gemacht.

Das Quartett unsers Holländers zeigte Nichts vom Phlegma, das man seinen Landsleuten vorwirft, sondern im Gegentheil lebhaftes musikalisches Naturell, das sich freilich in einer so schwierigen gegebenen Form noch mit Mühe in den Schranken zu halten hatte. Erfreulich war, daß gerade der Satz, in dem sich das Dasein innerer Musik am deutlichsten bekundet, das Adagio, der gelungenste des Quartetts war. Auf solchem Wege [247] fortgehend wird sich der junge Künstler Kraft und Leichtigkeit erringen; gegen starken Irrthum schützt ihn sogar ein großer Instinct des Richtigen und Gesetzmäßigen, und so wäre nur noch auf größere Prägnanz, auf Erhebung und Veredlung des Gedankens zu achten, was freilich weniger Sache des guten Willens als des guten Geistes.

Das Quartett spielte sich hierauf ein neues von Spohr[1] vor, in dem uns mit den ersten Tacten der bekannte Meister entgegentritt. Wir kamen schnell überein, daß hier mehr auf glänzendes Hervortreten des ersten Spielers, als auf kunstreiche Verwebung der Viere gesehen war. Man kann Nichts dagegen haben, wo es offenbar so und nicht anders sein soll, und es begibt sich diese Quartettweise von selbst der höhern Ansprüche. Formen, Wendungen, Modulationen, Melodieenfälle waren ebenfalls die oft gehörten Spohr’s, so daß es schien, die Quartettisten unterhielten sich vom Werk wie von einem bekannten Gegenstand. Ein Scherzo fehlt, das überhaupt nicht des Meisters Stärke, wie denn das Ganze einen beschaulichen, wenn man so sagen kann, didaktischen Charakter hat. Im Rondo fesselt ein sehr artiges Thema, dem man nur ein sich mehr markirendes zweites entgegengestellt wünschte. Eine Bemerkung drängt sich mir hier noch auf und zwar durch einen Vorwurf eines der Quartettspieler veranlaßt. Junge Künstler, [248] die immer Neues, womöglich Excentrisches wollen, schlagen jene flüchtige, so schnell empfangene wie vollendete Werke ausgebildeter Meister meistens zu gering an, und irren in ihrer Meinung, daß sie es eben so machen können. Es bleibt immer noch der Unterschied zwischen Meister und Jünger. Jene eilig hingeworfenen Claviersonaten Beethoven’s, noch mehr Mozart’s, beweisen in ihrer himmlischen Leichtigkeit in eben dem Grade die Meisterschaft, als ihre tieferen Offenbarungen; das fertige Meistertalent zeigt sich eben darin, daß es die sich im Beginn des Werkes gezogenen Linien nur lose umspielt, während das jüngere ungebildete, wo es doch auch vom Boden der Gewöhnlichkeit ausgeht, die Seile immer höher anspannt und so oft verunglückt. Dies auf das Quartett von Spohr anzuwenden, so denke man sich nur den Namen des Componisten und seine berühmteren Leistungen weg und es bleibt noch immer ein in Form, Satz und Erfindung meisterhaftes, das sich noch himmelweit von dem eines Vielschreibers oder Schülers unterscheidet. Und das ist der Lohn der durch Fleiß und Studien gewonnenen Meisterschaft, daß sie sich bis in’s hohe Alter ergiebig zeigt, während beim leichtsinnigen Talent das Versäumniß der Schule doch einmal durchbricht.

Von großem Interesse für uns Alle war ein vor ungefähr einem Jahr erschienenes Quartett von L. Fuchs.[2] [249] Der Componist lebt in Petersburg, als Pfleger der edleren Kunst im engeren Cirkel, allgemein geschätzt als Lehrer des Satzes, als dessen Beherrscher er sich nun auch praktisch erweist. Das Quartett ist nicht so verwickelt, daß man mit der Partitur in der Hand, die uns vergönnt war, es nicht nach Einmal-Anhören in seinen Höhen und Tiefen übersehen könnte, und auch ohnedies müßte die Eigenthümlichkeit in Form und Gehalt darin in die Augen springen. Am ehesten möchte man an Onslow, als das Vorbild des Componisten denken; doch blickt auch Studium der weiter zurückliegenden Kunst, der Bach’schen, wie der neuesten Beethoven’s hindurch. Es ist im Gegensatz zu dem beschriebenen Spohr’schen, ein wahres Quartett, wo Jeder etwas zu sagen hat, ein oft wirklich schön, oft sonderbar und unklarer verwobenes Gespräch von vier Menschen, wo das Fortspinnen der Fäden anzieht wie in den Musterwerken der letzten Periode. Das Packende, Nachhaltende Beethoven’schen Gedankens findet man eben nicht oft, und darin steht auch das Quartett zurück; im Uebrigen aber interessirt es bis auf einzelne mattere Tacte durchweg durch seinen seltenen Ernst und seine ausgebildete Kraft im Styl. In der Form erscheint es uns ebenfalls gut, und namentlich in der Gigue und dem letzten Satze pikant. Die Gigue gehört freilich gar nicht in das Quartett, was ich sogar betheuern kann, da das Manuscript ein ganz anderes Scherzo enthält, was wohl auch mehr zu den andern Sätzen paßt, allerdings aber auch [250] weniger interessant ist als jene; doch entstand durch diese Veränderung das andere Uebel, daß die Gigue in B dur spielt, während der folgende (letzte) Satz in C moll: eine Tonfolge, die ich in einer Form, deren Strenge eben ihre Schönheit, nicht billigen könnte. Im Andante ist, nach Art eines bekannten Haydn’schen Quartetts, der neue russische Volksgesang (v. Lwoff) eingeflochten und variirt. Man weiß wie solch Fremdes nur selten in den eigenen Ideengang passen will, und so hätte ich auch lieber ein Werk geliefert, das ich ganz mein nennen könnte, als wo wenigstens die höhere Kritik den patriotischen Bezug nicht anerkennen kann. Indeß mag der geschätzte Mann, wie wir hören, noch manches ihm allein angehörige Quartettwerk in Vorrath haben, mit dessen Veröffentlichung er die Freunde echter Quartettmusik baldigst erfreuen wolle.




  1. Werk 97.
  2. Werk 10.
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