Textdaten
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Autor: R. Waldmüller
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Titel: Gerstäcker in Frankreich
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 416–419
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[416]
Gerstäcker in Frankreich.
Reiseblatt von R. Waldmüller.


Ich las neulich in einer französischen Zeitung, „Le courrier de la Meurthe“, eine abenteuerliche Lebensbeschreibung des Mr. Gerstequé, eines „célèbre voyageur allemand“. Ueber seine bewegte Vergangenheit wurde zunächst mit, so scheint es, freier Umdichtung eines unlängst in deutschen Blättern erschienenen Artikels etwa Folgendes berichtet: Gerstäcker – denn der war unter jenem Namen Gerstequé unbedingt gemeint – sei als geborener Hamburger mit Leib und Seele Republikaner [417] gewesen und habe deshalb den preußischen Druck, wie derselbe seit Olim’s Zeiten von dem ganzen Norden Deutschlands nur mit Widerwillen ertragen worden, vor Allem unleidlich gefunden. Früh schon in politische Verbindungen hineingeraten, sei er zu wiederholten Malen bei kleinen Aufständen betheiligt gewesen, und da er seit den Freikugelzeiten Max’ und Caspar’s für den letzten Bewahrer jenes Kugelspruchs gegolten habe, der durch Weber mit so viel Glück in Musik gesetzt worden sei, so könne es nicht befremden, daß die Könige von Preußen den Namen Gerstequé nie nennen hörten, ohne zu zittern. Glücklicher Weise „für diese argen Verbrecher“ habe der kühne Republikaner eine große Leidenschaft für die Jagd gehabt. Diese Leidenschaft zu befriedigen sei ihm ein dringenderes Bedürfniß gewesen, als nach Art Wilhelm Tell’s sein Volk vom Tyrannen zu befreien und so habe er denn dem geknechteten Vaterlande den Rücken gekehrt und sei nach dem Lande der Freiheit ausgewandert.

Was er dort Alles getrieben habe, wird nun mit schöner Farbengebung erzählt. Dann erfahren wir, daß Bonn-San-San, der König der Fidschi-Inseln, ihn mit dreien seiner zierlichen Töchter vermählt, – französische Romantiker malen bekanntlich nicht mit dem Pinsel, sondern gleich mit dem Spachtel – daß die Leidenschaft der Fidschi-Insulanerinnen aber die Eifersucht sei, und daß ein häuslicher Conflict der verworrensten Art den Schwiegersohn des Fidschi-Königs eines Tages vor die furchtbare Wahl gestellt habe, seiner besonders eifersüchtigen jüngsten Gattin zu Gefallen ihre Schwestern, seine beiden älteren Gattinnen, mittelst Freikugeln zu beseitigen, oder aber sich scalpiren zu lassen. Unfähig, sich jener Schändlichkeit schuldig zu machen, habe er, von den Anhängern seiner jüngsten Gattin übermannt, sich bereits dem Scalpmesser preisgegeben, als unverhofft der Eintritt einer Sonnenfinsterniß plötzlich die scheußliche Ceremonie unterbrochen und dem Opfer Gelegenheit gegeben habe, sich mit einem beträchtlichen Reste von Stirnhaut zu retten. Seine „fameuse“ hohe Stirn und der Mangel an Haaren auf dem oberen Theile seines Kopfes wurden als Folge dieser Mißhandlung bezeichnet.

In dieser Weise ging die Erzählung fort, nicht ohne immer den Faden wieder nach der Seite des preußischer Thrones hinüber zu spinnen und die Anstrengungen zu schildern, welche von den Hütern desselben gemacht worden seien, um den letzten Bewahrer des Freikugelspruchs in der Tropenwelt oder doch jenseits der Linie zurück zu halten. In Bezug hierauf hören wir von Anschlägen, welche an die Abenteuerlichkeiten des Theaters der Porte St. Martin gemahnen, so z. B. von einem Versuche, ihn in Botany Bay zu interniren, vorgeblich als Missethäter, da ein ihm äußerlich ähnliches Subject ausfindig gemacht worden sei, das man hatte verschwinden lassen und dessen man nun wieder in der Person des Mr. Gerstequé habhaft geworden sein wollte.

Die ganze australische Reise Gerstäcker’s wird bei dieser Gelegenheit kurz skizzirt, doch statt Jagd zu machen, wird er gejagt, nämlich von preußischen Spionen, welche den vermeintlichen Missethäter einfangen sollen, da die achtbare Polizei der Colonie zu dieser Unthat die Hand zu leihen nicht zu bewegen gewesen sei.

Endlich wird das Netz, in welchem man den Unerreichbaren zu fangen hoffte, zur Schlinge für seine Verfolger. Mit den Bodenverhältnissen Australiens genau vertraut und durch eine lange Gewöhnung mit einem kameelartigen Magen ausgestattet, lockt Mr. Gerstequé jene Spione tiefer und immer tiefer in das wasserarme Innere des Landes, und als sie zuguterletzt dem Durste erliegen, macht er selbst von einer Geheimkunst Gebrauch, welche ihm ein Weiser im Lande der Azteken verrieth: durch Ueberschlucken der Zunge nämlich sich in eine Art von Siebenschlaf zu versetzen, während welches der Körper, wie derjenige der Thiere zur Zeit ihres Winterschlafs, mit seinen sämmtlichen Functionen feiert.

Natürlich erwacht er solcher Art erst wieder, als der Eintritt der Regenzeit seinen Schlummer stört. Sofort bemächtigt er sich der Papiere, welche sich in den Taschen der inzwischen zu förmlichen Mumien eingetrockneten Spione befinden, und begiebt sich, mit diesen wichtigen Documenten bewaffnet, auf die Heimreise nach Europa.

Dort ist inzwischen der Krieg mit Frankreich ausgebrochen. Das schöne Frankreich ringt auf Tod und Leben mit den Barbarenhorden, die ihm Alles nehmen, was es an Pendeluhren besaß, und die selbst die heilige Republik, zu welcher man zurückkehrte, nicht als eine genügende Lösung gelten lassen wollen.

Daß Monsieur Gerstequé als Republikaner sich jetzt auf Seite des schönen Frankreich stellt, ist selbstverständlich. Aber vor Allem muß er die Krone Preußens in seiner persönlichen Angelegenheit zur Rechenschaft ziehen. Wo sind die Verantwortlichen zu finden? Berlin ist so leer, wie ein Bienenkorb zur Schwarmzeit. Also auf nach Versailles!

Wieder wird hier nach deutschen Quellen mit einiger Genauigkeit die Spur Gerstäcker’s zur Zeit seiner Reise um Paris verfolgt. Natürlich hat er seine Büchse bei sich, nicht minder seine Tasche mit Bleikugeln. Gehüllt ist er in ein „australisches Löwenfell“, vermuthlich ein Beutestück aus den Träumen seines Siebenschlafs, da in Wirklichkeit Australien ja von reißenden Thieren frei ist. Als er Versailles in diesem „republikanischen Costüm“ erreicht, beginnt die Polizei sich seiner erst wieder zu erinnern. Große Aufregung in der Rue des Réservoirs und an allen Enden. Er besucht einen deutschen Herzog, der nun seinerseits unter polizeiliche Aufsicht gestellt wird. Dann wird in dem Quartiere des Löwenritters Haussuchung gehalten; Büchse und Kugeltasche werden conficirt; nach den Documenten sucht man jedoch vergebens. Diese trägt der Verfolgte nämlich immer bei sich, und da die allgemeine Furcht vor ihm jedes Handanlegen unmöglich macht, sind die Papiere solcher Art auch am sichersten geborgen. Dennoch begreift es Gerstequé, daß sie dort nicht bleiben können, daß ihr Zweck ein anderer ist als zwischen Büffel-Koller und Känguru-Camisol unthätig auf dem Posten zu liegen. Sie müssen an die Oeffentlichkeit gebracht werden, an die große, an die ganz große Oeffentlichkeit. Diese verleiht nur ein Punkt des Weltalls, das Gestirn der Welt – Paris. Dort in’s volle Licht gestellt, wird die Wahrheit die weiteste Verbreitung finden. Also hinein nach Paris und zwar zum Exherzoge von Braunschweig, auch einem alten Freunde Monsieur Gerstequé’s.

Von diesen Punkte an hüllt sich der Erzähler in den Mantel des zwar Eingeweihten, aber Verschwiegenen. Mit einigen Seitenblicken auf den Proceß Arnim wird geheimnißvoll angedeutet, daß die Zeit, um den weitern Verlauf jener andern Angelegenheit zu enthüllen, noch nicht gekommen sei. Der plötzliche Tod Monsieur Gerstequé’s in Braunschweig – eine zum Erzherzogthume Hannover gehörige Stadt – und derjenige des Exherzogs von Braunschweig in Genf beschließen die unsinnige Farce. – Ob sie nicht der Vorläufer eines Mysterienbuches zu sein bestimmt war, vermag ich nicht zu sagen. Daß der Stoff für französische Leser nicht leicht günstiger zur Benutzung fertig daliegen kann, bedarf keines Nachweises. Der „Freischütz“ ist den Franzosen seit Langem ein guter Bekannter. Seitdem die Franctireurs sich nach ihm betitelt haben, lebt er erst recht im Glorienscheine französischer Popularität. Möglich auch, daß ein Spectakelstück aus der Sache wird. Es müßte zweifellos großen Erfolg haben. Früher oder später werden die Pariser Correspondenten unserer deutschen Zeitungen wohl etwas darüber zu melden bekommen.

Mir brachte die hirnlose Geschichte, soweit sie thatsächlich Richtiges enthält, Gerstäcker’s Bild aus den Tagen lebhaft in’s Gedächtniß, wo er „in Paris einzudringen“ suchte. Nicht freilich um den Exherzog von Braunschweig aufzufinden, bemühte er sich um Einlaß in die damals noch ziemlich streng abgesperrte Stadt. Er hatte vielmehr als Tourist für die Gartenlaube Briefe zu schreiben übernommen, welche mit Straßburg begannen und im weitern Verlaufe seiner Reise alles irgend erreichbare Besprechenswerthe auf dem Gebiete des Kriegs mit in’s Auge fassen sollten. Auf dem Wege nach Versailles, dem Hauptschlüssel für die belagerte Stadt, machte er einige Rasttage im sächsischen Hauptquartiere, wo außer mir an Berichterstattern nur der Times-Correspondent, Master Kelly, weilte und wo der vielgereiste und vielgenannte Mann die beste Aufnahme fand.

Das sächsische Hauptquartier befand sich bekanntlich in Vert Galant. Ein kleines Schloß mit Garten, Park und Fasanenwäldchen diente dem Höchstcommandirenden, dem Prinzen Georg von Sachsen, zur Residenz und beherbergte gleichzeitig einen großen Theil seines Generalstabes. Wie wir Anderen ein- für [418] allemal unsern Platz an der prinzlichen Tafel hatten, so wurde auch Monsieur Gerstequé in gastlicher Weise aufgenommen und zur Tafel gezogen, ja es ward ihm sogar die Ehre zu Theil, neben dem Prinzen seinen Platz angewiesen zu erhalten. Natürlich waren wir Civilisten in Bezug auf unsere Kleidung für gewöhnlich von allen Etiquette-Rücksichten dispensirt, und auch Gerstäcker’s steirische Joppe rangirte für voll zwischen den Umformen der übrigen Tafelrunde. Seine ganze Art und Weise war freilich mit diesem feinem Reise- und Jagdcostüme so völlig verwachsen, daß man ihn füglich sich nicht anders als in dieser Stereotyp-Ausgabe hätte denken können. Nur in ein Löwen- oder Lamafell gekleidet, wäre er vielleicht noch willkommener gewesen, denn Jedermann wollte ein Stück lebendigen Robinson Crusoe in ihm vor Augen haben und hätte es ihm nicht vergeben, wenn er von allen Reminiscenzen an sein Weltfahrerthum frei gewesen wäre. Glücklicher Weise hatte er für diesen Zweck in seinem Quartiere wenigstens das Fell eines natürlich von ihm selbst, ich weiß nicht in welcher Prairie erlegten Büffels zur Verfügung, seinen steten, langjährigen Reisebegleiter und, wie er versicherte, seinen stummen Ueberreder zu immer neuen Wanderwagnissen.

Gerstäcker war gewöhnt, sich in allen Arten von Gesellschafts-Sphären zurecht zu finden. Er schrieb zwar besser, als er sprach, und seine Unterhaltung enttäuschte nicht selten Diejenigen, welche jede seiner Schriften mit lebendigem Interesse gelesen hatten. Dafür wollte er aber auch nichts aus sich gemacht wissen. Bücher und wissenschaftliche Gespräche zogen ihn wenig an. Sehen, mitmachen, selbst erleben, das war seine Leidenschaft. Nicht geringes Gaudium fand er daher an den Späßen, mit denen im engern Kreise nach Tisch sich unsere kleine Gesellschaft wohl hin und wieder zu vergnügen pflegte. Zu den Gegenständen, welche beim Ausbruch des Kriegs von dem Inhaber des Schlößchens vermauert worden waren, hatte auch ein hübsches kleines Pianino gehört. Natürlich hatte man dasselbe längst aus seiner Gefangenschaft erlöst, und seine verstimmten Saiten, von den vielen Musikkundigen des Kreises fleißig bearbeitet, gaben sich geduldig dazu her, bald Gutes und bald Mäßiges zu Gehör zu bringen. Nie ist es während der ganzen langen Belagerungszeit mit einem Stimmhammer in Berührung gekommen. Einen solchen aus Deutschland kommen zu lassen, zumal dann wohl auch noch immer der Stimmer gefehlt haben würde, schien nicht der Mühe werth, da man ja täglich vor Paris fertig zu sein hoffte. Aus Paris wäre wohl der Hammer noch am raschesten zu erhalten gewesen, denn die sächsischen Vorposten hatten das Zeitungs-Schmuggeln eine ganze Zeit lang vortrefflich in Gang gebracht, so daß wir oft sechs bis acht Pariser Zeitungen auf einmal erhielten, und die Zeitungs-Schmuggler hätten uns natürlich auch mit andern Pariser Artikeln versehen können. Selbstverständlich wurde aber inmitten der allgemeinen Entbehrungen auf jene verstimmte Laune unserer Musik kein Werth gelegt, und da der musikalisch sehr begabte Prinz Georg selbst sich mit den Schwächen des vielgepflegten Instruments genugsam abfand, so konnte auch die muntere kleine Nachtisch-Genossenschaft zufrieden sein, zu ihren ohnehin willig auf künstlerische Abrundung verzichtenden Einfällen eine Tonbegleitung zu haben, die ihren komischen Beitrag aus eigenen Mitteln spendete.

Auf dem Heimwege aus einer dieser improvisirten Soiréen wußte Gerstäcker nicht lebhaft genug zu beklagen, daß er einige dieser Kunstfertigkeiten nicht früher zu erlernen Gelegenheit gehabt habe. Man hatte eine Scene aus der Wolfsschlucht aufgeführt gehabt (welch ein verwerthbarer Stoff für die Geschichte Mr. Gerstequé’s!) und der Spectakel war allerdings von einer Wirkung gewesen, wie er den Wilden aller Länder zu hohem Genuß gereicht haben würde. Dies war aber nicht, was Gerstäcker so ausnehmend gefallen hatte. Auch die mit wirklich täuschender Nachahmung des Wasserplätscherns – durch Papierreiben an der Tapete – und des Mühlengeklappers – durch vieltactiges Messerklopfen auf einer Tischplatte – illustrirte Vorführung des Volksliedes: „in einem kühlen Grunde“ schien ihm keineswegs die Krone der Leistungen. Dagegen erklärte er für geradezu unübertrefflich diejenige Leistung eines Mitgliedes des Cirkels, welche das Gebrumme und Geknurre eines Haufens wilder Thiere nachzuahmen bezweckte. Der Künstler, ein gigantischer Cavallerieofficier, hatte sich dazu außer seinem Munde einzig eines Lampencylinders bedient und auf diese Weise in der That ein Concert von Mißtönen erreicht, das dem Durcheinander von Stimmen, wie es der Fütterung in einem Löwen- und Tigerzwinger voraus zu gehen pflegt, in erschreckender Weise ähnlich war.

„Bedenken Sie nur,“ rief Gerstäcker, als ich ihn heimbegleitete, damit er bei dem Parole-Anrufen der Wachposten nicht etwa Unannehmlichkeiten haben möge, „bedenken Sie nur, wie das meiner alten Freundin, der guten Königin Pomare, imponirt haben würde! Was will dagegen die Cither sagen, die ich ihr vorspielte! Ich muß noch einmal wieder über’s Meer. Dies Instrument soll kein Andrer drüben produciren als ich selbst.“

Daß dem Manne, der erst kurz zuvor die Belagerungsarbeiten um Straßburg so weiten Kreisen anschaulich zu machen gewußt hatte, Gelegenheit gegeben werden mußte, sich in einer oder der andern unserer Schanzen von den Pariser Granaten begrüßen zu lassen, versteht sich von selbst. Er selbst wünschte es und ihrerseits sind Militärs ja immer gern bei der Hand, wenn es den Civilisten zu einer Gänsehaut zu verhelfen gilt. Auch erhielt Gerstäcker zu dem Ritt in die Schanzenlinie ein Pferd, auf dem nicht Jeder sich wohl gefühlt hätte, ein kurzbeiniges Berberroß, wie deren während der Campagne sich manche aus französischer in deutsche Fütterung herüber gefunden hatten. Das war ihm aber gerade recht. Wenn er als Reiter etwas absonderlich aussah, so hielt er sich dafür um so fester im Sattel, und so verlief dann nicht nur der Ritt ganz nach Wunsch, auch die Beschießung der Schanze traf man gerade in lebhaftem Stadium, so daß jeder bei dem Ritt betheiligt Gewesene in höchster Befriedigung heimkehrte, da ja trotz dem Lärm und dem ganz nahen Crepiren der unliebsamen Pariser Sendlinge kein Unglück geschehen war.

Als ich wenige Tage darauf mit dem „Times“-Correspondenten auf einige Tage nach Versailles hinüber fuhr – St. Denis war eben von den deutschen Truppen besetzt worden und man hoffte täglich auch auf das Zugänglichwerden von Paris –, da fand ich im Speisesaale des „Hôtel de France“ zu Versailles, mißmüthig an einem Seitentische sitzend, den Mann in der bairischen Joppe.

„Diese verwünschten Franzosen!“ rief er mir zu, „jedes Gericht, das ich bestelle, wollen sie nicht kennen. Werd’ ich denn am Ende, diesen Narren zu Gefallen, noch französisch plappern sollen? Fällt nur nicht ein. Aber das Gallenfieber ärgert man sich an den Hals.“

„Und in welcher Weise.“ fragte ich, „haben Sie Ihre Bestellungen denn gemacht? Auf Deutsch?“

„Nicht einmal.“

„Auf Französisch?“

„Bei Leibe nicht. Werde ich Denen zu Liebe so viele Umstände machen! In der Fingersprache.“

„Wie so?“

„Hier.“ Und er zeigte mit dem Finger auf diejenige Partie der Speisekarte, die er zu bestellen wünschte. Als erfahrener Reisender hatte er dabei sich durchaus keines Irrthums schuldig gemacht. Der Kellner hatte nur nicht Lust gehabt die Pantomime zu verstehen, und ich mußte viele Worte verschwenden, um den tückischen Burschen gefügig zu machen.

Es war in der That, auch wenn man die französische Sprache fließender sprach, als Gerstäcker dies that, mit den Versaillern schwer auszukommen. Obschon allenthalben die deutschen Officiere unter den Gästen der Hôtels und Restaurants in starker Mehrheit waren, wurde jeder Deutschredende doch mit sichtlichem Widerwillen bedient, und die Kellner machten sich einen Spaß daraus, ihre Landsleute immer früher abzufertigen, als die Nicht-Franzosen. Warum nicht hin und wieder einmal ein Exempel statuirt wurde, das ist ein Geheimniß geblieben. Vielleicht war von oben herab die Parole ausgegebenen, jede Reibung sorglich zu vermeiden. Im Wesentlichen verstimmte unsern Gerstäcker übrigens während dieser Tage vornehmlich die Ungewißheit, ob er nach Paris hineinkommen werde oder nicht. Pariser erhielten täglich in großer Anzahl Erlaubnißscheine zum Besuchen von Versailles, und wenn dem Deutschen auch mit gutem Grunde nicht gestattet war, den Besuch zu erwidern, so konnte man dieses Verbot doch recht gut umgehen. Aber die Unberechenbarkeit des Empfangs, dessen man sich drinnen zu gewärtigen hatte! Selbst Engländer waren ihres [419] Lebens nicht sicher. Täglich hörten wir von Mißhandlungen der brutalsten Art. Noch heute sind Fälle dieser Art ja in Aller Gedächtniß. So die Schleifung und gefährliche Verwundung unseres sächsischen Johanniters, des Herrn von Lüttichau. So auch die Katastrophe, in welche der Correspondent der „Daily News“, Colonel Formes, gerieth, als er beim Einzuge unserer Truppen in Paris den Zorn der Straßenbevölkerung dadurch auf sich gelenkt hatte, daß der Kronprinz von Sachsen einige Worte mit ihm sprach.

Unter solchen Umständen war auch die geläufige englische Redeweise Gerstäcker’s ihm kaum nachhaltig zu Statten gekommen. Und wie, wenn ihn gar Einer erkannte! Und sein Aeußeres war ja oft genug Gegenstand von Darstellungen gewesen. Ich rieth ihm daher sehr nachdrücklich, von dem Vorhaben abzustehen und so sehr er fühlte, welch’ einen lesenswerthen Bericht seiner Feder er drinnen im Stiche ließ, war er doch selber ohne alles Vertrauen zu der Sache und stand also davon ab.

Als ich ihn einige Tage darauf wiedersah, beschlossen wir, Versailles zu verlassen und deshalb auf einen Privatwagen, der uns wenigstens bis Lagny bringen könne, Jagd zu machen.

Dieser war bald gefunden und schon am nächsten Morgen wurde die gemeinsame Fahrt angetreten.

Natürlich hielt es schwer, sich während der Fahrt zu beköstigen, und wo sich dies machen ließ, verdarb es Gerstäcker wieder durch seinen Widerwillen gegen das Völkchen, auf dessen guten Willen man angewiesen war. So verweigerte ihm eine schöne, heftig blickende Person, welche in einem Orte des bairischen Belagerungskreistheils ein Café-Stübchen hielt, die Ablassung einer Tasse Kaffee, nachdem er sie, wie sie behauptete, auf höchst schnöde Weise der Unsauberkeit bezichtigt habe. „Ich gab dem Monsieur,“ sagte sie, „auf sein Verlangen ein Glas zum Weintrinken und er wies es zurück, weil ich’s nur in Wasser ausgespült, nicht aber abgetrocknet habe. Kann man Unsinnigeres verlangen? Ist ein öfter gebrauchtes Tuch je so sauber wie klares Wasser? Und jetzt will er sich herbeilassen aus meinen Tassen Kaffee zu trinken? Nimmermehr!“

Da diese sehr bestimmt redende Schöne die einzige Vertreterin ihres Geschlechts in jenem Bezirke war, so herrschten ihre Launen natürlich unumschränkt wie Lili in ihrem Thierparke, und Gerstäcker mußte sich mit dem Troste beruhigen, daß der ihm versagte Kaffee stark nach Brasil duftete.

Wir haben dann Abends Lagny erreicht, und da auch hier für Geld und gute Worte so gut wie nichts zu erlangen war, vor Allem kein Bett, so ist es endlich dahin gekommen daß von dem Rathe eines pommerischen Schaffners Gebrauch gemacht wurde: man möge sich’s die Nacht über nur, ohne weiter Jemanden um Erlaubniß zu fragen, in einem der Coupés des im Bahnhofe stehenden Zuges bequem machen; der gehe am nächsten Morgen nach Deutschland, und wer einmal d’rin sitze, den werfe man schon nicht so leicht hinaus.

Ich selbst hatte noch keine Eile, heim zu kommen. Gerstäcker war aber herzlich froh, dem Winke des ehrlichen Pommers folgen zu können, und verkroch sich sogleich mit seinem Reisesacke oder seinem Büffelfelle in die finsterste Ecke eines der leeren Coupés, in welchem er denn auch, wie ich Tags darauf ermittelte, unbemerkt aus Lagny herausgekommen ist. Einmal im Zuge, konnte er sich dann so ziemlich für reiselegitimirt betrachten und so ist er mit seinen Wandernotizen im Kopfe und in der Tasche nach Deutschland heimkutschirt, rüstig und unermüdlich – Niemand hat wohl geahnt, daß diese Reise seine letzte sein sollte.