Gellert und der Bildhauer Knauer

Textdaten
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Titel: Gellert und der Bildhauer Knauer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 312–314
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Gellert und der Bildhauer Knauer.

Wenn man in Leipzig die Dresdner Straße, von der Stadt kommend, hinabgeht, sieht man eine einsame Kirche vor sich stehen, die ihren schlanken Thurm hoch in die Lüfte erhebt; sie erscheint so einsam, weil der Kirchhof, der sie früher umgab, weggeräumt ist, und somit die Todten ihre Kirche haben verlassen müssen. Nur ein Grab ist geblieben und das ist das Gellert’s. Es besteht in einer einfachen Steinplatte mit dem Reliefbildniß des edlen Todten und einer Anpflanzung von Cypressen, die einen kleinen, von einem Eisengitter umfriedeten Raum schmücken. Gellert allein, von Allen, die hier entfernt wurden, ist geblieben; an seine Ruhestätte hat die Hand, die hier aufräumte, nicht rühren dürfen. Aber wie lange wird er noch sein Plätzchen behalten? Vielleicht noch [313] fünfzig Jahre und es rollt auch hier ein Eisenbahnzug dahin, und man wird dann dafür sorgen müssen, das kleine Bette des Dichters, der, so lange die deutsche Zunge redet, immer ein theurer Name bleiben wird, anders wohin zu verlegen. Leipzig kann ohne seinen Gellert nicht sein.

Diese einsame Kirche und dieses einsame Grab, mitten im Gewühl des Lebens und Verkehrs, machen einen eigenthümlichen Eindruck. Auf diesem Platze münden die vier Hauptbuchhändlerstraßen, die Grimmaische, die Bosen- und Königsstraße und die Querstraße ein, in der Haus an Haus die bedeutenden Buchhändlerfirmen angeheftet stehen, die ihre Namen von den Ufern des baltischen Meeres bis zu den Straßen von New-York auszubreiten verstanden haben. Der Betrieb Leipzigs in diesem Fache ist ein außerordentlicher, und er wächst jährlich. Wenn man diese Straßen wandelt, so fallen einem aus frühester Jugend alle die schönen Bücher ein, die man auf den Weihnachtstischen gefunden, und später von den Angehörigen geschenkt bekommen; es kommen einem aber auch die Werke in’s Gedächtniß, an die sich der Gang und die Resultate unserer Bildung knüpfen, und die Mancher von uns, dem die Mittel nicht reichlich zugemessen sind, mit Anwendung seiner theuer erworbenen Ersparnisse zu einer Privatbibliothek erkauft. Die Geschichte so manches deutschen Gelehrten beginnt und endet in diesen Straßen. Es sind die Straßen der Hoffnung, des Stolzes, der Demüthigung und der Enttäuschung. Es gibt hier Häuser, in denen fortwährend Leichenbegängnisse der Eitelkeit gefeiert werden, und andere gibt es, die Tempel des Ruhmes sind, und wieder andere, wo man Namen aus der Taufe hebt, die bestimmt, einst Deutschland mit ihrem schönen Klange zu erfreuen. Wer in Deutschland schrieb wohl je eine Zeile, die nicht, wenn auch nur als Manuscriptconvolut, durch eine dieser Straßen wanderte? Zarte Frauen, in Spitzenschleiern und in Seidenroben, stehlen sich in später Abendstunde, wenn all diese hundert Lampen in den Souterrains der Comptoirstuben brennen, an den Häusern hin; sie suchen keinen Geliebten, sie suchen – einen Verleger. Welche dieser Thüren wird sich ihnen öffnen? Welche Hand wird sie ihrer Bürde entledigen, des mit rosenrothen Bändchen zusammengeschnürten zierlich geschriebenen Manuscripts, das irgend eine wundersame Liebesgeschichte in nicht endenden Capiteln enthält? Ach, diese ungalanten Ritter der Tafelrunde, die statt bei Pokalen bei Tintenfässern sitzen, sie wissen nichts von der Dienstbeflissenheit, mit der man Damen in Nöthen beispringen muß, sie lassen die Schöne weiter wandern, und sie wandert fort, die lange, lange Straße hinab, Gellert’s Grab vorbei, und wenn sie am Schluß dieser hartherzigen grausamen Straße ist, die so viel steinerne Buchhändler-Herzen, wie steinerne Treppen zählt, so wünscht sie sich, ermüdet, des Dichters Grab zu theilen, da sie dessen Ruhm nicht theilen kann. Glücklich, wer diese Straßen, von denen die Königsstraße die schönste und mit Buchhändlern am meisten gesegnete ist, wandelt im Gefolge von fünfzehn Auflagen seines Werkes! Ihm schimmert jede Firma golden entgegen, er fühlt die scharfen, spitzigen Steine dieses Pflasters nicht, das gerade in diesen Straßen schlimmer ausgefallen ist, als in allen übrigen Leipzigs, er empfindet nichts vom scharfen Luftzuge, der hier weht, er und seine fünfzehn Auflagen gehen siegreich hindurch.

Gellert’s Grab.

Gellert’s Leben war ein bescheidenes und einfaches. Er war und blieb der Leipziger Professor trotz aller Versuche, ihn in das frivole Weltleben und in die vornehmen Bekanntschaften zu ziehen. Er correspondirte viel mit einflußreichen Personen, aber man hat nicht vernommen, daß er durch sie etwas zu erlangen strebte; gerade diese Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit zierte den Mann und flößte vor ihm Respect ein. Es ist hier nicht der Ort, über Gellert’s [314] Verdienste zu sprechen, es ist nur von seiner Popularität die Rede, die er sich in einem seltenen Grade zu erwerben verstand. Sein eitler und hochmüthiger Zeitgenosse Gottsched ist vergessen, während Gellert noch seine Verehrer und Freunde hat, während seine Fabeln noch in unsern Tagen neu aufgelegt worden sind. Es ist demnach eine dankbare Aufgabe für einen Künstler, das Bild dieses Mannes, in der charakteristischen Gestalt, in der er auf die Nachwelt übergegangen, dem Publicum zu übergeben. Herr Knaur[WS 1], ein junger Bildhauer in Leipzig, hat dies gethan, wie uns dünkt, in höchst gelungener Weise.

Der Schreiber dieser Zeilen sah in dem Atelier des Künstlers eine Statuette, die er auf Wunsch eines Kunstfreundes mit großer Liebe für seinen Gegenstand gefertigt hatte, und die den Dichter darstellt, wie er in religiöser Contemplation versenkt, die Blicke nach Oben gerichtet, die Hände im Schooß gefaltet, in einer halb schreitenden aufrechten Stellung dasteht. Blick und Gebehrde sind einfach und wahr, der Ausdruck ungesucht und mit tiefer Innerlichkeit der Situation angepaßt, mit einem Wort, es ist ein bedeutendes, erhabenes und erfreuendes Bild, und wäre dieser brave, junge Künstler nicht bereits durch andere Arbeiten schon ehrenvoll bekannt, diese Statuette Gellerts müßte ihn in Ruf bringen. Leider ist die schöne Arbeit wenig außerhalb Leipzig bekannt. Es scheint sich an den Namen Gellert das anspruchlose und sich in Dunkel verbergende Verdienst, wie an seinen Patron zu knüpfen; doch erfüllt hier der Berichterstatter gern den Beruf, das Schöne und Gelungene, wo er es findet, an’s Licht zu ziehen. Die Statuette kann deshalb besonders eine gelungene Arbeit genannt werden, weil wir aus unserer frühesten Erinnerung uns den beliebten Mann so zu deuten gewohnt sind, wie er hier vor uns steht. Es hat dazu ein aus dem Leben gegriffener Zug dem Künstler als Motiv gedient.

Gellert war mehre Jahre hindurch Stubennachbar des Mannes gewesen, dessen Sohn bei dem Künstler sein Bild bestellt hat. Wie er es aber dem Knaben oftmals erzählt, war er, durch die dünne Bretterwand lauschend, öfters Zeuge gewesen, wie Gellert, in frommen Morgenbetrachtungen versenkt, und halblaut vor sich hin ein Gebet sprechend, in der Stube auf- und abgeschritten sei. Nach diesen Mittheilungen ward Stellung und Miene gemalt, und der geistvoll durch feine, charakteristische Züge belebte Kopf zeigt nichts von süßlicher Sentimentalität, wohl aber den tiefen Ernst und das gläubige Sinnen eines in sich vollendeten und abgeschlossenen frommen Denkers. Besondere ist die Wendung des Kopfes schön, und es war dabei mehr als eine Schwierigkeit zu besiegen, unter denen die hauptsächlichste gewiß die ist, in der Aufrichtung des Blicks nach oben die richtige Grenze zu beobachten zwischen Exaltation und contemplativer Ruhe.

Gellert durfte nicht als Schwärmer, nicht als Fanatiker bezeichnet werden, es hätte seinen Charakter völlig mißverstehen geheißen, wenn man aus ihm einen Schwärmer oder gar einen Frömmler gemacht. Dabei ist das Seelenvolle, das innerlich Bewegte in den freien Linien des ein wenig geöffneten Mundes als quöllen die Segensworte eben über die Lippen, nicht vergessen. Die Kleidung ist die einfache Gelehrtentracht der damaligen Zeit, doch sind auch hier die Linien mit Feinheit behandelt, so daß das Steife, Geregelte jener für die Sculptur nicht sehr günstigen Gewandung bestmöglichst vermieden ist. Die Figur ist schlank und fast schwebend, ohne dabei dürftig oder dürr zu sein. Bekanntlich war Gellert sehr mager und schrumpfte in den letzten Lebensjahren fast zur Mumie zusammen.

Der Künstler hat, ohne dabei die Fingerzeige, die ihm die Natur gegeben, zu übersehen, eine glückliche Mitte gehalten zwischen einem schlanken und einem abgemagerten Körper. Man sieht dieser Gestalt an, daß es ein Stubengelehrter, daß er kränklich war, und dennoch ist kein das Auge beleidigendes Merkmal der Krankheit oder des Verkommenseins gegeben: der Geist hat seinen Hauch mildernd über die Leiden des Körpers ausgegossen.

Wer den alten ehrlichen Leipziger Professor lieb hat, der wird gern sein Bild auf den Schreibtisch stellen, wenn ein guter Bronzeabguß im Handel wird vorhanden sein, und wer auch von dem Manne, seinem Dichten und Leben nichts oder wenig weiß, hat an dieser Statuette doch eine schöne, mit inniger Seelenwärme gearbeitete Dichtergestalt. Unter den Heroen des deutschen Parnasses wird er eine bescheidene, aber nicht die letzte Stelle einnehmen. Der Künstler jedoch, der dieses Gebild schaffen konnte, darf in unserer Mitte kein Fremder sein, er hat an der Lösung dieser einen Aufgabe gezeigt, daß ächt deutsches Leben, ächt deutsche Einfachheit und Demuthswärme seine schöpferische Kraft beseelt.



Anmerkungen (Wikisource)