Geistesgegenwart (Die Gartenlaube 1860/12)

Textdaten
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Autor: L. E.
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Titel: Geistesgegenwart (Die Gartenlaube 1860/12)
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 192
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[192] Geistesgegenwart. Der Feldprediger Matthisson, Vater des bekannten Dichters, besaß nicht allein in hohem Grade das Talent, in Versen zu improvisiren, sondern seine Zeitgenossen rühmen ihm auch eine seltene Geistesgegenwart nach, die ihn selbst in den Augenblicken der größten Gefahr nie verlassen. Daß es ihm aber neben allen seinen Talenten, seiner großen Begabung und vielen vortrefflichen Eigenschaften des Herzens und Charakters an persönlichem Muth fehlte, wußte Jeder, der ihn kannte, genau. Nicht selten gab dieser Mangel seinen Freunden zur Neckerei Anlaß, und wie er solche Scherze aufzunehmen pflegte, mag ein Beispiel beweisen.

Als im siebenjährigen Kriege, beim Ueberfall bei Hochkirch, einige Regimenter sich schnell zusammengezogen hatten, um dem feindlichen Angriff Widerstand zu leisten, stürzte sich der Feldprediger Matthisson seinem Burschen entgegen, der sein Pferd hielt. Er bestieg dasselbe mit so rasender Schnelligkeit, daß alle die, welche seine Eile bemerkten und deren Grund kannten, trotz des großen Ernsten der nahenden Stunde der Gefahr, ein Lächeln nicht unterdrücken konnten. Einer der Regiments-Commandeure, Oberst von Pfuel, Vorgesetzter des Feldpredigers und zugleich dessen Freund, war einer von denen, die Matthissons Angst bemerkten und sahen, wie eifrig der Mann des Friedens bemüht war, seine Person pflichtgemäß hinter die Fronte des vorrückenden Regiments in Sicherheit zu bringen. Er gab seinem Pferde die Sporen; es flog dem des Feldpredigers nach, und als er ihm auf ungefähr zwanzig Schritt nahe war, rief er ihm mit Donnerstimme zu: „Herr Feldprediger, wohin?“

Matthisson hielt bei dem Zuruf des Commandeurs sein Pferd an. Ein Blick auf seines Freundes schelmisch-blitzendes Auge ließen ihn entdecken, daß er trotz des donnernden Zurufs nichts zu befürchten habe, aber – dennoch auf seiner Hut sein müsse, und – er war es! – Als Oberst von Pfuel daher langsam und ernst hinzusetzte: „Bleiben Sie ruhig, Herr Mattthisson, bleiben Sie hübsch bei uns!“ erwiderte der Prediger kaltblütig mit seiner gewöhnlichen Geistesgegenwart:

„Der Ruf ergeht an Euch, Ihr Streiter,
Doch nicht an mich, der ich nur Hirte bin.
Ruh’ hab’ ich nicht! – Ich reite weiter
Bis dort, – zu jenen Bergen hin!
Da bete ich, wie Moses that,
Bis sich der Streit geendet hat.“

Militairisch grüßend faßte der gewandte Geistliche bei den letzten Worten an seine Mütze; auf ein leichtes Zeichen, das er seinem Pferde gab, trug es ihn schnell weiter. Lächelnd blickte Oberst von Pfuel seinem hinter der Fronte des Regimentes verschwindenden Freunde nach. Ein leises: „Gott mit Dir!“ glitt über seine Lippen; dann ritt er an seinen Posten, an die Spitze des Regiments, und obgleich er es mit dem lauten Ausrufe: „Gott mit uns!“ den feindlichen Colonnen entgegenführte, führte er doch Hunderte seiner treuen Schaar dem Tode entgegen. Daß nicht sein ganzes Regiment aufgerieben wurde, soll seiner Geistesgegenwart im Augenblick der höchsten Gefahr zu danken gewesen sein, und Worte des Lobes und der warmen Anerkennung wurden ihm von Friedrich dem Großen am Abend jenes für die Preußen unglücklichen Tages zu Theil, wo sich die Truppen nach dem nur eine Stunde vom Schlachtfelde entfernt liegenden Spitzberge bei Hochkirch zurückgezogen und in haltbarer Stellung festgesetzt hatten.

Als Friedrich der Große die Commandeure der Regimenter nach flüchtiger Ansprache verabschiedete, trat Matthisson zu seinem Freunde, dessen Antlitz von Stolz und Freude strahlte. Einen Moment überwältigte ihn die Rührung, ihn an dem Tage, der so Vielen das Leben gekostet, gesund und wohlbehalten wiederzusehen, dann erinnerte er sich der Scene des Morgens und heiter rief er dem Obersten zu:

„Am Tag sich tapfer mit dem Feinde schlagen
Und Abends still ein Glück in Demuth tragen! –
Des Nachts! – Nun, Nachts, mein Freund, da magst Du ruhig sagen.
Daß ich mit Freuden nie mein Leben werde wagen.
Es ist ein hohes Gut! Man muß es ehren – schätzen –
Ja seinetwegen selbst dem Spott sich mal aussetzen!
Verliert die Geistesgegenwart bei diesem Spott man nicht,
Verletzt er nie so scharf, da Geist die Spitz’ ihm bricht.“

L. E.