Geheimnißvoller Auswandererzug

Textdaten
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Autor: W. F.
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Titel: Geheimnißvoller Auswandererzug
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[32] Geheimnißvoller Auswandererzug. Eine naturgeschichtliche Anfrage. Das Nachfolgende legen wir insbesondere den Männern der Naturwissenschaft zur Prüfung vor. Mitgetheilt wurde es uns von einem Kaufmann, der gegenwärtig in Mannheim lebt und der uns für die Wahrheit seiner Aussage eine Anzahl Zeugen genannt hat, deren Namen, wenn nöthig, veröffentlicht werden können. Wir lassen unsern Gewährsmann selbst reden.

Es war, schreibt er, im Jahr 1855. Ich wohnte mit meiner Frau in dem freundlichen Städtchen Donauwörth. Als ich einst von einer Reise zurückgekehrt war und mich müde zu Bett gelegt hatte, verspürte ich bald am ganzen Körper ein eigenthümliches, unausstehliches, beißendes Jucken oder vielmehr ein Brennen wie von Nesseln herrührend. Ich konnte nicht schlafen, stand auf und untersuchte mein Bett, weil ich mir dachte, ich könne wohl einen unwillkommenen Gast von der Reise mit heim gebracht haben. Da ich jedoch nirgends eine Spur von irgendwelchem Ungeziefer fand, so schob ich die Schuld meiner unheimlichen Belästigung auf irgend einen Körperausschlag und legte mich beruhigt wieder in mein Bett. Aber nach wenigen Augenblicken begann das unerträgliche Beißen von Neuem und dauerte in steigendem Maße fort. Müde und abgespannt erhob ich mich andern Morgens. Beim Untersuchen meines Körpers fand ich die Haut geröthet. Ich ließ sogleich die Bettlade auseinander legen und untersuchte wiederholt das ganze Bett, allein wiederum vergebens. Mittlerweile erschien der Arzt, Dr. P., der jetzt in Ichenhausen wohnt. Auch er war der Meinung, der Schmerz und die Röthung seien die Folgen eines flüchtigen Hautausschlages, der sich bald geben werde. Wirklich verschwand auch im Laufe des Tages das Jucken und die Röthe der Haut gänzlich.

Als es Zeit zum Schlafengehen war, freute ich mich herzlich darauf, das Versäumte der vorigen Nacht wieder nachzuholen. Müde und schlaftrunken sank ich in mein Bett – aber kaum hatte ich die Augen geschlossen, als das abscheuliche Jucken und Brennen am ganzen Körper von Neuem begann. Wiederum dieselbe Untersuchung des Bettes, dasselbe Resultat und abermals eine Nacht ohne Ruhe und Schlaf. Und wie diese zweite begann auch die dritte Nacht. Da sprang ich in wahrer Verzweiflung aus dem Bett, zündete drei Kerzen an und untersuchte wieder mein Lager von oben bis unten. Von dem, was ich suchte, konnte ich zwar auch diesmal keine Spur entdecken, jedoch fielen mir plötzlich auf dem Betttuch und dem Kopfkissen eigenthümliche in’s Graue spielende Streifen auf, die auf den ersten Blick als ein ganz dünner, durch Feuchtigkeit gebildeter Schimmel erschienen. Ich untersuchte die Streifen naher und näher. Da entdeckte ich zu meinem Entsetzen, daß dieser Schimmel sich bewegte und aus Millionen kleiner Insecten bestand, etwa in der Größe einer Stecknadelspitze. Jetzt erst bemerkte ich auch an meinem Körper und am Hemd eine unzählige Menge dieser Thierchen. Mein Hautausschlag war nun erklärt.

Sobald mein Herr Doctor erschienen war, gingen wir sogleich an eine mikroskopische Untersuchung der Schleimstreifen, und diese zeigte uns in den Thierchen eine Art Spinne, beinahe von der Gestalt einer Kreuzspinne. Wir forschten weiter. Wie sind die Thierchen in mein Bett gekommen? – Woher kommen sie? – Da sehe ich an der Tapete über meinem Bette einen etwa 2 Zoll breiten grauen Streifen, der hinauf bis an die Decke führt. Bei genauerem Beobachten erkennen wir in demselben eine Procession von abermals Millionen dieser Spinnchen. Wir stiegen auf einer Leiter bis zur Decke hinan, um zu entdecken, wo die saubere Wanderung hinführe. Sie ging an dem eisernen Kloben eines Schellenzugs durch die Mauer hindurch auf den Gang. Wir begaben uns auch dorthin und sahen nun, daß ein uns Allen sehr liebes – Schwalbennest hier gerade an der Stelle klebte, an welcher der Kloben wieder hervortrat. Dieses Schwalbennest hatten wir stets sehr sorgfältig gehütet und gehegt, weil wir uns so oft an dem Zwitschern und Ein- und Ausfliegen der muntern Vögelchen erfreuten.

Aber wie sah es nun in dem Nestchen aus? – Drei kalte, zum Theil schon halb verweste Schwälbchen lagen darin, umwimmelt von einer Legion dieser Spinnchen, welche ihren Auswanderungszug unaufhörlich nach meinem Zimmer und dem Bette zu fortsetzten. So war nun endlich die Heimath meiner Plagegeister aufgefunden.

Augenscheinlich ist, daß die armen, jungen Schwälbchen in Folge der massenhaften Zunahme ihrer Plagegeister zu Grunde gegangen und daß diese dann von Hunger getrieben waren, Ersatz bei bem nächsten warmblütigen lebenden Wesen zu suchen. Ob sie nun durch etwaige Feinheit ihrer Geruchsorgane oder ob sie durch den Zufall geleitet wurden, gleichviel, das Ziel ihrer Wanderung war mein Bett, weiter war ihr Zug nicht gekommen. Interessant ist noch, daß wir die Thierchen fast gar nicht vertilgen konnten; obgleich wir vier Tage lang alle Fugen des Zimmers verschlossen hatten und einen solchen Höllenschwefeldampf unterhielten, daß alle Fliegen todt an der Erde lagen, so blieb doch ein großer Theil des kleinen Ungeziefers an der Wand und in dem Bette lebendig. Erst nach Wochen war die letzte Spur desselben verschwunden und das Zimmer wieder bewohnbar.

Die Ungläubigkeit, mit welcher man diese meine Entdeckung überall aufnahm, wo man sich nicht, wie in Donauwörth, von der Wahrheit derselben mit eigenen Augen überzeugt hatte, deutet darauf hin, daß ähnliche Erscheinungen bei uns nur sehr selten vorkommen müssen. Ob dies in anderen Gegenden ebenso ist, oder ob es Gegenden giebt, wo diese Thierchen keine solche Seltenheit sind, darüber werden wohl die Männer vom Fach uns Auskunft geben.

W. F.