Gegen Beutelschneider-Charlatanerien

Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Gegen Beutelschneider-Charlatanerien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46; 47, S. 613–615; 624–626
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Gegen Beutelschneider-Charlatanerien.

I. Geheimmittel.

Trotz aller Civilisation und Kultur in unserer Zeit erscheint die jetzige, selbst die sogenannte gebildete Menschheit doch beklagenswerth, ja verächtlich-unwissend und ungebildet, sobald das Heilen von Krankheiten in Frage kommt. Nicht genug, daß jeder Ignorant, der weder von den Naturgesetzen, noch von den Einrichtungen im gesunden und kranken menschlichen Körper die leiseste Ahnung hat, ganz keck sein Urtheil und seinen Rath über Krankheit, Arzt, Arzneimittel und Heilmethoden abgiebt, nein! er kurirt auch selbst in’s Blaue hinein, unbekümmert darum, ob er Schaden anrichtet oder nicht. Es wächst ferner die Zahl der verschiedenartigsten Charlatanerien tagtäglich und findet fortwährend gesteigerten Anklang. – Forscht man nach der Ursache, weshalb [614] eine so große Menge Laien den unglaublichsten und lächerlichsten Charlatanerien hold sind, und warum sich so Viele in medicinischen Angelegenheiten um Vieles weiser dünken, als Männer, die Jahre lang und mit nüchterner Beobachtung Medicin studirten, so findet sich diese, abgesehen von der Unwissenheit in naturwissenschaftlichen Dingen, in dem geringen Schluß- und Urtheilsvermögen, welches die Meisten besitzen. Diese Urtheilsunfähigkeit veranlaßt nämlich zu dem Glauben, ja zu der Ueberzeugung, daß Alles, was in einem kranken Körper nach dem Darreichen von irgend einem Stoffe oder nach der Anwendung irgend eines (sympathetischen, homöopathischen, magnetischen u. dergl.) Hokuspokus geschieht und Besserung oder Verschlimmerung der Krankheit andeutet, durch jenen Stoff oder Hokuspokus veranlaßt worden sei. Und an diesem Aberglauben (post hoc, ergo propter hoc – darum Dieses, weil Jenes) bleiben nun die Meisten halsstarrig fest hängen, auch wenn sie von wissenschaftlich Gebildeten eines Bessern belehrt werden. Die Thatsache: „daß unser Organismus von der Natur so eingerichtet ist, daß Veränderungen in der Ernährung und Beschaffenheit der festen oder flüssigen Körperbestandtheile (d. s. die Krankheiten) solche Processe nach sich ziehen, durch welche jene Veränderungen entweder vollkommen, bald schneller, bald langsamer gehoben werden (d. s. die Naturheilungsprocesse), oder welche wohl auch bleibende, mehr oder weniger beschwerliche Entartungen, ja selbst Absterben des erkrankten Theiles und des ganzen Körpers veranlassen,“ – bleibt trotz öfters wiederholten Erinnerns doch ganz unberücksichtigt, und vermag nur Wenige (und sogar auch manche, zumal homöopathische Aerzte, nicht) zu dem ganz natürlichen und nothwendigen Schlusse zu bewegen, daß es in den allermeisten Krankheitsfällen jene Naturheilungsprocesse sind, welche bei der verschiedensten Behandlungsweise, sowie auch bei gar keiner Behandlung die Gesundheit vollständig oder theilweise wieder herstellen. Daher kommt es denn aber auch, daß man bei Leiden, zu deren Heilung die Natur längere Zeit bedarf, gewöhnlich den Arzt und das Medicament oder den Charlatan und den Hokuspokus ganz mit Unrecht als heilbringend anpreist, unter dessen Gebrauche gerade zufällig die natürliche Besserung oder Heilung eintrat.

Es passirt gar nicht selten, daß langwierige Uebel, zumal Knochen- und Gelenkkrankheiten, nachdem sie längere Zeit von gebildeten Aerzten erfolglos behandelt, wohl auch als unheilbar angesehen worden sind, unter der Hand eines Schäfers, eines Homöopathen, eines Hufschmiedes, eines magnetischen Postsecretärs oder einer alten Frau sich nicht blos bessern, sondern auch heilen. Natürlich schreibt dann die große unwissende Menge diese Heilung nicht den Naturheilungsprocessen in unserm Körper, die doch in der That die Heilung bewirkten, sondern jenem großen Heilkünstler zu. Solche vereinzelte Fälle werden dann von dem Geheilten und Heilkünstler in alle Welt ausposaunt, aber in wie vielen andern Fällen dagegen jener Künstler oder ein Geheimmittel nicht halfen oder gar schadeten, wird verschwiegen. Es schämen sich nämlich Alle, welche derartige Künstler oder Mittel bei Krankheitszuständen zu Hilfe nahmen, öffentlich einzugestehen, daß sie so albern waren, dies zu thuen. Wie viel Kahlköpfe könnten nicht die Summe beanspruchen, welche auf das Nichtwiederwachsen der Haare nach dem Gebrauche des Eau de Lob gesetzt ist, aber beanspruchen sie dieselbe? Wie viel von Dr. Lutze Angehauchte und von der klugen schleitzer Frau Graf Auspurgirte sind nicht gerade noch so unwohl, wie vorher, aber veröffentlichen sie dies? Warum gehen denn die fanatischsten Anhänger der Homöopathie, selbst sonst charakterfeste und sehr gebildete Hochgestellte, ja sogar homöopatische Aerzte selbst, von dieser Heilmethode sofort ab und zur sogen. Allopathie über, wenn ihnen die Krankheit an’s Leben greift, ohne übrigens von diesem Wechsel viel verlauten zu lassen? Weil sie sich schämen! Leider thuen sie dies nun aber im Geheimen und insofern nicht zum Vortheil Anderer, welche bei gewissenhafter Veröffentlichung solcher beschämenden Erfahrungen vor ähnlichen bewahrt werden könnten. Unter solchen Umständen halte ich es für meine Pflicht, – da ich seit Jahren im Interesse der Volksaufklärung und des Volkswohles über die vernünftige Behandlung des gesunden und kranken menschlichen Körpers, trotz aller Anfeindungen, offen rede und schreibe, – alle die, dem Körper und Geldbeutel unserer Leser nachtheiligen Charlatanerien rücksichtslos zu besprechen. Ich weiß recht wohl, daß es bei unserer jetzigen Erziehung fast zur andern Natur geworden ist, das Geheimnißvolle und auf ungewöhnliche Weise Dargebotene für besonders werthvoll zu halten, daß deshalb Kranke bei längerer Dauer und fruchtloser Behandlung ihres Leidens nach jedem Scheine der Rettung greifen, und daß ihre Phantasie von Geheimnißkuren besonders angesprochen wird, – allein was zu arg ist, ist zu arg. Jetzt wird ja die kranke Menschheit von den gemeinsten Speculanten auf die offenbarste und allen Menschenverstand Hohn sprechend Weise ausgebeutelt.

Die auf die Groschens unwissender und leichtgläubiger kranker Menschen gerichteten Charlatanerien sind: Geheimmittel und populäre Schriften über gewisse Krankheiten, sowie mit absonderlichen Heilkräften begabte Personen des verschiedensten Alters, Standes und Geschlechtes. – Die Geheimmittel (Tincturen, Pulver, Pillen, Pflaster etc.), jetzt ein ergiebiger Artikel hauptsächlich von Buchhändlern, sind entweder ganz indifferente und deshalb unschädliche (wenigstens nicht direkt, höchstens durch Versäumen wirklich zweckmäßiger Kuren schadende) Substanzen oder aus wirksamen Stoffen zusammengesetzte und deshalb unter Umständen nicht selten gefährlich. Sie sollen entweder nur bei einer oder einigen Krankheitszuständen, sowie bei Schönheitsfehlern helfen, oder es wird ihnen die Kraft des Steins der Weisen zugeschrieben: sie schützen und heilen überall. Erdichtete oder erschlichene und theuer erkaufte Zeugnisse von erfolgten Heilungen durch das Geheimmittel, sowie bisweilen auch Garantien des guten Erfolges, werden dann noch zur bessern Empfehlung solcher Mittel gebraucht. – Besprechen wir zunächst die unschuldigern Geheimmittel. Unter ihnen steht, als großartigster Betrug, obenan

die Revalenta arabica des Du Barry,

welche ein ganzes Heer von Krankheiten, selbst von unheilbaren Uebeln heilen und das Leben verlängern soll, aber nach den erfolgreichen Untersuchungen des Apothekers Herrn Frickhinger und des Doctors Lohmeyer, doch nichts anderes als ein unschädliches Nahrungsmittel, nämlich Wickenmehl mit weißen Mehlkörnern des Arrowroot vermengt ist, welches also aus ähnlichen Nahrungsstoffen (Stärke, Hülsenstoff etc.) wie die Erbsen, Linsen, Bohnen, Waizen etc. zusammengesetzt und deshalb als pflanzliches Nahrungsmittel allerdings nicht zu verachten ist, aber als Stärkungsmittel des Körpers den thierischen Nahrungsmitteln (der Milch, dem Eie, der Fleischbrühe und dem Fleische) weit nachsteht. Denn auch seine Verdaulichkeit ist viel geringer als die jener thierischen Nahrungsmittel, besonders des flüssigen Eies und der Fleischbrühe; ja für den kindlichen Magen ist es sogar sehr schwerverdaulich und deshalb nachtheilig. Geradezu ein Verbrechen ist es, zu behaupten und leichtgläubigen Müttern weiß zu machen, daß das mit vielen Gefahren verbundene und überdies so kostspielige Säugen der Kinder durch Ammen, durch die Revalenta, diesen vortrefflichen Nahrungsstoff, überflüssig geworden sei. Nur Milch ist das von der Natur bestimmte und deshalb zweckmäßigste Nahrungsmittel für den Säugling, und nur unwissende, gewissenlose Mütter füttern ihre kleinen Kinder mit mehligen Stoffen. – Wer von Erwachsenen übrigens so albern sein will, für ein Mehl, welches keine andern Dienste als das Waizenmehl thut, das 50fache zu bezahlen und dadurch die Kasse von Schwindlern füllen zu helfen, den[WS 1] kann man nur für einen Verschwender oder für das Irrenhaus reif erklären. Zur Würdigung dieses Mehles sei noch erwähnt, daß Du Barry und Comp. weit über 20,000 Thaler für Inserate in Deutschland verwendet hat und zwar unter der Bedingung, daß alle Zeitungen und Zeitschriften, welche seine Inserate aufnehmen, jedem Artikel und Angriff gegen die Revalenta ihre Spalten schließen.

Goldberger’s elektro-galvanische Rheumatismus-Ketten,

wenn auch nicht Geheimmittel und beinahe in Vergessenheit gerathen, sollen nur deshalb erwähnt werden, weil sie viele Jahre lang der leichtgläubigen Menge ungeheure Geldsummen entlockt haben, obschon sie keine Spur von Elektro-Galvanismus entwickeln und niemals galvanische Strömungen im Nervensystem bewirkt haben. Nur bei einzelnen Menschen mit feiner empfindlicher Haut erzeugten sie, wahrscheinlich durch Oxydation des Zinkes, Röthe und Ausschlag, Jucken und Brennen.

Huste-Bonbons und Brustsäfte,

welche Hustenden und Brustkranken (mit Heiserkeit, Engbrüstigkeit, Beklemmung, Auswurf) in so großer Menge unter den verschiedensten Namen (als Karamellen, Ottonen, Serapium, Pâte pectorale u. s. w.) empfohlen werden, bestehen fast nur aus Nahrungsstoffen [615] und werden unverhältnißmäßig theuer bezahlt, denn ihre Hauptbestandtheile sind Zucker und Schleim mit einer färbenden und parfümirenden Substanz. So kommt das Pfund von den krystallisirten Kräuter-Bonbons des königl. preuß. Kreisphysikus Dr. Koch zu Heiligenbeil, welche der Hauptsache nach aus Zucker bestehen, gegen 1 Thlr. 10 Ngr., wofür man 6 bis 7 Pfund ungleich heilsameren Malzzucker ankaufen kann. Wenn nun der ärztliche Zuckerhändler Dr. Koch seinem Fabrikate in den Augen des Publikums das Ansehen eines äußerst kräftigen Heilmittels in jeder Art von Brustleiden zu verschaffen sucht, so ist dies eine grobe Täuschung. Ebenso sind auch die Ackermann’schen und Rhein’schen Brustkaramellen nichts als Conditorwaaren. – Hierbei können auch die Lieber’schen Auszehrungs-Kräuter oder der Blankenheimer Brustthee mit gerechnet werden, welche Kräuter nichts als herbae galeopsidis (des großblätterigen Hohlzahns) sind und von denen das Pfund für einige Groschen zu haben ist, während als Geheimmittel dasselbe für 2 Thaler verkauft wird.

Das Hösch’sche Arcanum gegen Epilepsie,

welches nach der Versicherung eines gewissen Hösch in Köln die Epilepsie radical heilen soll, und von welchem 11/2 Flasche an Ort und Stelle 6 Thlr. (101/2 Gulden) kostet, ist ein Gemenge von 3 Theilen Olivenöl und 1 Theil gestoßenem Zucker. Der reelle Werth dieser 11/2 Flasche beträgt ungefähr 1 Gulden und Herr Hösch begnügt sich sonach mit 1000 Prozent Gewinn. Welche Frechheit gehört aber dazu, einen solchen Mischmasch als sicheres Medicament zur Heilung der Epilepsie auszubieten?

Da bis jetzt alle, zum wirklichen Heile der leidenden Menschheit gemachten Entdeckungen schnell veröffentlicht worden sind; da ferner noch niemals ein Geheimmittel, dessen Zusammensetzung übrigens durch die heutige Chemie sehr bald bekannt wird, als ein wirklich heilsames erfunden worden ist, so sollte man doch schon hieraus schließen, daß das Ausbieten von Arcanen eine gemeine Geldspeculation ist. Die Fortsetzung dieses Aufsatzes in der nächsten Nummer wird dies durch Entlarvung einer großen Anzahl von Geheimmitteln beweisen.

[624] Das Geheimmittel-Unwesen, welchem leider zur Schande der Buchdruckerei und Menschheit blos des elenden Geldgewinnstes wegen eine Menge von Journalen, Zeitschriften und Buchhändlern mit allen Kräften förderlich sind, greift täglich immer mehr um sich und meistens in die sauern Ersparnisse armer Kranken ein, ohne daß seinem gewissenlosen, unverantwortlichen Treiben kräftig entgegengetreten würde. Und doch liegt es im innigsten Interesse der Menschheit, daß diesem schimpflichen Industriezweige der Garaus gemacht werde. Vielleicht können wir etwas dazu beitragen, wenn wir die Verfertiger und Vertreiber von Geheimmitteln, als Harpyen, welche mit frecher Stirn versprechen, was sie selbst nicht glauben, und nur darauf bedacht sind, ihren Säckel zu füllen, an den Pranger der Oeffentlichkeit stellen, und wenn wir nach und nach die Zusammensetzung und nachtheilige Wirkung aller Geheimmittel veröffentlichen. Und dies soll denn auch rücksichtslos geschehen. Wir beleuchten zuerst das schädlichste aller Geheimmittel,

Die Morison’schen Pillen,

welchen schon manches Menschenleben zum Opfer gefallen ist. Sie bestehen nach öfterer und sorgfältiger Untersuchung aus den eingreifendsten Purgirstoffen (Aloë, Gummigutt und Coloquinten), welche sehr leicht, zumal bei häufigerem Gebrauche, auch die beste Verdauung vollständig zu ruiniren im Stande sind, abgesehen davon, daß sie bei den meisten Krankheitszuständen als ganz unpassende Arzneistoffe eine gefährliche Verschlimmerung und selbst den Tod herbeiführen können. Bedenkt man nun noch, daß nach der Vorschrift Morison’s diese Pillen bei jeder Krankheit ohne Unterschied des Alters, Geschlechts und der Körperbeschaffenheit nach dem Grundsatze gebraucht werden sollen, daß je bedeutender und schlimmer die Krankheit, um so größere Mengen davon nöthig seien, so begreift man wahrlich nicht, warum die Vertreiber der Morison’schen Pillen nicht schon längst als Giftmischer und Mörder verfolgt werden. – Mit diesen Pillen auf gleicher Stufe stehend die von einem bekannten industriellen Unterleibsarzt in Berlin gegen habituelle Unterleibsverstopfung angepriesenen, gleichfalls nach Charlatanweise geheim gehaltenen Pillen.


Die Kräftigungs-Tinktur von Laurentius.

Ein gewisser Herr Laurentius, früher Buchhändler, jetzt in Folge seiner guten Geschäfte (aber nicht als Buchhändler) und durch die Dummheit herabgekommener Wüstlinge, ein reicher Grundbesitzer in Leipzig, ließ ein Buch unter dem Titel „der persönliche Schutz“ (mit Zugrundelegung der La Mert’schen Schrift) drucken, auf dessen letzter Seite sich eine Nachricht findet, worin Herr L. seine Dienste zur speciellen und schriftlichen Behandlung der Leidenden anbietet. Jedem Briefe muß aber ein Honorar von 3 Thlrn (5 Gulden) beigefügt sein, wenn er beantwortet werden soll. Die dann nöthig werdenden Medicamente, unter denen sich als Hauptmittel eine trübe, blassgelbe, säuerlich und bitter schmeckende Tinktur befindet, welche per Flasche [625] von etwa 3 Maaß 70 Gulden kostet, werden natürlich von Herrn L. selbst geliefert, aber angeblich mit Zuziehung eines promovirten Arztes, dem Herr L. für seine Mithülfe ein jährliches, sehr bedeutendes Honorar zahlt. – Jene theuere Tinktur nun bdesteht (nach Wittstein’s Untersuchung) der Hauptsache nach in einer alcoholischen Lösung von Chinin und Eisen (Stoffe, welche allerdings, aber auch mit Unrecht, als Stärkungsmittel angesehen werden) und ist kaum ein paar Gulden werth. Um eine ganz gleiche Tinktur herzustellen, giebt Dr. Wittstein folgende Vorschrift: man löst 52 Gran Eisen in 1 Unze Salzsäure auf, erwärmt die Auflösung, setzt so lange Salpetersäure in kleinen Antheilen hinzu, bis sich alles Eisenchlorür in Chlorid verwandelt hat, und filtrirt. Andererseits löst man 60 Gran schwefelsaures Chinin in der nöthigen Menge verdünnter Schwefelsäure auf, vermischt beide Auflösungen, fügt 40 Unzen ordinären weißen Wein und endlich noch so viel Brunnenwasser hinzu, daß das Ganze 100 Unzen wiegt.

Die Lobethal’sche Schwindsucht-Essenz,

essentia antiphthisica gegen die Lungenschwindsucht, welche in 6 Unzen fassenden Flaschen für den theuren Preis von 3 Gulden vom Buchhändler Otto Spamer in Leipzig verkauft wird, ist nach Wittstein und Mayer nichts als eine höchstens 6 Kreuzer werthe, von den gewöhnlichen Verunreinigungen (schwefelsauren Natron, Chlorcalcium und Chlormagnesium) stark begleitete Kochsalzlösung, der noch eine Spur Jodnatrium zugesetzt ist. Der Verfertiger dieser Essenz, Dr. Julius Lobethal, prakt. Arzt in Breslau, ist aber schlau und behauptet, daß außer diesen Salzen noch von einer Pflanzen-Tinktur eine so kleine Dose in seiner Essenz vorhanden sei, daß dieselbe durch keine chemische Analyse ermittelt werden könne. Schwindel! nichts als Schwindel! Nur ein Blödsinniger wird übrigens diese Essenz für ein probates Mittel zur Heilung der Lungenschwindsucht halten können.

Dr. Hilton’s Nervenpillen,

auch beim Buchhändler Otto Spamer in Leipzig zu haben und von einem, wahrscheinlich fingirten Sanitätsrathe Dr. Cernow, so wie von einem Dr. Fleischer in Wien empfohlen, sollen das geschwächte und erkrankte Nervensystem bei Leidenden jedes Standes und Geschlechtes wieder herstellen. Diese Pillen, von denen 100 Stück zu 1 Thlr. (1 fl. 48 kr.) verkauft werden, bestehen (nach Wittstein und Buchner) aus Lakritzen, Baldrianwurzel, Stärkemehl und Sand. – Was hiernach von der Wirkung, dem Preise und den zum Kaufe dieser Pillen öffentlich einladenden Personen zu halten[WS 2] sei, bedarf keiner weitern Auseinandersetzung.

Dr. Pinter’s Ohrenpillen,

nebst einer, von einem gewissen Dr. Feldberg verfaßten Brochüre über die Wirksamkeit dieser Pillen, unter dem Titel: „Die Taubheit heilbar! Hülfe für Ohrenleidende jeder Art,“ vertreibt ebenfalls Hr. Otto Spamer in Leipzig. Der Erfinder dieser Pillen war angeblich der verstorbene Dr. Pinter in Wien; der jetzige Verfertiger soll der Apotheker Gerhausen in Wien sein. Die Masse, aus welcher diese Pillen bereitet werden, besteht (nach Wittstein) aus Bleipflaster, vermengt mit Kampfer, und eine Schachtel mit 60 Pillen, welche 1 Thaler kostet, ist kaum 1 Kreuzer werth.

Zahnschmerzenvertreibungstinktur,

unter dem Namen Spiritus Bohemi, wird vom Tabaksfabrikant Franz Cardini zu Frankfurt a. M., das Fläschchen zu 1 Thlr. verkauft und ist kaum 21/2 Sgr. werth, denn es besteht (nach Ludwig) diese „unbezahlbare und vor jedem Verdacht einer Schwindelei zu bewahrende Tinktur,“ aus nichts Anderm als aus einer weingeistigen Auflösung von Kampfer und Gewürznelkenöl.

Fabrikate aus der Geheimmittel-Fabrik Jansen’s in Weimar.

1) Das Kummerfeld’sche Waschwasser, angeblich ein ausgezeichnetes Heilmittel gegen alle Arten von Hautkrankheiten, vom Dr. C. Schwabe, großherzogl. Amts-Physikus in Buttstädt, in einer besondern Schrift empfohlen, ist (nach Wittstein) eine Auflösung von Kampfer in Brunnenwasser mit Zusatz von gestoßenem Schwefel.}} Die 16 Unzen fassende Flasche von diesem Wasser kostet 2 Thlr. 5 Sgr. (3 Fl. 54 Kr.) und ist nur 171/2 Kreuzer werth. – 2) Die Kraft-Essenz von Dr. Stanley, eine aromatische Tinktur mit Vanille (die Flasche 2 Louisd’or) – 3) Die spanische Kloster-Essenz (die Flasche 1 Thlr.), ein längst bekanntes Destillat von Melissen und einigen ähnlichen Pflanzen. – 4) White’s Augenwasser, bestehend aus Zinkvitriol in Wasser gelößt, mit einigem Nelkengeruch. – 5) Johnson’s Zahnpulver ist ungefähr das Zahnpulver der preußischen Pharmacopöe, nur viel theurer und schlecht verrieben. – 6) Johnson’s aromatische Mundessenz (Pfefferminzöl in Weingeist). – 7) India-Extrakt des Prinzen von Delhi, gegen Sommersprossen. – 8) Dr. Caleb – Kerry'scher Brustthee und 9) Brustsaft. – 10) Stanley’s Gicht- und Rheumatismus-Pflaster. – 11) Orientalische Schönheits-Pastillen (50 Stück 1 Thlr.). – 12) Dr. Heim’s Zahnkißchen (mit einem eingestickten Kreuze). Sie kosten 2 Thlr. das Stück bei einem Werthe von etwa 5 Sgr., denn sie enthalten nichts als Moschus mit Tausendgüldenkraut. – Eine Anzahl dieser nichtsnutzigen Geheimmittel sind von einem Amtsphysikus Dr. Benus, durch kleine, sogen. belehrende Schriftchen eingeführt.

Das Augenwasser von Hette,

welches vom Augenarzt A. Hette in Regensburg, in Gläsern, welche kaum 4 Loth enthalten, zu 1 Fl. verkauft wird, ist (nach Wittstein) eine Auflösung von verschiedenen ätherischen Oelen und Opiumtinktur in 50prozentigem Weingeist und kostet dem Verfertiger kaum 6 Kreuzer. – Außerdem verkauft derselbe Hette auch noch einen Augenbalsam.

Das Schönheitswasser und die Schönheitssalbe,

welche in der Gegend von Dünkelsbühl in Mittelfranken von Quacksalbern zusammen für 1 Fl. 6 Kr. verkauft werden, kommen höchstens aus 12 Kr. zu stehen, und bestehen (nach Wittstein): die Salbe aus einem Cerat mit Perubalsam, das Wasser aus gewöhnlichem Wasser, in den etwa eine Drachme feinzertheiltes (naß bereitetes) Calomel (Quecksilberchlorür) durch Schütteln suspendirt wird. Dieses letztere, wenn es einige Zeit gebraucht wurde, ruft seines Quecksilbergehaltes wegen nicht selten Speichelfluß und Wackeln, ja selbst Ausfallen der Zähne hervor.

Anadoli (Pulver)

oder orientalisches Zahnreinigungs-, Stärkungs-, Erhaltungs- und Athem-Erfrischungsmittel, von Carl Kreller, Chemiker und Parfümeriefabrikant in Nürnberg, in Gläsern zu 1 Fl. 12 Kr., besteht (nach Wittstein) aus einem parfümirten Gemenge von Seife, Stärkemehl und levantischer Seifenwurzel, ist demnach allerdings kein schädliches Mittel für die Zähne, aber enorm theuer, denn der Verfertiger gewinnt über 1000 Prozent daran.

Lilionese, ein Schönheitsmittel,

von welchem der Flacon, dessen reeller Werth höchstens 3 Sgr. ist, zu 25 Sgr. verkauft wird, besteht (nach Hartung-Schwarzkopf) aus einer gesättigten Lösung von kohlensaurem Kali (gereinigter Pottasche), welche mit etwas Rosenöl und Zimmtöl versetzt ist. Von einer besondern Wirkung dieses Mittels ist gar keine Rede.

Die Salbe gegen Sommersprossen,

welche jetzt in Oesterreich als Geheimmittel angeblich viel verkauft wird, besteht (nach Wittstein) aus 9 Theilen Fett und 1 Theile in Salpetersäure gelöstem salpetersaurem Quecksilberoxyd. Ihr Preis ist natürlich im Vergleich zu den Herstellungskosten ein enormer und ihre Wirkung gleich Null (Nichts).

Die geheimen Haarmittel,

ob sie nun gegen das Grauwerden oder Ausfallen der Haare empfohlen werden oder ob sie das Wiederwachsen derselben begünstigen sollen, können alle als unmäßig theuer bezahlte und nicht blos nutzlose, sondern oft sogar schädliche Compositionen angesehen werden. Von dem mit unverschämtester Frechheit angepriesenen Eau de Lob existiren Fälle, wo die Haare nicht nur nicht wieder wuchsen, sondern wo die noch vorhandenen theils grau wurden, theils ausfielen. [626] – Von andern scharfen Haarmitteln wurde bisweilen eine rosenartige Entzündung der Kopfhaut veranlaßt, die durch Umsichgreifen und Fortpflanzen über den ganzen Körper oder auf die Hirnhäute selbst Lebensgefahr herbeiführte. Man erzählte sogar kürzlich in Zeitschriften einen Fall, wo nach dem Gebrauche eines Haarwuchsmittels Wahnsinn eintrat.

Die Schönheits- und Zahnseifen und Pasten,
welche als Geheimmittel theuer verkauft werden, wie Dr. Borchardt’s aromatisch-medicinische Kräuterseife, Dr. Suin de Boutenard’s aromatische Zahnpasta u. s. w.   u. s. w., gehören ebenfalls, und zwar ohne Ausnahme, in die Classe nichtsnutziger Gewinnmittel.
Bock 

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: dem
  2. Vorlage: halteu