Gebehrden-, Finger-, Fuß- und Knötchen-Sprache

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Titel: Gebehrden-, Finger-, Fuß- und Knötchen-Sprache
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 451-452
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[451] Gebehrden-, Finger-, Fuß- und Knötchen- Sprache. Sprache ist die Fähigkeit eines Wesens, mittelst sinnlich vernehmbarer Zeichen seine Vorstellungen Begriffe und Empfindungen Andern mitzutheilen, Dies geschieht theils durch die dem Auge sichtbare Schrift (hierher gehört auch die Stenographie. Hieroglyphen- und Bilderschrift) theils durch die dem Ohre verständliche Lautsprache. Außer den genannten Mittheilungsmitteln und der überall bekannten Blumensprache gibt es noch einige, die, obgleich zum Theil allgemein gebraucht, dennoch weniger bekannt sein dürften. Hierzu gehören besonders die Pantomimik, die Daktylologie und die Podologie.

Die Pantomimik oder Gebehrdensprache ist das Vermögen, seine Vorstellungen und Empfindungen durch Mienen und Gebehrden, d. h. durch verschiedene Veränderungen und Bewegungen des Körpers und dessen einzelner Theile, insbesondere der Hände, auszudrücken. Alle Menschen gebrauchen beim Sprechen instinctmäßig die Pantomime. Wir sind uns oft unserer Gebehrden und Mienen gar nicht bewußt, ja, es steht oft nicht einmal in des Menschen Macht, sich dieser Begleiterinnen seiner Gespräche und Verrätherinnen seiner Empfindungen und Gesinnungen zu entledigen oder sie auch nur im Zaume zu halten, zu mäßigen oder nach Willkür abzuändern. Die natürlichen Gebehrden begleiten und beleben jede articulierte Sprache, sie sind überall gleich und werden überall verstanden. Wer erkennt nicht die Mienen der Fröhlichen und des Traurigen, des Mitleidigen und des Schadenfrohen, des Liebenden, des Hassenden, des Zornigen, des Neidischen, des Verlegenen? Wer liest nicht in den Mienen die Wirkungen des angenehmen und widrigen Geruches, des süßen, sauren, bittern Geschmackes, den Ekel, das Wohl und Mißbehagen? Wer erkennt nicht an der Bewegung der Hände und der übrigen Körpertheile, an der Stellung des Körpers, an der Haltung des Kopfes, die Beschäftigung des Arbeiters, auch wenn er weder den Stoff, der bearbeitet, noch das Werkzeug, womit er arbeitet, sieht? Wer erkennt nicht an der Stellung und den körperlichen Bewegungen den Schneider, den Schuster, den Schmied, den Weber, den Drescher, den Schreiber? Die natürliche Gebehrdensprache ist demnach die eigentliche Weltsprache, die Sprache des Menschengeschlechts. Mit Hülfe der Pantomimik kann sich demnach der gebildete Europäer dem wildesten Hottentotten verständlich machen. Welches Mittel hatten die Entdecker fremder Länder, um sich den Eingebornen verständlich zu machen? Wodurch machen sich noch heute Handwerksgesellen, wenn sie in Länder kommen, deren Sprache ihnen unbekannt ist, verständlich? nur durch die Pantomime. Man irrt sich, wenn man glaubt, daß durch die natürliche Gebehrdensprache nur sinnlich wahrnehmbare körperliche Formen, physische Handlungen und heftige Gemüthsbewegungen sich darstellen lass. Sie ist im Gegentheile so reich, daß dadurch auch alle Modificationen und Formen des Denkens und selbst die feinsten Uebergänge bei der Verbindung der Begriffe und Urtheile, wobei man z. B. in der Wortsprache die Umstandswörter: ungemein, beinahe, unglaublich u. s. w., wie auch die Bindewörter: aber, entweder - oder, sonst, nur, folglich u. s. w. gebraucht, ausgedrückt werden können.

Um sich hiervon zu überzeugen, gehe man in ein Taubstummeninstitut und sehe, wie sich die Taubstummen, vermöge der allerdings vollständig ausgebildeten Gebehrdensprache, über alles Mögliche besprechen und unterhalten. Es ist schade, daß die ausgebildete Pantomimik außerhalb dieser Anstalten so wenig bekannt ist. In vielen Verhältnissen müßte ihre Anwendung sehr angenehm und interessant sein. Wie hübsch wäre es z. B. für ein Liebespaar, wenn er sich unbeschadet der es umgebenden Gesellschaft mit Hülfe der Pantomime die zärtlichsten Dinge sagen könnte, Man befindet sich mit dem Freunde in langweiliger, steifer Gesellschaft - wie angenehm, wenn man sich mit ihm, dem in der Gebehrdensprache Eingeweihten, ohne irgendeine Störung zu verursachen, gemüthlich unterhalten könnte. Es gibt eine Masse Blumensprachen, in meiner Vaterstadt gab es sogar eine Lehrerin darin, die Liebesleuten beiderlei Geschlechts duftende Selams binden lehrte; aber eine Anleitung zur Gebehrdensprache für Liebende existiert noch nicht. Es würde damit wirklich in unserer bücherarmen Zeit einem dringenden Bedürfnisse der Gegenwart abgeholfen werden. Interessante, die Menschenkenntniß ungemein fördernde Studien kann man machen, wenn man auf dem Markte, auf der Straße die ausdrucksvollen Gebehrden der Käufer und Verkäufer, der Markthelfer, Köchinnen u. s. w. beobachtet, überhaupt, wenn man sich gewöhnt, die Pantomimen lebhafter Menschen genau in's Auge zu fassen. Schauspielern, Malern, Bildhauern, Schriftstellern sind solche Studien unumgänglich nothwendig.

Ein zweites, weniger bekanntes Mittheilungsmittel ist die Daktylologie oder Fingersprache. Man versteht darunter das Buchstabieren mittelst der Fingeralphabetzeichen. Die Römer verstanden darunter die Kunst, an den Fingern zu rechnen, indem sie durch verschiedene Figuren oder Krümmungen, die sie mit den Fingern bildeten, die Zahlengröße auszudrücken. So bezeichneten sie eine Million durch Falten der Hände über dem Kopfe. Diese Art von Sprache wird fast nur in Taubstummen- Instituten angewendet und dadurch sehr selten. Sie ist mühsam zu lernen und zur Mittheilung ziemlich schwerfällig. Welche Aufmerksamkeit gehört nicht dazu, ein 20-30 Buchstaben enthaltendes Wort zu übersehen, etwa wie „Constantinopolitanischer Geschäftsträger.“

Noch ein anderes Mittheilungsmittel ist die Podologie oder Fußsprache. [452] Zwar sind die Füße unbehülflicher, als die Hände, aber dennoch können durch verschiedene Bewegungen mit denselben Buchstaben bezeichnet und zur Mittheilung kurzer Gedanken benutzt werden. Diese Art der Mittheilung heißt Podologie, sie kann sitzend, stehend und tanzend angewendet werden. Man kann diese Sprache, wie auch die vorher genannten, zu geheimen Unterredungen benutzen und die hohe Politik hat sich zuweilen derselben bedient. Die Geschichte erzählt, daß Kaiser Ferdinand III. die Podologie zuweilen gebraucht habe. Als einst ein Gesandter bei Gelegenheit traulicher Unterredung den Fürsten Titius, der vom Kaiser in das Geheimniß der Fußsprache eingeweiht war, rühmte, warnte ihn der Kaiser vor dem Fürsten, weil derselbe mittelst der Astrologie in die verborgensten Geheimnisse einzudringen wisse; und um ihn davon zu überzeugen, ließ der Kaiser den Fürsten Titius rufen, der auch sofort erschien. Der Kaiser hieß ihn an das entfernteste Ende des Saales sich begeben und forderte dann den Gesandten auf, ihm ein Wort in einer ihm beliebigen Sprache in's Ohr zu sagen, worauf der Gesandte lächelnd das englische Wort a dream — ein Traum — dem Kaiser in's Ohr lispelte. Er wollte damit zu verstehen geben, daß des Kaisers hohe Meinung vom Fürsten Titius ein bloßer Traum sei. Unterdessen theilte der Kaiser dem Fürsten das ihm in's Ohr gesagte Wort a dream durch die verabredeten Bewegungen der Füße mit, ohne daß es der Gesandte merkte; und als der Fürst auf die an ihn ergangene Aufforderung dieses Wort sogleich richtig angab, hielt ihn der erstaunte Gesandte in der That für einen Schwarzkünstler.

Ich habe schon oben bemerkt, daß die Podologie auch tanzend angewendet werden kann. Obschon der Tanz in unserer Zeit nicht so in Ehren gehalten wird, wie zur Zeit David's, so bildet er doch immer noch einen Hauptbestandtheil der körperlichen Bildung unserer Jugend. Welch' hohes Interesse könnte man ihm durch die Podologie geben! Wäre es für die Tänzer, wie für die Bewunderer dieser Kunst nicht weit unterhaltender, statt eines sinnlosen Solo, Pas de deux, Pas de trois u. s. w., ein Gedicht, einen Dialog vorzutragen oder vortragen zu sehen? Welche Mannichfaltigkeit der Figuren würde ein solcher Tanz enthalten! Die Tänze der Südländer, z. B. der Bolero der Spanier, mehr aber noch die Tänze der Wilden bieten etwas Aehnliches dar, da durch sie wirkliche Gedanken ausgedrückt werden.

Noch eine Sprache muß ich hier erwähnen, die nach der Pantomimik am meisten verbreitet ist. Es ist dies die Musiksprache, die Sprache des Herzens und der Gefühle. Wo das Wort zu arm ist, da tritt oft Musik an seine Stelle; dies ist bekannt. Weniger bekannt dürfte es vielleicht sein, daß die Noten als Buchstabenschrift verwendet worden sind, indem durch die verschiedenen Intervallen die Buchstaben ausgedrückt werden. Man kann also auf diese Weise in Form eines Walzers, eines Galopps der Geliebten die zärtlichsten Briefchen überreichen.

Zum Schlüsse gedenke ich noch der Knötchensprache. Sie ist im Gefängniß zu suchen. Ein einfacher Faden ist das Material dazu und große und kleine Knoten, ihre Entfernung voneinander, ihre eigenthümliche Verknüpfung sind die einfachen Zeichen, mit denen sich einsame Gefangene die Zeit vertreiben oder etwa Pläne zur Flucht entwerfen. In neuester Zeit haben auch Klopfgeister zu reden angefangen, da dies aber die Sprache unvernünftiger Wesen ist, so kann sie hier, wo von den Mittheilungsmitteln vernünftiger Geschöpfe die Rede gewesen, eben so wenig in Betracht kommen, wie die Sprache der Katzen und Hunde.