Ein Austernfang bei Helgoland
Es gibt kein deutsches Land- oder Seebad, wo sich die Badegäste so aneinander schließen und zusammenhalten, als in Helgoland. Der Grund davon liegt darin, daß die Fremden, auf einen kleinen Raum gebannt, nur wenige Vergnügungen finden und am Ende, von langer Weile geplagt, bei Anderen das Talent, die Zeit todtzuschlagen, vermuthen und suchen, was ihnen selbst nur mit großer Anstrengung und sehr langsam gelingt.
Eine solche Gesellschaft von Zeitmördern war es, in die ich an einem schönen Augustmorgen von der Spitze eines Dünenhügels mit sammt dem Grasbüschel, worauf ich gesessen, hineinfiel, weil sich Jemand den Spaß gemacht, meinen Sitz zu untergraben.
„Wenn Sie so mit der Thüre in’s Haus fallen,“ sagte Einer, „so kann der Grund Ihrer Eile nur darin liegen, daß Sie uns so schnell als möglich sagen wollen, was wir heute anfangen sollen.“
„Haben Sie schon einmal Austern gegessen?“ fragte ich, mich im Kreise umsehend.
„Wenn das ein neuer Zeitvertreib sein soll,“ antwortete verächtlich eine auf dem Bauche liegende Rothnase, „so können Sie uns eben so gut fragen, ob wir das ABC kennen!“
„Gut, also Sie haben gegessen. Aber haben Sie schon einmal Austern gefangen?“
Das hatte noch Keiner. Ein Doctor erinnerte sich zwar an zwei Weißfischchen, die er vor zwanzig Jahren einmal aus dem Wasser gezogen – aber an Austernfangen hatte er noch nie gedacht, so viel er sonst hinabgeschluckt. Er war der Meinung, daß dieselben von selbst an’s Land kämen, wie die Seehunde, und dann von den Fischern gepackt und verpackt würden, um Gott weiß wie weit von ihrer Heimath bei einem Frühstück mitzuwirken.
Mein Vorschlag, einen Kreuzzug nach der Helgoländer Austernbank zu unternehmen, um den Geburtsort unserer kleinen Freunde kennen zu lernen, fand allgemeinen Beifall, und nachdem ich noch bemerkt, daß zu den vermuthlich zu fangenden und zu verspeisenden Austern auch Wein, Citronen, Semmeln und Pfeffer gehöre, welchen letzteren ich zu liefern versprach, wogegen ich die Anderen ersuchte, das Uebrige zu besorgen, stiegen wir zum Strande herab und ließen uns nach der Insel übersetzen.
Da die Austernfischerei eigentlich erst im September beginnt, so wird im Sommer nur wenig – theils zur Cur, theils zum Vergnügen für Badegäste – gefischt, und wir mußten uns zu diesem Zwecke eine Slup miethen, welche uns, nachdem alles Betreffende abgemacht war, am Landungsstege erwartete.
Ein herrlicher, leichter Wind bog nur hier und da einer Welle den Kopf um, so daß er in weißen Schaum zerfloß, und das Fahrzeug schoß ziemlich gleichmäßig und ohne große Schwankungen auf die Südspitze der Düne zu, beschrieb dort einen Bogen um die Brandungen und lief, Düne und Insel im Rücken, in die See hinaus.
Die Insel blieb weiter und weiter zurück, die Düne sah aus, als wolle sie in’s Meer versinken, und wir segelten immer noch darauf los. Einige unserer Gesellschaft machten trotz des ziemlich ruhigen Ganges der Slup bedenkliche Gesichter, während Andere mit Späherblicken rundum suchten, um „die Bank“ zu entdecken, was bei dem Manne am Steuer ein freundliches Schmunzeln hervorrief. – Als wir ungefähr eine Stunde in dieser Weise gesegelt waren, wobei der Mann am Steuer nach dem Kompaß und ein anderer fortwährend nach der Insel geschaut, sprach der rückwärts Schauende einige helgoländische Worte, worauf der Steuermann das Fahrzeug sofort nordwärts drehte und, nach der Insel blickend, uns erklärte, daß wir jetzt auf der „Bank“ seien und die Austernfischerei angehen werde.
Da mir bekannt war, daß die Seeleute nach Landmarken eine Stelle in der See finden, so sah ich mir die Stellung der Gegenstände auf Düne und Insel genau an und bemerkte, daß der Kirchthurm der Insel gerade über der Nordbake der Düne stand, während der Dünenstrand selbst vom Wasser verdeckt war und nur die Hügel hervorschauten, auf welche Weise die Schiffer Lage und Entfernung der Austernbank sehr gut finden. Diese Leute haben indes; eine solche Gewandtheit, sich auf der See zu orientiren, daß ich glaube, sie würden die Stelle auch in finsterer Nacht treffen.
Unsere Schiffer brachten nun ihre Fangwerkzeuge in Thätigkeit. Dieselben bestehen in einem Sack von eisernen Ringen, etwa wie die eisernen Geldbeutel gearbeitet, welche früher einmal Mode waren, nur ungleich größer. Dieser Sack ist an einem breiten, scharfen Bügel befestigt, der nach hinten zu gebogen in zwei Stangen ausläuft, welche in einem Ringe endigen, durch den das Tau gebunden ist. Dieses Instrument, die „Kurre“ genannt, wird über Bord geworfen und an einem Taue hinten nachgeschleppt, indem das Schiff segelt. Das´ scharfe Eisen reißt dabei die Austern von der Bank los und diese fallen in den Sack.
Wir hatten mit den Fischern zugleich unsere Vorbereitungen getroffen; Citronen wurden zerschnitten, eine Essigflasche erhielt von einem alten Praktikus einen Papierstöpsel, der den Essig nur tropfenweise durchließ, meine Pfefferbüchse stand fertig und Freund Dabbertin aus Hamburg saß da mit aufgestreiften Hemdärmeln. ein kurzes dickes Messer in der Hand und einen Eimer mit Seewasser zwischen den Beinen, in welcher Stellung er mordgierig nach dem Taue sah, die baldige Ankunft der ersten Beute erwartend. Natürlich folgten unsere Blicke den seinen, was einige im Voraus gefüllte Weingläser benutzten, um umzufallen und ihren rothen Inhalt über unsere Beinkleider zu schütten, wofür sie indeß ohne Gnade über Bord geworfen wurden, da, wie der Doctor bemerkte, Diogenes auf der See stets aus der Flasche getrunken hätte. – Jetzt zogen die Fischer das Tau an, bis der Sack aus der See auftauchte, und hoben denselben mit einem Ruck in das Fahrzeug.
Unsere Beute bestand in einigen vierzig Stück Austern, von denen die meisten in einem großen Klumpen mauerfest beisammen saßen, so daß wir sie mit einem Hammer auseinander schlagen mußten, worauf sie dem „Austernschlachter“ übergeben wurden, der die erste feierlich und langsam öffnete, mit einem eleganten Kreisschnitt vom Bart rasirte und, nachdem er sie mit zugedrückten Augen verschluckt hatte, mit dem Worte „ausgezeichnet“ seine Meinung klar und deutlich an den Tag legte. In Folge dessen erlaubten wir uns die schüchterne [449] Bitte, nicht blos an sich zu denken, sondern auch das Dasein mehrerer Austernfreunde zu berücksichtigen. Da er uns nun nicht zumuthen konnte, ihm zuzusehen, wir aber auch nicht verlangen konnten, daß er uns die Austern öffne und zusehe, so wurde beschlossen, jedem Mann ein Ei und dem alten Schweppermann zwei, d. h. jeder von uns erhielt nach der Reihe eine Auster und der Oeffner alle Mal zwei, was sich freilich sehr in die Länge zu ziehen drohte; da jedoch noch ein Helgoländer mit „schlachten“ half und ich die meinigen mit dem Bleistiftmesser sehr leicht öffnete, so ging es schneller und das Schlucken war bald allgemein.
Ein Räthsel ist es, wie die Austern eigentlich in einem solchen Klumpen zusammen leben können, worin es doch den Mittelsten total unmöglich sein muß, ihre Schalen zu öffnen und Wasser und Nahrung zu erhalten, denn einige zwanzig Austern, die wir auseinander schlugen, hatten ganz die Festigkeit und Dichte eines Mauerklumpens. Freilich erzählt man von Kröten, die in Sandsteinen lebend gefunden worden sein sollen, und was eine Kröte im eingesperrten Zustande leisten kann, wird eine Auster wohl auch zu Stande bringen. Es müssen aber auf einer solchen Bank eine große Masse dieser Thiere übereinander gemauert sein, da das Wasser auf der Bank an 80 Fuß und neben der Bank 18–20 Fuß tiefer ist, welche Stärke also das Austernlager haben soll, wie ein Helgoländer sagte[1].
[450] Die Bank selbst soll über 1000 Fuß breit und eine halbe Stunde lang sein und liegt etwa zwei Stunden von Helgoland, östlich von der Düne.
Wenn die Helgoländer für den Handel fischen, so werden die gefangenen Austern gemeinschaftlich verkauft und jeder Fischer erhält eine Art Tageslohn, der etwa 1 Thlr. 18 Sgr. beträgt, was für einen, der eine Slup besitzt und einige Sohne zur Hülle hat, einen guten Verdienst abgibt. Den helgoländer Austernreichthum entdeckte vor zehn bis zwölf Jahren ein helgoländer Fischer, der jedoch die Sache für sich behielt und im stillen fischte, bis Andere auch dahinter kamen.
Nachdem unsere Fischer ihre Kurre noch mehrere Mal in Thätigkeit gesetzt hatten, wobei das Fahrzeug stets auf der Bank hin und her segelte, drehten wir den Schiffschnabel nach der Insel, und traten unsern Heimweg an. Da wir aber den Wind entgegen hatten, so waren wir genöthigt, nach Art der Krebse zu gehen, die man Dwarsläufer nennt, eine Art Taschenkrebse, die stets von der Seite laufen. Wir mußten nämlich laviren. Die Insel, nach der wir wollten, blieb dabei rechts liegen, und unsere Schiffer segelten nach Kuxhaven zu. Als sie glaubten, die Südspitze der Düne gewonnen zu haben, sagte der Steuermann einige Worte, drehte dann plötzlich den Griff des Steuerruders ganz nach Backbord, d. h. links, und rief „ree!“ worauf einer die Fock, das vordere dreieckige Segel, an der Seite festhielt, wo es eben analog, während ein Anderer die Taue desselben in Bereitschaft hielt und uns zurief: „bücken, meine Herren!“ welche Erinnerung auch sehr zur Zeit kam, denn im nächsten Augenblick hätten uns die umschlagenden Segel die Hüte in die See gelegt. Auf diese Weise waren wir durch den Wind oder über Stag gegangen, und segelten nun gerade auf den Landungsplatz zu, den wir vor etwa vier Stunden verlassen hatten.
Die Schellfisch und Hummerfischerei wird in Helgoland mit denselben Fahrzeugen betrieben, nur daß man zum Hummerfang sich öfter kleiner Boote bedient, die nach dem dabei angewandten Instrument Plumperböt genannt werden. - Dieser Plumper ist ein starker eiserner Ring, unter dem ein Netz hängt, worin der Fraß für den Hummer liegt, der Ring wird an einer Leine auf den Meeresgrund gelassen und der Fischer, der dieselbe leicht zwischen den Fingern hält, fühlt augenblicklich, wenn etwas daran ist. Dann zieht er mit einem schnellen Ruck das Ding in die Hohe, damit der Hummer hineinfällt, und holt es nun so schnell wie möglich an Bord.
Ist Meister Hummer im Boot angelangt, so seht er sich sofort auf Schwanz und Hinterbeine, guckt den Schiffer sehr malitiös an, und greift mit seinen respectablen Scheeren rücksichtslos um sich, Wehe dann dem, was er erwischt. Ein Finger z. B. würde ihm nicht mehr Umstände machen, als uns ein Wiener Würstel. Man steckt ihm dann etwas in die Scheeren, was er grimmig festhält, während ihm der Schiffer dieselben mit Bindfaden festbindet, was auch in den großen Hummerkasten geschehen muß, die bei der Insel liegen, sonst nimmt dort die „Kneiperei“ überhand.
Eine andere Art des Hummerfanges besteht darin, daß man eine Art Vogelbauer anwendet. Diese sind von Reisen gebaut haben einen Boden von schweren Steinen und nach oben einen Eingang, um den ein Netz in der Art gespannt ist, daß der Krebs wohl leicht hinein, aber beinahe gar nicht heraus kann. Als Köder trocknet man die Köpfe von Dorsch und Schellfischen und macht sie darin fest, worauf das Instrument, mi einem kleinen Anker versehen, in die Tiefe gelassen wird. Eine Leine, an der ein Stück Holz oder eine Base befestigt ist, die oben schwimmt, zeigt den Ort an, wo der Hummerkorb liegt.
Der Fischfang wird meist mit Angel betrieben. Jedoch muß man nicht glauben, daß der Helgoländer etwa mit der Angelruthe da steht und wartet, bis einer kommt. - Die Haken sind an zwei bis drei Fuß langen Schnüren befestigt, welche in gewissen Entfernungen an eine schwache, etwa bleistiftstarke Leine gebunden werden. – Die Helgoländer Mädchen besorgen dann gewöhnlich das Anstecken des Köders, der in Sandwürmern oder kleinen Fischen besteht, worauf die Schnur sehr sorgfältig in eine hölzerne Mulde zusammengelegt wird, damit sich die Haken beim Auswerfen nicht verwickeln. Solche einzelne Schnuren werden viele an einander gebunden, auf welche Art die ganze Angel oft eine Länge von anderthalb bis zwei Stunden erreicht
Die erste Schnur wird an einen Anker befestigt, von dem eine Boje oben schwimmt, damit man, im Fall die Angel reißt oder ein Sturm die Fischer verjagt, die Geräthe wieder findet; man segelt das Fahrzeug so, daß Ebbe und Fluth quer durch die Angeln streicht; die letzte Schnur bindet man an den Anker der Slup, die dann liegen bleibt, bis der beim Fischen nie fehlende Grog oder Kaffee gekocht ist, worauf die Angeln mit einigen dabei gebräuchlichen Helgoländer Sprüchen aufgezogen werden.
- ↑ Ueber die Austern und deren Fang veröffentlicht Julius Althaus in einer der letzten Nummern des Prutz’schen Museums einen Artikel, aus
dem wir zur Ergänzung des Obigen einige Mittheilungen entnehmen. Die Redaction.
„Unter den Muschelthieren,“ sagt Althaus, „sind die Austern am allgemeinsten bekannt und wegen ihres pikanten Geschmacks geschätzt. Man findet die Austern gewöhnlich in großen Mengen zusammen; sie kitten sich durch Kalk und Sand an unterseeische Gegenstände, Felsen oder Thiere der eigenen Art fest. Die ungeheueren Dimensionen dieser Austernbänke, welche trotz des enormen Verbrauchs, der alljährlich davon gemacht wird, unerschöpflich sind, erscheinen nicht auffallend, wenn man die Art der Fortpflanzung dieser Thiere in’s Auge faßt. Die Austern sind nämlich hermaphroditisch, d. h. dasselbe Thier erzeugt Eier und Samenfäden.[450] Wenn die Eier reif sind, werden sie auch befruchtet und als Laich, der eine weißliche Flüssigkeit bildet, ausgestoßen. Millionen von Eiern werden durch einen kleberigen Stoff, den das Thier in der Brunftzeit absondert, in eine kugelige Maste vereinigt, und heften sich an einem Orte fest, wo sie sich ungestört entwickeln können. Man findet in älteren zoologischen Werken die Notiz, daß die Austern einen ruhigen Wasserstand lieben. Dies ist folgendermaßen zu verstehen. Die Austern kommen zwar in allen Meeren und an den verschiedensten Stellen vor; die größten Bänke aber sind in geringer Tiefe, ziemlich nahe an der Küste und vor allem in Buchten, welche vor starken Strömungen geschützt sind. Durch solche Strömungen wird nämlich der Laich der Austern, sowie er aus den Schalen derselben hervorgekommen ist, in's hohe Meer hinausgetrieben und bildet dann vielleicht an einem Orte, wo noch nie eine andere Auster gesessen hat, eine Bank. Wo aber ein ruhiger Wasserstand ist, bleibt aller Laich an den eigenen Austernbänken festkleben, so daß ein beständiges Nachwachsen dieser Bänke stattfindet. So erklärt es sich, warum z. B. die Austernbänke von Rocher de Cancale, am Ufer des Canals, zwischen St. Malo, Mont St. Michel und Cancale, trotz des enormen Verbrauchs, der hier seit 150 Jahren stattfindet, sich gar nicht vermindern. In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts brachen die Engländer in der Absicht, künstliche Bänke an ihrer eigenen Küste anzulegen, so bedeutende Massen von Austern in der Bucht von Cancale, daß man sich ernstlichen Befürchtungen für diese Bänke hingab; der Verlust war jedoch in wenigen Jahren ersetzt, Über den genaueren Vorgang des Anwachsens der Austern und über die Lebensdauer der einzelnen Tiere weiß man sehr wenig. Die Fischer von St Malo glauben, daß die Austern durchschnittlich zehn Jahre leben. Altersschwache Austern erkennt man daran, daß die Schalen im Verhältniß zum Thiere sehr groß sind. Werden die Austern nicht gebrochen, so gehen sie auf eine eigenthümliche Weise zu Grunde. Indem beständig neuer Nachwuchs stattfindet, ersticken die Jungen die Alten, indem sie das Wasser von ihnen abhalten und sie verhindern, ihre Schalen zu öffnen. Daß wir Austern brechen, ist also, gewissermaßen ein Act der Humanität. „Einige Arten von Austern leben in halb süßem, halb salzigem Wasser, in Flüssen nahe an deren Mündung in's Meer. aber immer nur so hoch, wie das Meerwasser mit der Fluth hinauf steigt, Bei der Ebbe bleiben die Thiere dann auf dem Trockenen sitzen. So wie sie fühlen, daß das Wasser sich zurückzieht, schießen sie ihre Schalen sehr fest und halten eine ziemlich beträchtliche Menge Flüssigkeit im Innern der Körperhöhle zurück. Dies befähigt sie, längere Zeit außer Wasser zu leben, so daß sie ziemlich weit transportiert werden können, ohne zu sterben - ein Umstand, der den Austernhandel sehr erleichtert. „Die Austern haben keine Spur von einem Fuß, Ortsveränderungen ist ihnen nicht gestattet und ihre willkürlichen Bewegungen beschränken sich ausschließlich auf Oeffnen und Schließen der Schalen Für gewöhnlich klaffen die Schalen, um dem Wasser und mit ihm den Nahrungsstoffen freien Zutritt zu gestatten. Die Nahrung der Austern wie aller Muscheln besteht ausschließlich aus Infusorien und kleinen organischen Theilchen, welche in halbaufgelösten Zustande in erstaunlicher Menge im Meerwasser suspendirt sind. Nicht selten findet man beim Oeffnen der Schalen Krebse, Schnecken und andere kleine Thiere zwischen den Schalen angeklemmt. Dies ist rein zufällig; es kommen nämlich hin und wieder solche Thiere in den Bereich der Auster, rühren vielleicht an die Fühler und veranlassen dadurch sofortiges Schließen der Schalen; aber nie werden sie von den Austern gefressen. Wiewohl ihre Mundöffnung groß ist, erlauben doch die weichen Ränder und Fühler des Mundes nicht, daß nur etwas consistente Nahrungsstoffe durchpassieren. In der That stoßen auch die Zähne der Gourmands niemals auf harte Stoffe im Leibe der Auster, wenn es nicht etwa eine unechte Perle ist, die sich zufällig im Mantel der Auster gebildet, und woran sich allerdings schon mancher die Zähne ausgebissen hat. Um solchen Unannehmlichkeiten vorzubeugen, ist es daher besser, die Auster auf einmal zu verschlucken, als sie zu kauen. Die Austern kommen nicht unmittelbar aus dem Meere[451] auf unsern Frühstückstisch. Zwischen ihrem natürlichen Zustand und dem Verspeistwerden liegt ein Intermezzo ihrer Existenz welches sie in den sogenannten Austernparks zubringen. Austern nämlich, die unmittelbar frisch von der Bank kommen, riechen gewöhnlich nach Schlamm, sind hart, zähe und haben einen unangenehmen Geschmack, den man verbessern muß, und auch schon in den ältesten Zeiten verbessert hat. Die Austern von Venedig, von den Dardanellen, von der britannischen Küste, welche von den Römern besonders geschätzt wurden, mästete man erst eine Zeit lang im Lucriner See, bevor sie auf den Tafeln der Gourmands erschienen. „In unserer Zeit beginnt die Austernernte, wenn man so sagen darf, Ende September, und hört im April auf in den Monaten, welche kein r enthalten, bricht man nirgendwo Austern, weit es ihre Laichzeit ist. Zum Brechen dient ein großes Schleppnetz, eine Art eiserner Harke, hinter der ein kupferner Behälter angebracht ist; dieser Apparat wird von einem Schiffe gezogen, das mit vollen Segeln fährt; das Netz rasirt die Oberfläche der Bank, und jeder Bruch bringt 1000 - 1200 Austern ein. Sowie sie gebrochen sind, werden die Austern in die Parks gebracht - große in Felsen oder Erde ausgehöhlte Reservoirs, worin man nach Belieben Meerwasser ansammeln und abfließen lasten kann. Diese Parks sind gewöhnlich, viereckig und ziemlich seicht; mit dem Meere stehen sie durch einen langen Canal in Verbindung, welche nach Belieben mittels einer Schleuße aufgehoben und wiederhergestellt werden kann, Während der Ebbe unterbricht man die Verbindung, mit dem Beginn der Fluth stellt man sie wieder her, um das Wasser zu erneuern. Sehr schädlich ist den Austern der Niederschlag von Schlamm; um dies zu verhüten, sind die Wände der Höhlung mit Kiesel oder Sand ausgekleidet; auch hält man deswegen in den Parks ein bestimmte Mischung von süßem und salzigem Wasser, welche erfahrungsmäßig dem Niederschlage von Schlamm entgegenwirkt. Auch spült man von Zeit zu Zeit die Wände des Parks ab, und gießt frisches Wasser auf die Austern, nachdem man sie vorher, einen Augenblick auf das Trockene gesetzt hat. Lebhafte Bewegung des Wassers vermeidet man soviel als möglich, indem dabei leicht Sandkörner in die Schalen kommen. Je zweckmäßiger die Austern in den Parks ausgelegt werden, je vorsichtiger man sie bewegt, je ängstlicher man den Niederschlag von Schlamm zu verhindern sucht, desto besser und preiswürdiger werden die Austern sein, welche man erzielt. Es schadet der Qualität der Thiere, wenn durch Regengüsse oder Ueberschwemmungen die Menge des süßen Wassers in den Parks zu beträchtlich wird. Auch scheuen die Austern sehr die Kälte, weswegen man sie in einer gewissen Entfernung vom Wasserspiegel halten muß. Dies hat auf der andern Seite wieder den Nachteil, daß man sie dann nicht so leicht inspiciren kann; und schnelles Aussondern der etwa gestorbenen Thiere ist von fundamentaler Wichtigkeit, da eine todte Auster, wenn sie nicht schleunig entfernt wird, einen ganzen Park verderben kann. Die Diagnose des Todes ist leicht zu stellen; wir wissen schon, daß die Schalen todter Thiere klaffen, wenn das Wasser abgeflossen ist. Durch die verschiedene Art und Weise des Wasserwechsels ist man ferner im Stande, die Beschaffenheit der Austern bedeutend zu modificiren, in Etretat, einem kleinem französischem Badeorte in der Nähe von Havre-de-Grace, der sehr reich an Austernparks ist, wechselt man das Wasser mit jeder Fluth – die Thiere werden dadurch hell, glänzend, dick, zugleich aber etwas hart und zähe, in Dieppe erneuert man das Wasser nur alle zwei Monate einmal, wodurch allerdings die Austern sehr zart werden, aber nicht ganz so frisch bleiben, wie in Etretat. Man sieht, daß ein taktvoller Gouverneur eines Austernparks sehr viel aus den seiner Obhut anvertrauten Thieren machen kann. „Sind die Austern in den Parks für den Handel reif geworden, so verlangt ihr Transport in's Innere des Landes noch manche Vorsichtsmaßregeln. Sie müssen in horizontaler Stellung liegen, mit der gewölbten Schale nach unten, damit sie so wenig als möglich von dem in ihnen befindlichen Wasser verlieren, welches ihre Kiemen bespült; auch bedeckt man sie mit nassem Seegras, um die austrocknende Wirkung der Luft zu verhüten, je schneller der Transport geschieht, desto bester, besonders bei warmem Wetter. Ein Versuch, den man neuerlich machte, die Austern in Schiffen voll von Meerwasser die Flüsse hinauffahren zu lassen, schlug gänzlich fehl, indem das wegen der darin enthaltenen, aufgelösten organischen Theilchen sehr zur Zersetzung geneigte Seewasser in Fäulniß überging. Das betreffende Austernschiff kam in Paris mit einer großen Menge todter Thiere an, welche sich schon von Weitem durch ihren Geruch so unvortheilhaft ankündigten, daß die Polizei sich veranlasst sah, die ganze Ladung zu versenken.“