Textdaten
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Autor: Leonhard Wetzlar
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Titel: Gassenjungenlieder
Untertitel:
aus: Die zehnte Muse. Dichtungen vom Brettl und fürs Brettl. S. 232–234
Herausgeber: Maximilian Bern
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Otto Eisner
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
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Quelle: Commons = Google-USA*
Kurzbeschreibung:
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[232]

Gassenjungenlieder.

 1.
Pst! Hör’ mal, Mädel! – Was rennst denn so?
Hast du’s so eilig? – Ich bin ja froh,
Endlich ein Weibsbild zu kapern!
Frohsinn hab’ ich und junges Blut,

5
Kräftige Muskeln und stürmenden Mut –

An einem freilich wird’s hapern:

[233]

     Ich hab’ keinen Groschen im Portemonnnaie –
Da siehst? es ist leer – Ach herjehmineh!
Bin ich ein struppiger Bengel! –

10
Ei was – du lächelst? Du giebst mir ’nen Schmatz? –

Da, nimm meinen Arm, mein teuerster Schatz!
Trotz Schminke bist du ein Engel!


 2.
     Ja, ja, ihr habt Recht; mir fehlt die Moral.
Ich treib’ mich umher auf den Strassen,
Rede mit Dirnen – o welcher Skandal!
Und lumpe über die Massen!

5
     Und doch – versprach ich niemals den Ring,

Um schneller zum Ziele zu kommen;
Nie schlau ich der Freunde Gattinnen fing,
Wie ihr, ihr – Braven und Frommen!

     Ich habe kein Weib, dem die Ehe ich brach,

10
Ich betrüg’ nicht die eigenen Kinder –

Ich bin ja ein Lump – doch gemach! gemach!
Vor euch bin ich wahrlich kein Sünder!


 3.
     Hinter den Gärten auf düsterem Weg
Wollen wir schleichen;
Kann uns doch dort durch die Dunkelheit
Kein Blick erreichen!

5
Komm, Liebchen!


     Küssen und scherzen können wir da
In Seelenruh;
Bäume und Sträucher, Sterne und Mond
Gucken nur zu!

10
Komm, Liebchen!


     Musst ja erst morgens zu hause sein –
Wir haben ja Zeit! –
Keine, die bei mir in dunkler Nacht,
Hat’s je bereut!

15
Komm, Liebchen!
[234]

 4.
     Nee, sag’ mal, Mieze, was hast du denn heut’?
Du stinkst ja mit einmal zehn Meilen weit
Nach Patchouli – unausstehlich!
Und den seidenen Rock und die pikfeine Taille!

5
Ei sag’ mal blos, du kleine Canaille,

Seit wann schwimmst in Gold du so selig?

     Ach so!? – hat vielleicht der dös’ge Herr Graf,
Den gestern Mittag ich mit dir traf,
Dich für so viel Mammon erhandelt?

10
Ich nehm’s dir nicht übel: man braucht ja Geld!

Doch dass dir dieser Dummkopf gefällt –!
Nee, Mieze, hast du dich verwandelt!


 5.
     »Du läufst ja wie ein Schmutzfink herum –
So zerlumpt; – man muss sich ja schämen –«
– Ach papperlapapp! Seid nicht so dumm!
Ich werde darob mich nicht grämen!

5
     Die Kleidung soll Schutz gegen Regen und Schnee

Und Hagel und Kälte gewähren –
In Julihitze könnt’ ich getrost
Den ganzen Humbug entbehren!

     Ihr freilich wandelt in Keuschheit und Frack

10
Excellent in Reinheit und Feinheit;

Da drin im Herzen sitzt euch jedoch
Schmutz, Lumperei und Gemeinheit!


 6.
     Waaas? – Ach verflucht! Der Gendarm! – Papiere?
Wo sind die denn blos? – Ich hab’ sie nicht hier;
Ich hol’ sie schnell! – »Flausen! Ich arretiere
Sie! Marsch! Los! – – Sie können wohl nicht dafür?«

5
     Ach lassen Sie sich doch gleich morgen begraben!

Wenn ich nicht mal in der freien Natur
Kampieren soll können im Strassengraben,
Dann pfeif’ ich auf die ganze Kultur!


Leonhard Wetzlar.