Gallerie historischer Enthüllungen/6. Der Gefangene von Hohenasperg

Textdaten
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Autor: E. Vely
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Titel: Gallerie historischer Enthüllungen/6. Der Gefangene von Hohenasperg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 300–303
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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6. Der Gefangene von Hohenasperg.
Mit Benutzung noch nicht veröffentlichter Archiv-Acten.


Die kleine württembergische Festung Hohenasperg hatte seit dem dreißigjährigen Kriege ihre Glanzzeit hinter sich; sie konnte keiner Belagerung hinfort mehr Trotz bieten; daß sie dennoch wieder genannt und bekannt wurde, dankt sie vorzugsweise dem zweifelhaften Ruhme, einen Dichter als Gefangenen in ihren Mauern beherbergt zu haben – Christian Friedrich Daniel Schubart.

So traurig aber auch dessen Gefangenschaft dort war, so streng ihn Herzog Karl behandelte, und so viel er während des ersten Jahres in seinem schrecklichen Thurme erduldete – vielleicht wäre ohne den Namen Asperg sein eigener nicht soweit in deutsche Lande hinaus geklungen. Wer Schubart’s Leben genau prüft, von seinen Studienjahren und dem Magisterthume zu Geißlingen an bis auf den Organisten von Ludwigsburg und den Chronikenschreiber in Ulm, der muß gestehen, daß es ein zerfahrenes und ruheloses war, in welchem sich kein volles, harmonisches Schaffen entwickeln konnte.

So reich mit Talenten begabt, zersplitterte er dieselben nach allen Seiten. Wenn er am Claviere, das er meisterhaft zu spielen verstand, Beifall errungen, begann er zu improvisiren oder er hielt eine dramatische Vorlesung unter dem Staunen und Grausen der Zuhörer, von denen die Einen seine beredte [301] Mimik und die Andern seine pathetische Stimme nicht genug rühmen konnten. Nach einem Trinkgelage, das bis zum hellen Morgen gewährt, wurde die Feder eingetaucht, um scharfe Pasquille und Epigramme, durch welche er sich erbitterte Feinde schuf, vielleicht auch eine ihm durch den Kopf summende Melodie niederzuschreiben.

Sein ungeregeltes Leben hatte in dem glänzenden Ludwigsburg seinen Höhepunkt erreicht – hier, wo er auf dem Parquetboden in den Zimmern schöner Aristokratinnen so sicher ging, als sei nicht an ein Ausgleiten zu denken, und im Wirthshause bei Wein und Tabak die Hofleute und selbst den Herzog carrikirte und sein einfaches, aber mit rührendster Liebe an ihm hängendes Weib und die Kinder daheim vergaß.

Nicht allzu lange sollte er sich indeß selbstgefällig im modischen, goldbordirten Kleide sehen und das lustige Leben weiter führen unter den Sängern und Sängerinnen von Herzog Karl’s berühmter italienischer Oper. Sein schwarzberockter Vorgesetzter, der gestrenge Herr Special Zilling, stieß einen Schrei der Entrüstung aus über den weltlich gesinnten Organisten, besonders darum erzürnt, weil derselbe allerlei Melodien beim Orgelspiel einschob, die mit Tanzweisen und sonstigen heitern Gesängen mehr Aehnlichkeit hatten, als mit den hergebrachten, ehrwürdigen Kirchenliedern. Um diese Zeit verließ auch Helene Schubart den Mann, an welchem sie, alle seine Fehler verzeihend, bisher eine Engelsgeduld bewiesen, weil er ihr eine neue schwere Kränkung zugefügt hatte, ja, es wurde auf einen Antrag des Special Zilling von der geistlichen Behörde eine Haft über ihn verhängt, und nach Abbüßung derselben dictirte ihm die weltliche sogar Landesverweisung zu.

Auf die unbekümmert fröhlichen Tage im schwäbischen Versailles folgten nun die traurigen der Wanderzeit, sein Umherirren ohne Stellung und Brod, sein Hinüberneigen zum Katholicismus in München, wozu ihn nicht Ueberzeugung trieb, sondern der Gedanke, „sein Glück machen zu wollen“, endlich dann ein Aufenthalt in Augsburg, wo er, ruhiger geworden, den Gedanken faßte, die „Deutsche Chronik“ zu gründen.

In der langen Zeit, welche zwischen seiner Ausweisung von Ludwigsburg und der Niederlassung in Augsburg lag, war weder ein Lied noch eine Composition entstanden – seine ganze schöpferische Kraft lag brach. Glücklicher Weise hatte die Chronik mehr als erhofften Erfolg; wieder mit seiner Gattin vereint, siedelte er nach Ulm, der freien Reichsstadt, über, um sich kurze Zeit eines geregelten, thätigen Lebens zu befleißen – dann faßte ihn die mächtige Hand, welche ihn nach dem Asperg hinüber zog.

Von dieses „Thränenberges Höhen“ sind, nachdem das erste schwere Kerkerjahr überstanden und dem Dichter Festungsfreiheit und der Gebrauch der Feder wieder gestattet worden war, Schubart’s schönste und gelungenste Lieder hinabgeflattert. Erst durch die Gefangenschaft wurde die Aufmerksamkeit des gesammten Deutschlands auf ihn gelenkt, und wenn wieder ein Lied seinen Weg hinabgefunden, das von den „klirrenden Ketten“ an seinem Arme erzählte, so waren stets neue Sympathien für den „gefangenen armen Mann“ erweckt.

Daß in Wahrheit die Haft Schubart’s eine weit leichtere war, als seine Lieder sie mit dichterischer Freiheit beschrieben, konnte man draußen freilich nicht wissen und man hatte umsomehr Mitleid mit ihm, weil ein Grund seiner Verhaftung eben so wenig angegeben wurde, als man eine Untersuchung gegen ihn einleitete. Nur vermuthen ließ sich, daß seine vielen Ausfälle gegen die verschiedenen Regierungen, der Haß der Geistlichkeit, besonders der katholischen, die er beständig geißelte, während er früher im Begriff gewesen war, sich zu ihrem Werkzeug machen zu lassen, und endlich der Groll Herzog Karl’s, den er oft verspottet, die Ursache waren.

Von Friedrich dem Großen an bis zum kleinsten Winkelpoeten hinab bemühte man sich unablässig für seine Freiheit – der Herzog blieb ungerührt. Daß dies aber nicht allein persönlicher Groll Karl’s, sondern durch Schubart’s Charakter und Benehmen begründet war, muß sich Jeder gestehen, der David Strauß berühmtes und bedeutendes Buch „Schubart’s Leben in seinen Briefen“ zur Hand nimmt. So begeistert der Autor für seinen Helden ist, kann er uns doch die Schattenseiten des Schubart’schen Charakters nicht verhehlen. Wir sehen den Gefangenen des Aspergs zwischen seinen Gefühlen wankend und schwankend, wie ein vom Winde bewegtes Rohr, hin- und hergeworfen. Heute segnet er den Mann, der ihn den Seinen entführte, als Erretter, um ihm morgen zu fluchen; jetzt singt er Bußpsalmen und bekennt sich als größten Sünder, um eine Stunde später, wenn eine lustige Gesellschaft um ihn versammelt ist und der Commandant des Aspergs, der pietistisch-frömmelnde Oberst von Rieger, ihn nicht hört, Alles zu verspotten und zu verlachen.

Aber der, welcher ihm die Freiheit nahm, wollte nicht allein strafen, sondern auch bessern. Die schlimme Zeit lag hinter Herzog Karl; zu jung, aber geistvoll und lebensfroh, hatte er die Macht eines Regenten erhalten und mit ihr gespielt, oft ahnungslos bösen Einflüsterungen seiner Umgebung folgend. Jetzt war der Ernst gekommen. Ungezwungen und freimüthig, wie nie ein Fürst zuvor, hatte er seinem Volke, das ihn trotz seiner früheren Herrscherlaunen liebte und verehrte, bekannt, daß er selber nicht mit der vergangenen Regierungsperiode zufrieden war und daß er nun ein anderes Leben zu beginnen gewillt sei:

„Da wir aber Mensch seynd und unter diesem Wort von dem so vorzüglichen Grad der Vollkommenheit beständig weit entfernt geblieben und auch vor das künftige bleiben müssen, so hat es nicht anderst seyn können, als daß theils aus angebohrner menschlicher Schwachheit, theils aus nicht genugsamer Kenntniß und sonstigen Umständen, sich viele Ereignüsse ergeben, die, wann sie nicht geschehen, wohl vor jetzo und das künftige eine andere Wendung genommen hätten. Wir bekennen es freymüthig, denn dies ist die Schuldigkeit eines Rechtschaffenen, und entladen Uns damit einer Pflicht, die jedem Rechtdenkenden, besonders aber den Gesalbten dieser Erden, vor beständig heilig seyn und bleiben sollte.

Wir sehen den heutigen Tag als eine zweite Periode Unsers Leben an. – – Württembergs Glückseeligkeit soll also von nun an und auf immer auf der Beobachtung der echtesten Pflichten des getreuen Landesvaters gegen seine Unterthanen und auf dem zärtlichen Zutrauen und Gehorsam der Diener und Unterthanen gegen ihren Gesalbten beruhen.“

In dieses andere Leben führte ihn die Hand seines Schutzgeistes, Franziska’s von Hohenheim, seiner zweiten Gemahlin. Fortan unterblieben die glänzenden Feste; die italienischen Sänger und französischen Tänzer wurden heimgeschickt; die 1770 zuerst auf der Solitüde gegründete Karlsschule wurde erweitert und so zu einer der großartigsten Erziehungsanstalten, an welcher die Wissenschaften und Künste blühten, wie nirgends im deutschen Reiche, erhoben. Neben wie manchen Namen, welchen die Nachwelt anerkennend und bewundernd nennt, steht die Bezeichnung „Zögling der Karlsakademie“! Schiller, ihr berühmtester Schüler, hat, obgleich er sich des Herzogs energischem Willen widersetzte, dankbarlichst die Vorzüge der Anstalt gerühmt, ja, lebenslang für den Stifter derselben eine Anhänglichkeit bewahrt. Er weilte gerade im Heimathlande, als Karl’s Ende herannahte.

„Ich sah ihn,“ erzählt Hoven in seiner Selbstbiographie, „bei der Nachricht, daß der Herzog krank und seine Krankheit lebensgefährlich sei, erblassen, hörte ihn den Verlust, den das Vaterland durch dessen Tod erleiden würde, in den rührendsten Ausdrücken beklagen, und die Nachricht von dem wirklichen Tode des Herzogs erfüllte ihn mit Trauer, als wenn er die Nachricht von dem Tode eines Freundes erhalten hätte.“ An der Gruft Karl’s brach er tiefbewegt in die Worte aus: „Da ruht er also, dieser rastlos thätig gewesene Mann. Er hatte große Fehler als Regent, größere als Mensch; aber die ersten wurden von seinen großen Eigenschaften weit überwogen, und das Andenken an die letzteren muß mit dem Tode begraben werden; darum sage ich Dir, wenn Du, da er nun dort liegt, nachtheilig von ihm sprechen hörst, traue diesem Menschen nicht! Er ist kein guter, wenigstens kein edler Mensch.“

Die Haft Schubart’s bestand nach dem ersten Jahre lediglich nur in der Beschränkung seines Aufenthaltes auf den Asperg; er besaß ein Clavier, durfte jeden Besuch entgegennehmen und sprach auf diese Weise viele berühmte Leute, wie Lavater, Jakobi – nur Frau und Kinder sollte er Jahre lang nicht sehen.

Eine grausame Ausnahme! und doch, wie sehr hatte er sein Weib gekränkt, wie offenkundig – vielleicht wollte man erst die echte Reue zum Durchbruch kommen lassen.

[302] Helene Schubart weilte, vom Herzog mit einer jährlichen Pension von zweihundert Gulden unterstützt, in Stuttgart; ihr Knabe war in die Karlsschule gekommen, ihre Tochter in eine Bildungsanstalt für Mädchen, die Ecole des demoiselles, welcher die Gräfin Hohenheim vorstand.

Und endlich kam in der Einsamkeit mit der Reue auch die alte Liebe in das wankelmüthige Dichterherz zurück – Schubart sehnte sich nach Weib und Kindern.

Am 9. Mai 1784 ruft er seiner Gattin zu:

„Einzige! Nur daß ich den M. nicht ohne Brief fortschicke, muß ich Dir kürzlich sagen, daß ich Antwort auf ein Memorial erwarte, welches ich dem Herzog um die Erlaubniß zuschickte, mit Dir und den Meinigen sprechen zu dürfen.“

Dieses „Memorial“ selber ist weder David Strauß zugänglich gewesen, noch in dem umfangreichen Buche über die Karlsschule von H. Wagner enthalten; wohl nahe an hundert Jahre mag es unberührt in dem Actenbündel im königlichen Staatsarchiv zu Stuttgart gelegen haben, in welchem es jetzt aufgefunden wurde.

In schöner, deutlicher Handschrift, auf die Schubart besonders hielt, und für damalige Zeit auffallend guter Rechtschreibung lautet es mit der Aufschrift:

“Ad manus clementissimas!
Durchlauchtigster Herzog,
Gnädigster Herzog und Herr!

M. Christian Friedrich Daniel Schubart bittet allerunterthänigst um die höchste herzogliche Gnade, nach beinahe achtjähriger Trennung seine Familie wiedersehen und sprechen zu können.

Es sind bereits achthalb Jahr, daß ich dem Schooße meiner Familie entrissen bin. Aber auch diese lange Zeit hat die Liebe zu meiner Gattin und Kindern nicht geschwächt, sondern vielmehr mit jedem Monde die zärtliche Sehnsucht nach selbigen vermehrt. Wie sehr wünscht ich also, aus dem Munde der Meinigen einmal den Dank für die unzähligen Gnaden zu vernehmen, wodurch sich Ewer Herzogliche Durchlaucht an dieser meiner armen Familie zu verherrlichen geruhten; auch wünscht ich ein dankvoller Zeuge von den Fortschritten meiner Kinder in Künsten und Wissenschaften zu seyn und dann mit Vaterfreuden gen Himmel zu schauen, um für Ewer Herzogliche Durchlaucht die Fülle jedes Seegens für Zeit und Ewigkeit von Gott dem Allbelohner herabzuflehen.

Da Ewer Herzogliche Durchlaucht gleich im Anfang meiner Gefangenschaft mir die huldreicheste Versicherung zu ertheilen geruhten, mich nicht auf immer von den Meinigen zu trennen, so wag ich’s um so mehr, Allerhöchst Denenselben die allerunterthänigste Bitte zu Füßen zu legen, mir nach beinahe achtjähriger Trennung von meiner alten am Grabe schwankenden Mutter, meiner Gattin und Kindern die allergnädigste Erlaubniß zu ertheilen, mich mit selbigen zuweilen besprechen und nach so langer, harmvoller Entfernung das Glück des Sohnes, Vaters und Gatten wieder empfinden zu können.

Meine Tochter widmet sich, wie ich vernehme, dem Theater und soll nach dem Zeugniß der Kenner ziemliche Talente verrathen. Wie glücklich würde mich Ewer Herzogliche Durchlaucht machen, wenn Allerhöchstdieselben gnädigst zu genehmigen geruhten, meiner Tochter zuweilen Unterricht in der Deklamation, Mimik, im schönen Gesange und auf dem Klavier ertheilen zu dürfen, um sie zu ihrem künftigen Berufe desto tüchtiger zu machen!! –

Ewer Herzogliche Durchlaucht denken zu groß und empfinden zu tief, als daß Allerhöchstdieselben nicht eine Bitte zu gewähren geneigt sein sollten, die der Erguß eines von Liebe und Sehnsucht erfüllten Herzens ist.

Inzwischen leg ich mein Schicksal auf’s neue Ewrer Herzoglichen Durchlaucht zu Füßen, mit der vesten Ueberzeugung, daß Gott, der Lenker der Fürstenherzen, auch Höchstdero großes Herz noch fernerhin zum Besten eines armen Gefangenen und seiner dürftigen Familie lenken werde.

Ich habe die Gnade mich mit einem Herzen voll innigster Dankbarkeit, der demüthigsten Hofnung und der allertiefsten Ehrfurcht zu nennen.

Ewer Herzoglichen Durchlaucht
     allerunterthänigsten treu devotesten Knecht
          Schubart.

     Hohenasberg, den 22. Mai 1784.

Daß der Herzog nicht allein geneigt war, die Bitte zu gewähren, sondern an gänzliche Befreiung des Dichters und seine Wiederanstellung gedacht, geht aus einem dem Memorial beigelegten Gutachten des Obersten Seeger hervor. Derselbe, pünktlich, klug und rechtschaffen, besaß als Intendant der Karlsschule des Herzogs ganzes Vertrauen. Er macht in dem genannten Schriftstücke, welches das Datum des 28. Mai 1784 trägt, seinem Herzog den Vorschlag, Schubart als Lehrer für die dem Theater gewidmeten jungen Leute anzustellen.

„Dem Theater selbst,“ heißt es in jenem Memorial, „aber gehet von jeher eine Person ab, welche nicht allein die Deklamation und Mimik, sondern hauptsächlich die Reinigkeit der deutschen Sprache zum allgemeinen Besten des Publikums mehr kultivirte.

Und diese hat Schubart, ob er gleich in seiner unterthänigen Bittschrift nichts davon berührt, so in seiner Gewalt, daß er gewiß mit allen hiesigen, vielleicht mit den meisten Schriftstellern Deutschlands darinnen um den Vorzug streiten kann.

In allen deutschen Sing- und Schauspielen, zu deren Aufführung der Capellmeister Poli weder Brauchbarkeit noch guten Willen besitzt, würde Schubart mit Nuzen am Clavier sizen und mit eben so großem Nuzen die noch nicht ausgebildeten jüngern Sänger und Sängerinnen auf dem Clavier fortbilden.

Es dürfte vielleicht noch verschiedene andere Fälle geben, wobey man sich des Schubart in Absicht auf seine Schreibsucht mit Nuzen, aber auch nicht ohne die größte Aufmerksamkeit bedienen könnte. Dahero ihme bey seiner Anstellung zur Verhütung aller künftigen Entschuldigungen solches, zwar beditten, aber in dem Anstellungs-Decret selbst, damit er sich keines akademischen Berufs rühmte, bloß als allgemeinen Ausdrucks: Theater, bedient, folglich auch kein Titel ertheilt, hingegen seine Besoldung, welche der bevorstehenden Aus Musterung der dem Theater gewidmeten jungen Leuten noch angehängt werden könnte, desto ergiebiger eingerichtet werden dürfte, damit er in den Fall gesetzt würde, sich aller Klagen so wohl in, als außerhalb des Herzogthums zu enthalten.

Ewer Herzoglichen Durchlaucht höhern gnädigsten Einsichten habe ich dieses mein unterthänigstes Gutachten in der tiefsten Ehrfurcht anheimstellen und erstadten sollen

Ewer Herzoglichen Durchlaucht
          unterthänigsttreu gehorsamster
               C. D. Seeger.

Auf beiden Schreiben findet sich, ganz gegen alles sonstige Herkommen, keine Randbemerkung des Herzogs; ein zweites Gutachten des gewissenhaften Obersten vom 31. Mai 1784, in welchem er sich auf herzoglichen Befehl „über die Wiederanstellung des Arrestanten Schubart bestimmter herauslassen soll“, bringt Strauß wörtlich.

Am 5. Juni klagt der Gefangene seiner Helene: „Auf mein Memorial ist noch keine Antwort gekommen. Ob dies Zaudern gut oder schlimm sei, wird sich bald zeigen.“

Es war schlimm. Ueber ein Jahr sollte es währen, bis er die Seinen wiedersah – erst am 5. Juli 1785 hielten sich die Langgetrennten zum ersten Male wieder umschlungen.

Längst war ihm indessen die Erlaubniß geworden, seine Gedichte dem Druck zu übergeben, auch seine heimlich in der Zelle verfaßte Biographie durfte er denselben hinzufügen. Dann hatte man endlich in Stuttgart über sein Schicksal entschieden und die Stellung für ihn gefunden, welche seinen Talenten angemessen war und der Welt gegenüber keinen Anlaß zu Klagen gab. Er wurde bekanntlich als Hof- und Theaterdichter mit sechshundert Gulden Jahresgehalt und der Verpflichtung, auch die Musik und Mimik des Theaters zu leiten, angestellt.

Am 18. Mai 1787 verließ Schubart den Hohenasperg, nach zehnjähriger Gefangenschaft.

In einer Audienz, welche ihm der Herzog gewährt, hat den Letzteren die berühmte Liebenswürdigkeit desselben ebenso bezaubert, wie schon so Manchen vor ihm:

„Letztern Freitag war ich lang bei dem Herzog in der Audienz. Ich muß gestehen, er war außerordentlich gnädig und versprach, mir das Leben von nun an leicht und angenehm zu machen. Er bestellte einige lateinische und deutsche Inscriptionen, die ich als Hofpoet – versteht sich – sogleich verfertigte. Ich habe nun keine Instanz als diesen meinen gnädige Herrn, gegen

[303] den nun aller Groll wie Nachtgewölk weggeschwunden ist,“ erzählt er seinem in Berlin weilenden Sohne.

Ja, sogar eine besondere Vergünstigung gewährte ihm der Herzog, die Censurfreiheit für seine „Chronik“, deren Fortsetzung ihm gestattet worden war. Wie gut der leichtherzige und vergeßliche Schubart dieselbe indessen benützte, beweisen die zahllosen Beschwerden, welche von den Regierungen und Reichsstädten einliefen. Sehr häufig warnte ihn der Herzog selber, und fast jede Nummer brachte in Folge davon einen Widerruf ihres Herausgebers.

Nach seiner Freilassung hat Schubart außer der „Chronik“ und den ihm für festliche Gelegenheiten aufgetragenen Prologen, die keinen dichterischen Werth haben, nichts mehr geschaffen – er ließ sich an behaglichem Wohlleben genügen und suchte wieder häufig den Wirthshaustisch auf, wo er einer lustigen Tafelrunde Scherze und Anekdoten mittheilte.

Wie unvorsichtig er trotz seiner traurigen Erlebnisse war, beweist ein ebenfalls bisher nicht veröffentlichter Rapport Seeger’s, in welchem er dem Herzoge in gerechtem Zorne am 30. Juni 1789 meldet:

„Ewer Herzoglichen Durchlaucht habe ich mit dem heutigen Rapport dasjenige Stück der Schubartischen Chronik, das ich bey meinem gewöhnlichen Besuche in der Buchdruckerey unter der Presse angetroffen, deßwegen unterthänigst einsenden sollen, weil etwas von der höchsten Person Ewer Herzoglichen Durchlaucht darinnen gerügt ist. Da der Hof- und Theater-Dichter Schubart mir gar nichts vorhero von dieser Rüge wissen ließe und auch ebenso wenig von dem Buche selbst, welches ihm die Veranlassung dazu gebe, bekannt ware: so schickte ich gleich balden nach diesem Buche, worauf er mir sagen ließe, daß er es wirklich gar nicht bey der Hand hätte, aber so bald er es wieder bekäme, mir zustellen wollte, um es an Ewer Herzogliche Durchlaucht unterthänigst einsenden zu können. – – Soeben erhalte ich von Schubart das oben unterthänigst bemerkte Buch, welches ich mit derjenigen tiefsten Ehrfurcht beyfügen sollen etc.“

Herzog Karl’s Zorn ist längst verraucht, er beachtet den Angriff auf seine Person nicht und kritzelt nach seiner Gewohnheit mit Bleistift auf den Rapport:

„Erhalten und finde es unter meiner Würde, auf das Geschmier eines Blätterschreibers zu attendiren.“ –

Die Censurfreiheit ist aber für den Chronisten zu verlockend. Er benutzt sie in so ausgedehnter Weise, daß Nürnberg, Worms, Landau und der kursächsische Gesandte sich beklagen; neue Warnungen helfen nichts, und so klatscht endlich auch auf ihn die „Censurgeißel“ herab.

Lange zwar drückte ihn der Zwang nicht. Seine Tage waren gezählt: schon im vierten Jahre der Freiheit, am 10. October 1791, schloß ihm der Tod die Augen; er hatte erst das Alter von zweiundfünfzig Jahren erreicht. Ohne viel Gepränge wurde er in’s Grab gesenkt, das durch kein Denkmal bezeichnet und bald verschollen war. Die Mitwelt hatte das Interesse für ihn verloren, seit er ein freier Mann war und nicht mehr ihres Mitleids bedurfte – und die Nachwelt kümmerte sich weniger um seine Lieder, unter welchen doch verschiedene ein Anrecht auf Unvergänglichkeit haben, als um sein romantisches Lebensschicksal. Dasselbe hat Roman- und Novellenschreibern willkommenen Stoff geboten, doch ist derselbe meistens nur in einseitiger Weise zur Darstellung gekommen. Diejenigen, welche mit Schubart’s Dichtungen vertraut sind und die von Strauß gesammelten Briefe kennen, werden vorstehende kleine Ergänzungen zu denselben willkommen heißen.

E. Vely.