Friedrich Rückert (Die Gartenlaube 1890/23)

Textdaten
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Autor: G.
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Titel: Friedrich Rückert
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 735–736
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Friedrich Rückert.

Wieder zahlt unser deutsches Volk eine Ehrenschuld an einen seiner hervorragendsten Dichter: das Rückertdenkmal in Schweinfurt ist ein Zeugniß solcher Dankbarkeit für geistige Schätze, welche aus der Fülle seines Denkens, Empfindens und Schaffens heraus ein hochbegabter Meister poetischer Form seiner Nation gespendet hat.

Friedrich Rückerts Leben und Wirken ist in eingehenden Biographien, in geistvollen Würdigungen von berufener Feder oft genug dargestellt worden; auch die „Gartenlaube“ hat den gedankenreichen Dichter nicht nur pietätvoll auf seinen letzten Lebenswegen begleitet; sie hat sein Bild unserem Volke näher gerückt, die Freude an allem, was er geschaffen, zu beleben gesucht durch verständnißvolle Erläuterung. Der Sohn des phantasiereichen Frankenlandes, der im gemüthswarmen Thüringen eine zweite Heimath gefunden, stand ja von Hause aus der „Gartenlaube“ nahe, die in jenen mitteldeutschen Berggegenden die ersten, starken Wurzeln ihrer Kraft fand.

Nicht oft Gesagtes zu wiederholen ist der Zweck dieser Zeilen; doch am Ehrentage des Dichters wollen wir noch einmal einen Blick auf sein Gesammtbild werfen und festzustellen suchen, worin seine bleibende Bedeutung besteht. In unserer Litteraturgeschichte erhebt sich sein Denkmal dauernder als Erz, und alle seine Werke ohne Ausnahme sind sinnvolle Reliefs, die es schmücken; der Geschichtschreiber und Litteraturforscher wird ihnen allen ohne Ausnahme gleichmäßig gerecht werden müssen; anders steht es mit dem Volke, dem großen Lesepublikum. So groß ist die Zahl der werthvollen geistigen Erzeugnisse, daß die Zeit selbst bei den größten Dichtern einen Scheidungsprozeß zwischen dem Bleibenden und Vergänglichen vollziehen muß; denn nicht unerschöpflich ist die Genußfähigkeit der sich ablösenden Geschlechter, und von dem einen zum andern mindert sich das Erbe, nicht des Dichterruhms, der ein bleibender ist, sondern jener geistigen Hinterlassenschaft, die man selbst „erwirbt, um sie zu besitzen“.

Friedrich Rückert war ein überaus fruchtbarer Dichter; es giebt zwar feindlich gesinnte Beurtheiler, welche über seine sämmtlichen Werke den Konkurs eröffnen möchten, indem sie seine ganze Dichtweise verdammen; doch diese sind vielleicht gerade durch seine Fruchtbarkeit, durch die Fülle des von ihm Gebotenen verwirrt gemacht worden und haben bei blindem Zugreifen in dieselbe nicht das Rechte herausgefunden. Allerdings werden diejenigen, welche so einseitig sind, von dem Dichter nur die Weihe der Empfindung und die Gabe der Gestaltung zu verlangen, Rückert leicht neben andern Dichtern von geringerer Bedeutung herabsetzen; sie vergessen dabei, daß der Dichter auch einen priesterlichen Beruf hat und ein Lehrer der Menschheit sein soll, und daß er dies in um so höherem Maße ist, je mehr es ihm gelingt, für solche Lehren das unvergeßliche treffende Wort zu finden, das sich dem Gedächtniß des Volkes einprägt und dort tiefe Wurzeln schlägt, Wahrheit im unvergänglichen Gewande des dichterisch Schönen … Rückert hat sie verkündet, und er steht in dieser Hinsicht dicht neben dem Altmeister Goethe, der ja auch mit voller Hand leuchtende Gedankenperlen ausstreute.

Einen solchen Schatz von Spruchwahrheiten in schlaghafter Fassung und von tiefem Sinn, wie Rückert in der „Weisheit des Brahmanen“ uns hinterließ, hat keine andere Nation aufzuweisen. In dieser Fülle liegt etwas Märchenhaftes, als besäße der Poet die Zauberlampe Aladins, kehrte aus der Wundergrotte zurück und schüttete ganze Säcke mit Perlen und Juwelen vor uns aus; denn es ist in der That ein unermeßlicher geistiger Reichthum, der ihm zur Verfügung steht. Und dabei nichts von wohlfeiler Alltäglichkeit, alles aus dem Ganzen und Vollen gestaltet, aus der Tiefe stammend, in die Höhe strebend, nicht geistreich im gewöhnlichen Sinn, obschon auch mancher leuchtende Blitz des Witzes darüber hinstreift, sondern tiefsinnig, indem der Poet seine Blicke stets auf das All richtet. Ueber Gott und Welt, Tod und Leben finden sich hier kurzgefaßte, aber schwerwiegende Gedanken; reizende Naturbilder, denen irgend ein sinniger Gehalt abgewonnen ist, sind mit hereingewoben; über das Wesen der Dichtung finden sich eingehende Betrachtungen; ein ganzes Buch mit manchem schlagenden Kernspruch der Schönheitslehre ist ihr geweiht. Am reichhaltigsten vertreten sind die Sprüche der Lebensweisheit über das Gute und Schlechte, Arbeit und Recht, häusliches Glück, den Unterschied der Lebensalter, oft anknüpfend an kleine Begegnisse des Lebens, aber auch die neuesten Richtungen der Zeit mit dem Lichte östlicher Weisheit beleuchtend.

Wenn irgend ein Werk Rückerts Anspruch auf Dauer hat, so ist es diese „Weisheit des Brahmanen“. Eine sechsbändige Spruchsammlung ist freilich kein Gegenstand zusammenhängenden Lesens; nicht bloß die Phantasie, auch das sinnige Nachdenken würde zuletzt von diesem Sprühfeuer einzelner Gedankenfunken ermüdet werden; aber es ist eine Hauspostille, in die man von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr hineinblicken kann, und immer wird man mit hoher Genugthuung eine bedeutsame Anregung daraus schöpfen.

Rückert ist der sprachgewaltigste Vermittler zwischen der Poesie des Ostens und des Westens, und seine „Weisheit des Brahmanen“ ist als westöstliche Bibel dem geistigen Hausschatz unserer Nation anzueignen. Zunächst würden dann seine „Oestlichen Rosen“ als eine Liebespoesie von feuriger Gluth und trunkener Andacht auf diesem Gebiete stehen; diese Gedichte haben einen hinreißenden Schwung, und die Weltanschauung, die sie verherrlichen, die Feier des All-Einen, ist in abendländischer Dichtung nie mit so berauschender Weihe ausgesprochen worden.

Indem in Rückerts Werken alle asiatischen Musen, die chinesische, indische, arabische, persische der deutschen Besuch abstatten, wird er zu einem Förderer der deutschen Sprache, der [736] auf sie einen Pfingstgeist herabbeschwor, daß sie in ungewohntesten Zungen reden lernte; aber als bleibender Schatz unserer National-Litteratur sind diese zahlreichen Aneignungen, Nachdichtungen und Neudichtungen nicht zu betrachten, weder die plauderhaften „Makamen“ des Hariri mit ihrer unerschöpflichen Reimfülle, noch die ältesten arabischen Volkslieder des „Hamâsa“, noch die „Morgenländischen Sagen und Geschichten“, noch die „Brahmanischen Erzählungen“. Sie sind erfreulich und lehrreich für alle, welche dem Schriftthum und der Gedankenwelt der östlichen Völker ihre Theilnahme zuwenden; aber diese Theilnahme ist doch auf eine kleinere halb- oder ganzwissenschaftliche Gemeinde beschränkt. Kaum wird ein größeres Publikum sich hinreißen lassen von der in ihrer Art einzigen, geradezu meisterhaften Uebersetzung der indischen Gitavoginda, die nicht einmal in seine Werke aufgenommen ist, deren stürmischer Cymbelschlag und wie mit Phönixschwingen gerüsteter Dichterflug in den langathmigen, aber nie ermüdenden Verszeilen kaum seinesgleichen hat in unserer Dichtung. Doch zwei Erzählungen, eine dem indischen, die andere dem persischen Heldengedicht entnommen, haben, die erstere durch die Anmuth, die zweite durch die heldenhafte Kraft des Stoffes und der Darstellung, bei uns eine Art von Bürgerrecht gewonnnen: die Erzählungen „Nal und Damajanti“ und „Nostem und Suhrab“.


Friedrich Rückert.
Nach dem Denkmal in Schweinfurt von W. Rümann.


Wir sind dem Dichter in die Fremde gefolgt, um die Edelsteine, die er dort gefunden und künstlerisch eingefaßt hat, zu prüfen – suchen wir ihn jetzt in der Heimath auf; denn auch aus dem deutschen Leben heraus hat er gedichtet und auch hier Bleibendes geschaffen. Am volksthümlichsten ist sein „Liebesfrühling“ geworden, dessen Blumen auf deutschen Wiesen gepflückt sind. Alle diese Lieder haben zarte Innigkeit und anmuthenden Fluß, nichts von dem Schwerflüssigen, was bisweilen der Muse Rückerts eigen ist; es ist deutsche Volks- und Minnepoesie. Nicht bloß Zeichner haben dies Liebesalbum ausgestattet; auch Komponisten haben diese Lieder in Musik gesetzt, eine Ausnahme bei dem gedankenernsten Wesen des Dichters, an dessen oft spröde Formen die Tonkunst sich selten gewagt hat. Auch der „Liebesfrühling“ Rückerts gehört zum Hausschatz unseres Volkes. Was seine patriotischen Lieder aus der Zeit der Befreiungskriege betrifft, so werden die „Geharnischten Sonette“ durch die Eigenart, mit welcher hier die weiche italienische Strophenform behandelt und in den rauhen Kriegsdienst hineingezwungen ist, sowie durch den markigen Schwung, der sie auszeichnet, stets Interesse erwecken, während die bänkelsängerartigen Spottverse auf die Napoleonischen Marschälle und andere volksthümliche Ergüsse aus jener Zeit jetzt kaum noch Widerhall finden dürften. Dauernden Werth aber hat sein Liebesidyll „Amaryllis“ mit seiner frischen Natur- und Landwüchsigkeit, das so recht im Gegensatz steht zu dem aufgeschminkten Salontirolerthum der gereimten und ungereimten Arkadien; sehr schöne, prächtige Sonette enthalten die „Aprilreiseblätter“. Und neben „Die Weisheit des Brahmanen“ treten seine „Haus- und Jahreslieder“, ein dichterischer Hauskalender aus dem Musensitz Neuses, voll beschaulicher Lebensweisheit, die aber ganz im deutschen Boden wurzelt. Gern verweilt man mit dem Dichter in der Hainbuchenlaube seiner Freudenfrohburg und erfreut sich an der wechselnden Beleuchtung der Tages- und Jahreszeiten, die sich in diesen Gedichten widerspiegelt, oder folgt dem Familienvater an den häuslichen Herd, wo er patriarchalisch waltet, seine Kinder lehrt und ihnen wehrt.

Auch diese Chronik ist so unerschöpflich wie „Die Weisheit des Brahmanen“, aber nicht so tiefsinnig; es läuft manche Reimspielerei, manches Alltägliche und Hausbackene mit unter; aber die Weisheitsfrüchte, die er gleichsam von den Obstbäumen seines Hausgartens schüttelt, haben doch etwas Wohlschmeckendes, Saftiges, Aromatisches, und es finden sich unter diesen Kalendertagen solche, die roth angestrichen werden müssen als Festtage der Rückertschen Muse. Auch unter Rückerts einzelnen Gedichten sind glückliche Treffer, formgewandte und gedankenschwere Ergüsse, und es wechseln feurige Hymnen mit niedlich geschnitzten Nippfiguren, wie „Die Göttin im Putzzimmer“. Was er aus Italien heimbrachte, die kunstvollen italienischen Strophen, deren Verschlingungen er mit meisterlicher Zwanglosigkeit beherrschte, zeugt von der Vielseitigkeit seiner Bildung und seines Talentes; aber der markige Zug seiner Eigenart fehlt darin.

Wir Deutschen haben Dichter, die überreich sind und ihren Reichthum nicht zu Rathe zu halten verstehen. Das sangen schon Schiller und Goethe von einem andern Sohn des Franken- und Mainlandes, Jean Paul. Rückert ist ihm verwandt in nimmer versiegender Geistesfülle; mit den Gedanken dieser beiden Dichter allein ließ sich die umfangreichste Spruchsammlung füllen. Solche Genien sind echt deutscher Art, die Zierde und der Stolz unseres Volkes; ihr Gedankenreichthum strömt aus dem innersten Herzen desselben heraus, und indem wir sie ehren und feiern, huldigen wir dem Genius unserer Nation.

Kein Dichter ist so weit umhergewandert bei fremden Völkern und keiner so echt deutsch geblieben wie Rückert; sein Herz schlug seinem Vaterlande. Nicht bloß die Freiheitskämpfe hat er besungen in seiner Jugend, nicht bloß dem kämpfenden Schleswig-Holstein noch in hohem Alter Blumen in den Lorbeer geflochten – er hat auch fest geglaubt an die Wiedergeburt Deutschlands, die mitzuerleben ihm nicht vergönnt war; voll kühner Begeisterung erklang sein prophetisches Dichterwort:

„Du Volk der Deutschen, Phönix sondergleichen,
Du bist mit Ruhm gealtert ein Jahrtausend,
Doch niemand soll mit Hohn sehn deine Leichen.
Besteig’ den Holzstoß, nicht vorm Tode grausend!
In Flammen soll dir Schwäch’ und Alter weichen,
Und, du hervorgehn, neu in Jugend brausend!“

Und auf dem Boden dieses zu neuer Tugend wiedererstandenen Deutschen Reichs erhebt sich jetzt das Denkmal des Dichters, seinen Enkeln kündend die Verehrung unseres Volkes für einen Hohenpriester des Geistes! G.