Textdaten
<<< >>>
Autor: Gustav Struve
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Friedrich Hecker in Amerika
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 56–59
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[56]
Friedrich Hecker in Amerika.
Von Gustav Struve.

Die meinem Herzen am nächsten standen, sind alle nicht mehr, oder sind zerstreut in die vier Winde. Die glücklichsten derselben fielen im Gewimmel der Schlacht, so Gustav Adolph Schlöffel aus Preußen und Michel aus Baiern. Andere durchbohrte die begnadigende Kugel: Robert Blum in der Brigittenau zu Wien, Friedrich Raß auf dem Kirchhofe zu München, Tiedemann in den Festungsgräben von Rastatt, Valentin Strauber auf dem Kirchhofe zu Mannheim. Viele starben in der düsteren Verbannung: meine Amalie in Amerika, Kinkel’s Johanna und Johannes Ronge’s Gattin in England, der Freiheitsdichter Carl Heinrich Schnauffer zu Baltimore, Rau von Gaildorf zu New-York. Von den Ueberlebenden düngten Manche den fremden Boden mit ihrem Blute im jenseitigen Freiheitskampfe. Der General Willich aus Preußen wurde durch die Brust geschossen, der General Max Weber aus dem Badischen verlor einen Arm in der Schlacht von Antietam. Doch nicht Wenige behielten ihre volle geistige Frische und körperliche Rüstigkeit durch alle Stürme der Vergangenheit. Wer könnte sie Alle nennen – die wackern Streiter, welche im Kampfe für die Menschheit Leben und Gesundheit, Hab und Gut einsetzten!

Von ihnen haben sich nicht viele so kräftig erhalten, wie Friedrich Hecker, der hochgefeierte Volkserwecker.

Als er im Jahre 1838 Obergerichts-Advocat zu Mannheim wurde, kamen wir, da ich dieselbe Stellung hatte, oft in geschäftliche Berührung, zogen uns aber anfangs gegenseitig sehr wenig an. Es fanden sogar zwischen uns einige unsanfte Berührungen statt. Unsere äußere Schale war sehr verschieden, wenn auch der tiefere Kern unsers Wesens manche Aehnlichkeiten barg. Friedrich Hecker war in dem fröhlichen Weinjahre 1811 geboren. Als er zum Bewußtsein seiner selbst gelangte, fand er das Joch Napoleonischer Gewaltherrschaft schon abgeschüttelt. Meine Geburt fiel in das Kriegsjahr 1805 und die ersten Erinnerungen meiner Kindheit schlossen sich an den Riesenkampf zwischen Deutschlands Freiheit und französischem Despotismus.

Hecker war munter, frisch und lebensfroh, übersprudelnd von Witz und heiterer Laune, aber auch nicht selten von einem Uebermuthe, der mich verletzte. Er war auf dem Lande, zu Eichtersheim im Badischen, geboren, hatte die ersten Jahre seines Lebens daselbst in wilder Ungebundenheit zugebracht, war noch nicht lange von der Universität zurückgekehrt und hatte noch immer einen gewissen burschikosen Ton an sich, der meiner ernsteren Lebensanschauung und gemesseneren Art zu sein nicht zusagte. Zudem war ich älter als Hecker, hatte schon eine zweifache Laufbahn, die diplomatische und die richterliche, hinter mir und empfand daher die kecke, oft herausfordernde Sprache Hecker’s unangenehm. Meine vegetabilische Lebensweise, meine Enthaltung vom Genusse geistiger Getränke, selbst der Umgang, den ich pflog und die phrenologischen Studien, die ich mit Vorliebe hegte, gaben dem sarkastischen Hecker nicht selten Stoff zu Angriffen gegen mich, die ich nicht immer mit Freundlichkeit, vielmehr theils mit kaltem Schweigen, theils mit scharfer Widerrede aufnahm.

Erst nachdem Hecker (1842) in die Kammer gewählt worden war und sich gleich anfangs daselbst sehr ausgezeichnet hatte, näherten wir uns mehr und mehr. Die Vorurtheile, welche wir gegeneinander gehegt hatten, schwanden und wir sahen ein, daß wir, trotz mannigfaltiger Charakterverschiedenheiten, nach demselben Ziele der Freiheit und der Einheit Deutschlands strebten. Von dieser Zeit an gingen wir immer Hand in Hand. Den Antheil, welchen Hecker an den Freiheitsbestrebungen Deutschlands nahm, setze ich hier als bekannt voraus und wende mich sofort zu seinem Wirken in Amerika.

[57] Friedrich Hecker wurde durch den unglücklichen Ausgang der ersten Schilderhebung in Baden und noch mehr durch die schändlichen Verleumdungen, welche die Reaction über ihn ergoß, auf’s Tiefste erschüttert. Er verlor den Glauben an die Sache der Freiheit, und der Gedanke der Auswanderung nach Amerika, welcher ihm schon früher nicht fremd gewesen war, setzte sich in seiner Seele immer fester. Vergebens bekämpften viele Gesinnungsgenossen denselben. Auch mir gelang es nicht, den Freund und Kampfgefährten in Deutschland zurückzuhalten. Er fuhr über den Ocean, doch nur um nach Europa zurückzukehren, nachdem im Mai das badische Volk sich neuerdings erhoben hatte, leider kam er zu spät, um an dem Freiheitskampfe Theil nehmen zu können. Seine Rückkehr bewies aber deutlich, daß die Sache der Freiheit jederzeit auf ihn rechnen könne.

Das Nämliche hat auch Hecker's sechzehnjähriges Leben in den Vereinigten Staaten Amerikas bekundet. Jenseits, wie diesseits des Oceans war er immer einer der Ersten in den unblutigen und in den blutigen Kämpfen der Freiheit. In Amerika, wie früher in Europa, obgleich durch weite Strecken getrennt, standen wir immer auf derselben Seite. Ohne uns verabredet zu haben, wirkten wir im Jahre 1856 für die Wahl Fremont’s und gegen diejenige Buchanan’s, 1860 für die Wahl Lincoln’s. Zu derselben Zeit zog Hecker im Westen und ich im Osten aus, um mit dem Schwerte in der Hand für die Aufrechthaltung der Union und gegen die Herrschaft der Sclaverei zu kämpfen. Gleich nach seiner Ankunft in Amerika wandte sich Hecker dem Westen zu. Er ließ sich nieder soweit als möglich von den Gestaden des atlantischen Meeres, ohne in das Gebiet der Sclaverei eintreten zu müssen. An der Grenze des Sclavenstaates Missouri, doch im freien Staate Illinois, in der Grafschaft Saint Clair, zu Lebanon, erwarb er einen ansehnlichen Grundbesitz, mit dessen Anbau er sich beschäftigte.

Die Arbeiten eines Landmannes konnten indeß Hecker’s Herz nicht ausfüllen. Wohl hatte seine treue Gattin ihn über das Meer begleitet und stand ihm hülfreich zur Seite; eine zahlreiche Kinderschaar belebte das Hauswesen des deutschen Freiheitskämpfers. An Arbeit fehlte es ihm nicht inmitten einer so landreichen, aber menschenarmen Gegend. Alles Dies aber genügte einem Hecker nicht. So oft es galt, verließ er Haus und Hof, Frau und Kinder und kämpfte für die Freiheit.

Nach achtjähriger Trennung trafen wir im Herbste 1856 wieder zusammen. In dem größten Saale der Stadt New-York, in der Musikakademie, hielten die Deutschen eine Versammlung zu Gunsten der Erwählung Fremont’s. Damals galt es, in friedlicher Weise am Stimmkasten den Uebergriffen der südlichen Sclavenhalter entgegenzutreten. Fremont wurde als Bannerträger der Freiheit hochgepriesen, nachdem er zuvor den Pfad über die Felsengebirge nach der Südsee gefunden und sich dadurch den Namen des Pfadfinders erworben hatte. Allein Fremont trug nicht den Sieg davon. Buchanan wurde gewählt. Unter seiner Verwaltung konnten die Südländer den Krieg ungestört vorbereiten, der nun schon im vierten Jahre die Union zerfleischt. Ob, falls Fremont auf den Präsidentenstuhl erhoben, der Kampf mit dem Süden vermieden worden wäre, ist ungewiß. Die Stellung, welche Fremont in neuester Zeit eingenommen hat, begründet mannigfaltige Zweifel über dessen Charakterfestigkeit. Dem sei wie ihm wolle, im Jahre 1856 schaarten sich um ihn alle freiheitlichen Elemente der Vereinigten Staaten Nordamerikas.

Die Versammlung der Deutschen in der Musikakademie zu New-York hatte einen glänzenden Erfolg. Sie trug viel dazu bei, die Deutschen nicht blos in New-York, sondern auch in allen übrigen Staaten der Union über den wirklichen Stand der politischen Streitfragen aufzuklären und festzustellen, daß mit sehr wenigen Ausnahmen alle diejenigen Deutschen, welche in Europa Absolutismus und Junkerthum bekämpft hatten, den Sclavenhaltern Amerikas in geschlossenen Reihen gegenüberstanden.

Während Hecker auf seiner Rundreise durch die Vereinigten Staaten begriffen war, empfing er die Nachricht, daß sein Wohnhaus, in welchem er seine Familie zurückgelassen hatte, ein Raub der Flammen geworden sei. Das hielt ihn aber nicht ab, seine Reise fortzusetzen. Von New-York begab er sich nach Philadelphia, woselbst er wiederum viel dazu beitrug, die Deutschen um das Banner der Freiheit zu schaaren und zum Kampfe gegen die Sclaverei und deren Förderer zu ermuthigen. So schwer der Schlag auch war, welcher alle Männer der Freiheit durch die Wahl Buchanan’s traf, so wurde diese doch unweigerlich anerkannt. Buchanan ergriff zur bestimmten Zeit das Steuerruder der Union, führte dasselbe aber nicht zum Besten der Freiheit, sondern im Interesse der Sclaverei. Der Norden, weit entfernt sich dadurch entmuthigen zu lassen, setzte den südlichen Sclavenhaltern und den mit diesen verbündeten Regierungsbeamten einen um desto kräftigeren Widerstand entgegen. An den Wahlen des Jahres 1860 nahm Friedrich Hecker wiederum zu Gunsten der Freiheit Theil. Dieses Mal trug Abraham Lincoln, der Candidat der Freiheitlichen, der sogenannten republikanischen Partei, den Sieg davon. Der Süden folgte nicht dem Beispiele, das ihm der Norden vier Jahre früher gegeben hatte. Weit entfernt, die verfassungsmäßige Wahl Abraham Lincoln’s anzuerkennen, griff er zu den Waffen. So entzündete sich jener furchtbare Bürgerkrieg, welcher, ungeachtet aller Fortschritte der nördlichen Waffen, doch zur Zeit (Anfangs 1865) noch nicht vollständig beendigt werden konnte.

Wie in Europa, so auch in Amerika, begnügte sich Hecker nicht damit, für die Freiheit zu sprechen. Im entscheidenden Augenblicke zog er im Westen des Oceans, wie zuvor im Osten desselben, das Schwert für die Sache der Freiheit. Gleich beim Beginn des Bürgerkrieges wurde er von einem Regimente des Staates Illinois, dessen Bürger er geworden war, zum Obersten erwählt. Er erlebte jedoch wenig Freude in demselben und sah sich veranlaßt, sein Commando niederzulegen. Kurz darauf wurde er aber von einem anderen Regimente desselben Staates, dem zweiundachtzigsten, zum Obersten erwählt und nahm die Stelle an. Es war am 26. November 1862, als ich ihn zu Fairfax in Virginien, unweit Washington, an der Spitze seines Regimentes wiedersah. Außer uns Beiden befand sich auch Franz Sigel in Fairfax. Wie sehr hatten sich unsere Verhältnisse seit den Tagen verändert, als wir im April im badischen Oberlande die Fahne der Freiheit entfaltet hatten! Franz Sigel war General-Major der Vereinigten Staaten geworden und befehligte ein ganzes Armeecorps. In Europa waren wir im Kampfe mit den bestehenden Gewalten gewesen, in Amerika standen wir auf der Seite der verfassungsmäßigen Behörden. Da und dort war und blieb aber die Freiheit das Ziel, nach welchem wir strebten. Ich hatte damals den Entschluß gefaßt, nach Europa zurückzukehren. Wir trennten uns mit den Worten, die ich dem Freunde Hecker zurief „Auf Wiedersehen im alten Vaterlande!“

Im Frühjahre 1863 nahm Friedrich Hecker Theil an der blutigen Schlacht von Chancellorsville, in welcher er schwer verwundet wurde. Aus dem Brief, den er mir, während er noch darniederlag, von seinem Krankenbette aus schrieb, theile ich folgende Stelle mit:

„Da das zweiundachtzigste Regiment erhöht stand, so konnte ich Alles übersehen. Meine Leute standen wie Felsen und feuerten unablässig, obwohl wir in einem furchtbaren Hagelsturm von Spitzkugeln, Granaten, Vollkugeln, Caseshots und Spitzgeschossen gezogener Kanonen standen. Ich ritt beständig unter den Leuten hin und her, und obgleich mein Rock wie ein Sieb durchlöchert ist, blieb ich unberührt. Nun wollte ich mit dem Bajonnete vorstürmen, um, wenn auch mit furchtbaren Opfern, den Feind aufzuhalten, nahm die Fahne auf’s Pferd und rief: ‚Hurrah, Charge Bajonnet!‘ Die Leute standen, ich rief ihnen zu, ihre Fahne und ihren alten Oberst nicht im Stiche zu lassen. Sie standen und feuerten, aber zum Bajonnet-Angriff waren sie nicht zu bewegen, und eigentlich hatten sie Recht. Was ich an Feinden schätzte, die auf uns anstürmten, so waren es über fünfundzwanzigtausend Mann. Soldaten sind diese Rebellen, sie kamen wie Bienenschwärme rücksichtslos für ihr Leben (in ihren Cantinen fand man Whiskey und Pulver). Ihre Artillerie handhabten sie prächtig. Kaum bemerkten sie den Widerstand, den mein und das einhundertsiebenundfünfzigste New-Yorker Regiment leisteten, so fuhren sie gegenüber zwei Batterieen auf und spieen einen höchst unanständigen Hagel von Projectilen auf uns.

Als ich nun die Fahne dem Fähndrich ausgehändigt und vom linken nach dem rechten Flügel die Leute ermunternd ritt, erhielt ich plötzlich einen Schuß durch den linken Oberschenkel dicht am Leibe, die hörnerne Dose, die ich in der Hosentasche trug, rettete mein Leben, so daß ich jetzt nur ein Loch, drei Finger hineinzulegen, quer durch den Schenkel habe. Der Schenkelhalsknochen ist gestreift, die große Schenkelader bloß gelegt. Hinken [58] werde ich wohl mein Leben lang, allein zu Pferde sieht man das nicht, und in wenig Wochen will ich den Rebellen meine Schmerzen blutig heimzahlen.

Als ich geschossen war, hatte ich natürlich keinen Halt mehr, und das kurz nachher sich bäumende Pferd warf mich ab. Ich reichte dem Major mein Schwert und bat ihn, das Commando zu übernehmen und mich meinem Schicksal zu überlassen. Fünf Minuten nachher war auch er vom Pferde geschossen, einhundertfünfzig Mann von meinem vierhundertfünfzig Streiter zählenden Regimente deckten die Wahlstatt, und nun wankte auch dies tapfere Regiment und zog sich in guter Ordnung zurück und nach ihm die Buschbeck’sche Brigade, die hinter ihm und von ihm gedeckt lag. Schurz und Schimmelpfennig thaten ihr Möglichstes, die Truppen zu ralliiren.[WS 1] Zehn Schritte hinter Schurz wurde Dessauer erschossen, sein Adjutant v. Scille neben ihm verwundet. Kein Corps der Welt von so geringer Zahl und solcher Aufstellung hätte den Feind aufhalten können. Der beste Beweis ist, daß Hooker seine Artillerie, vierzig Stück, auffahren und seine ganze disponible Macht entfalten mußte, um den von mehrstündigem Hetzen und Laufen doch erschöpften Feind zum Stehen zu bringen, und da mußte er schließlich doch noch drei Viertel Meilen auf Chancellorsville zurückfallen. Was er mit dieser Masse nicht vermochte, muthet man einem durch sein und Howard’s Verschulden überrumpelten schwachen Corps zu. Ich bin unparteiisch. Mir hat Niemand nachgesagt, noch nachsagen können, daß ich nicht Stand gehalten.

Nun zu meiner Rettung. Als ich schwer blutend am Boden lag und sah, daß das Regiment wankte, rief ich den Leuten zu, sich nichts um mich zu kümmern, und als später Lieutenant Bechstein und sechs Mann mich forttragen wollten und ich sah, daß dies nur den Rückzug beeinträchtige, befahl ich ihnen, mich meinem Schicksal zu überlassen. Da lag ich nun zwischen dem anstürmenden Feinde und der retirirenden Division. Der Gedanke, gefangen zu werden, war mir peinlich, und so schleppte ich mich auf Händen und Füßen zu den Feldverschanzungen der Buschbeck’schen Brigade. Schon hatte man auf mich angeschlagen, als die Burschen mich erkannten, ich wurde über die Brustwehr gezogen und lag droben, bis auch diese wichen; so kroch ich zwischen zwei Feuern weiter bis zum Waldrande, wo das letzte Regiment der Busckbeck’schen Brigade und zwar Oberstlieutenant Cantador mich gewahrte und mitleidig ausrief: ‚O, Oberst Hecker!‘ Seine Leute schleppten mich eine Strecke, bis ich sah, daß dadurch das Regiment in Unordnung käme, und ihnen befahl, mich meinem Geschicke zu überlassen. Das geschah und ich schleppte mich zehn bis zwölf Schritte weiter. Da stand ein Pferd gesattelt mit zerschossenem Zaum, blutend aus drei Wunden, am Wege, das Auge ausgeschossen, ein Streifschuß am Knie, eine Fleischwunde im Backen. Darauf hoben mich einige Nachzügler, und das arme Thier, auf dem ich nicht saß, sondern hing, trollte, so gut es konnte, vorwärts. Ein Adjutant des Generals Slocum, der mich in der Jammersituation fand, nahm mich mit sich und brachte mich in der Nacht in’s Feldlazareth, wo ich verbunden wurde. Kaum lag ich da, so kam unser Brigadewagon mit Ambulancen der dritten Division an, in welche ich gelegt wurde, um in der Ambulance die ganze furchtbare Sonntagsschlacht mit zu machen. Zuerst nach Falmouth, dann Acquia-Creek, dann Washington verbracht, befinde ich mich nun unter der treuen Pflege meines Schwagers und meiner Schwester.

Die Schlacht war furchtbar. Du kannst Dir von dem Geschoßhagel und dem Getöse der Feuerwaffen keinen Begriff machen. Auf zehn Schritte verstand Einer den Andern nicht. Bei Chancellorsville mähten Hooker’s Batterien die Rebellen zu Hunderten. Ich schätze den beiderseitigen Verlust an Verwundeten, Todten und Vermißten auf mehr als vierzigtausend Mann. Es war offenbar die blutigste Schlacht dieses Krieges. Ich freue mich, daß ich nicht verkrüppelt werde und wieder mit kann und für die Schmerzen von den Canaillen so viel wie möglich zur Hölle zu senden vermag.

Nun bist Du so ziemlich au fait. Da Du noch nicht fortgehst, so können wir, wenn ich Dich nicht persönlich sehen sollte, uns noch schreiben.

Lebe wohl, mein lieber alter Freund. Es grüßt Dich herzlich

               Dein

Hecker.“

Kaum war Friedrich Hecker von seiner Wunde nothdürftig geheilt, so kehrte er wiederum zu seinem Regimente zurück, nahm mit demselben Theil an der siegreichen Schlacht von Gettysburg und wurde dann nach dem Westen geschickt, woselbst er unter General Grant die Schlachten in der Nähe der blutgetränkten Gegenden von Chattanooga und Chicamauga mitschlug. Auch über diese Kämpfe schrieb mir Hecker einen höchst interessanten Brief, welchen ich hier wörtlich mittheile:

„Lookout-Valley, Tennessee, 21. December 1863.

               Mein lieber Freund!

Nach fünfundzwanzigtägigem Fechten und Marschiren sitze ich wieder in meinem Zelte auf einer Waldhöhe des Raccoon-Gebirges, mir gegenüber die alte Felsenburg der Cherokee’s, der weit hinaus in’s Land schauende Lookout-Berg, an dessen Fuß der Tennessee-Fluß mit vielfachen Krümmungen sich hinwindet und dem der Lookout und Chattanooga-Bach in rascher Strömung zumünden. In der Ferne Berg an Berg bis weit hinein nach Nordcarolina, und dort in der Ebene liegt Chattanooga mit seinen Zeltlagern und Forts. Sonderbare Gebirgsformationen, senkrechte Felswände erheben sich aller Orten, nahe am Gipfel, der in einem Hochplateau endet, mit fruchtbarer Erde bedeckt, von Quellen berieselt und mit Farmen bedeckt. Ich hätte nie geglaubt, daß Amerika so wundervolle Scenerien aufzuweisen habe, wie ich sie in Maryland, Virginien, Kentucky, Tennessee, Alabama und Georgia sah. Zwischen dem vierunddreißigsten und fünfundddreißigsten Breitengrade ist es aber recht winterlich, und ich habe mehr gefroren im sonnigen Süden, als in Illinois. Wenn man sich sagt, was aus diesem schönen Lande hätte werden können, falls die freie weiße Arbeit es befruchtet hätte, erkennt man erst den ganzen Fluch der Sclaverei, die nun, Gott Lob! in den letzten Zügen liegt. Ich weiß nicht, ob Du meinen Brief erhalten[1] worin ich Dir meldete, wie ich mit noch offener Wunde dorthin eilte, wo ich durch tägliches Aneifern meiner Leute und Verfolgung der Bewegungen der Armeen einen neuen Schlachttag eroberte, indem ich noch am letzten Schlachttag richtig bei Gettysburg eintraf, wo wir die Rebellen furchtbar schlugen, den Feind durch Südpennsylvanien und Maryland nach Virginien hinein verfolgten und am 25. September Marschordre hierher erhielten, in der hellen Mondnacht, 28. bis 29. Oktober, bei Wahatchie kämpften, die feindlichen Positionen auf den Hügeln mit dem Bajonnet erstürmten; wie meine Brigade von zwölf bis fünf Uhr von den Höhen des Lookout mit den weittragenden Parrots beschossen wurde und nach Anlegung einiger Feldbefestigungen kurze Rast in den Berglagern hatte, um die glorreiche Schlacht bei Chattanooga zu schlagen.

Meine Brigade besteht aus Dir theilweise bekannten Regimentern, dem fünfundsiebzigsten pennsylvanischen, dessen Oberst Mahler, früher Officier in Baden, bei Gettysburg fiel; dem achtundsechszigsten New-Yorker, seit der Entlassung Bourry’s von Steinhausen commandirt; meinem Regimente, dem zweiundachtzigsten Illinois, und dem achtzigsten Illinois. Es ist mir zugesagt, daß ich acht Regimenter zugetheilt erhalten soll. Die Schlacht bei Chattanooga war, was Plan und Manövriren anbelangt, ein Meisterstück Grant’s. Eine süperbe Aktion!“ Um nicht zu sehr in Einzelheiten der im Allgemeinen schon bekannten Schlacht einzugehen, überspringe ich hier eine Stelle in Hecker’s Brief, der dann fortfährt: „Hier fiel mancher unserer Braven. Darunter auch Fritz Keßler, Sohn meines alten Weinheimer Wahlmannes, und im Hospital zu Chicamauga fand ich in einem Zimmer Oberst Mongelin mit einem Arm, Capitain Kiefner mit einem Arm und einem Bein, Capitain Malter mit einem Bein und Friz Ledergerber mit zerschossenem Fuße, lauter liebe Freunde aus Belleville und Lebanon. Mit noch einer Brigade beordert, Longstreet’s Vereinigung mit Bragg unmöglich zu machen, wurde ich befehligt, nach der Cleveland-Dalton-Eisenbahn zu rücken und sie zu zerstören, was complet gelang, und die helle Lohe der brennenden, aufgehäuften Schwellen, Brücken und Gebäude leuchtete zum Rückmarsche und nun ging’s in Eilmärschen über Cleveland, Athen, Laudon gegen Knoxville, dem hartbedrängten Burnside zu Hülfe. Ein wahres Hasentreiben! Kaum hatten unsere Kanonen angefangen zu brummen, so riß auch der Feind aus. Wir ließen ihm nicht Zeit, die Brücke über den Hiwasee vollständig zu zerstören, warfen rasch Mannschaften in Kähne und in ein gebrechliches Flachboot und nahmen Eisenbahnwagen mit dem von uns lange entbehrten Mehle, während die Locomotive mit dem anderen Theile des Zuges entsauste.

Schnell hatten wir die theilweise zerstörte Brücke hergestellt; [59] vorwärts in Eilmarsch, und so rasch war unser Anrücken, daß die Rebellen in Landon dreiundsechszig Eisenbahnwagen und zwei Locomotiven, erstere mit Munition, Waffen, Kleidern, Vorräthen aller Art beladen, in den Tennesseefluß jagten, und doch fiel Mehl, Reis, Zwieback, Waffen etc. in Massen in unsere Hände. Ich wurde beordert, über den Fluß zu setzen, wie ich könne, und nahm auf zwei schnell zurecht gemachten Flachbooten mein Regiment hinüber. Hierauf ging’s nach den Forts, nur zwei Reiter konnten wir von den Pferden schießen und vier im Stich gelassene Kanonen, eine prächtige gezogene, ein Sechspfünder und zwei Zwölfpfünder, nebst einer schönen Schlachtfahne fielen in unsere Hände. Dann ging es nach Knoxville über den kleinen Tennessee auf einer Brücke, welche vermittelst eines in’s Wasser gestellten Wagens gebaut wurde. Neun Meilen von Knoxville erfuhren wir, daß der brave Burnside mit seiner auf schmale Rationen gesetzten Mannschaft den ihn belagernden Feind geschlagen, sechstausend Gefangene gemacht, den bei unserer Annäherung ausreißenden Rebellen gefolgt sei, sie nochmals geschlagen habe und daß der Rebellengeneral Longstreet verwundet worden sei. Knoxville war entsetzt, die hartgeprüften Unionsleute von Tennessee, gegen welche die Rebellen barbarisch, blutig und grausam gehaust hatten, frei, unsere Aufgabe gelöst.

Gegen Chattanooga war die Losung. Mittlerweile hatte der Feind die Brücke über den Hiwasee verbrannt und ich wurde beordert, mit meiner Brigade rasch vorzurücken und Charleston (Tennessee) zu besetzen. Ich stellte die theilweise verbrannte Brücke in zwei Tagen, die Nacht durch arbeitend, wieder her, auf schnell zurecht gemachten Booten, nachdem ich die Brigade vorher über den Fluß gesetzt hatte. Es ist wirklich erhebend, zu denken, wie meine durch den Feldzug abgerissenen, theilweise buchstäblich barfußen Leute, durch Frost, Schlamm, Bäche, über Felsgrund und Morast marschirend, nothdürftig mit während des Marsches zusammenfouragirtem Proviant versehen, durch Regen und Wind, ohne Zelt und Obdach, nur erquickt durch die Feuer der Bivouaks, heiter und guten Muthes, voll Kampfmuth und Eifer, ihre Waffen und Munition in Ehren haltend, alle die Strapazen ertrugen! Damit der Schluß das Werk kröne, marschirten wir die letzte Nacht bis ein Uhr im strömenden Regen, durchwateten zweiundzwanzig Gewässer und erwarteten bei den Gewehren den Tag, da der Regensturm so heftig war, daß es kaum möglich wurde, hier und dort im Schutze eines Baumes ein Feuer anzuzünden. Das war eine bittere Nacht, ehe wir den letzten Marsch antraten, um dem Fuße des Lookoutberges gegenüber unser jetziges Lager zu beziehen, wo wir auf Schuhe, Kleider, Zelte etc. warteten, um nach einer Winterrast die letzten Schlachten zu schlagen. Wäre ich nicht ein zähes Holz, ich wäre längst dahin, lag ich doch im heftigen Fieber, irre im Kopf, im strömenden Regen und bin nun frisch und munter und stark wie ein Dreißiger. Auch war Herr Reb(ell) diesmal so artig, mein Fell ungeschoren zu lassen und säuberlich daneben zu schießen.“

So weit Freund Hecker. Während des ganzen von ihm beschriebenen Feldzugs hatte er eine Brigade befehligt. Eine Division wurde ihm zugesagt. Diese Versprechung, welche dem tapfern Obersten gemacht worden war, wurde ihm aber nicht gehalten. Bei seinem regen Ehrgefühle empfand er dieses lebhaft und nahm seine Entlassung, welche ihm in den schmeichelhaftesten Ausdrücken unter Anerkennung der von ihm geleisteten trefflichen Dienste ertheilt wurde.

Seither lebte Friedrich Hecker wieder auf seinem Landgute zu Lebanon. Seine Liebe zu dem alten Vaterlande ist in Amerika nicht erkaltet. Deutschland kann auf ihn rechnen, wenn es seiner bedarf. Hecker hat jenseits des Oceans nichts von seinem Feuer und seiner Geistesfrische verloren. Auch äußerlich hat er sich nicht wesentlich verändert. Noch immer ist seine Gestalt hoch und schlank, seine Haltung gerade, sein Gang rasch und jugendlich. Sein Auge leuchtet, wie in den Tagen, da er es verstand, jede Gesellschaft zu beleben und auch die trockensten Menschen zu erheitern. Sein Haar ist reich, wie in früheren Jahren, obschon sich einiges Weiß in das Blond desselben gemischt hat. Seine Stimme klingt noch immer voll und kräftig. Sein Commando drang oft durch den Donner der Kanonen und das Geknatter der Flinten, und seine Worte der Ermunterung hauchten weithin neue Kraft in die Seelen seiner Kampfgenossen.

Wie lange wirst Du warten, Deutschland, einen Deiner besten Söhne aus dem fernen Amerika zurückzuberufen?



  1. Nein! Leider ist mir dieser Brief nicht zugekommen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. wieder sammeln oder vereinigen