Frauen der französischen Revolution/3. Lucile Desmoulins

Textdaten
<<< >>>
Autor: Rudolf Gottschall
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Lucile Desmoulins
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 26–28
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Serie: Frauen der französischen Revolution
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[26]
Frauen der französischen Revolution.
Von Rudolf Gottschall.
3. Lucile Desmoulins.


Den Heldinnen der Revolution geschah ihr geschichtliches Recht, wenn sie als Opfer derselben fielen. Wir staunen über ihren Heroismus; doch unser Mitleid wenden wir jenen zarten Frauengestalten zu, die nur durch ihre Liebe zu den hervorragenden Männern jener Zeit in das Schicksal derselben mitverstrickt und einem tragischen Verhängniß preisgegeben wurden. Und unter diesen nimmt die schöne Lucile Desmoulins, die ihrem Gatten in den Tod folgte, die erste Stelle ein.

Es schwebt ein eigenthümlicher Reiz um diese Lucile; innige Empfindung, rührende Gattenliebe führten sie zum Schaffot, in der Blüthe ihrer Jugend und Anmuth. Wir glauben in ihr eine Gestalt zu sehen, welche dem deutschen Frauenideal mehr als irgend eine andere Frau der Revolutionszeit entspricht. In der That, in ihr war nichts von jener Wildheit stürmischer Naturen, nichts von dem Eifer, sich in die Fluth der Bewegung zu stürzen und eine Rolle zu spielen, nichts von der Abenteuerlust, die in der Auflösung aller Verhältnisse auf Romane ausgeht, nichts von dem Streben, in Rednertalenten und geistiger Bedeutung mit den Männern zu wetteifern; sie war eine echt weibliche Natur, empfänglich, aufnehmend, hingebend, nicht verschlossen gegen die Gedanken, welche die Welt bewegten, und doch ganz und leidenschaftlich der Liebe hingegeben. Gleichwohl war sie keines jener Veilchen oder Vergißmeinnicht, wie sie auf deutschen Fluren blühen, sie hatte etwas von jenen üppigen Prachtblumen, die in den Schloßgärten des ancien régime ihren Kelch erschließen, neben den springenden großen Wassern von Versailles oder den geflügelten Schäferspielen von Trianon. Seitdem uns viele ihrer Aufzeichnungen und Gedichte bekannt geworden sind, wissen wir, daß sie dem Glück der Liebe sich nicht mit deutscher Gemüthsinnigkeit hingab, sondern daß sie darüber philosophirte, als hätte sie den Plaudereien im Saal des oeil de boeuf gelauscht.

Lucile Desmoulins war 1771 geboren, als die Tochter einer wegen ihrer Schönheit gefeierten Mutter, der Madame Duplessis, die noch im Alter eine so edle und imponirende Haltung hatte, daß ihre Söhne sie Mama Melpomene nannten. Ihr Gatte war ein Finanzbeamter, und das Gerücht ging, daß sie mit dem Abbé Terray, dem Exminister der Finanzen, ein intimes Verhältniß gehabt habe, und daß die anmuthige Lucile die Frucht desselben gewesen sei. Diesem Gerücht trat sie selbst sowohl wie Camille stets mit Entschiedenheit entgegen.

Lucile erhielt eine sehr gute Erziehung und zeichnete sich schon als Kind durch ihre musikalischen Talente aus. Eines Abends, als sie mit ihrer Mutter, wie sie oft zu thun pflegte, im Garten des Luxembourg spazieren ging, schloß sich ein junger Mann von etwas vernachlässigtem Aeußeren an sie an, den vor allem die Schönheit der Mutter angezogen hatte. Man fand Gefallen an seinem Gespräche, da er mit Wärme und Geist sich auszudrücken verstand; es war der Student der Rechte Camille Desmoulins, der nicht lange darauf das Examen als baccalaureus juris bestand. Trotz seines Stotterns, eines Fehlers, den er nie abgelegt hat, und der auch, wo er später als Volksredner auftrat, seine sonstige Rednergabe beeinträchtigte, erschien Camille als ein liebenswürdiger Gesellschafter, der bald im Hause der Madame Duplessis Zutritt fand. Allmählich entwickelten sich die Reize der jungen Lucile, und in jener Lage, welche Horaz wie Heine so graziös geschildert haben, in jenem Schwanken zwischen „den genialen Augen, die unsere Zärtlichkeit verstehen“, und den „rührend unerfahrenen Gliedern“, zwischen der schönen Mutter und der schöneren Tochter trug die Neigung zu der Letzteren allmählich den Sieg davon. Sie wurde erwidert von dem begabten Mädchen, indem die Freundschaft zu dem Jüngling, der so geistreich zu reden verstand, allmählich in Liebe überging. Camille war nichts weniger als schön, Lucile eine imponirende Schönheit von hohem Wuchse, schlank und anmuthig; doch auf Frauen wirkt mehr der Geist, als die Schönheit der Männer, und Camille hatte jenen funkelnden Geist, der so bestechlich und verführerisch auftritt, jenen beweglichen, schlagfertigen Esprit des Journalisten, dem er auch seine Erfolge in der Revolution verdankte, und dabei jenen Schwung des Champagnerrausches, mit welchem er auf dem Tische des Palais-Royal den ersten Sturm der revolutionären Bewegung anfachte. Konnte ein selbst begabtes und empfängliches Mädchen so blendenden Verlockungen widerstehen? Kam doch die Liebe über sie, wie ein Rausch, wie eine Art von Hellseherei, die ihre Seele mit Visionen erfüllte und in traumhaft beleuchtete Himmelsgefilde entführte.

In einer ihrer Aufzeichnungen schildert sie uns einen solchen Augenblick visionärer Erregtheit, in welchem das Gefühl ungekannter höchster Ekstase ihre Seele erfüllte. Vor einem Ungewitter war sie aus dem Garten in das Haus geflohen; tiefste Finsterniß herrscht; die Blitze zucken draußen unaufhörlich, und so schwüler Beängstigung wollte sie entfliehen, indem sie auf ihrem Clavier heitere Melodieen griff. Doch vergebens! Wider ihren Willen schlugen ihre Finger klagende Töne an, welche der rollende Donner übertönte. Einer sanften Melancholie hingegeben, schlief sie mit den Fingern auf den Tasten ein. Viele und köstliche Träume entzückten ihre Seele. „Ich träumte, daß ich zu meinen Füßen einen Regen von Blumen sah, daß sich eine Wolke bildete und mich emportrug: ich schwebte höher, immer höher, so daß meine Phantasie kaum diesem Fluge folgen konnte. Wie glücklich fühlte ich mich im Schooße dieser Wolke! O, welches Entzücken! Ich sah die Wohnung des Ewigen! Ich sah dort nichts von alledem, wovon die Offenbarungen sprechen, weder Gold noch Rubinen noch Diamanten, nichts von dem, was der Mensch auf Erden wünscht und eines Tages im Himmel zu finden hofft. Ich erblickte einen Spiegel (ich gebe diesen Namen dem, was ich sah), der von himmelblauer Farbe war; er stellte Dinge dar, die ich nicht bezeichnen kann, weil sie von Allem, was man auf Erden sieht, gänzlich verschieden sind; dennoch war ich glücklich in der Betrachtung dessen, was meinem Auge sich darbot. Ich näherte mich diesem Spiegel; ich berührte ihn und hatte dabei ein gänzlich fremdes Gefühl; mir schien's, als ob meine Seele sich von mir trennen wollte. O, entzückender Augenblick, wie kurz war deine Dauer! Statt in eine Wolke gehüllt, fand ich mich mit dem Kopfe auf das Piano geneigt, und draußen dauerten Donner und Blitze fort.“

Lucile Desmoulins hatte Talent zu einer Somnambulen. Diese Vision, in welcher sich einem jungfräulichen Gemüthe die Entzückungen eines ungekannten höchsten Glückes offenbarten, fand im Juli 1788 statt; im December 1790 wurde sie die Gattin Camille’s. Dazwischen lag eine Zeit, in welcher der Letztere sich ihre Hand dadurch erobern mußte, daß er nach angesehener Stellung und nach anerkanntem Ruhme strebte, denn Lucile war eine der reichsten Erbinnen in Paris; Duplessis besaß zwanzigtausend Livres Renten, und einem obscuren Advocaten sollte die Hand einer so glänzenden Erbtochter nicht zu Theil werden. Erst als Desmoulins unter den Agitatoren und Journalisten der Zeit sich einen hervorragenden Namen erworben hatte, gaben die Eltern ihre Zustimmung zur Verheirathung ihrer Tochter mit ihm. Unter den Trauzeugen befanden sich Péthion, Brissot und – Robespierre. Er war der unheimliche Schatten ihrer blutigen Zukunft, dieser Advocat von Arras, der als Camille’s Schulgenosse und Jugendfreund den rührenden Worten lauschte, mit denen in der Kirche von Saint Sulpice der von Camille hochverehrte Béovadier den Ehebund der Liebenden weihte.

Und dieser Tag sollte verhängnißvoll für Camille werden. Seine reiche „Ehe“ wurde ihm, als er später in die Wege der Mäßigung einlenken wollte, zum Verbrechen gestempelt, das ihm die Sansculotten nicht vergaben, sobald sie das Heft in den Händen hatten.

Zunächst stürzte sich das junge Ehepaar muthig in die Stürme der Revolution. Lucile schwärmte für die Freiheit; sie selbst hatte eine Art von Hirtengedicht verfaßt: „Der Vogelkäfig“, in welchem sie eine Schäferin Chloë schildert, die außer sich darüber ist, daß alle Vögelchen, die sie so treu gepflegt, einen günstigen Augenblick in ihrer Abwesenheit benutzt haben, um aus dem Käfig zu entfliehen. Eine ältere Freundin räth ihr, sich zu [27] trösten; was ihnen bei aller Pflege, bei allen Liebkosungen gefehlt habe, es sei die Freiheit gewesen, das höchste aller Güter, für das man selbst seine Wohlthäterin vergißt und ein Recht hat, sie zu vergessen.

Bei solcher Gesinnung darf man sich nicht wundern, daß Lucile eifrigen Antheil an den journalistischen Arbeiten Camille’s nahm. Kaum hatte dieser eine Nummer seines Blattes vollendet, als Lucile sich dieselbe zur Lectüre geben ließ und bei einzelnen Stellen über die Einfälle und Witze ihres Gatten in ein herzliches Gelächter ausbrach, welches für den Autor eine wohlthuende Ermuthigung war. Der Herzog von Orleans und andere namhafte Persönlichkeiten der Revolution besuchten die Salons von Camille. Lange Zeit hindurch schmückte dieselben das Bild von Lafayette, der von Lucile wie von den meisten Frauen der damaligen Zeit als Vorkämpfer der amerikanischen Freiheit verehrt wurde, bis auch ihn die Demokratie ächtete. Im Sommer bewohnte das junge Ehepaar oft ein reizendes Landhaus der Madame Duplessis in Bourg-la-Reine, wo sie sich in harmlosen idyllischen Vergnügungen ergingen. Theilnehmer derselben war Fréron, Camille’s Freund und ein leidenschaftlicher Verehrer der schönen Lucile, dessen Freundschaftsversicherungen, wie sie uns in seinen Briefen erhalten sind, Liebeserklärungen zum Verwechseln ähnlich sehen.

Lucile führte ein Tagebuch, welches lebhafte Schilderungen jener Zeit enthält und dessen einzelne Blätter nicht unwichtige Beiträge zur Charakteristik derselben sind. Wir sehen, in welcher furchtbaren Aufregung sich oft die Frauen jener Männer befanden, welche die revolutionären Stürme entfesselten; so besonders an dem verhängnißvollen Tage des zehnten August. „Was wird aus uns, armer Camille,“ ruft sie aus, „Geliebter meiner Seele! Ich wage kaum Athem zu holen. Mein Gott, warum schützest Du nicht die Männer, die Deiner würdig sind? Wir wollen frei sein; doch wie viel Opfer kostet dies, mein Gott!“ Lucile war am Abend des zehnten August im Hause Danton’s; da weinte die Mutter des wilden Volksmannes in unsäglicher Traurigkeit. Waffenlärm ertönte auf den Straßen; Camille erschien, ein Gewehr in der Hand. Mit beiden Händen bedeckte er Lucile’s Haupt und weinte heiße Thränen. Fréron erklärte, daß er lebensmüde sei und bereit zu sterben. Bewaffnete kamen und gingen. Lucile verbarg sich im dunkeln Salon, um die Vorbereitungen zum Kampfe nicht mitanzusehen. Danton, Camille hatten das Haus verlassen. Da ertönte die Sturmglocke der Cordeliers. Allein, in Thränen gebadet, am Fenster niederkniend hörte Lucile das verhängnißvolle Geläute. Endlich kam Danton zurück. Boten kamen und gingen; gute und schlimme Nachrichten wechselten. Sie vernahm, daß man den Plan hatte, gegen die Tuilerien zu rücken. Auch Camille kehrte heim und schlief ermüdet auf Lucile's Schultern ein. Abermals gingen die Männer des zehnten August an ihr blutiges Werk. Madame Danton schien auf den Tod ihres Mannes gefaßt zu sein; der Donner der Geschütze ertönte gegen Morgen; sie hört es, erblaßt und sinkt in Ohnmacht. Auf den Straßen Geschrei und Geschluchze; die Frauen glaubten, daß ganz Paris mit Blut überschwemmt sein werde. Bald erfuhren sie, daß die Revolution gesiegt habe, aber in grausamer Weise, daß die Schweizer blutig hingemordet seien, und der heimkehrende Camille erzählte, daß der Erste, den er fallen gesehen, der Journalist Suleau gewesen sei.

Am 12. August war Danton Justizminister, und Camille Desmoulins bekleidete eine der höchsten Stellen, welche juristischer Laufbahn zugänglich sind, die Stelle eines Generalsecretärs; dann wurde er auch in den Nationalconvent gewählt. Er unterstützte Robespierre im Kampfe gegen die Gironde, doch beklagte er die Hinrichtung der talentvollen Volksvertreter. Allmählich trat er gegen die gesteigerte Schreckensherrschaft in Opposition; er geißelte sie in seinem vieux Cordelier mit der einschneidenden Satire eines Tacitus, mit all’ dem glänzenden Witze und Sarkasmus, der seinem Talente eigen war. Er wurde bei den Jakobinern angeklagt; Robespierre vertheidigte ihn anfangs und gab ihn dann auf, als Camille ein geflügeltes Bonmot gegen den Gewaltigen nicht hatte unterdrücken können. Mit dem mächtigen, aber lässigen Danton sah sich Camille auf einmal bei Seite gedrängt; Beide lebten in glücklichen Verhältnissen, an der Seite anmuthiger und geliebter Frauen, im Schooße des Reichthums; die Blutarbeit der Revolution, die sich überstürzende Bewegung begann ihnen unbequem zu werden. Damit wurden sie verdächtig, und ihr Todesurtheil war gesprochen.

Lucile erkannte die drohende Gefahr; bald nach jener Scene im Jakobinerclub, nach der Anklage Robespierre’s gegen Camille, schrieb sie an ihren Freund Fréron einen hülfeflehenden Brief, der die rührend schönen Worte enthält: „Sie klagen Camille an, daß er ein reiches Weib geheirathet hat. O, möchten sie doch nie von mir sprechen, möchten sie vergessen, daß ich in der Welt bin, möchten sie mich in der Einsamkeit einer Wüste leben lassen! Nichts verlange ich sonst von ihnen; Alles, was ich besitze, will ich ihnen geben, wenn ich nur nicht dieselbe Luft mit ihnen zu athmen brauche. O, könnte ich sie vergessen und alles Weh, das sie uns zufügen. … Meine Augen sind mit Thränen gebadet; im tiefsten Grunde meines Herzens verschließe ich den bittern Schmerz, der mich zu Boden drückt; ich zeige Camille eine heitere Stirn und heuchle muthigen Sinn, damit dieser ihm nicht fehle.“

Fréron, der in Toulon damit beschäftigt war, die blutigen Befehle des Convents zu vollstrecken, antwortete nicht ohne Besorgnisse, aber dabei im Tone so liebkosender Tändeleien, daß man die verkleideten Schäfer des ancien régime in Trianon glaubt sprechen zu hören und um die Treue der schönen Lucile gegen ihren Gatten bange wird. Wunderbare Contraste jener Zeit! Der Nipptisch mit seinen Tändeleien stand dicht neben der Guillotine mit ihren Schrecken. Freilich, Fréron wurde nicht lange darauf der Anführer jener goldenen Jugend, die sich in den Salons der Madame Tallien drängte, und Lucile Desmoulins hat Verse hinterlassen, in denen sie, wetteifernd mit Ovid, die Kunst der Liebe, ihre anmuthigen Steigerungen und alle Feinheiten des Genusses besingt. Die ahnungsvollen Befürchtungen Lucile's sollten sich bald bestätigen. Camille hatte einen gefährlichen Feind in dem jungen Schreckensmanne Saint-Just, den er mit schonungslosem Witze beleidigt hatte. Saint-Just war, ehe er in der Revolution seine furchtbare Rolle spielte, mit der wandernden Guillotine hinter den Heeren einherzog und die Generale im Zaume hielt, als Dichter mit einem ziemlich frivolen Gedicht „Orgaut“ aufgetreten. Camille hatte erklärt, dieses Gedicht mit seinen vierundzwanzig Gesängen sei dem Mikroskope der Literarhistoriker entgangen, welche sonst die kleinsten Insecten der Literatur entdeckt hätten; er sagte ferner, Saint-Just trüge sein Haupt so würdig auf den Schultern, als trüge er das heilige Sacrament, worauf der kühne Genosse Robespierre’s entgegnete, er werde dafür sorgen, daß Camille das seinige wie Sanct Dionysius unter dem Arme trage. Der verunglückte Schriftsteller Saint-Just rächte sich an seinem hämischen Kritiker Camille. Literarische Gehässigkeiten spielen eine größere Rolle in der Revolution, als man in der Regel glaubt; man antwortete damals nicht mit einer Gegenkritik, sondern mit dem Fallbeile.

Saint-Just klagte Camille im Convent des Verrathes an; in der Nacht vom zum 30. zum 31. März wurde dieser aus den Armen seiner geliebten Lucile gerissen und in das Gefängniß geworfen. Von hier schrieb er Briefe aus zerknirschtem Herzen; der Gedanke an seine Frau machte ihm das Leben werth; seine Lucile, seine Seele, sein Leben, seine Gottheit auf Erben fesselte ihn wie mit magischer Gewalt. Er weinte im Gedanken an sie, als ihm das Todesurtheil verkündet wurde; er tobte vor Wuth gegen Robespierre noch auf dem Leichenkarren und zerriß seine Kleider. Er war ein beweglicher Kopf, ein glänzender Geist, aber ohne nachhaltige Kraft, ohne Ausdauer im Leiden, ohne Größe des Charakters und Heldenmuth.

Ganz anders Lucile: ihre Seele wuchs mit ihrem Unglück. Die kokette Schönheit des ancien régime wurde eine Heldin. Wir haben sie oft genug weinen gesehen; sie erzählt es uns ja selbst; doch sie weinte im Stillen. In Gesellschaft war sie die immer lächelnde Grazie, eine reizende Lachtaube, die Alles mit ihrer Heiterkeit ansteckte. Jetzt irrte sie mit ihrem kleinen Horaz um die Gefängnißmauern, um nur noch einmal den Gatten zu sehen; sie schrieb einen Brief an Robespierre, unter energischer Berufung auf die frühere Freundschaft; doch der Brief wurde nicht vollendet, nicht abgeschickt. Aehnlich erging es dem Briefe, den Madame Roland an den Gewalthaber geschrieben hatte. Doch Lucile wollte auch handeln; in Gemeinschaft mit dem befreundeten General Dillon sollte ein Aufstand in den Gefängnissen erregt werden; Lucile sollte das Geld dazu hergeben. Ein Brief des Generals an Lucile, der diesen Plan erwähnte, gerieth in [28] die Hände der Häscher. So wurde auch sie vor Gericht geführt und verurtheilt. Sie war außerordentlich fest und ruhig; als ihr das Urtheil verkündet wurde, erhob sie sich zur Heldengröße einer Roland und sprach die stolzen Worte: „Ihr Feiglinge, die Ihr das Blut eines Weibes vergießt, wißt Ihr denn nicht, daß dasselbe einst den Tyrannen verhängnißvoll geworden ist, daß das Blut eines Weibes für immer die Tarquinier und die Decemvirn aus Rom verjagte? Freue Dich, mein Vaterland, und empfange mit Entzücken die Verheißung Deiner Rettung! Bald wird die Tyrannei enden, die auf Dir lastet.“

Im Gefängniß schrieb sie die folgenden Zeilen an ihre Mutter: „Gute Nacht, geliebte Mama! Meine Augen vergießen eine Thräne, und sie ist für Dich. Ich gehe schlafen in das Reich der Unschuld.“

Am Tage ihrer Hinrichtung schmückte sie sich mit besonderer Sorgfalt; ihr Kopfputz namentlich war eben so geschmackvoll wie elegant; ihr glänzender Teint wurde gehoben durch ein Tuch von blendend weißer Gaze, das sie über ihre schönen dunklen Haare warf. Wer sie so geschmückt und so anmuthig auf dem verhängnißvollen Karren sitzen sah, der mußte glauben, daß sie zu einem Feste sich begab. Bei der Fahrt zum Richtplatze unterhielt sie sich mit einem jungen Manne, der an ihrer Seite saß, und wie es schien, über sehr heitere Dinge, denn Beide lächelten öfters. während des Gesprächs. Am Fuße des Schaffots bewahrte sie dieselbe Ruhe, stieg allein hinauf und bereitete sich ohne jede Erregtheit auf den Todesstreich vor. Und doch wer dieses reizende Wesen aus dem Schooße des Glückes und aller Lebensfreuden zu so frühem und grausamem Tode kommen sah, hätte blutige Thrünen weinen müssen.

Lucile Desmoulins war dreiundzwanzig Jahre alt, als sie starb; ihre Grabschrift hatte sie sich selbst verfaßt in den folgenden anmuthig plaudernden und doch so sinnschweren Versen:

Und wollt ihr wissen, was mein Leben ist?
O, will es ein gelehrter Mann beschreiben.
Er braucht dazu, fürwahr, nur kurze Frist
Und wird doch nichts den Lesern schuldig bleiben.

Denn was ich denk’ und fühl’ in tiefster Brust,
Und alle meine Plane, meine Triebe.
Und meine Thaten, meines Lebens Lust
Umfaßt das eine kleine Wort: „ich liebe.“