Ein deutsches Polizeiblatt und dessen Ausbeute

Textdaten
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Autor: Friedrich Helbig
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Titel: Ein deutsches Polizeiblatt und dessen Ausbeute
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2,5, S. 28–31, 76–80
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein deutsches Polzeiblatt und dessen Ausbeute.
Von Fr. Helbig.

Das Verbrechen ist so alt wie die Menschheit. Seit der Schlange Eva’s und dem Brudermorde Kain’s irrt es wie ein nie sterbender Ahasver durch alle Lande. Die Zeit, wo es ganz aus der Welt hinausgedrängt ist, wird trotz aller utopistischen Hoffnungen unserer Humanisten schwerlich einmal kommen. Die fortschreitende Cultur wird es verfeinern, gleichsam raffiniren, nicht aber ganz ertödten.

Es dürfte von Interesse sein, einen Gang durch die um heimlichen Schleichwege des Verbrecherthums zu machen, soweit es sich auf deutschem Boden abspielt, und dasselbe in seiner eigenthümlichen Organisation, seinen Ränken und Schlichen zu belauschen. Die Geschichte des frühern Gaunerthums, die hier zu viel Raum einnehmen würde, hoffe ich den Lesern der Gartenlaube in späteren Schilderungen vorzuführen. Der heutige Artikel gilt lediglich dem modernen Verbrecherthum.

Nachdem die großen Räuberbanden des vorigen Jahrhunderts durch das Schwert des Nachrichters decimirt waren und sich sonst verzogen hatten, machte sich, als namentlich auch die Herz veredelnde Zeit der Freiheitskriege vorübergerauscht war, in den zwanziger und dreißiger Jahren das niedere herumstreifende Gesindel um so bemerkbarer, besonders in Mitteldeutschland, wo die vielen Territorialgrenzen die Verfolgung erschwerten. „Wie das Wild,“ sagt ein damaliger Polizeimann, „sein Revier beim Hörnerrufe des Jägers oder dem Knalle der Büchse wechselt, ebenso zieht der Gauner, den Heerd wechselnd, herum.“

Da begann die Polizei, dieser Vorposten der Justiz, den Kampf gegen das Gaunerthum im Wege der Schrift, durch Einrichtung ständiger Zeitungsorgane. Früher hatten nur einzelne Schriften die gegenspielerische Thätigkeit gegen das Unwesen durch actenmäßige Mitteilung seiner bündnerischen Geheimnisse, Schliche und Praktiken vorbereitet. Jetzt wurde die Verfolgung organisirt.

Der Polizeirath Friedrich Eberhard, Chef der Landespolizei im Herzogthum Gotha, ließ zunächst im Jahre 1835 einen „Polizeianzeiger für Thüringen, Franken und Sachsen“ erscheinen, der sich im zehnten Jahre seines Erscheinens zu einem „Allgemeinen Eberhard’schen Polizeianzeiger“ erweiterte. Eberhard, ein gewiegter, auch schon schriftstellerisch thätig gewesener Polizeimann, ging dabei von der Voraussetzung aus, daß nur ein festes, organisirtes Zusammenwirken der Polizeibehörden gegen das Gaunerwesen etwas ausrichten könne. Alles der Polizei Wissenswerthe, die Geheimnisse, Schliche, Schlüpfe, die Stammbäume, Spitznamen, Schlupfwinkel, Herbergen der Gauner, sowie die Mittel und Wege, ihnen beizukommen, sollte darin zur Kenntniß der Polizei gebracht werden. Namentlich sagt er jener Classe von Gaunern Fehde an, die bei „einem nicht unbedeutenden Grade von äußerer Bildung eine solche raffinirte Gewandtheit an den Tag legen, daß ihre Entlarvung schwer wird, insbesondere auch deßhalb schwer wird, weil sie in den gebildeten Kreisen Zuflucht finden“.

Eberhard hat sein Programm redlich durchgeführt. Er hat der deutschen Polizei die wichtigsten Dienste geleistet und ist wohl der bedeutendste Gegenspieler geworden in dem Drama des Kampfes wider die deutsche Gaunerwelt und ihre verbrecherischen Ziele. Seine bedeutende polizeiliche Befähigung bewirkte später seine Berufung in’s sächsische Ministerium. Vielleicht wäre sein Ruf noch ein nachhaltigerer geblieben, wenn er nicht in den letzten Jahren seines Lebens – er starb 1852 – sein Talent und sein Organ von der reaktionären Verfolgungswuth hätte benutzen oder, wollen wir sagen, mißbrauchen lassen. Es macht wenigstens heutzutage einen eigenthümlichen Eindruck, wenn man die Blätter des Polizeianzeigers aus den Jahren 1849 bis 1852 durchmustert und darin mitten unter Mördern, Dieben und Hochstaplern die Namen von Männern signalisirt findet, welche theilweise jetzt hohe staatliche und nationale Aemter bekleiden oder in Wissenschaft und Kunst höchste Ehrenplätze einnehmen.

Nach Eberhard’s Tode wurde der Anzeiger gleichzeitig von Coburg und Dresden aus fortgesetzt. Dort von den Eberhard’schen Söhnen – jetzt dem Kreisgerichtsrath Karl Eberhard – hier von den Polizeiräthen Picard, Müller und Andern. Beide Organe bestehen noch jetzt. Ihre Mitarbeiterschaft setzt sich aus fast allen deutschen Sicherheits- und Gerichtsbehörden zusammen, die dort ihre Bekanntmachungen erlassen, ihre Erfahrungen austauschen.

Wer von den vielen verkappten Hochstaplern und sonstigen Gaunern in den Bannkreis eines dieser Blätter geräth, dem ergeht es wie der Fliege im Spinnennetze. Von allen Seiten werden die Fäden herangetragen, ihn zu umschlingen. Ob er sein Gesicht auch durch immer neue Masken zu verdecken weiß, ob er selbst durch viele Nummern, ja ganze Jahrgänge unentdeckt hindurchgeht – seine Entlarvung bleibt schließlich doch nicht aus. Besondere Dienste leistete in dieser Richtung die Lithographie und später die Photographie. Sie ersetzten mit Erfolg die immer unsicheren Personalbeschreibungen.

Ein Blick in diese „Anzeiger“ ist auch für den Nicht-Fachmann von hohem Interesse. Dem Auge des Psychologen eröffnen sich hier Einblicke in die Menschenseele, die ihm die Oberfläche des Lebens selten wiederspiegelt. Wenn er auf der einen Seite sich mit Ekel und Abscheu abwendet von diesem stetigen Herauskehren der dunkeln Seiten der menschlichen Natur, kann er doch andererseits ihrer gerade hier am sichtbarsten hervorspringenden Mannigfaltigleit und Beweglichkeit, der Summe von Schlauheit, Witz, Willenszähigkeit, Geistesschnelle und kluger Berechnung seine Bewunderung kaum versagen. Wie oft drängt sich ihm da der Ausspruch Opheliens auf die Lippen: „O, welch ein edler Geist ging hier zu Grunde!“ und dann [29] versenkt er sich wohl in den Gedanken, welch reiche Blüthen dieser Geist „am Baume der Menschheit“ hätte treiben können, wenn das Gestirn seines Lebens nicht auf falsche Bahnen gedrängt worden wäre. Nicht immer ist ihm dieser Weg gleich bei der Geburt vorgezeichnet gewesen; oft hat er in geordnetem Gleise begonnen und ist erst später in die falsche Richtung gekommen.

Das Leben eines solchen modernen hochstapelnden Gauners mit seiner zwischen Salon und Zuchthaus, Glanz und Elend, Furcht und Keckheit wechselnden Scenerie ist für die dichterische Phantasie weit ausgiebiger als das eines Räubers von ehedem. Hackländer hat in seinem „Europäischen Sclavenleben“ eine solche Figur mit großem Effect verwerthet. Dieser Herr von Brand, der beim Eintritte in die Salons den Geruch der Penne durch den Duft seines „coeur de rose“ zerstreut, ist bis auf den umgehängten falschen Großmuthsmantel, den er noch von Rinaldini und Consorten erbte, ein ganz correctes Bild.

Stellen wir aus den zerstreuten Notizen zunächst das Leben eines solchen Hochstaplers zusammen!

Im Jahre 1838 quartierte sich im Gasthofe zum Bairischen Hofe in Speier ein Fremder ein, der sich für einen englischen Major Namens von Massow ausgab. Er führte sich in den dasigen Harmonieclub und in noch andere Kreise ein, indem er erzählte, er sei in Folge eines Duells mit dem Adjutanten des Königs von Hannover seines Dienstes entlassen worden. Die Veranlassung zu dem Duelle habe seine junge hübsche Frau gegeben, die einzige Erbin reicher Eltern. Sie sei aus Kummer darüber, daß sie ihn unglücklich gemacht habe, und zwar kinderlos, gestorben. Der Herr Major zeigte bei dieser Erzählung gewöhnlich das in Gold gefaßte Bild seiner Frau vor und „weinte wie ein Kind“. Auch führte er zum weiteren Beweise für die Wahrheit seiner Angabe eine englische Zeitung bei sich, in welcher sich die Beschreibung eines derartigen Duells befand. Das Vermögen seiner Frau, sagte er weiter, habe er nicht angenommen, sondern es im Stolze der widerfahrenen Kränkung den Eltern seiner Frau gelassen und sich damit begnügt, van der Pension zu leben, die er durch den englischen Gesandten in Hannover oder in Frankfurt beziehe.

Daneben erzählte er viel von seinen Erlebnissen im russisch-türkischen Feldzuge, sowie von seiner Vorstellung bei König Louis Philipp, der ihn in herablassendster Weise empfangen und zur Tafel gezogen habe. Diese Erzählungen, die sonstige große Sachkenntniß, die er nach allen Richtungen hin entwickelte, in Verbindung mit dem seinen äußern Schliff seines Benehmens verschafften ihm die Sympathien der besten Kreise. Er wurde nicht bloß fast täglich in die ersten Häuser zu Gaste geladen, er wurde geradezu der Liebling der ganzen guten Gesellschaft. Da er so wenig Glück in der Liebe gehabt hatte, so schien es erklärlich, daß er desto mehr im – Spiele hatte. Er gewann in der That seine L’hombrespiele fast täglich. Mit der Zeit fiel es seinen Spielgenossen allerdings auf, daß die schwarzen Aß fast beständig in seinen Händen waren. Man untersuchte die Kartenblätter und fand an denselben allerhand Nägeleindrücke. Die Spielgesellschaft wandte sich seitdem von ihm ab, nicht so die andern Kreise. Dort blieb seine Stellung noch unerschüttert. Inzwischen hatte seine Hôtelrechnung einen anständigen Betrag erreicht und da sie unberichtigt blieb, so wandte sich der Wirth nachfragend an die englische Gesandtschaft in Frankfurt. Von da bekam er die Antwort, daß ein Major weder zu einem Pensionsbezuge berechtigt, noch überhaupt der Name in der englischen Armee bekannt sei. Der Wirth verschwieg diesen Umstand nicht, auch der Unterschleif beim Kartenspiel wurde ruchbar. Das Publicum wurde nachdenkend; das Vertrauen begann zu weichen und die Polizei nahm Notiz davon. Da versammelte der Major seine Bekannten um sich. Er hatte kurz vorher mehrere hundert Flaschen feinen Rheinweins von einem Rüdesheimer bekannten Hause bestellt und erhalten. „Meine Herren,“ redete er nun zu den Geladenen, „ich hatte mir vorbehalten, Sie von Zeit zu Zeit zu mir zu bitten, und mir den Wein dazu kommen lassen. Neue Nachrichten bestimmen mich, früher als es mein Wunsch war, von hier abzureisen, und Sie würden mich verbinden, wenn Sie mir den Wein um den Ankaufspreis abnehmen wollten. Sie werden ihn sobald nicht wieder so gut und billig bekommen.“ Die Freunde kauften ihm bereitwillig den Wein für dreihundert und einige sechszig Gulden ab; der Major bezahlte mit dem Gelde des Weinhändlers seine Schulden und reiste ab.

Im Frühjahre des folgenden Jahres treffen wir unsern von M. wieder in Hamburg. Er hat sich im „Hôtel de Russie“ einquartiert, führt dort an der Tafel stets das große Wort, drängt sich in die Familie eines russischen Generals, miethet sich dann eine Privatwohnung, hält Equipage, Bedienten, Jockeys, verkehrt viel mit Engländern, spielt mit großem Glücke und hat auch hier Zutritt in den ersten Familien. Im Sommer besucht er das Bad Travemünde. Hier ist er der gefeierte Held der Saison, arrangirt Lustfahrten, macht die Honneurs auf den Bällen u. dgl. mehr. Alles ist entzückt von dem liebenswürdigen Major, und wenn er in seinem Cabriolet, den Bedienten im Fond, durch die Alleen fährt, lüften die Herren die Hüte und die Damen schwenken die Tücher. Den Winter verlebt er wieder in Hamburg. Dort war inzwischen die Zahl seiner Gläubiger zu einer merklichen Höhe angewachsen. Sie begannen, ihn zu drängen. Daneben machte man, namentlich im Club bei Giavanoli, wo er viel verkehrte, auch hier die Entdeckung von der eigenthümlichen Vorliebe der vier Aß für die Person des Herrn Major, so wie von dem weitern Umstande, daß beim Spiele unter den Tisch gefallene Geldzettel nicht wieder zu finden waren. Es schwirrten allerlei Gerüchte durch die Luft. Der Herr Major entzog sich ihnen durch eine rasche Abreise, jedoch nicht ohne seinen auf die Herzen zweier vermögender Damen gewonnenen Einfluß zur Gewinnung eines Darlehns zu benutzen. In Lübeck hatte er alte Travemünder Bekannte. Der Eine machte sich ein Vergnügen daraus, dem liebenswürdigen Major zweihundert Mark vorzuschießen, der Andere ihm zu einem Passe zu verhelfen. Der Herr Baron verlegte nun den Schauplatz seines Wirkens nach Pyrmont und spielte mit dem erschwindelten Gelde dort die Rolle eines pommerschen Rittergutsbesitzers mit Erfolg. Doch genirte ihn die Nähe der preußischen Polizei. Er reiste ab und wandte sich nach Süden. In München wußte er sich sogar bis in die Nähe des Königs zu drängen.

Dann verschwindet er in Deutschland eine Zeitlang vom Schauplatz, um in den nächsten Sommern an den Spielbänken verschiedener Bäder wieder aufzutauchen. Er führt hier abwechselnd die Firmen: Gouverneur Massew von Portsmouth, Baron Massen aus Holstein, Baron von Maltzahn, Masson und Adolf Hassen und renommirt viel mit seiner Bekanntschaft französischer Generale, die er in Algier gemacht. Die Polizei kennt ihn längst; sie macht an ihm förmliche Studien, aber sie kann nicht an ihn kommen, seine Person nicht feststellen.

Da ereilt ihn sein Verhängniß in Gent. Dort verurtheilt ihn 1844 der ostflandrische Assisenhof wegen Betrugs und Fälschung zu fünfjähriger Einkerkerung. Dort entschließt er sich auch, die seither hartnäckig verweigerte Demaskirung vorzunehmen. Sein Vorleben wird festgestellt, und Polizei, wie Gericht erneuern in ihm nur eine – alte Bekanntschaft.

Man wußte nun, daß er der frühverwaiste Sohn eines preußischen Husarenofficiers, andern Namens, aus Tr. in Schlesien war, daß er nach kurzer Dienstzeit das preußische Militär heimlich verlassen und sich in russische Dienste begeben hatte, daß er nach einigen Jahren von dort zurückgekehrt, in Wien auf preußische Requisition verhaftet und vom Oberlandesgericht H. wegen Desertion, Führung falschen Namens und Charakters sowie wegen Betrugs zu einer halbjährigen Gefängnißstrafe und zu Geldbußen verurtheilt worden war, daß er vielfach anderen drohenden Untersuchungen sich nur durch rasche Flucht entzogen und, überall ausgewiesen, sich unter den Namen eines Herrn von Plathen, von Oppersdorf, von Stegmann, von Seydewitz, von Arnim, geschmückt mit dem eisernen Kreuze und im Besitze eines ganzen Kistchens voll Ordensdecorationen, in Dresden, Teplitz, Dessau, Sondershausen, Gotha, Darmstadt, Hannover, Hildesheim, Wolfenbüttel, Leipzig, Schkeuditz, Ronneburg aufgehalten hatte. Beim Oberlandesgericht Naumburg war er noch mit der Abbüßung einer dreijährigen Zuchthausstrafe im Rückstande. Er war nach der Schweiz geflohen. In Interlaken und Genf erinnerte man sich seiner wieder. In Venedig war er wegen Raufhändeln und Benutzung gefälschter Creditbriefe bestraft worden. Dies Alles war seinen Triumphen in Speier, Hamburg und Travemünde vorhergegangen.

Von dem Zuchthause wieder ausgeworfen, begab er sich nach [30] Paris. Nun schwiegen die Acten lange von ihm. Da geschah es, daß im Sommer 1859 in Homburg der Kellner eines Genfer Hôtels erschien, um einen dort weilenden Badegast Namens Alexander Marshall aus England wegen eines Wechsels zur Rede zu setzen, der sich als falsch erwiesen hatte. Da kam denn auch zur Entdeckung, daß ähnliche auf Londoner Häuser gezogene Wechsel ein Rentier Marson aus Dublin den Winter vorher in süddeutschen Städten anzubringen versucht, ein Heidelberger Bankhaus dabei auch wirklich geprellt hätte, weiter, daß im Jahre 1858 ein französischer Oberstlieutenant Massen in einem Gasthofe ersten Ranges in Dresden mit Frau, Kind und Bonne logirt und sich als Bevollmächtigter der englischen Regierung für Eisenbahnangelegenheiten ausgegeben, trotz seiner hohen Mission aber die Zeche und die Kaufpreise für entnommene Waaren schuldig geblieben war. Und nun erkannte die deutsche Polizei in diesem Oberstlieutenant Massen trotz seiner aufgesetzten grünen Brille rasch ihren alten Hamburger Major wieder.

Dieser fashionable Gauner gehörte von Hause aus den gebildeten Ständen an, wie viele plebejische auch. In den meisten Fällen steckt hinter der flitterhaften vornehmen Hülle ein Mensch von gewöhnlichem Herkommen und sehr zweifelhafter Bildung, ein ehemaliger Bedienter, ein phantastisches Schneiderlein, ein routinirter Kellner, ein verkommener Schreiber.

So war Fürst Georg Mitacky aus Athen, der mittelst gefälschter Creditbriefe deutsche Bankhäuser um bedeutende Summen betrog, der Sohn eines armen Bäckers in Smyrna und der Freiherr von Butler, dessen Name durch viele Bände des Polizeianzeigers hindurchgeht, ein aus der Lehre entlaufener Kürschnergeselle, der Sohn eines Friseurs in C. So mußte sich der in den sechsziger Jahren mit großer Prätension in den ersten Frankfurter Hôtels auftretende Graf Truchseß-Symborski aus Klausenburg seine endliche Entpuppung als ganz gewöhnlicher, aus einem Dorfe bei Weinsberg stammender Sterblicher gefallen lassen. Der Herr Graf trug eine unbekannte mit einem Orden decorirte Uniform und zeigte den Wirthen, die über seine augenblickliche Geldverlegenheit stutzten, Dokumente vor, aus denen klar hervorging, daß ihm eine Erbschaft von fünfzigtausend Gulden in Bukarest bevorstand. Auch traf nach einiger Zeit ein Brief aus Wien an den Herrn Grafen ein, der die genauesten Angaben über diese große Bukarester Erbschaft enthielt. Der Graf war so herablassend, den Inhalt dieses Briefes seinem jeweiligen Hôtelier nicht vorzuenthalten – nur das Eine verschwieg er dabei, daß er diesen Brief als Einlage eines andern erst nach Wien spedirt hatte. Der letztere war an einen Wiener Wirth gerichtet, dem er unter hochtrabenden Titeln und Namen seine bevorstehende Ankunft angezeigt und ihn dabei ersucht hatte, den inliegenden Brief an den Adressaten, oder falls dieser, wie beabsichtigt, nicht bei ihm eingetroffen, nach Frankfurt an das Hôtel X. zurückzuschicken.

Dieser Graf Truchseß gehörte auch zu der Species der gaunerischen Don Juans. Er hatte einige Jahre vorher in Hamburg ein verschwenderisches Leben größtentheils auf Kosten einer reichen Wittwe, welcher er die Heirath versprochen hatte, geführt, zuletzt aber statt ihrer die Tochter einer angesehenen Familie entführt und sich auch mit ihr als Graf und Ritter des Erlöserordens trauen lassen. Dann war er nach Mexico gegangen. Einige Zeit darnach tauchte er jedoch ohne Frau als spanischer Marquis in Brüssel wieder auf, suchte dort vergeblich den spanischen Gesandten von seiner geheimen Mission als Vertrauter Narvacz’ zu überzeugen, ging nach Deutschland und verlockte hier wieder durch Heirathsverspruch eine bairische Wirthstochter, mit ihm zu ziehen. Für sie folgte auf den kurzen Traum als spanische Marquise ein sehr bitteres Erwachen, denn der Graf war eines Morgens in der Schweiz sammt ihren Effecten verschwunden. Schließlich machte das Zuchthaus seinen Donjuaniaden ein Ende.

Es sind dies nicht die einzigen Opfer des dämonischen Zaubers geblieben, den die abenteuerliche Romantik solcher fahrenden Glücksritter auf das weibliche Herz auszuüben vermag. Indeß treten oft genug auch die Vertreterinnen des schönen Geschlechts in selbstständigen Gaunerrollen, mindestens als treue Helferinnen gaunerischer Genossen auf. Meisterinnen der Verstellung, wie sie der Dichter bezeichnet, sind sie zumeist nicht die schlechtesten des Gewerbes. Bei Manchen von ihnen ist wirkliche Ueberspannung der Impuls zu ihrem verbrecherischen Treiben, so daß sie selbst an die Fabel ihres Lebens glauben, wie bei der Frau Pseudo-Obrist von M., einer verdorbenen Gouvernante. Sind sie noch jung und gar schön dazu, so sind sie höchst gefährlich – unter Umständen sogar der Polizei, die ja auch ein Herz in ihrem Busen trägt. Von einer solchen Hochstaplerin, einer gewissen Anna B–r, die als Fräulein von Wangenheim, Majorin Schmidt, Marquise von Pückler-Muskau die Welt durchzog, viel trank, Cigarren rauchte und sich auch noch andere Uebergriffe in die Sphäre des Mannes erlaubte, dabei die fabelhaftesten Erlebnisse zum Besten gab, inzwischen auch einmal durch Gefängnisse und Correctionsanstalten hindurchlief, entwirft ein Polizeibeamter folgende Schilderung:

„Man kann ihr trotz ihres gaunerischen Lebens seine Bewunderung nicht versagen, denn sie imponirt. Ihr Benehmen ist, so lange sie sich beherrscht, fein, vornehm. Ihre Rede ist gewandt, unterhaltend und so fesselnd, daß man ihr gern zuhört und zuletzt auch an die fabelhafte Geschichte ihres Lebens glaubt.“

Diese weiblichen Gaunerinnen borgen, wenn sie nicht blos auf ihr hübsches Gesicht reisen, gern die Masken der Officiers- und Beamtenwittwen, Gouvernanten, Künstlerinnen (ohne Kunst), Agentinnen für Dienstboten u. dgl. Den letzteren locken sie tüchtige Provisionen ab. Eine solche „Agentin für englische Bonnen“ hielt sich erst im vorigen Jahre längere Zeit in einem Dresdener Hôtel unter dem bestechenden Namen „Gräfin Reventlow“ auf, empfing eine große Anzahl junger Damen und vergaß bei ihrer etwas plötzlichen Abreise, wahrscheinlich im Drange der Geschäfte, Wirth und Schneider zu bezahlen. – Ein sehr einträgliches Geschäft für arbeitsscheue Dirnen ist seit Langem das Vermiethen an mehrere Herrschaften gegen Empfangnahme des Miethgeldes. Die Leichtfertigkeit, mit welcher viele Herrschaften mit oft ganz unbekannten Personen Miethsverträge schließen, wäre kaum glaublich, wenn sie nicht in dem namentlich auf dem Lande bestehenden Dienstbotenmangel ihre Erklärung fände.

Ein gewisser novellistischer Zug liegt in dem Verfahren der auf Verlobungen ausgehenden Gaunerinnen. Sie haben es vornehmlich auf junge Bauernbursche abgesehen, die gern reich heirathen möchten. Da man auf dem Lande immer noch viel auf die Ehrlichkeit in Gesicht und Rede giebt, so wissen sie bald den Glauben an ihre vorgespiegelten Reichthümer und damit die Neigung der goldlüsternen Freier zu erwecken. Nach mehrfachen Erpressungen und einer schwelgerischen Verlobungsnacht sind sie dann wie Gespenster im Morgenhauche verschwunden.

Das reiche Gebiet der Liebe wird natürlich noch in vielfacher Weise von der gaunerischen Praxis ausgenutzt. So ist die Praktik bekannt, daß ein Gauner mit dem an’s Fenster gelockten Hausmädchen ein Liebesgespräch unterhält, damit sein Genosse ungestört in’s Haus einschleichen und dort hantiren kann.

Daß es bei vielen unserer Heirathsagenten auch nur auf eine Geldprellerei abgesehen ist, das beweist z. B. der polizeiactliche Brief eines solchen an einen anfragenden Heirathslustigen. Darin schreibt der Agent, nachdem er dem heirathslustigen Anfrager durch die Angabe, daß er „eine Auswahl von hübschen und vermögenden Damen augenblicklich bis zu zweihundertfünfzigtausend Thalern an der Hand habe“, vorher den Mund wässern gemacht hat: „Gleichzeitig senden Sie mir auf jedes Tausend Thaler Vermögen, das Sie von der Braut wünschen, einen Vorschuß von fünf Thalern, mindestens aber einen Vorschuß von fünfzehn Thalern ein, und längstens drei Wochen später beraume ich ein Rendezvous mit einer oder mehreren passenden Damen an. Damen versenden ihre Photographien nur sehr ungern, weshalb ich auch keine versende. Das Honorar beträgt vier Procent, welches sich nach dem Vermögen der Braut richtet und acht Tage vor der Verheirathung zu zahlen ist.“ Der über eine solche Fülle weiblichen Reichthums verfügende Commissionär war selbst bereits fruchtlos ausgepfändet, auch schon bestraft.

Wie überhaupt das Gaunerthum mit den jeweiligen Anschauungen und Bedürfnissen zu markten versteht, wie es jeden neuen Fortschritt sich dienstbar zu machen weiß, so hat es auch unter geschickter Benutzung des sehr ausgebildeten Zeitungsannoncenwesens den materiellen Drang der Gegenwart nach Reichthum und raschem Erwerbe für sich ausgebeutet und so, ohne es zu wollen, eine stärkere Satire geliefert als je ein Dichter in Roman und Drama.

[31] Diese „Nachweisungen eines täglichen Nebenverdienstes von fünf- bis sechshundert Gulden, einer lohnenden Beschäftigung ohne Aufwand von Zeit“, diese „Aufforderungen an Capitalisten, sich mit einer Einlage von so und so vielen Hunderten oder Tausenden von Thalern an gewinnbringenden Geschäften zu betheiligen“, laufen fast sammt und sonders auf eine Schwindelei hinaus. Die Nachfragenden erhielten nach Einsendung eines die Antwort bedingenden Vorschusses entweder gar keine Auskunft, oder es wurde irgend ein altes Kalenderrecept, eine Anweisung zur Züchtung von Seidenraupen in der Stube mitgetheilt, ihnen der Hausirhandel mit alten Büchern empfohlen oder die Mitgliedschaft einer Spielbankenzersprengungsgesellschaft offerirt u. dgl. mehr. Auch unsere „Gartenlaube“ hat es sich längst zur Aufgabe gemacht, das Publicum über diesen Zeitungsschwindel, namentlich in seiner Ausdehnung auf Geheimmittel, aufzuklären. Sie gehört ja selbst auch zu den Gegenspielern des Gaunerthums. –

Daß die Gauner auch das religiöse Gebiet mit Geschick auszubeuten verstehen, darf nach all dem Erwähnten kaum noch Wunder nehmen. Diese Classe der gaunerischen Tartüffe ist sogar sehr stark vertreten. Da sammeln entlassene katholische Geistliche unter veränderten Namen für Klöster und religiöse Vereine, ja lesen ungescheut Messe. Einer giebt sich für einen Bruder des Grafen Chambord aus, ein Anderer, ein entlassener Seminarist, auf Grund eines gefälschten Documents für den Generalvicar von Fez. Ein landstreichender Schmiedegesell zieht in Baiern bald als Weltgeistlicher, bald als brauner Franciscaner, mit dem unvermeidlichen Strick umgürtet, herum, behauptet drei Jahre lang Wächter am heiligen Grabe in Jerusalem gewesen zu sein und bringt Heiligenbilder und Sterbekreuze[WS 1] von daher mit, die er – aus den nächsten Fabriken bezogen hatte. Ein Böttchergeselle M. spielte erst vor zwei Jahren die Rolle eines Eremiten seligen Andenkens, hielt sich in Höhlen und an entlegenen Orten auf und erweckte damit und auf Grund gefälschter Zeugnisse die fromme Mildthätigkeit. Ein Dritter, ein sächsischer Damastweber aus Kamenz, wandelt (1860) im Pilgergewande umher, giebt an, er sei in Jerusalem gewesen, erzählt viel von den heiligen Orten und vertreibt kleine Steine, die „von den Füßen Jesu und Mariä betreten worden seien“. Die ungläubige Polizei nimmt sein Auftreten für Betrug, und er beschließt seine Pilgerlaufbahn im Gefängniß.

Zahllos waren, namentlich früher, die falschen Candidaten der Theologie, die bei Landpfarrern Einkehr und Herberge nahmen. Einer von ihnen wußte sich so in das Vertrauen eines biedern Landgeistlichen im südwestlichen Thüringen einzuschmeicheln, daß dieser ihm die Tochter verlobte. Erst als er die Kanzel zur Abhaltung der Bräutigamsprobepredigt bestiegen hatte, erkannte der Herr Pfarrer den Schelm.

[76] Es giebt fast keine Leidenschaft, keine Neigung und Schwäche der menschlichen Natur, mit welcher die Gauner nicht geschickt operiren. Sie sind ausstudirte Psychologen und spielen mit der Seele des Menschen Fangball. Es ist bei Weitem nicht blos die Dummheit, auf welche sie speculiren. Ihre Speculation richtet sich weit mehr auf die Gutmüthigkeit, das Mitleid, den Optimismus der Menschheit.

In Wien hatte sich vor einigen Jahren ein förmliches Consortium von Bettelbrieffabrikanten gebildet, durchgehend aus conditionslosen Handlungscommis bestehend. Sie sandten ihre geschriebenen Appellationen an das Mitleid an fast alle europäischen Höfe, an Prinzen, Prinzessinnen, höchste Rangpersonen. In geschickter Arbeitstheilung übernahmen die Einen die Schilderung der verschiedenen Nothstände; die Anderen fertigten falsche obrigkeitliche Zeugnisse dazu an; Dritte fälschten die Siegel. In Folge der Anfragen mehrerer Hofkanzleien machte die Wiener Polizei Jagd auf die saubere Gesellschaft, entdeckte sie und ließ ihr den Proceß machen.

Hierher gehören auch die „Nachrichtsbringer“, die sich erst über Familienverbindungen unterrichten, um dann von Verwandten Grüße und Mittheilungen zu bringen, und dadurch sich Credit schaffen, sowie die falschen Invaliden und Schlachtengauner, die während und unmittelbar nach den Kriegen auftauchen und auf den Barmherzigkeitstrieb speculiren.

In ähnlicher Weise haben Gauner mit dem politischen Märthyrerthume vielfachen Mißbrauch mit großen pecuniären Erfolgen getrieben. Die polnischen Flüchtlinge, die ungarischen Emigranten, die Achtundvierziger Verfolgten haben ihnen oft [78] genug ihre Maske leihen müssen. Ja selbst in den Dienst der Reaction sind sie getreten und haben die Polizei mehr als einmal mit ihren revolutionären Enthüllungen mystificirt. Im Jahre 1851 hatte sich in London eine aus geflüchteten deutschen Dieben bestehende Gesellschaft eigens zu diesem Zwecke gebildet. Manche nach ihren Mittheilungen lüsterne deutsche Regierung hat ihnen schwere Summen geopfert und den Aerger noch obendrein gehabt. –

Aber auch Wissenschaft und Kunst haben sich nicht freihalten können von der Travestie des Gaunerthums. Hier ist es namentlich die ganze Classe der „verkommenen Genies“, die uns entgegentritt; Leute von oft großer Capacität, künstlerischem Talente, vielseitiger Bildung, die aber mit sich und dem Leben nicht haben fertig werden können, die bei zu nachhaltiger Versenkung nach innen den Halt nach außen hin verloren, träumerische Hamlet’s, die immer an der rettenden That vorbeiliefen, überstudirte Fauste, die statt des eigenen Ich lieber den Teufel zur Hülfe riefen. Wer zählte nicht unter seinen früheren Studiengenossen wenigstens einen, den er dieser Kategorie zurechnen muß? Noch heute ergreift mich ein tiefwehmüthiges Gefühl, wenn ich die Worte lese, die mir ein also Gekennzeichneter auf ein Stammbuchsblatt schrieb; sie lauten:

„Wohl, Freund, Dir, wenn Du so des Lebens Rolle spielst,
Daß, wenn der Vorhang fällt, Du keine Reue fühlst.“

Unsere Polizeiorgane wimmeln von solchen falschen Doktoren und Professoren, die bettelnd und prellend von Orte zu Orte ziehen. Sie haben an den fahrenden Schülern des Mittelalters schon eine Art Vorbild.

Erscheint er, heißt es von einem solchen literarischen Gauner, der typisch ist für die ganze Species, in einer Universitätsstadt, so drängt er sich zunächst den Professoren auf, die ihn selten abweisen, weil er schöne Kenntnisse und ein einnehmendes Wesen besitzt. Glücken ihm seine Bewerbungen um eine Stelle an der Universität nicht, so weiß er von den Professoren sehr namhafte Geschenke zu erbitten, und er ist zudringlich genug, wiederholt zu kommen. Kommt er in Städte ohne Universität, so wendet er sich an Gelehrte, Geistliche, Rangpersonen. Ist er bei Geld, so lebt er gut. Macht er Schulden, so vertröstet er seine Gläubiger auf ein demnächst erscheinendes Werk. Er verschmäht auch nicht auf das Land zu gehen und führt sich, unter dem Vorgeben, nach kirchlichen Alterthümern forschen zu wollen, bei Geistlichen ein, und wenn er diese auch nicht geradezu anbettelt, so verschmäht er doch in keinem Falle die regelmäßigen Angebote der Gastfreundschaft. Bei katholischen Geistlichen führt er sich mit dem Vorgeben ein, daß er zur katholischen Religion übertreten wolle.

Auch die vagirenden Professoren der Magie rangiren zum Theil in diese Classe, soweit sie namentlich den im Volke noch immer grassirenden Aberglauben für ihre Zwecke ausbeuten, wie jener Professor der Magie und Phrenologie – wo in aller Welt mag die Universität liegen, welche solche Fakultäten aufweist? – und „Zauberer erster Größe“, der erst in Freiburg, dann in Gießen und Umgegend seine Charlatanerie trieb. Seine Glückszettel, die, auf dem Leibe getragen, alles nur gewünschte Glück herbeiführten, fanden im Volke reißenden Absatz, namentlich unter den heirathsbedürftigen Mädchen. Er besaß außerdem eine Kreuzspinne, welche glückbringende Nummern webte. Die Polizei entdeckte bald, daß der Herr Professor seine Weisheit nicht seinem Aufenthalt unter den Indianern, wie er behauptete, sondern der Muße des Zuchthauses verdankte, die ihm bereits früher vergönnt gewesen.

Die mannigfachste Thätigkeit entwickelt natürlich das Gaunerthum auf dem weitverzweigten Gebiete des industriellen Verkehrs. Hier ist sein Wirken so complicirt, wie jener selber. Wie der menschliche Erfindungsgeist fast täglich neue positive Produkte seiner Thatkraft erzeugt, so halten mit ihm auch der Schwindel, die Gaunerei gleichen Schritt in ihrer negirenden vernichtenden Thätigkeit. Jede neue große That wird hier in gaunerischer Hand zur Parodie. Die unendlich segensvolle Telegraphie wird zur willkommenen Handhabe für die Erlangung gaunerischen Credits durch Ausgabe renommistischer unwahrer Depeschen; die Eisenbahnen, die Bahnhöfe sind die ergiebigsten Gelegenheitsmacher für Diebe und gaunerische Verbrüderungen, sowie die besten Unterstützer für eine gaunerische Haupttaktik, welche darin besteht, zwischen die Schauplätze ihres Wirkens möglichst große Entfernungen zu legen; der gesteigerte Noten- und Wechselverkehr erleichtert die Fertigung von Falsifikaten und ihren Vertrieb; nicht zu gedenken der tausenderlei Fälschungen der industriellen Produkte selbst, denen nachzuspüren die Polizei ganz ohnmächtig ist. Die erhöhte Steigerung der Productionskraft, des Unternehmungsgeistes der vergangenen Jahre wurde alsbald parodirt und zuletzt lahm gelegt durch ihren gaunerischen Doppelgänger, den Schwindel. Die Gartenlaube hat darüber uns erst vor Kurzem einen unterrichtenden Artikel gebracht. Es ist nicht möglich auf diesem Gebiete nur einigermaßen erschöpfend zu skizziren, manches dahin Einschlagende haben wir im Gang unserer Skizze schon erwähnt, Vielem sind wir auch schon früher in diesen Blättern begegnet. Wir beschränken uns darauf, nur einige taktische Momente aus der beobachteten Thätigkeit dieser Industrieritter zu verfolgen und einige Beispiele dieser selbst anzureihen.

Da ist zunächst die Taktik der Taschendiebe eine sehr ausgebildete. Hier ist noch das meiste Zusammenwirken zu verspüren, da sie ohnedies mehr in den großen Städten, also zusammengedrängter, wohnen. So oft dort die Controle eine strengere wird, schwärmen sie aus in die Provinz. So verlegten die Berliner Taschendiebe Ende der fünfziger Jahre den Schauplatz ihres Wirkens theilweise in die Rheingegenden. Der Taschendieb (Torfdrücker) hat immer wenigstens einen Helfer bei sich, der das Gestohlene rasch in Empfang nimmt, so daß der eigentliche Dieb sich unverdächtig macht. Die Gaunersprache nennt dieses Geschäft: Zugleuten. Oder der Andere beschäftigt während der Aktion die Aufmerksamkeit des erlesenen Opfers. Um eine unbefangene Annäherung möglich zu machen, muß der Taschendieb sich seiner Umgebung in Kleidung und Haltung anpassen. Zu seinem Handwerkszeuge gehören falsche Hände mit Handschuhen, die er in Omnibus und Eisenbahn vor sich auf die Kniee legt, um mit seinen wirklichen Händen desto ungestörter arbeiten zu können; ferner ein scharfes feines, womöglich im Siegelringe verstecktes Messerchen zum Ausschneiden der Taschen, eine scharfe Zange zum Zerschneiden der Uhrketten; Seidenfädchen mit Häkchen oder – zum Einprakticiren in Tabaksdosen – einer Bleikugel. Ein Act der Gefälligkeit leitet die verbrecherische That ein, z. B. Abstäuben von Staub oder Asche, Ausführung einer Erkennungsscene mit Umarmung und nachfolgender Entschuldigung. Daß in dieser Branche es auch die leise auftretende Damenwelt zu einer gewissen Virtuosität bringt, liegt nahe, um so mehr, als ihr die Arbeit durch ein galantes Entgegenkommen oft sehr erleichtert wird.

Ein Consortium von Gaunern errichtete in L. vor einigen Jahren ein Auctionsschwindelgeschäft. Einer gerirte sich als Auctionscommissar, ein Anderer als Buchhalter, ein Dritter als Proclamator. Die Uebrigen waren Scheinbieter, welche die Bietungslustigen anzuregen und die Sachen als preiswürdig und echt zu empfehlen hatten, obwohl die goldnen Uhren nur tombackene und die schweren Ringe hohl und mit Sand gefüllt waren. Ein ähnlicher Schwindel wird in der Weise in Scene gesetzt, daß eine Menge Waaren bei verschiedenen auswärtigen Fabrikanten oft gegen vorläufige Abschlagzahlungen unter fingirter Form zusammengekauft und dann rasch im „Ausverkaufe“ verkauft werden. Auf diese Weise wurde einmal von London aus eine große Anzahl deutscher, französischer und englischer Fabrikanten geprellt. Die kaufende Firma war nicht aufzufinden; sie hatte nie existirt.

Von London, dem Eldorado der Gauner, ging auch ein ähnlicher Schwindel aus. Ein dort gebildetes Lebensassecuranzbureau schrieb in alle Welt hinaus an die Verwandten von Personen, deren Tod von diesen öffentlich angezeigt war, indem sie dieselben aufforderten, unverzüglich den Betrag einer fällig gewordenen Jahresprämie für eine Police ihres Erblassers einzuzahlen, die sonst verfalle. In der – natürlich getäuschten – Hoffnung auf Gewinnung eines großen Versicherungscapitals fielen manche der Erben in die Gaunerfalle. Aehnlich operirten die Vermittler holländischer Erbschaften, die gegen wiederholte Auszahlung von Vorschüssen die verlockende Aussicht auf überseeische Erbschaften bei Namensvettern eines in Holländer Blättern ausgeschriebenen Todten zu erwecken wußten.

Ein Hauptaugenmerk aller Industriegauner ist darauf gerichtet, sich Credit anzulügen. Ein gewisser B. erschwindelte [79] sich dadurch eine Menge Schuhwaaren, daß er den Fabrikanten nachgemachte Rechnungen von Concurrenzfirmen vorzeigte und damit ihre Eitelkeit aufregte. Zu gleichem Zwecke theilten zwei andere Gauner sich in die Rollen von Herr und Diener. Der „Herr“ verfügte sich in große Verkaufsgeschäfte und machte als wohlhabender Kaufmann bedeutende Einkäufe. Wenn man die Ablassung der Waaren auf Credit beanstandet, so spielt er den Empfindlichen. Mit den stolzen Worten: Er brauche ja die Waaren nicht hier zu kaufen, er stehe mit den größten Häusern in Verbindung, verläßt er den Laden. Nach einiger Zeit tritt der „Diener“ ein und fragt nach seinem Herrn. Man stutzt, forscht ihn aus und erfährt aus seinem Munde eine so glänzende Schilderung der Verhältnisse seines Herrn, daß man ihn dringend und gegen ein gutes Trinkgeld ersucht, ihn wieder zu holen.

Ein vor drei Jahren in Breslau verhaftetes sauberes Kleeblatt, bestehend aus einem Kellner, einem Handlungsreisenden und einem Cigarrenmacher, ernährte sich in der Weise, daß es Adreßkarten und Briefe an Dienstboten abgab. Während diese sich entfernten, um sie der Herrschaft zu überbringen, stahlen sie die im Corridor hängenden Kleider. Diese versetzten sie in Leihhäusern, fälschten die Pfandscheine auf höhere Summen und verkauften diese wieder. Der Kellner besorgte das Stehlen, der Commis das Fälschen und der Cigarrenmacher den Vertrieb der Scheine.

Die Hauptwirkungsplätze für die industriellen und auch die sonstigen Gauner bleiben immer die Verkaufsläden und Gasthöfe. In der Gaunersprache heißt der Ladendieb Schottenfeller, ein Wort, das, in’s Hochdeutsche übertragen, eigentlich Waarenbetrüger heißt und also eine beißende Ironie, auf den Bestohlenen enthält, der so dumm war, vor seinen eigenen Augen sich bestehlen zu lassen. Das schöne Geschlecht läuft in dieser Branche, in Folge der Gunst seiner Bekleidung, dem männlichen den Rang ab. Besonders günstig war ihm die Epoche der Crinoline. Der Ladengauner gerirt sich meist als Standesperson, ist wählerisch in den Stoffen, deren er sich deshalb eine größere Anzahl vorlegen läßt, was zur Folge hat, daß der Ladendiener ihm öfters den Rücken zu kehren genöthigt ist. Er bezahlt auch eine Kleinigkeit und legt die mit Spielmarken oder Kupfergeld stark gefüllte Geldbörse oder, wie das Gaunerpaar G., eine schwere mit Steinen gefüllte Cassette prunkend auf den Ladentisch. Mit Vorliebe trägt er einen Regenschirm, den er hart an den Rand des Ladentisches lehnt. Heißt er die Waaren nicht gleich selbst mitgehen, so bittet er, sie in den Gasthof zu schicken und zwar mit quittirter Rechnung, oder ihm einen Lehrling mitzugeben, der sie dahin trägt. Letzteren Falls weiß er sich desselben durch ein Vorgeben, zum Beispiel daß er Etwas vergessen, zu entledigen, erstern Falls beauftragt er den Wirth, die Waaren für ihn in Empfang zu nehmen.

Der eigentliche Gasthofsdiebstahl wird meist am frühen Morgen in Scene gesetzt, wo es in den Gasthöfen am stillsten ist. Diese Morgendiebe nennt die Gaunersprache mit einem poetischen Anfluge Zephyrgänger, da sie so leise auftreten wie der säuselnde Wind. Im Halbdämmern tritt der meist im Gasthofe selbst logirende Gauner in die Fremdenstuben, begrüßt den Schläfer mit leisem Morgengruße, nähert sich, ihn feste im Auge behaltend, Tischen und Stühlen, auf denen das Geld und die Pretiosen liegen, nimmt sie an sich und entfernt sich nach altbewährter Diebestaktik rückwärts wieder. Der Ruhende wird die in unklaren Umrissen auftretende Gestalt meist für den Hausknecht halten, der die Kleider zum Reinigen holt. Ist er schon wach, was der Dieb oft erst durch vorheriges Anklopfen sondirt, so ist eine rasche Ausrede bei der Hand. Man hat das Zimmer verwechselt oder ist Friseur, Balbier u. dgl. mehr. Deshalb ist beim Schlafen in Gasthöfen der Zimmerverschluß durchaus anzuempfehlen.

Weit mehr noch als durch diese ihrer Haftpflicht unterliegenden Entfremdungen werden die Gastwirthe dadurch geschädigt, daß sie die unfreiwilligen Ernährer einer Menge von Hochstaplern sind. Diese wissen es recht gut, wie es leider noch immer Gasthofspraxis ist, daß, je prätentiöser der Fremde auftritt, desto mehr sein Ansehen und Credit wächst. Nach dieser Taktik verlangen sie meist die besten Zimmer und finden die höchsten Preise außerordentlich billig, fragen viel nach Briefen und Depeschen, die sie erwarten, schicken selbst solche an hohe Adressen ab, lassen auf den Tischen nachgedruckte Visitenkarten mit den Namen hervorragender Personen liegen und zeigen bei wankendem Credit falsche Wechsel und Werthpapiere vor. Schließlich sind sie noch vor Tagesgrauen oft mit einem Sprung durch das Fenster verschwunden. So ließ ein „spanischer Marquis T. de T. aus Valencia“ stets bedeutende Werthbriefe nach Bayonne, Marseille und anderen Orten auf die Post befördern und ehe dieselben als unbestellbar zurückkamen, war er mit einem Vorschusse des Wirths verschwunden. An anderen Orten ließ er sich in Scheinhändel um große Besitzungen ein, nach deren Käuflichkeit er sich erkundigte. Der Abenteurer D. schloß überall große Lieferungskäufe in Weinen, Tapeten, Meißner Porcellan, je nach dem örtlichen Fabrikbetriebe, ab. Ein Gauner niederer Classe spielte, wenn er gut bei Casse war, den Handlungsreisenden, eine bei Wirthen stets angesehene Kundschaft, indem er mit einem Musterkasten auftrat, der in einer mit Steinen beschwerten und mit Wachstuch überzogenen Cigarrenkiste bestand. Waren seine Mittel knapp, so begnügte er sich mit der Rolle eines reisenden Kellners.

Der echte und vielgereiste Hochstapler spricht auch gewöhnlich mehrere Sprachen und tritt dann gern als Ausländer auf, weil auch diesen die Hôteliers eine vermehrte Sympathie entgegenbringen. Sie wittern in jedem mit Bartkoteletten und umgewickeltem Plaid auftretenden Engländer einen unverfälschten Lord, und doch wäre hier gerade Vorsicht theilweise sehr vonnöthen. Die Polizei ist davon wohlunterrichtet, daß fast alljährlich zwischen Mai und October Londoner Gauner nach dem Continente reisen, dort Bäder und erste Hôtels frequentiren und, „nachdem, sie sich vollgesogen“, um den Ausdruck eines Londoner Polizeibeamten zu brauchen, mit unbezahlten Rechnungen zurückreisen. Um ihrer Abreise etwas Unverfängliches zu geben, lassen sie oft ihre Frauen zurück. Diese erhalten dann plötzlich ein Telegramm über ein dem Gemahl zugestoßenes Unglück, das sie nöthigt, ihm rasch nachzureisen. Ein so geprellter Gasthofsbesitzer scheute die Mühe nicht, mit der unbezahlten Rechnung sich nach London aufzumachen, dort fand er nach langem Suchen den vermeintlichen Lord im dritten Stocke eines armseligen Häuschens am Strande, im alleinigen Besitze eines Versatzzettels und eines Portemonnaies mit einigen Pence. Viele von ihnen verschaffen sich auch Credit mit gefälschten Checks Londoner Bankhäuser. Erst im vergangenen Sommer hat eine ganze, jedenfalls unter sich zusammenhängende Bande von Engländern deutsche Banquiers in Mainz, Frankfurt, Karlsruhe und Stuttgart um ganz bedeutende Summen betrogen, indem sie dort den Kreditbrief einer bekannten Londoner Firma mit einer darauf bereits notirten Zahlung eines Brüsseler Hauses vorlegten. Auf erfolgte Nachfrage erwiesen sich Brief wie Quittung als unecht.

Wie ist es möglich, daß diese Gauner erster Classe sich so lange über dem Wasser halten, daß sie ihr Geschäft sogar berufsmäßig und als alleinigen Erwerb treiben? Diese Frage wird sich an Manchen herangedrängt haben, wenn er den Gang dieser Skizze verfolgt. Eine lang ausgebildete traditionelle Taktik kommt auch hier dem Gauner zur Hülfe. Zunächst ist es die Vertauschung der Penne mit dem Hôtel, die Verlegung seiner Thätigkeit aus den unteren in die höheren Gesellschaftsschichten, die ihn vor einer Berührung mit der Polizei wenigstens längere Zeit sichern. Er umgiebt sich dabei noch mit dem Nimbus des Reichthums und eines großen Namens. Er begnügt sich nicht immer mit dem Professoren-, Freiherrn- und Grafentitel, er langt sogar frech hinauf nach fürstlichen Kronen. Vielleicht erinnern sich manche unserer Leser noch jenes armenischen Prinzen, der während des orientalischen Krieges die ganze Zeitungs- und theilweise sogar die diplomatische Welt für sich zu interessiren wußte. Unter dem stolzen Titel Prinz Leon Jacques Fürst von Gaan, präsumtiver Erbe der Krone Armeniens, verlangte er von Rußland sein Königreich, seine Domänen, seine Diamanten zurück. In Berlin, wo er mehrere Monate logirte, ließ sich jedoch die Polizei trotz des über der Thür befestigten königlichen Wappens nicht abhalten, über seine Schwelle zu schreiten und ihn dingfest zu machen. Der ordensbesternte Königssohn entpuppte sich unter ihren Händen als der Sohn eines holländischen Schiffsrheders und einer deutschen Mutter. Gleichzeitig mit ihm, vielleicht durch ihn angeregt, tauchte ein Prinz von Georgien auf, unbeschadet seiner in der Schweiz bereits verbüßten Strafhaft. Auch im Jahre 1862 erschien ein solcher verstoßener Thronerbe in Hamburg [80] als Fürst Wladimir Prinz von Montenegro. Er wollte in Brüssel zehntausendfünfzig Stück Gewehre angekauft haben, und sobald sie angekommen wären, ein Corps werben, mit Hülfe dessen er seinen Bruder vom Throne zu stoßen hoffe. Angeblich verfolgt, reiste er rasch ab und verwechselte bei der Abreise seinen Paß mit dem eines französischen Sprachlehrers, mit dessen Firma er sich wahrscheinlich fortan begnügte, da die Geschichte nichts weiter von ihm meldet. Erst ganz neuerdings hat sich in Wien wieder ein falscher Demetrius, ein Prinz Dimitry, gezeigt.

Ist die Polizei daran, ihm die vorgesteckte Maske abzureißen, so steckt der Gauner rasch eine andere vor. Diese oft mit hoher Virtuosität durchgeführten gaunerischen Metamorphosen erschweren die Entdeckung der wahren Person ungemein. Sie beziehen sich nicht blos auf die Wechsel der Namen, sondern auch auf die Wechsel der Berufsarten und – Gesichter.

So erscheint der Gauner heute in rothem, morgen in schwarzem Haare, heute trägt er eine grüne, morgen eine blaue, andern Tags gar keine Brille; bald erscheint er einäugig mit schwarzer Augenbinde à la Murray in Gutzkow’s Rittern vom Geiste, heute mit vollem Barte, morgen bartlos. Wahrhaft erstaunlich aber ist die Verschiedenheit der Rollen, in denen ein routinirter Gauner sich auf der Bühne des Lebens zu bewegen versteht, die doch weit erhöhtere Schwierigkeiten bietet als die Bretter-Bühne. So trat z. B. ein gewiser W. von T. nach einander auf als Geometer, Oekonomie-Inspector, Forstgehülfe, Schauspieler, Handelsgehülfe und Maler. Noch wandelbarer sind Namen und Titel. Vor der Polizei und dem Gerichte erklärt ein solcher Gauner gewöhnlich, daß Familienrücksichten ihn verhinderten, seinen wahren Namen anzugeben.

Sehr ausgebildet ist bei den Gaunern auch die Kunst des Nachmachens von Pässen, deren Jeder mehrere bei sich zu tragen pflegt. Zur Zeit des Paßzwanges war dies für ihn sehr wichtig. Bald erkennbar ist der Gauner an seiner Art zu leben. Der Gauner kennt keinen Etat, wie der Mann der bürgerlichen Ordnung. Hat er gute Geschäfte gemacht, so lebt er verschwenderisch, so spielt er den Baron; hat er Unglück im Gewerbe, so sinkt er in das alte Nichts zurück und wird eine Zeitlang kleinbürgerlich im Namen, Titel und Beruf. Dies giebt seiner ganzen Erscheinung einen kometenartigen Charakter.

Ist er der menschlichen Gesellschaft für immer entzogen? Wird sie ihn nie wieder aufnehmen können? Mit dieser Frage eilen wir zum Schlusse unserer Skizze. Wenn auch die Philosophie des Pessimismus jetzt wieder neuen Umfang gewinnt, der Glaube an die Rettung der Menschenseele darf und soll uns doch nicht verlassen, wenn er uns selbst hier und da zu Opfern eines gaunerischen Spiels macht. Selbst nach dem tiefsten Falle findet der Geist noch die Schwingen, sich wieder zu erheben. Und so haben es oft auch Diejenigen, welche bereits aus den schwarzen Blättern unserer Polizei-Anzeiger verzeichnet standen – ganz abgesehen natürlich von den dort fälschlich verzeichneten Politikern – vermocht, sich zu rehabilitiren, nicht blos damit, daß sie den Wanderstab ergriffen – auf fremder Erde in harter büßender Arbeit, auch selbst noch auf altem deutschem Boden. Es stünden uns Beispiele zu Gebote. So wollen wir nicht gnadelos über sie den Stab brechen. Ist es doch oft nur eine einzige unbewachte Stunde, ein einziger Schritt vom Wege, der zum Verhängniß wird für ein ganzes zu reichem Glücke und hohen Ehren angelegtes Leben.


  1. Vorlage: Sterbetkreuze