Frau Scholastica
[103] Frau Scholastica. Dieser Name hatte von jeher in der deutschen Touristenwelt einen guten Klang, weshalb auch der Tod der trefflichen Frau, welche ihn trug, die allgemeine Theilnahme erregt. Die bekannte Wirthin am schönen Achensee war das Muster einer Wirthin vom alten Schlage, freundlich und aufmerksam, gediegen in ihren Leistungen und billig in ihren Rechnungen. Obgleich sie keine Freundin des modernen Luxus war, ließ sie es ihren Gästen keineswegs an behaglichem Comfort fehlen. In ihrem Hause herrschte eine bewunderungswürdige Ordnung und Reinlichkeit, vor Allem aber eine wohlthuende Gemüthlichkeit und Herzlichkeit. Stets war sie gleich freundlich gegen Alle, und sie machte keinen Unterschied zwischen dem vornehmen Aristokraten und dem schlichten Touristen, zwischen dem reichen Gründer und dem in seinen Mitteln beschränkten Fußwanderer. Die Verpflegung, welche sie allen zu Theil werden ließ, zeichnete sich weniger durch die Menge der Gerichte und die Feinheit der Wahl, als [104] durch geschmackvolle Zubereitung und den Ueberfluß aus. Statt unverschämter oder zudringlicher Kellner fand man hier eine bescheidene weibliche Bedienung, an deren Spitze die gute Bernarda, eine Verwandte der Scholastica, und die stille, blonde Agnes stand. Nie bemerkte man an ihrem Tisch jene schäbige Knauserei moderner Hotelwirthe, jene mikroskopischen Schnitzel, papierdünnen Fleischschnitte und zerkleinerten Mehlspeisen, von den mißgünstigen Augen der Kellner bewacht; nie wurde die herumgereichte Schüssel dem hungrigen Gaste mit affenmäßiger Geschwindigkeit entzogen, sondern zwei- und dreimal angeboten. Je besser es den Leuten schmeckte, desto heller strahlte das Gesicht der guten Wirthin.
Sie selbst stammte aus einer angesehenen Familie in Achenkirchen; ihr Vater war der geachtete Arzt Joseph Hechmayr und ihre Mutter – Frau Benedicta – eine Schwester des bekannten Anton Aschbacher, der mit dem berühmten Speckbacher sich zur Vertheidigung Tirols erhob und sich im Kampf gegen die Franzosen auszeichnete. Von ihrer gleichnamigen Tante erbte Scholastica das Gasthaus am Achensee, das sie bis zum Jahre 1863 allein verwaltete. Nach ihrer Verheirathung mit dem wackeren Johann Meßner wuchs der Fremdenzufluß so überraschend an, daß die alten Räume nicht mehr ausreichten. In kurzer Zeit erhob sich um das alte, bescheidene Gasthaus eine förmliche Colonie von neuen Häusern im geschmackvollen Schweizerstil; es wuchs zu einem ganzen Dörfchen mit einer eigenen Kirche an, welche das glückliche Ehepaar auf seine Kosten erbauen ließ.
Im Laufe der Jahre verbreitete sich der Ruf der Scholastica immer weiter; aus ganz Deutschland strömten Touristen und Sommergäste herbei, von der Schönheit des Sees, der herrlichen Gegend und der ausgezeichneten Bewirthung angezogen. In dem dreibändigen Album des Hauses findet man die ersten und besten Namen der Welt eingezeichnet, so am 17. Juli 1859 den verstorbenen König Max von Baiern mit seinem geistigen Hofstaate, Dr. von Kobell, Friedrich von Bodenstedt, und Riehl; unter anderen Notabilitäten, welche das Album aufweist, mögen hier genannt werden: Herzog Ernst von Coburg-Gotha, Prinz Friedrich Karl von Preußen und Fürst Eduard von Leiningen. Von Schriftstellern und Dichtern trifft man Namen an, wie: Paul Heyse, Adolf Pichler, Widmann etc., von Gelehrten dem berühmten Chemiker Liebig mit seinem Schwiegersohne Moritz Carriere, von Schauspielern La Roche und der genialen Sophie Schröder mit ihren beiden Töchtern, von Künstlern den Malern Hasemann, Wilhelm Scholz, Krauskopf, Rosenthal und Paul Meyerheim, welche das Album mit sinnigen oder humoristischen Zeichnungen und Aquarellen schmückten.
Auf allen Seiten aber findet man das Lob der guten Scholastica in Poesie und Prosa in den verschiedensten Sprachen, deutsch, französisch und englisch, selbst im Sanskrit und Arabischen verkündigt. So singt der bekannte poetische Tourist Heinrich Noë aus München:
„Es nährt und pflegt dich auf’s allerbest’
Scholastica, der Wirthinnen Krone,
Am Guten, was sich nur ersinnen läßt,
Das werde der Guten zum Lohne!“
Ein anderer Dichter läßt sich folgendermaßen vernehmen:
„Der Kneipen giebt es viel auf ,Au’,
So Murnau, Buchau, Pertisau.
Doch lieber ist mir die auf ,A’,
Des Achensee’s Scholastica.“
In lateinischen Strophen feiert ein fahrender Schüler nach Scheffel’s Weise den Achensee und dessen Wirthin:
„Laus tibi lacus,
Laus tibi locus,
Laus tibi tabernaculum,
Laus tibi plenum poculum.
Vivat jocosa Scholastica! et caet.“
In freier Uebersetzung:
„Gepriesen sei der See,
Gepriesen sei der Strand,
Wo ich ein gastlich Haus
Und volle Becher fand!
Hoch lebe Frau Scholastica! etc.“
Unter der großen Menge von Lobgedichten ist mir nur eine tadelnde Stimme aufgefallen, die sich jedoch mit Unrecht über die häufige Wiederkehr des „Kälbernen“ an der Wirthstafel gleich in drei verschiedenen Sprachen beschwert:
Deutsch.
„Für Kälbernes heiß,
Für Kälbernes kalt,
Für Kälbernes jung,
Für Kälbernes alt.
Für Kälbernes zart,
Oder zum Beißen schwer,
Hab’ Dank, Scholastica!
Ich mag keines – mehr.“
Englisch.
„For veal hot,
For veal cold,
For veal young,
For veal old,
For veal tender,
For veal tough,
Thanks, thanks, Scholastica!
We had – enough.“
Französisch.
„Pour du veau chaud,
Pour du veau froid,
Pour du veau vieux,
Dur comme bois,
Pour du veau tendre,
Ou à moitié crû,
Merci, Scholastica!
Je n’en veux – plus.“