Fahrende Musikanten im Dorfwirthshaus
[104] Fahrende Musikanten im Dorfwirthshaus. (Mit Abbildung S. 101.)
Von allem fahrenden Volke, das einst in großer Zahl bunten Wechsel in
das öffentliche Leben brachte, sind die Jünger der Tonkunst die ersten
gewesen, welche eine bevorzugte Stellung einnahmen, und sie scheinen
auch am längsten sich der allgemeinen Gunst zu erfreuen. „Fahrende
Sänger“ waren jene ersten Tonkünstler, die ihre Gesänge von Burg zu
Burg, von Schloß zu Schloß trugen, und die Harfe war ihre stete Begleiterin.
Ihnen gesellten sich, in Folge der Völkerwanderung, von
Welschland her allerlei „fahrende Leute“ zu, u. A. römische Fechter und
Tänzerinnen. Jeder neue Krieg förderte neue Schaaren Heimathloser
mit den verschiedenartigsten Erwerbsweisen an’s Tageslicht, sodaß namentlich
zur Zeit des blühendsten Wohlstandes der Deutschen, von der Reformation
bis zum Dreißigjährigen Krieg, außer den fahrenden Sängern
und Spielleuten, Possenreißer aller Art, Quacksalber, Taschenspieler,
Raritätenkrämer, Schauspieler und nach den Kreuzzügen auch fahrende
Priester und Flagellanten, aber auch fahrende Nonnen und Schüler von
Ort zu Ort wanderten. Nach jedem Krieg gab es auch wieder arbeitslose
Landsknechte. Endlich vermehrten die Zigeuner diese fahrenden
Horden, bis nach dem Dreißigjährigen Krieg abermals Welschland uns
das schlimmste Gesindel, Schatzgräber, Geisterbanner, Goldmacher und
Wunderdoktoren, in’s Land brachte, deren Nachtrab, die Kameel-, Affen-
und Bärenführer, noch die harmloseste Zugabe war. Wer sie alle recht
genau kennen lernen will, muß Holtei’s „Vagabonden“ lesen.
Die neuere Zeit hat stark mit ihnen aufgeräumt; es ist fast nichts übrig geblieben, als was zum nothwendigen Ausputz unserer Messen, Jahrmärkte, Vogelschießen und dergleichen Volksfeste gehört: die wandernden Kunstreiter, Seiltänzer, Taschenspieler, Menagerien, Affentheater etc., die Tonkunst aber vertreten, unerschrocken der strengen Polizei gegenüber, noch immer Harfenmädchen und Musikanten.
Von letzteren stellt unsere Illustration uns ein Quartett im Dorfwirthshause vor. Glücklicher hätte der Künstler die geheimnißvolle Macht der Musik nicht zur Anschauung bringen können; es ist vom Orpheus bis zum Rattenfänger von Hameln und bis zur Gegenwart dieselbe Zaubergewalt, welche durch die Töne die Gemüther der Unschuldigen fesselt. Wie glücklich ist die Kinderschaar, welche den Musikanten von der Straße herein nachstürmte! Wie drängen die Hintersten noch herein, und wie lauschen sie und gucken scheu und neugierig die fremden Männer und ihre Instrumente an! Aber die Kinder sind es nicht allein, auch die Aelteren freuen sich; und wenn erst die tanzfähige Jugend herbeikommt, dann können wir’s erleben, daß die Kinder in die Winkel geschoben werden und die Lustbarkeit in alle Beine fährt. Das ist das uralte Privilegium, das dem Musikanten unveräußerlich bleibt: Volkslust ist ohne Musik nicht denkbar, und wo der heimische Musikant fehlt, wird der fahrende immer ein willkommener Gast sein.