Frau Gertrud und ihr langes Kleid

Textdaten
<<< >>>
Autor: v. St.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Frau Gertrud und ihr langes Kleid
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 392
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[392] Frau Gertrud und ihr langes Kleid. (Ein altdeutsches Geschichtlein.) Als ich um die dritte Nachmittagsstunde bei dem Rathsschmiedeknecht Claus Rodolfen vorbeiging, sah ich, wie viel Volk zusammenlief und Einige bereits die Stufen des Rathhauses besetzten, vom Rathhause aber tönte ein gar jämmerlich Geschrei herab, dazu viel Sprechens, Rufen und Hin- und Herberichten. Auf meine Frage antwortete man mir, es seien drei Weibsbilder oben und es würden ihnen die Röcke gekürzt und die goldenen Borden von den Brustlatzen geschnitten. Es seien angesehener Leute Weiber, aber um den Verordnungen des Rathes, den Kleiderluxus betreffend, Achtung zu verschaffen, sei es nöthig, daß ein Exempel gegeben werde. Als diese Worte gesprochen wurden, sah ich am Fenster eine der Weiber erscheinen, die Hände ringen und uns, die wir unten standen, anrufen, daß wir herbeikommen und sie retten möchten. Es rührte sich aber Keiner im Volke, die Männer zeigten und lachten nach oben und riefen, es geschähe diesen putzsüchtigen Närrinnen ihr Recht. Nun ließen diese Weiber, die sich mit ihren gekürzten Röcken nicht wollten sehen lassen, drei Tragestühle holen, die von oben und unten bedeckt waren, wie es die Kranken verlangen, die man von einem Hause in das andere trägt, und wollten sich Hineinsetzen, allein sie wurden gezwungen auszusteigen und den Weg zu Fuße zu machen, wo dann ein ganzer Schwarm von Gassenjungen sie begleitete. Ich ging mit Kummer im Herzen nach Hause und trat in die Kammer meiner Frau also sprechend, nachdem ich erzählt, was ich geschaut:

„Gertrud, so hat es sich begeben mit den thörichten Weiblein in unserer guten Stadt Breslau, nehme sich eine Lehre daraus, wer ähnlichem Unheil und Schimpf nahe ist.“

„Wie, Hieronymus,“ erwiderte sie, und eine züchtige und zornige Röthe färbte ihr Angesicht, „meinest Du im Ernste, daß solches in meine Seele treffe? Gott erbarme sich meiner, Deiner, unserer drei Töchter, unseres Gesindes und unserer ganzen Habe, wenn jemals Grund vorhanden wäre, daß ich, Dein Weib, in dergleichen Ungelegenheit käme!“

„Ich habe nichts gesagt, Gertrud,“ erwiderte ich, „am wenigsten erwas gegen Dich, die Du, wie ich genugsam weiß, eine verständige, sittsame Hausfrau bist, mit keinem Dinge weniger vertraut, als mit dem Hochmuths- und Kleiderteufel.“

Damit ließ ich sie stehen und ging meine Wege. Am Morgen darauf hatten wir einen Kindtaufschmaus in unserer Sippschaft. Ich merkte gar wohl auf, wie mein liebes Weib aus ihrer Kammer hervorging und war nicht wenig erfreut als ich gewahrte, daß sie über Nacht ihr Kleid kurz zugeschnitten hatte und von einem Schlepplein auch nicht die kleinste Spur zu sehen war. Ich that, als merkte ich nichts. Anständig gab ich ihr die Hand, führte sie vor, unsere drei Töchter folgten, zuletzt Cordula, die Magd, mit Holofernem, dem kleinen Haus- und Schooßhunde auf dem Arme. Nie bin ich so froh und guter Dinge gewesen, als an diesem Tage, denn ich dachte, nun hast du für alle Zeiten und ohne Lärm die Narrheit aus deinem Hause gejagt. Die Weiber, die das Fest mitmachten, hatten alle verkürzte Kleider und keine Goldtressen, weder am Leibchen, noch an den Aermeln. So hatte des Magistrats Exempel gewirkt.

Als wir nach Hause angelangt waren, überraschte uns unsere älteste Tochter mit der Nachricht, daß sie einen Liebsten habe, der um sie anhalten wolle und den sie gar gerne nehmen werde, wenn es uns recht sei. Es war dies am Tage Johannis des Täufers. Der Allerliebste war Roloff Kaltenknecht, der Debora Rosina Kaltenknechtin einziger Sohn und Erbe. Der junge Mann hatte das Lichtziehergewerbe erlernt und wollte nun unsere Adeltraudis als eine schöne schlanke weiße Kerze, aus dem lautersten Jungfernwachs geformt, in sein Haus bringen. Wir hatten nichts dagegen. Die Hochzeit wurde auf den vierzehnten Sonntag nach Trinitatis festgesetzt. Ich machte eine kleine Reise, und als ich heimkehrte, hatte meine Frau für sich und die Braut neue Kleider machen lassen. Die beiden ledigen Töchter erhielten die abgelegten Kleider der Mutter und der Schwester und Cordula hinwiederum die, welche Sophronia und Mirjam ablegten. Ich war so erfreut, daß ich einen herzensguten Eidam gefischt hatte, daß ich in dem Gewirre des Festtages nicht recht merkte, welche Veränderung mit meiner herzallerliebsten Trude vorgegangen, sie hatte nämlich eine kleine Schleppe angesetzt. Aber die war gar klein und bescheiden, doch fegte sie trotz dessen ganz artig schon den Staub vom Fußboden weg. Ich sagte nichts, aber der Festtag hatte für mich, wie die Rose, einen Dorn angesetzt. Meine zweite Tochter machte es der ersten bald nach, und bei der Hochzeit dieses Mägdleins verlängerte sich die Schleppe meiner Frau, und nunmehr um ein ansehnliches. Um meine Ruhe war es geschehen. Ich sah nun, daß das Exempel, das gegeben worden, an seiner wohlthätigen Schärfe und Herbigkeit bereits angefangen zu verlieren und daß wiederum der so streng verpönte Kleiderluxus sich in vollem Flor auszubreiten begann, und daß mein Weib in diesem Reigen nicht als die letzte mittanzte.

Ich ging mit scheuem Muth mit meinem Weibe über die Gassen, stets glaubte ich den Rathsbüttel hinter uns kommen zu sehen, der uns zu verhaften kam. Indeß es geschah nichts. Aber Gerede gab es bereits vollauf. Meine jüngste Tochter brachte mir nun auch einen Eidam in’s Haus, und jetzt ließ sich Trude von einer Kleiderhändlerin aus Ulm einen sogenanten „Ulmer Fetzen“ bringen, d. h. einen Rock, in den wohl an die hundert Ellen Zeug hineingingen und der einen langen Schleif hinten angeknüpft hatte, der mit goldenen Blümchen gestickt war. Mein Haar sträubte sich in die Höhe, mir bangte wie vor dem jüngsten Tage, allein, ich hatte nicht den Muth, ihr ihre Freude zu verderben.

In meiner Herzensangst fiel mir ein Stratagem ein, eine artige List, ich nahm unsern Hund Holofernem, setzte ihn auf die Hinterbeine und redete ihn also an, indem meine Familie um mich herum war, und meine Possen mit anhörte, auch einige Freunde aus der Nachbarschaft. „Holoferne!“ sagte ich, „wenn Dir als einem klugen Thiere bekannt würde, in welcher Weise und mit welchen Gesetzen ein Land regiert würde, könntest Du wohl da etwas gegen das allgemeine Beste, das in diesem Falle auch das Deine ist, unternehmen wollen? Sicherlich nicht, mein Holofernes! Wenn Du nun zum Exempel erführest, daß zum allgemeinen Wohle sämmtlichen Hunden geboten wäre, sich den Schweif kappen zu lassen, würdest Du allein Dich erfrechen, den deinigen behalten und hoch in die Lüfte halten zu wollen? Nimmermehr! Als ein guter Hund, der den Frieden liebt, der die Seinigen nicht in Unruhe und Bekümmerniß setzen will, fügtest Du Dich, wie die Andern sich fügen, und obgleich Du wohl wüßtest, welch’ eine große Zierde ein stolzer und in einem Busche herabwehender Schweif ist, Du würdest doch ihn gern opfern, lediglich um des Ruhmes willen aufopfern, gehorsam und edel gehandelt zu haben. Zu allem Andern würde Dir auch Dein Trotz nichts helfen, denn gesetzt auch, Du beständest darauf, Deinen Schweif zu behalten, so würdest Du dem Schinder in die Hände fallen und ehrlos und grausam geschähe Dir, was freiwillig und klug Du selbst zu vollziehen Dich weigertest.“ Bei dieser Rede zerflossen meine Töchter in Thränen, meine Schwiegersöhne behaupteten, noch nie eine so erbauliche Predigt gehört zu haben, und Cordula, unsere Köchin, fiel vor mir auf die Kniee, indem sie mich um meinen Segen bat. Nur Gertrud blieb munter und sagte unter Lächeln: „O Jacobus, wie Du gut Possen treiben kannst!“ Meine Nachbarn, die da wußten, worauf ich zielte, hatten Mitleid mit mir, da sie mich also unnütz in’s Holz fahren sahen. Ich wurde ganz krank und hinfällig. Der Hochzeitstag rückte heran. Mein Weib that nicht, als merkte sie etwas.

Aber am Morgen des Festtages trat sie in aller Frühe an mein Bette und sagte lächelnd: „Jacobe, ich glaube, Dir ist etwas in den Sinn gefahren. Hast Du Streit gehabt mit Meister Adam, Deinem Nachbar, dem groben Manne? Oder ist Dir in Deinen Rechnungen ein Sümmchen abhanden gekommen, das Du nicht zu finden weißt?“ – „Alles dieses nicht, meine Theure,“ entgegnete ich seufzend. – „Was ist’s denn?“ fragte sie. – „Rathe mal!“ sagte ich. – „Wahrlich, ich wüßte nichts,“ nahm sie wieder lächelnd das Wort. „Dein Haus ist gut bestellt, Du hast drei wohlerzogene Töchter, die bereits Männer haben, Dein Name in der Stadt ist geachtet, und endlich hat Dir der Himmel eingegeben, das, wenn auch nicht immer lobenswürdig handelt, doch nach Lobenswürdigkeit trachtet.“ – „Alles wahr,“ sagte ich, und meine Miene wurde noch kummervoller, da ich sah, sie war eine solche verstockte Thörin, die entschlossen war, auf nichts zu achten, und wenn die Welt unterginge. – „Ich habe noch nicht Alles aufgezählt, was zu Deinem Glücke gehört,“ hub sie wieder an, indem sie mir das Haupt emporrichtete und mir das Haar aus der Stirne strich, „Du hast endlich auch einen klugen, verständigen, gehorsamen Hund, der mir heute ganz im Vertrauen gesagt hat, daß er sich entschlossen habe, für immer seinen schönen buschigen Schweif abzulegen.“ – „Herr im Himmel!“ rief ich und richtete mich hoch auf, „sprichst Du die Wahrheit?“ Sie zeigte statt aller Antwort auf das in allen seinen Nähten losgetrennte Kleid, das sie unter ihrer Schürze hervorbrachte. Jetzt schloß ich sie in meine Arme und rief: „Trudchen, so bist Du denn von Deiner Narrheit geheilt!“ – „Und für immer,“ sagte sie. „Nicht Schimpf und Schande, die mir drohten, haben mich hierher gebracht, sondern einzig Dein Kummer und Deine Trauer. Ein Weib, das auf die Stimme ihres Mannes nicht achtet, wird sie wohl achten auf die Stimme des Gesetzes? Da ist die Grenzscheide. wo ein ehrsames, gehorsames, edles Weib sich von dem frechen Weibe scheidet, die dem öffentlichen Unwillen Trotz bietet.“

Wer von Euch. Ihr schönen Damen in Euren Crinoline’s will es der ehrsamen Breslauerin aus dem fünfzehnten Jahrhundert nachmachen? An uns Männern, die wir tadeln und zürnen, fehlt es nicht. –
v. St.