Francois Champollion in Aegypten
[386] François Champollion in Aegypten. (Zu dem Bilde S. 361.) Napoleons I Kriegszug nach Aegypten gab den Anlaß zu einer kräftigen Entfaltung der ägyptischen Altertumskunde. Ein französischer Artillerieoffizier Namens Boussard, der 1799 mit dem ersten Konsul nach dem Pharaonenlande gekommen war, entdeckte in der Nähe der Stadt Rosette die berühmte dreisprachige Inschrift aus der Zeit der Ptolemäer, die den Schlüssel zum Verständnis der Sprache und der Schrift der alten Aegypter geliefert hat, denn hier stand der gleiche Text auf Griechisch neben dem der alten Hieroglyphen und dem der sogenannten demotischen Schrift, einer neueren Form der ägyptischen Sprache. Ueber zwanzig Jahre vergingen jedoch, bevor es den Gelehrten gelang, aus der Inschrift von Rosette die wahren Sprach- und Schreibgesetze der alten Aegypter abzuleiten. Der Ruhm davon kommt in erster Linie François Champollion dem Jüngeren zu, denn sein im Jahre 1824 erschienenes Buch „Précis du Système hièroglyphique“ ist grundlegend geworden für alle späteren Forschungen.
Champollion war am 23. Dezember 1791 in Figeac in Südfrankreich geboren, warf sich nach dem Vorbild seines älteren Bruders Jacques auf die Altertumsforschung und widmete sich nach kurzer Thätigkeit als Geschichtsprofessor in Grenoble ganz dem Studium der Aegyptologie. Schon mit 23 Jahren ließ er ein großes Werk über „Aegypten unter den Pharaonen“ erscheinen und mit 33 sein epochemachendes Buch über die Hieroglyphen. Obschon er sich aber mit Leib und Seele diesem Studium gewidmet hatte, konnte er erst sehr spät seinen heißen Wunsch befriedigen, das Land seiner Sehnsucht mit eigenen Augen zu sehen. Erst im Jahre 1828 erhielt er von der französischen Regierung den Auftrag zu einer wissenschaftlichen Forschungsreise im Lande der Pharaonen, die ihn zwei Jahre lang fesselte. Nach Frankreich [387] zurückgekehrt, empfing er alle Ehrenstellen und Auszeichnungen, die er sich wünschen konnte, aber er hatte durch seine rastlose Arbeit seine Gesundheit derart untergraben, daß er nur noch zwei Jahre zur Ausnutzung seiner Funde verwenden konnte. Er starb am 4. März 1832 in Paris. Nach seinem Tode fand man noch gegen 2000 Seiten Manuskript, darunter eine vollständige Grammatik und ein Wörterbuch der Hieroglyphensprache, die dann auf Staatskosten herausgegeben wurden.
Der Maler Maurice Orange, einer der besten Schüler Gérômes, der uns in früheren Bildern Napoleon als Feldherrn in Aegypten gezeigt hat, benutzte seinen Aufenthalt daselbst, um neben dem Eroberer, der seine Eroberung nicht festhalten konnte, auch den bescheidenen Gelehrten zu feiern, dessen geistige Eroberungen sich als weit dauerhafter erwiesen haben. Champollion hat bei Theben in der Nähe der sogenannten Memnonssäulen, d. h. der Kolossalstatuen Amenophis’ des Dritten, eine wichtige Ausgrabung gemacht und kehrt am Abend von der Fundstätte heim. Die einheimischen Diener tragen die eroberte Mumie und der Gelehrte hat die erbeuteten Papyrusrollen an sich genommen. Rastlos wie immer, kann er die Heimkehr nicht abwarten, um das Studium in seinem Zimmer zu beginnen, sondern schon auf dem Rücken des geduldigen Reittiers entfaltet er eine der Rollen und versucht sie zu entziffern. F. V.