Fräulein Johanne
Es ist nun zwölf oder gar schon dreizehn Jahre her, erzählte mir mein Freund, der Landschaftsmaler R., da erlebte ich etwas sehr Seltsames, – gottlob nicht an der eigenen Haut, sondern nur als teilnehmender Zuschauer –, etwas, das Sie wohl auch interessieren wird, da Sie bei Ihrem novellistischen Metier auf psychologisch merkwürdige Fälle ein Auge zu haben pflegen. Ich selbst hatte lange nicht mehr daran gedacht; ein altes Skizzenbuch aus jener Zeit hat mir vor kurzem die Geschichte wieder in Erinnerung gebracht. Wenn Sie sie hören wollen –
Nun denn, es war im frühen Frühling Anfang Mai, ich hatte einen etwas stürmischen Karneval hinter mir, obwohl ich schon damals kein „heuriger Has“ mehr war, wie man in München sagt. Aber eine unglückliche Liebesgeschichte wollte ich abschütteln und brauchte dazu das bekannte unzweckmäßige Mittel, mich „zu betäuben“ durch allerlei abgeschmackte sogenannte Vergnügungen. Fürchten Sie nicht, daß ich Sie mit dem Zustand meines Herzens langweilen werde. Zum Glück ist es über der alten Geschichte, die ewig dieselbe ist, nicht gebrochen, und es war auch meine erste nicht. Also wußte ich einigermaßen Bescheid und beschloß, nachdem ich mich von dem verfehlten Versuch, den Teufel durch Beelzebub auszutreiben, ein wenig erholt hatte, meine Zuflucht wieder zu den einzig wirksamen Nothelferinnen zu nehmen, der Natur und meiner Arbeit.
Der Wald war noch ziemlich kahl in dieser Jahreszeit, und in den Bergen ließ sich nicht gut hausen, da man immer noch auf Winterrückfälle gefaßt sein mußte. Nun aber lag mir schon seit längerer Zeit ein altes Nest in Mittelfranken im Sinn, das mich jedesmal, wenn ich mit dem Schnellzug daran vorbeigesaust war, sehr einladend angeblickt hatte. So eins von den auf den Aussterbeetat gesetzten Städtchen, an denen in unserm Bayern kein Mangel ist, die nur noch einen Altertumswert haben und über hundert Jahr so verödet sein werden wie Herculanum und Pompeji. Aber für ein Malergemüt ist das kein Schade. Und jenes Ziel meiner Sehnsucht – auch Sie, die Sie mir ja zuweilen ins Handwerk pfuschen, hätten Ihre Freude daran gehabt, wie die alten stark verräucherten Häuser so malerisch zu Füßen der dichtbebuschten Höhe lagen, in der Mitte die Kirche, freilich nicht über dreihundert Jahre alt, und auf dem Hügel droben das Trümmerwerk der Burg mit ein paar Turmfragmenten und bezinnten Mauern, durch deren leere Fensterhöhlen der dichte Epheu hinaufgekrochen war, der vom Grund aus seine armsdicken Aeste um die ganze verfallene Herrlichkeit geklammert hatte.
Es war schon Nacht, als ich mit dem schläfrigsten aller [21] Bummelzüge die Station erreichte. Niemand außer mir stieg hier aus.
Der Bahnhofsinspektor, den ich befragte, welchen Gasthof er mir empfehlen könne, musterte mich von Kopf bis Fuß wie jemand, der nicht ganz richtig unter dem Hute sei. Da dieser Hut aber ein Künstlerhut war, besann er sich, daß man sich von Leuten meines Schlages allerlei Verrücktheiten zu versehen habe, und erwiderte, Gasthöfe, in denen man leidlich unterkommen könne, gebe es nur einen, denn in den paar Wirtschaften und Ausspannen, die noch außerdem Nachtherberge gäben, sei für einen Herrn aus der Stadt kein anständiges Quartier zu finden. Auch der Gasthof zum Bayrischen Löwen sei nicht mehr, was er früher gewesen, der Wirt sei verstorben, die Wirtin krank, der einzige Sohn in die Welt gegangen. So hätte die Wirtin [22] auch die Brauerei aufgegeben und ihre Aecker verpachtet. Es sei aber ein sehr reinliches Haus, und auch mit der Küche würde ich zufrieden sein.
Der Ort lag noch eine gute Strecke vom Bahnhof entfernt. Ein Bauer, der einen Wagen voll Kohlköpfen zum Verladen herangefahren hatte, machte mir den Vorschlag, mich und mein Gepäck nach dem Gasthof zu bringen. Ich zog es aber vor, zu Fuß zu gehen, lud meinen Handkoffer, Malkasten und Staffelei einem rüstigen Burschen auf die Schulter und wanderte sehr guter Dinge die Kastanienallee entlang, die in einem weiten Bogen nach dem Städtchen führte.
Es war eine köstliche Nacht, kein Mondschein, aber der Himmel hell von zitternden Sternen und jene reine scharfe Kühle in der stillen Luft, die mir nach der staubigen Fahrt unsäglich wohlthat. Als der Weg die letzte Biegung machte, sah ich zwischen den noch dünn belaubten Wipfeln die schwarze Silhouette der Burgtrümmer am silberweißen Hintergrund sich abzeichnen und unterschied deutlich die dünnen Stämmchen der kleinen Bäume, die oben auf dem Mauerrand aufgesprossen waren. Kein Laut weit und breit, als hin und wieder ein Hund, der aus dem Schlaf bellte. Auch mein Begleiter that den Mund nicht auf, und ich war so in meine helldunkle, sentimentale Stimmung versunken, daß ich keine gleichgültige Zwiesprach anknüpfen mochte.
Wir erreichten endlich das Thor, von dem nur noch ein zerbröckelnder Rest vorhanden war. In dem ehemaligen Stadtgraben zu beiden Seiten waren Gemüsegärten entstanden, deren Beete eben frisch angepflanzt schienen. Die Häuser, die die Straße bildeten, lagen unregelmäßig zur Rechten und Linken, dazwischen Düngerhaufen, die ein nicht eben liebliches Gedüft ausströmten; Ackergerät, Wagen und Pflüge, alles ließ erkennen, daß die Einwohner auf den Feldbau angewiesen waren. Ueber der Straße an Ketten aufgehängt Laternen, deren rote Petroleumflammen diese ganze kleinstädtische Dürftigkeit nur unvollkommen beleuchteten. Und in keinem der einstöckigen Häuser noch irgend Leben und Bewegung, kaum hie und da ein Licht hinter den kleinen Scheiben, vor den meisten aber ein Kasten mit den ersten Blumen des Jahres oder allerlei Grünzeug, das erst später blühen sollte.
Auch auf dem Marktplatz war’s still und dunkel, nur der Brunnen in der Mitte unter ein paar hohen Bäumen rauschte mit leisem Geplätscher, und aus einem der kleinen Häuser erklang ein unbeholfenes Geigenspiel. Die schwarze Masse der Kirche nahm die eine Seite des unregelmäßigen Vierecks ein, gegenüber stand ein sehr langgestrecktes Haus, einstöckig, mit dunklen Fenstern im Obergeschoß, während unten neben der breiten offenen Einfahrt Licht aus den Zimmern zu beiden Seiten schimmerte.
Da ist der Bayrische Löwe! sagte mein Begleiter. Er ging auf den Eingang zu und zog an einer Glocke, die einen stumpfen, klappernden Ton von sich gab. Nach einer Weile kam ein alter, etwas verwachsener Mann, mit einer blauen Küferschürze unter der kurzen Joppe, schwerfällig aus dem dunklen Flur herangehinkt, mit einer Stalllaterne, die er gegen mein Gesicht aufhob, da die beiden Flurlampen nur ein schwaches Licht gaben. Als er hörte, daß ich ein Zimmer wünschte, brummte er etwas in den grauen Schnurrbart, stellte die Laterne auf den Boden und ging in die Thüre zur Rechten, über der ich die Inschrift „Gastzimmer“ las. Ueber der linken Thür stand „Schenkzimmer“ geschrieben. Der Empfang war nicht gerade vielversprechend. Wenigstens hatten wir fünf Minuten in dem zugigen Thorweg zu warten, bis sich die Thüre rechts öffnete und eine weibliche Gestalt heraustrat, hinter ihr der Hausknecht.
Die Frau grüßte mich mit einem kurzen Kopfnicken, ich bat, mir ein Zimmer anzuweisen, da ich einige Tage hier zu bleiben gedächte, ich sei Maler und wolle in der Umgegend ein paar Studien machen.
Während ich sprach, sah ich mir die Wirtin, wofür ich sie hielt, genauer an. Eine hochgewachsene Figur, prachtvolle Büste, auf den schlanken Schultern ein noch jugendlicher Kopf mit dicken braunen Haaren und ein Gesicht, das ich mir gleich zu malen wünschte, etwas bäuerlich derb, aber mit der geraden Nase und den großen stahlgrauen Augen ungemein charaktervoll. Nur eine seltsame Unbeweglichkeit ihrer Mienen und die blasse Farbe der Wangen fiel mir auf, auch daß sie auf meine Worte nur wieder mit einem stummen Nicken antwortete, als ob ihr der Gast höchst gleichgültig wäre.
Sie sagte dann dem Hausknecht etwas, das ich nicht verstand, er nahm dem Träger meine Siebensachen ab und stapfte mir voraus eine breite steinerne Treppe hinauf, die Laterne vor sich her tragend.
Oben in dem nur durch eine einzige Lampe erleuchteten Gang, der die ganze Länge des Hauses durchlief, führte er mich zu einer Thür, über der Nummer 1 geschrieben stand, öffnete sie und ließ mich in ein großes hohes Zimmer eintreten, in dem eine klamme, muffige Luft schwebte. Als er meine Sachen auf ein paar Stühle gestellt und eine Kerze auf dem Nachttischchen angezündet hatte, verließ er mich ohne weiteres, während ich nichts Eiligeres zu thun hatte, als beide Fenster aufzureißen und die dumpfe Luft hinaus- und die Frische der Mainacht hereinzulassen.
Ich sah mich dann, nicht eben erheitert durch den einsilbigen Empfang, in meinem Nachtquartier um. Die Inspektion fiel nicht allzu ungünstig aus. Es war ohne Zweifel das vornehmste Zimmer des Hauses, die Möbel gepolstert und mit weißen gehäkelten Schutzdecken überzogen, alle von tadelloser Sauberkeit, wie auch die mageren Tüllvorhänge an den Fenstern und dem Himmelbett; die Dielen blendend weiß gescheuert, das Gerät auf dem Waschtisch altmodisch wie alles übrige, aber blank wie aus dem Laden. Mit meiner Kerze leuchtete ich an den Wänden herum und betrachtete die wenigen Bilder, eine lebensgroße Mutter Gottes und einen heiligen Joseph in Oeldrucken, dazwischen eine Lithographie des Münchener Kunstvereins, den Abschied König Ottos vor der Abreise nach Griechenland darstellend. Auf der Kommode unter einem Glassturz ein wächsernes Jesuskind auf einem rotatlassnen Kissen, daneben zwei Leuchter aus Porzellan, ohne Kerzen. Vor dem gleichfalls sorgsam mit Ueberzügen bekleideten Sofa ein alter runder Tisch, dessen geschweifte Beine in vergoldete Löwenklauen ausliefen. Kurz, das Staatszimmer eines bayrischen kleinstädtischen Gasthofs in seiner althergebrachten Ausstattung, und nebenan der „Saal“, ein ganz leerer weiter Raum mit vier Fenstern, nur rings an den Wänden niedrige, mit schwarzem Leder bezogene Bänke. Offenbar fanden hier die Tanzvergnügungen und Hochzeiten des Ortes statt, und der alte Kronleuchter in der Mitte, mit Gaze überzogen und von Fliegenschmutz und Staub geschwärzt, mochte manche tolle Lustbarkeit mit angesehen haben.
Eben war ich daran, meine Köfferchen auszupacken, als an die Thür geklopft wurde und auf mein Herein! eine vierschrötige Magd von mittlerem Alter mit runden roten Backen und einem Doppelkinn eintrat, ebenfalls sehr sauber gekleidet. Sie bewillkommte mich mit einem treuherzigen Grüß Gott! und goß aus ihrem Blecheimer frisches Wasser in den Krug und die Flasche auf meinem Waschtisch. Dies dicke gute Geschöpf verscheuchte sofort das unbehagliche Gefühl, das mich in dem stummen öden Hause überkommen hatte. Ich bat sie um eine leichtere Decke auf meinem Lager und eine zweite Kerze, sie fragte, ob ich hinunterkommen würde, etwas zu essen, und als ich das bejaht hatte, schlurfte sie mit einem gutmütigen Nicken hinaus, um sofort mit der gewünschten zweiten Kerze zurückzukehren.
Nun fing es schon an, mir in der Löwenhöhle behaglicher zu werden, zumal ich an dem alten Ofen in der Ecke ein Meisterstück ehemaliger Töpferkunst entdeckte und an den erhabenen Schildereien auf den grün glasierten Kacheln meine Freude hatte. Sie genauer zu studieren verschob ich auf den nächsten Tag. Mich verlangte nach Speise und Trank, und so löschte ich meine Kerzen und stieg die Treppe hinab nach dem Gastzimmer.
Es war ein weiter, niedriger Raum mit einer vom Rauch vieler Pfeifen und Cigarren schwarzgebeizten Holzdecke, der Fensterwand gegenüber die Küche mit dem Anrichtbrett vor der breiten, mit kleinen Scheiben verwahrten Oeffnung, sorgfältig gescheuerte Tische und Holzstühle der ganzen Länge nach aufgestellt, in der [23] einen Ecke ein Muttergottesbild mit einer geschnitzten Palme verziert, eine alte Uhr in der andern Ecke – Sie kennen ja die Ausstattung unsrer heimatlichen Gastzimmer. Zwei große Hängelampen verbreiteten eine ungewisse Helle, der man durch einige Kerzen in Glasglocken nachgeholfen hatte.
Als ich eintrat, schlug die Uhr eben erst die neunte Stunde. Doch waren nur wenige Gäste vorhanden, ein paar einfache Männer, in denen ich Honoratioren des Städtchens zu sehen glaubte und die schweigsam ihr Bier tranken, an einem der Tische in der Nähe des Marienbildes zwei junge Leute, offenbar Handlungsreisende, die mit einem dritten, der mir der Lehrer zu sein schien, in einen Haferl-Tarok vertieft waren. Neben diesen saß der Herr Pfarrer, ein behäbiger weißköpfiger Herr, der nicht mitspielte, aber heftig rauchend und fleißig dem Kruge zusprechend, das Spiel mit großem Interesse verfolgte und dann und wann dem Lehrer einen halblauten Rat zu geben schien.
Keiner von diesen beobachtete meinen Eintritt, nur die Eingesessenen warfen mir einen flüchtigen Blick zu und starrten dann wieder schläfrig in ihren Krug.
Ich hatte mich an einen der leeren Tische gesetzt, und sogleich kam aus der Küche jenes stattliche Frauenzimmer, das hier das Regiment führte. Sie fragte, jetzt ganz höflich, doch immer kurz angebunden, ob ich mit meinem Zimmer zufrieden sei, bedauerte, meine Ankunft nicht vorher gewußt zu haben, sie hätte dann heizen lassen, um die beklommene Luft zu verbessern, da das Zimmer den Winter über nur selten bewohnt werde. Alsdann fragte sie nach meinen Wünschen in Betreff des Nachtessens.
Geben Sie mir, was vorrätig oder am schnellsten fertig ist, Frau Wirtin! sagt’ ich.
Ich bin nicht die Wirtin, erwiderte sie, nur die Haushälterin. Die Wirtin selbst, meine Frau Pate, ist seit Jahren krank an der Gicht, so muß sie mir alles überlassen.
Nun, sagt’ ich, sie weiß die Wirtschaft in guten Händen. Es ist alles so sauber, wie nicht in manchem großen Hotel. Und auch die Küche im Bayrischen Löwen ist mir gerühmt worden.
Der Herr wird heute abend vorlieb nehmen müssen, erwiderte sie, immer mit dem gleichen regungslosen Gesicht. Morgen werden wir uns schon mehr Ehre machen.
Damit verließ sie mich, und ich sah sie in der Küche hantieren, obwohl dort noch eine Köchin zu erblicken war. Sie wollte offenbar zeigen, was das Haus vermochte, auch wenn ein später Gast unerwartet hereinschneite. Und wirklich war alles, was sie mir vorsetzte, von ausgesuchter Güte, und da auch das Bier nichts zu wünschen übrig ließ, suchte ich endlich in der besten Stimmung mein Zimmer wieder auf.
Die Magd kam mir nach, zu fragen, ob noch etwas fehle. Fräulein Johanne habe auch schon selbst nachgesehen. Fräulein Johanne? sagte ich. Ja, die Pate der Wirtin, die schon neun Jahre im Hause sei und für alles einstehen müsse, da die Wirtin so oft das Bett nicht verlassen könne und ihr Sohn in einem großen Hause in Frankreich in Kondition gegangen sei. Er werde aber doch wohl nächstens wiederkommen müssen, wenn Fräulein Johanne wegzöge. – So so! sagte ich. Da stehen ja große Veränderungen bevor. Hoffentlich bleiben Sie dann wenigstens im Hause, daß die kranke Frau nicht lauter neue Gesichter sehen muß. – O ich –! erwiderte das gute Geschöpf – mit mir verändert sich nichts mehr, und so wie Fräulein Johanne möcht’ ich auch nicht heiraten, denn Sie müssen wissen –
Eine Klingel unten im Hause schnitt den Faden der vertraulichen Mitteilungen ab, denen ich gern noch länger gelauscht hätte.
Die Magd sagte mir eilig Gute Nacht und lief hinunter. Was mochte sie nur damit gemeint haben, daß es sich für das schöne stattliche Fräulein um eine „Veränderung“ handelte, um die sie sie nicht beneiden möchte?
Ich schlief dann sehr gut in meinem altväterischen Himmelbette, unter dem nach längst verschollener gemütlicher Sitte ein paar gestickte Pantoffeln standen, zu beliebigem Gebrauch für die Gäste. Früh wurde ich geweckt durch das laute Treiben auf dem Platz unter meinen Fenstern. Es war Markttag, Bauernfrauen saßen vor ihren Gemüseständen, in den vergitterten Kasten schnatterten Gänse und Enten, die Pferde vor den Bauernwägelchen schüttelten sich unter ihrem messinggeschmückten Zaumzeug, ihre Herren saßen unten in der Schenkstube, und man hörte ihre Stimmen zu den offenen Fenstern heraus. Das kleine alte Nest schien mir beweisen zu wollen, daß ich es sehr verkannt hatte, als ich es gestern Nacht für eine Art Pompeji gehalten hatte.
Ich beeilte mich, unten mein Frühstück einzunehmen. Fräulein Johanne brachte es mir selbst, war aber so beschäftigt, daß wir nur einen Guten Morgen! wechselten. Dann machte ich mich mit meinem Malkasten auf, eine vorläufige Umschau zu halten, stieg auf den Burgberg und durchstöberte die Trümmer, an denen ich nicht viel Malwürdiges fand. Das beste daran war ohne Zweifel die Silhouette von der Bahn aus gesehen.
Dagegen sah’s um so anmutiger auf der Rückseite des Hügels aus. Hier fand ich ein klares Flüßchen, das zwischen Erlen und Weiden dahinlief, in so hübschen Windungen der etwas erhöhten Ufer, daß sich mir sogleich mehr als ein Motiv darbot und mir die Wahl wehthat. Dazu der Blick über die weiten Wiesen und Felder, am Horizont charakteristisch umrissene Höhenzüge und der zartblaue Frühlingshimmel, durch den nur leichte Wölkchen segelten – ich fand hier Arbeit auf Wochen, zumal ich damals gerade auf solche Landschäftchen mit eben aufknospendem Laube, dünnem Strauchwerk und silbernen Lüften versessen war.
Also postierte ich meinen Feldstuhl an eine schattige Stelle und fing eine Aquarellstudie an mit so großer Begier, wie ein Mensch, der lange gefastet hat, sich über ein leckeres Mahl hermacht. Ich habe die Skizze noch zu Hause und kann sie Ihnen einmal zeigen. Sie werden dann begreifen, daß ich mich den ganzen langen Vormittag unentwegt in die Arbeit vertiefte und erst aufsah, als es vom Kirchturm Zwölfe schlug. Ich wußte, daß man in kleinen Städten früh Mittag macht, und da ich es mit Fräulein Johanne nicht verderben wollte, klappte ich meinen Malkasten zu und wanderte auf einem reizenden Fußwege zwischen einer Sägemühle und armseligen Hütten wieder in das Städtchen hinein.
Im Thorweg des Gasthofs kam mir die junge Vicewirtin entgegen, heute mit etwas mehr Farbe im Gesicht, da sie sich an solchem Markttag besonders viel zu rühren hatte. Sie habe mir im Garten gedeckt, da so schön Wetter sei und im „Salettl“ eine bessere Luft als im Gastzimmer, wo geraucht werde. Wenn es mir recht sei, könne mir dort gleich aufgetragen werden.
Natürlich war mir’s recht. Sie nahm mir meine Sachen ab und bat mich, nur voranzugehen. Ich schritt also durch den Hof, zu dessen Seiten ich die jetzt leer stehenden Gebäude sah, die früher zur Brauerei gedient hatten, und trat durch ein verfallenes Gitterthürchen in den Baumgarten, der ebenfalls den Eindruck machte, als ob man sich mit seiner Pflege keine sonderliche Mühe mehr gäbe. Nur ein paar Beete an der einen Seite waren mit Küchenkräutern bestellt, an den Rändern blühten Primeln und Crocus, zwischen den Apfelbäumen aber wucherte das Unkraut, und auf den Wegen lag der halbvermoderte Blätterabfall, den niemand wegzukehren sich die Zeit nahm.
Dagegen war das sogenannte Salettl durchaus sauber gehalten und der kleine Tisch in der Mitte höchst appetitlich gedeckt. Ich hatte auch nicht lange zu warten, so kam die Magd mit der Suppe und der Weinkarte, hielt sich aber nicht so lange auf, daß ich das gestern unterbrochene Gespräch hätte fortsetzen können.
Ich hatte aber mein einsames Mahl kaum beendet und mir eben eine Cigarre angezündet, als ich das Gitterpförtchen knarren hörte und Fräulein Johanne daherkommen sah, mit langsamen Schritten, da sie eine gebrechliche kleine alte Frau führte. Sie kamen gerade auf mich zu, und die Alte, in der ich natürlich ohne besondere Vorstellung die Wirtin erkannte, fragte, ob ich erlauben möchte, daß sie sich ein wenig zu mir setzte. Sie sei durch ihre Krankheit die meiste Zeit von allen [24] Menschen abgeschieden, und da ihre Augen immer schwächer würden, könne sie auch nur mit Mühe aus der Zeitung erfahren, wie es in der Welt zugehe. Ihre Johanne – dabei blickte sie ihre Pate zärtlich an – habe leider nicht viel Zeit, ihr Gesellschaft zu leisten, und ihre alten Bekannten im Ort seien fast alle weggestorben. Dabei seufzte sie, und über ihr gutes faltiges Gesicht, das halb unter einem schwarzen Tuch vergraben war, ging ein schmerzliches Zucken.
Ich sagte ihr natürlich, es würde mir sehr angenehm sein, wenn sie die warme Mittagssonne hier neben mir genießen wollte, und half der Johanne, sie in einen großen Rohrstuhl mitten in die Sonne zu setzen. Ein Fußbänkchen wurde ihr unter die Füße gestellt, ein dicker wollener Shawl über ihre Knie gebreitet, und erst als sie wie ein kleines wohleingewickeltes Häufchen Unglück mir gegenüber am Tische thronte, verließ uns das schöne stille Mädchen ohne viel Worte, mit ihrem mir schon bekannten nachdenklichen Nicken.
Wir schwiegen erst eine Weile. Der Anblick der kleinen Frau, die bessere Tage gesehen hatte und nun in der zurückgegangenen Wirtschaft krank und einsam auf fremde Hilfe angewiesen war, hatte etwas Rührendes für mich. Zumal sie gar nicht nach Art solcher Kleinstädterinnen sich neugierig an mich machte, sondern still abzuwarten schien, ob ich mich weiter mit ihr zu beschäftigen Lust hätte.
Sie haben da eine rechte Stütze an Ihrer Patin, Frau Wirtin, sagte ich endlich. Ich höre aber, sie will sich verändern. Es wird schwer sein, einen Ersatz für sie zu finden.
Der zahnlose Mund der Alten verzog sich zu einem bitteren Ausdruck von Schmerz und Hilflosigkeit.
Schwer? murmelte sie. Sagen Sie lieber: unmöglich! Nun, ich überleb’ das ja nicht lange. Wie mein Sohn es dann halten will, ob er das Haus verkauft oder den Gasthof fortführt – das ist seine Sache. Junge Leute wissen, was für sie taugt, wir haben es auf unsre Manier gemacht, sie machen’s auf ihre. Das aber ist gar nicht das Schwere. Daß sie so von mir geht, das drückt mir das Herz ab, darüber kann ich mich nicht zufrieden geben.
Wieder das geheimnisvolle „so“, das ich schon von der Magd hatte hören müssen.
Ich denke, Fräulein Johanne will heiraten, sagt’ ich. Sie scheint mir sehr verständig zu sein und genau zu wissen, was sie will. Wie kommt es nun, daß Sie mit ihrem Entschluß nicht einverstanden sind?
Die Alte antwortete nicht sogleich, sah erst traurig vor sich hin, dann blickte sie zu mir hinüber, wie um sich zu vergewissern, daß ich ein Mensch sei, dem man vertrauen könne, und sagte dann: Auch Sie, lieber Herr, würden mit dieser Heirat nicht einverstanden sein, wenn Sie die näheren Umstände kennen würden. Und warum soll ich Ihnen nicht davon reden? Es wissen’s ja alle im Ort, und am Ende – Schande macht’s ihr ja auch nicht, wenn’s auch zu ihrem Unglück sein wird. Denn so zusammenzukommen, nein, das thut meiner Lebtage nicht gut, und daß sie selbst es auch empfindet, das ist ihr ja am Gesicht anzusehen. Eine glückliche Braut sieht anders aus.
Es sollte mir sehr leid thun, sagt’ ich, wenn es so käme, wie Sie fürchten. Man braucht Ihre Pate nicht lange zu kennen, um zu wissen, daß sie einen Mann sehr glücklich machen könnte und wert wäre, den besten Mann zu finden.
Das ist ein wahres Wort, sagte die Alte, und das weiß niemand besser als ich und noch einer, mein armer Sohn, der glücklich gewesen wäre, wenn er sie hätte kriegen können, und weil sie ihn nicht genommen hat, weggegangen ist und sich nicht in seinem Elternhaus mehr hat blicken lassen. Wenn sie nun fort ist, wird er wohl wiederkommen, aber vergessen thut er sie nimmer, das weiß ich bestimmt, und wenn er mal eine andere heiratet – so wie mit der Johanne kann er’s mit keiner finden. Und das ist das einzige, wodurch sie mir jemals Kummer gemacht hat. Denn sonst – eine leibliche Tochter hätte nicht mehr für mich thun und mir treuer beistehen können, und das, was sie jetzt vorhat – du lieber Heiland, es ist ja auch nicht ihr freier Wille, sie wird dazu gezogen von einer Einbildung, die ihr den klaren Verstand verstört hat, und leidet selbst heimlich unter ihrem Eigensinn. Sehen Sie, lieber Herr, andere Mädchen haben zu wenig Gewissen, und sie hat zu viel. Das allein ist schuld an der ganzen unglücklichen Geschichte.
Ich sagte ihr, daß ich aus diesen rätselhaften Andeutungen nicht klug werden könne. Aber wenn es ein Familiengeheimnis wäre, wolle ich nicht weiter fragen, wie das zusammenhinge.
Nein, ein Familiengeheimnis sei es nicht. Die Johanne sei nicht mit ihr verwandt, nur mit ihrer verstorbenen Mutter sei sie gut bekannt gewesen, von der Schule her. Die habe dann aufs Dorf hinaus geheiratet, und wie dies, ihr erstes und einziges Kind gekommen sei, habe sie’s der alten Freundschaft wegen aus der Taufe gehoben, und die Kleine sei auch nach ihr genannt worden.
Und dann – das Dorf liege nur eine halbe Stunde von dem Städtchen entfernt – dann habe die Gevatterschaft es mit sich gebracht, daß sie einander von Zeit zu Zeit besucht hätten, und sie habe großes Gefallen an dem lieben Kinde gehabt, das schon von klein auf brav und gut gewesen sei, nur freilich immer einen eigenen Sinn gehabt habe. Was ihr einmal wichtig gewesen sei, davon habe sie niemand abbringen können, nicht einmal der Herr Pfarrer.
Auch sehr hübsch sei sie schon als Kind gewesen und habe sich immer ordentlich gehalten in ihrem Anzug und saubere Hände gehabt bei aller harten Arbeit, daß sie, die Pate, sich oft verwundert hätte, wie sie’s nur fertig bringe, während andere Dorfmädchen die reinen Schlampen sind. Dabei sei sie nicht eitel gewesen, oder doch nur so viel wie jedes Mädchen sein müsse, die was auf sich halte. Ich hab’ schon damals bei mir gedacht, die wäre einmal eine Frau für meinen Sohn und eine rechte Wirtin für den Bayrischen Löwen, sagte die Alte mit einem tiefen Seufzer. Aber unser Herrgott hat es anders beschlossen gehabt.
Sie hat sich als junges Ding besonders mit zwei Spielkameraden abgegeben, der eine war ein paar Jahre älter als sie, der Firmian vom Großbauern, ein hübscher Bub, groß und stark, aber ein bißchen langsam von Begriffen und in der Schule immer zurück. Der andere war der Sohn einer Taglöhnerin, ein lediges Kind, kleiner als der Firmian und grad so alt wie die Johanne, aber ein aufgeweckter Bursch, dieser Veit. Es hieß, seine Mutter, die eine durchtriebene Person war, habe sich mit dem Forstmeister eingelassen, der hat sich aber von ihr weggeleugnet und hat für den Buben nichts thun wollen. So ist er der Gemeinde zur Last gefallen, nachdem die Mutter gestorben war; man hat ihn beim Dorfschneider untergebracht, der ihm mehr Prügel als gute Bissen gab, was er auch verdient haben mochte, denn er steckte voll unnützer Streiche. Dabei war er aber immer kreuzwohlauf und duckte sich auch nicht vor den anderen Buben, die ihre richtigen Eltern hatten und ihn gern beiseite geschoben hätten. Besonders mit dem Firmian raufte er gern und hänselte ihn wo er konnte, zumal er auch in der Schule über ihm saß und der Lehrer ihm seine Unarten hingehen ließ wegen seines anschlägigen Kopfs trotz seiner Faulheit.
Um die kleine Johanne strich er immer herum wie der Hahn um die Henne. Sie aber, obwohl sie damals eine wilde Hummel war, was man ihr jetzt nicht mehr zutraut, hat sich nichts aus ihm gemacht. Sein schlechter Aufzug und das schmutzige Hemd waren ihr zuwider, und sie zog ihm den Firmian vor, schon weil der so viel von dem nichtsnutzigen Buben zu leiden hatte. Denn Sie müssen wissen, sagte die Frau, sie hat schon als ganz junges Ding ein gar mitleidiges Herz gehabt. Wenn sie gesehen hat, daß es einem Schwächeren schlecht ging von einem groben Lümmel, das brachte sie in hellen Zorn, und wenn’s nur ein kleiner Köter war, dem ein großer Schlächterhund das Fell zauste. So hat sie auch dem Firmian immer beigestanden, so oft der Veit ihn zum Narren machte oder beim Balgen ihm ein Bein stellte.
Das zog sich so hin, bis sie alle aus der Schule waren und gefirmelt wurden. Dann ist der Veit vom Dorf weggekommen, nach Nürnberg, wo er einen Onkel hatte, der war Obergesell bei einem Kunstschreiner. Da sollte er das Handwerk lernen, und man hörte auch, daß er sich ganz gut dazu anließ, auch keine [26] schlechten Streiche mehr machte, weil jetzt der Onkel ihn kurz am Bändel hielt.
Der Firmian blieb natürlich bei den Eltern und half auf dem Felde. Er hatte es nicht zum besten, obwohl die Mutter eine gute Frau war. Der Vater aber war schon damals ein Säufer und im Rausch sehr gewaltthätig. Dagegen konnte jetzt den Buben die Johanne nicht mehr verteidigen, hatte auch genug mit sich selbst zu thun. Ich hätt’ sie schon damals gern zu mir genommen, sagte die Wirtin, und wußt’ auch, sie wär’ gern was Besseres geworden, als eine Bauerndirne, und hätt’ in der Stadt Nähen und Schneidern lernen mögen, um etwa zu einer Herrschaft als Jungfer zu kommen. Das mußt’ sie sich aber vergehen lassen, weil der Vater starb und die Mutter ein etwas schwachsinniges Weib war, die im Hause und auf dem Feld eine Hilfe brauchte.
Pate, sagte sie zu mir – sie war damals vierzehn Jahr alt – ich kann die Mutter nicht im Stich lassen, sie hat niemand als mich, es muß schon Gottes Wille sein, daß ich’s nicht weiter bringe als zum Kuhmelken und Garbenbinden. Nun, Johanne, sagt’ ich, kommt Zeit kommt Rat, und wenn’s einmal doch anders wird, so weißt du, wo deine Frau Pate wohnt und daß sie dir jederzeit aufmacht, wenn du bei ihr anklopfst.
Ich dachte nämlich, ihre Mutter würd’ es nicht lange mehr machen. Aber da die Tochter sie so gut verpflegte, hielt sie sich in ihrer Schwachheit und Gebrechlichkeit viele Jahre hin. Indessen wuchs das Mädel heran und wurde immer sauberer und stattlicher, so daß alle Bursche im Dorf in sie vernarrt waren. Am meisten der Firmian, der auch ein sehr schöner Mensch geworden war, bis auf den schläfrigen Ausdruck in seinem Gesicht. Noch immer wurde er von seinen Kameraden gehänselt, was der Johanne, so oft sie es mit ansehn mußte, einen Stich ins Herz gab. Es geschah auch aus Neid von den andern, da sie es ihm nicht gönnten, daß die Johanne zu ihm hielt, und alle wußten, wenn dem Firmian sein Vater nur seine Einwilligung gegeben hätte, wären die Zwei ein Paar geworden. Der alte Großbauer aber haßte seinen Sohn, den er einen Tropf nannte, und dachte nicht daran, ihm den Hof zu übergeben, daß er heiraten könnte.
Darüber vergingen die Jahre. Vom Veit hatte man nichts mehr gehört, als daß er zum Militär gemußt hatte. Der Firmian war frei geworden, ich weiß nicht, aus welchem Grunde, denn damals konnte man sich nicht mehr einen Stellvertreter kaufen. Vielleicht, weil er der einzige Sohn gewesen ist und der Vater sich für krank ausgegeben hat, daß er ohne ihn die Wirtschaft nicht hätt’ versehen können. Genug, er blieb im Dorf, als seine Altersgenossen fast alle den bunten Rock anziehen mußten.
Wie nun die Johanne sah, daß er ein so jämmerliches Leben bei dem tyrannischen Vater hatte und kein Ende abzusehen war, erklärte sie ihm eines Tages, sie habe die Mutter überredet, ihren Hof an ihn abzutreten, wenn er sie zu seiner Frau gemacht hätte. Ihr gutes Herz war mit ihr durchgegangen, obwohl sie einsehen mußte, mit einem solchen Mann würde sie nicht besonders glücklich werden.
Der Firmian aber verwußte sich nicht vor Glückseligkeit, und seinen Eltern war’s auch mehr als recht, den Sohn versorgt zu sehn, ohne selbst ins Altenteil gehn zu müssen. Also gingen die Zwei als ein erklärtes Brautpaar miteinander, der Bräutigam vierundzwanzig Jahr alt, meine Pate zwei Jahr jünger. Kind, sagt’ ich, hast du auch bedacht, was du da gethan und auf dich genommen hast? – Nein, Pate, sagte sie. So was muß man nicht bedenken, sonst thut man’s vielleicht nicht. Er hat mich aber zu sehr erbarmt, da hab’ ich Hand über Herz gelegt und bin mit zugekniffenen Augen hineingesprungen in mein Schicksal. – Armes Herz! dacht’ ich. Wenn dir die Augen nur nicht zu bald aufgehn! – Denn hatt’ ich den Firmian schon früher nicht leiden mögen trotz seiner blauen Vergißmeinnichtaugen und Backen wie Milch und Blut – jetzt vollends war er mir zuwider, wie er so stolz wie ein Pfau mit seiner Braut herumzog, und bildete sich wahrhaftig ein, er wäre das Mädel wert und sie könne von Glück sagen, daß er seine Augen auf sie geworfen habe.
Also blieb ich die nächste Zeit vom Dorfe weg, wohin ich sonst manchmal an einem Sonn- oder Feiertag hinausgefahren war, meine Gevatterin zu besuchen. Es kam mir zu hart an, meine Pate als Verlobte dieses Burschen zu finden und zu sehen, daß sie selbst nur eben gute Miene zum bösen Spiel machte.
Den ganzen Sommer hörte und sah ich auch nichts mehr von ihr. Da kam plötzlich eine entsetzliche Nachricht in unsere Stadt.
Stellen Sie sich vor, nur vierzehn Tage vor der Hochzeit, die gleich nach der Ernte gehalten werden sollte – ich war natürlich auch eingeladen worden, hatte mir aber vorgenommen, unter einem Vorwand wegzubleiben – auf einmal war der Veit wieder aufgetaucht, der inzwischen seine drei Jahre abgedient hatte. Er sei ganz verändert gewesen, noch gewachsen und in seiner Urlauber-Uniform ein bildsauberer Bursch, auch nicht mehr so ein Thunichtgut, sondern ganz anständig, bis auf die verwogene Manier, mit der er allen hübschen Dirnen keck in die Augen sah. Wie er aber der Johanne zum erstenmal wieder begegnet sei, habe er wie vom Blitz gerührt die Augen niedergeschlagen und ihr dann die Hand geboten und ein paar verlegene Worte gestammelt. Da sei der Firmian dazu gekommen und habe ihm nur so hochmütig zugenickt und gesagt: Bist auch wieder da, Veit? Na, beim Militär werden sie dir deine Nücken und Tücken schon ausgetrieben haben, und wenn du das Raufen lassen willst, kannst auch zu meiner Hochzeit kommen, Sonntag nach Mariä Geburt.
Der Veit habe kein Wort erwidert, ihn nur vom Kopf bis Fuß gemessen und dann mit einem kurzen Auflachen ihm den Rücken gekehrt. Die Johanne aber sei gleich ganz tiefsinnig gewesen und habe dem Firmian sein hochmütiges Betragen vorgeworfen, da der Veit doch nichts dafür könne, daß er ein haus- und habloser Bursch sei und früher keine bessere Erziehung genossen habe.
Hierüber sei es zum ersten Zank zwischen den Brautleuten gekommen, und der Firmian habe sich trutzig abgewendet, sich auch die nächsten Tage nicht bei ihr blicken lassen.
Wie es dann weiter gegangen, sagte die Frau, ist mir nicht ganz klar geworden. Es scheint, der Veit hat Gelegenheit gefunden, mit der Johanne verstohlen zusammenzukommen und ihr so viel vorzuschwätzen, wie unglücklich er sei, daß er zu spät komme, wie sehr sie es bereuen würde, einem solchen aufgeblasenen Trottel ihre Hand und den schönen Hof zu geben, und hat dabei all seine schlauen Künste aufgeboten, die er bei den Nürnberger und Münchener Mädeln gelernt haben mochte – kurz, der Johanne hat er dermaßen den Kopf verdreht, daß es jetzt ihr selbst unmöglich erschienen ist, den Firmian zu heiraten.
Ihm das geradezu einzugestehn, hat sie freilich doch nicht den Mut gehabt. Merken aber konnt’ er’s genug an der kalten Miene, mit der sie ihm begegnete, und auch auf dem Tanzboden, wo sie lieber mit dem Veit als mit ihrem Bräutigam tanzen mochte, was ganz gegen den Brauch war. Schon damals wär’s wohl zu schlimmen Auftritten gekommen, wenn der Firmian nicht gefürchtet hätte, von seinem Nebenbuhler elend zugerichtet zu werden. So saß er denn, während der sein Mädel herumschwenkte, mit verbissener Wut beim Kruge, den er öfter, als gut war, frisch füllen ließ, und nahm sich vor, der Johanne auf dem Heimweg die Meinung zu sagen. Auch das mußte er aber unterlassen, denn der Veit ließ sich’s nicht nehmen, den beiden bis zum Hause der Johanne das Geleit zu geben, wo er dann, wenn die Braut sicher hinter Schloß und Riegel war, mit einem spöttischen Lachen den schwachmütigen Bräutigam stehen ließ.
Diesmal aber erbarmte sich ihr gutes Herz nicht wie sonst des Schwächeren. Ja als er sie endlich offen zur Rede stellte und verlangte, sie solle dem frechen Gesellen die Wege weisen, erklärte sie ihm rund heraus, das sei seine Sache, und wenn er selbst nicht Manns genug wäre, sich einen Nebenbuhler vom Halse zu schaffen, bedanke sie sich dafür, seine Frau zu werden. Dabei mögen dann noch von ihrer und seiner Seite genug bittere und gehässige Worte gefallen sein, und das Ende vom Liede war, daß sie erklärte, aus der Hochzeit könne so bald noch nichts werden. Vor dem neuen Jahr denke sie nicht daran, ihre Freiheit aufzugeben, und auch dann komme es sehr darauf an, wie er sich bis dahin betragen hätte.
[27] Nun können Sie denken, fuhr die Frau fort, was für ein Aufsehen das im Dorf gemacht hat. Die Einen nahmen Partei für den Firmian, zumal sie sich ungern das Freibier und die sonstigen Hochzeitsfreuden entgehen ließen, die Schadenfrohen, die der reichen Schlafhaube das Mädel nicht gegönnt hatten, hielten zu dem Veit, der übrigens keine Aufmunterung brauchte, sondern im stillen entschlossen war, um jeden Preis den andern auszustechen und die Johanne für sich zu behalten.
Was in Firmian vorging, erriet niemand. Die meisten dachten, seine zahme Gemütsart werde ihn auch diesmal dahin bringen, zurückzutreten und auf das Mädel zu verzichten. Denn bis zum neuen Jahre einen neuen Menschen anzuziehen konnte er nicht wohl hoffen. Er hielt sich, wenn er nicht auf dem Felde zu thun hatte, in seiner Kammer eingeschlossen, vermied auch im Hause, so viel es ging, dem Vater unter die Augen zu kommen, der ihm beständig mit stachligen Reden und offenbaren Schimpfworten zusetzte, daß er sich von einer wetterwendischen Dirne und einem hergelaufenen Lumpen so schmachvoll behandeln ließ, und nur die Mutter, die aber im Hause nichts zu sagen hatte, schlich heimlich zu ihm und suchte ihm mit Weinen und Bitten das Herz aufzuschließen. Auch gegen sie aber verriet er mit keinem Wort, was er brütete.
Bis es denn eines Tages schrecklich ans Licht kam.
Die alte Frau schöpfte eine Weile Atem und zog den wollenen Shawl dichter um ihre gichtgeschwollenen Kniee. Dann sagte sie:
Ja, lieber Herr, wer hätte sich das träumen lassen, von diesem Firmian, dieser „Schlafhaube“! Aber stille Wasser sind tief.
Ich selbst wußte, seit ich zuletzt mit meiner Pate gesprochen hatte, nicht das Geringste von allem, was indessen auf dem Dorf geschehen war, nicht einmal, daß der Veit sich wieder gezeigt hatte. Als der zur Hochzeit bestimmte Sonntag herangekommen war, dachte ich nicht anders, als daß nun die Dinge ihren Lauf haben würden, der mir so sehr gegen den Strich ging, und als ich mich mittags mit meinem Mann zu Tische setzte, sagte ich: Jetzt ist’s geschehen, Martin, und sie muß ausessen, was sie sich gekocht hat. Ich danke nur Gott, daß ich nicht dabei zu sein brauche, wenn sie zum erstenmal als junge Frau neben dem langweiligen Menschen den Löffel in die Suppe taucht.
Mein Mann, der auch an der Johanne hing, wie an einer eigenen Tochter, sagte: Vielleicht geht’s doch besser aus als du meinst. Dir wäre keiner gut genug für sie gewesen. – Ich wußte aber, er redete anders, als er dachte; ihm that’s ebenso leid wie mir, daß sie nun für unsern Franz verloren war.
Nun, wir hatten kaum abgegessen, da kam eine Bekannte von mir aus dem Dorf ins Zimmer gestürzt und war noch ganz auseinander von dem Schrecken und nur zu mir in die Stadt gelaufen, daß ich der Mutter der Johanne zu Hilfe kommen möchte, die mit ihrem schwachen Kopf sich nicht zu raten und zu helfen wußte.
Denken Sie, was geschehen war.
Am Morgen nach dem Gottesdienst war die Johanne mit anderen Mädchen aus der Kirche getreten. Die Buben standen schon draußen auf dem kleinen Friedhof, unter ihnen der Veit. Der tritt lachend nach seiner übermütigen Manier auf das Mädel zu, macht seine militärische Reverenz und bietet ihr ein paar rote Nelken an, die sie auch ohne weiteres nimmt und vorne in ihren Brustlatz steckt. Gesprochen haben sie weiter nichts miteinander. In demselben Augenblick schiebt der Firmian, der zuhinterst bei den Buben gestanden hatte, die Vorderen beiseite, tritt auf den Veit zu und sagt ihm mit rollenden Augen und heiserer Stimme, er habe ein Wörtchen mit ihm zu reden. So viel du willst, sagt dieser und streicht sich den kleinen Schnurrbart, indem er den anderen zuzwinkert. Alle merken gleich, daß es mit dem Firmian nicht ganz richtig ist, und wollen den Veit abhalten, sich hier an dem heiligen Ort mit ihm einzulassen. Der aber war seinem Feinde schon gefolgt, bis an die Mauer des Gottesackers, da bleiben sie stehen, und man hört den Firmian in den andern hineinreden, erst ganz leise, dann immer hitziger, zuletzt wie er ganz rasend wird und schreit: Ich verbiete dir, mit meiner Braut überhaupt noch ein Wort zu reden! Gleich heute machst du, daß du weiter kommst, und wenn du dich jemals wieder hier im Dorf blicken läßt, schieß’ ich dich über den Haufen, wie einen tollen Hund!
Oho! sagt der andere, dazu gehören zwei, mein Lieber. Wenn die Johanne mir nicht das Maul verbietet, hat kein Mensch dreinzureden. Du hast einen Rausch, Freundchen, du kannst nicht viel vertragen. Geh’ heim und leg’ dich aufs Ohr! – und noch ein paar so anzügliche Reden.
Der Firmian wird weiß im Gesicht wie die Friedhofsmauer. Es schien, er wollte noch was sagen, aber er keuchte bloß wie einer, der ersticken will, und auf einmal hörte man zwei Schüsse, rasch nacheinander und sah, wie der Veit mit blutbespritztem Gesicht, die Arme durch die Luft schlagend, zusammenbricht und vornüber auf die Grabhügel hinsinkt.
Heilige Mutter Gottes – Veit! hört man die Johanne rufen, und sie will wie eine Verzweifelte zu ihm hinstürzen, aber eine Ohnmacht raubt ihr die Kraft, sie fällt besinnungslos ihren Kameradinnen in die Arme, die schaffen sie eilig nach Hause. Den Firmian, der mit einem blöden Lachen ganz ruhig dasteht, packen gleich einige der Buben, und er läßt sich auch geduldig abführen. Andere trugen den Veit in die Kirche; der Bader war gleich zur Hand, er konnte aber nichts machen. Die erste Kugel hatte die Brust nur gestreift, die zweite aber die Stirn getroffen und steckte noch in dem Schädel.
Als ich zu meiner Gevatterin hinauskam, fand ich, wie Sie denken können, das ganze Dorf in Aufruhr. Den Thäter hatte man schon von Polizeiwegen festgenommen und ins Gefängnis gebracht. Sein Opfer lag noch vor der Kirchenthür auf einer Bahre; der Wirt, bei dem er logiert hatte, hatte die Leiche nicht in sein Haus nehmen wollen.
Die Johanne konnt’ ich nicht sehen. Sobald sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie alle, auch die Mutter, aus der Kammer getrieben und sich eingeriegelt. Auf keine Bitte oder Frage gab sie Antwort.
Ich blieb die Nacht und den folgenden Tag draußen, dann mußte ich wieder in mein Haus zurück, ohne das Begräbnis abzuwarten, zumal ich auch meine Pate nicht zu sehen bekam. Ich hörte dann, erst nachdem der Veit bestattet war sei die Johanne wieder zum Vorschein gekommen, aber stumm und starr wie ein gemaltes Bild, habe auch das Haus seitdem nicht verlassen und sich um den Stall und die Feldarbeit nicht mehr gekümmert. Nur um die Mutter, die der Schrecken aufs Krankenlager geworfen, habe sie sich gesorgt und nachts bei ihr gewacht, doch immer ohne ein Wort zu reden.
Dann, als die Sache vors Gericht kam, mußte sie freilich als Zeugin den Mund aufthun, gestand auch, sie fühle sich schuldig, da sie dem Veit Hoffnungen gemacht habe, trotzdem sie mit seinem Mörder versprochen gewesen sei. Daß sie selbst straflos ausging, wollte sie erst nicht glauben und sagte dem Firmian alles Gute nach, mehr als sie selber für wahr halten mochte. Das half aber so wenig als die Rede des Verteidigers, der die geminderte Zurechnungsfähigkeit behauptete und seinen Klienten überhaupt als schwachsinnig hinstellen wollte. Damit kam er aber nicht durch. Denn der Firmian selbst blieb dabei, er habe die That mit vollem Bewußtsein gethan, den Revolver nur zu dem Zweck gekauft, den verhaßten Menschen aus der Welt zu schaffen, wenn er nicht gutwillig sich selbst aus dem Wege räumte. Und wenn er jetzt geköpft würde, sei’s ihm ganz recht; denn ohne das Mädel könne er doch nicht weiterleben.
Die Geschworenen schienen sich aber zu erbarmen, und er wurde nicht des Mordes, sondern nur des Totschlags schuldig befunden, und statt zum Tode zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt.
Er hörte den Spruch an, ohne eine Miene zu verziehen. Nur als die Johanne, die selbst wie eine verurteilte arme Sünderin dagesessen hatte, auf ihn zuging, ihm die Hand hinhielt und etwas zu ihm sagen wollte, stieß er einen dumpfen Laut aus, in sein fahles Gesicht schoß das rote Blut, und mit beiden Armen wehrte er sie ab, als ob sie eine Pestkranke wäre. Dann ließ er sich ruhig abführen.
[60] Seit jenem Tage, fuhr die Wirtin fort, hat niemand mehr das Mädchen lachen hören.
Im übrigen fand sie sich langsam wieder zurecht, zumal es bei ihr im Hause so viel zu thun gab, daß sie keine Zeit zum Spintisieren und Kopfhängen hatte.
Die Mutter erholte sich nicht wieder. Sie siechte noch Jahr und Tag so hin, dann losch sie aus wie eine Pfennigkerze. Ich brauche nicht zu sagen, daß ich dem armen Frauenzimmer nach Möglichkeit beistand, und – es mag Ihnen schlecht und unchristlich scheinen – eigentlich konnte ich nicht bedauern, daß alles so gekommen war. Nun war das Mädchen ja wieder frei, und wenn erst Gras über der traurigen Geschichte gewachsen wäre, würde sie, dacht’ ich, doch wohl einsehen, daß es ihr Unglück gewesen wäre, aus purem Mitleid den Mann zu nehmen, der nicht für sie paßte. Ich war eben Mutter, lieber Herr, und das Glück meines Sohnes ging mir über alles.
Ich hatte aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
Denn freilich, nach dem Tode ihrer Mutter sah meine Pate ein, daß es das beste für sie wäre, mein altes Anerbieten anzunehmen und zu mir zu ziehen. Ich konnte sie nur allzu gut brauchen, da ich schon damals zuweilen von meinem Gebresten befallen wurde und dann keine treue Seele hatte, mich in der Wirtschaft zu ersetzen, die damals noch sehr gut ging, ehe unser Städtchen mehr und mehr heruntergekommen war. Mein Mann und der Franz hatten mit der Brauerei und der Oekonomie genug zu thun, Küche und Wäsche und die Bedienung der Gäste hatte ich zu besorgen. Ich war daher sehr froh, als die Johanne ihr mütterliches Gut verkaufte – sie war ohnedies auf dem Dorf gemieden, als ob sie selbst die beiden Schüsse abgefeuert hätte – und in gesunden und kranken Tagen mir zur Seite stand. Eine lustige Wirtin war sie freilich nicht, die mit den Gästen sich auf einen scherzhaften Diskurs einläßt und junge Leute ins Haus zieht. Da aber alle ihre Geschichte kannten und sie überdies so gut anzusehen war, nahm man ihr das stille Wesen nicht übel.
Am wenigsten mein Sohn Franz. Der war wie närrisch in sie verliebt, und da er’s endlich nicht mehr aushalten konnte, drang er in mich, bei ihr auf den Busch zu klopfen, was er zu hoffen hätte.
Was glauben Sie, daß sie uns zur Antwort gab? Der Franz sei ihr lieb und wert wie ein Bruder, und wenn eins nicht wäre, würde er ihr vielleicht auch noch mehr werden können. Nun aber sei’s eben unmöglich; die Frau Pate wisse ja selbst, daß sie schon einen Bräutigam habe, und wenn es auch noch Jahre bis zur Hochzeit dauern würde, ihr gegebenes Wort werde sie nicht brechen.
Ich starrte sie an, wie wenn sie mich zum besten haben wollte.
Redst du im Ernst, Kind? sagt’ ich. Auf den willst du warten, den unseligen Menschen, der Blut an seinen Händen hat? Einem Zuchthäusler willst du die Treue halten?
Er ist es um mich geworden, sagte sie ganz ruhig. Ich habe ihn zu der That getrieben, da ich ihm untreu werden wollte. Nun ist es meine Pflicht, ihm alles, was er jetzt leidet, zu vergüten. Sie wissen ja auch, Frau Pate, sagte sie, daß seine gute Mutter gestorben ist, auch aus Herzweh um ihren einzigen Sohn. Ihr Mann hat wieder geheiratet, eine liederliche Person, die ihm hilft, sein Gut durchzubringen und alles zu verwahrlosen. Es heißt, sie werden nächstens auf die Gant kommen. Wenn der Firmian seine Strafzeit abgesessen hat, ist er ein Bettler. Alle Leute werden ihm ausweichen, ein rechter Arbeiter ist er nie gewesen, und die lange Gefangenschaft wird ihn vollends träge gemacht haben. Wer soll ihm da wieder zu einem ordentlichen Leben helfen, wenn ich nicht zu ihm stehe? Uebrigens habe ich erfahren, daß er sich im Gefängnis sehr gut aufführt. Kommt er wieder frei, so darf man ihm nicht mehr vorwerfen, was er in der Verblendung seiner Leidenschaft verbrochen hat. Und er selbst ist auch damit einverstanden. Ich habe ihn wissen lassen, wozu ich entschlossen bin; das hält ihn jetzt aufrecht, alle Leiden und Entbehrungen zu ertragen.
Ich war zu Tod erschrocken über diese Erklärung. Aber wie ich das Mädchen kannte, sah ich ein, daß es vergebene Mühe sein würde, ihr den wahnsinnigen Gedanken auszureden. Es kam ja auch das von ihrem Mitleiden her, das schon früher sie so halsstarrig an thörichten Entschlüssen festhalten ließ.
Und dann – was konnte nicht im Laufe der nächsten Jahre noch alles geschehen! Wenn der Sträfling an der schlechten Kost oder der harten Arbeit zu Grunde ginge –
Kurz, ich berichtete meinem armen Jungen nur, daß er sich gedulden müsse. Vorläufig sei nichts zu machen. Er war aber ein Hitzkopf, der von Geduld nichts hören wollte. Täglich mit ihr zusammen zu sein, ohne nur ein gutes Wort oder einen freundlichen Blick von ihr zu erhalten, das brachte er nicht übers Herz.
Und so ging er in die Fremde, und bald darauf starb mein Mann, und ich arme Witwe wäre auch nicht am Leben geblieben, hätte ich die Johanne nicht gehabt. Aber wie die mich pflegt – nun, Sie haben’s ja gesehen! So gram ich ihr darum war, daß sie durch ihren Eigensinn den Franz aus dem Hause getrieben hat, ich hab’ sie doch von Tag zu Tag mehr ins Herz geschlossen. Sie hat ihr Zimmer oben neben dem meinigen. Wie oft, wenn meine Schmerzen mich nicht schlafen lassen, steht sie mitten in der Nacht auf, mir Tropfen zu reichen oder auch nur neben meinem Bette zu sitzen, daß ich doch nicht so ganz verloren und verlassen vor mich hin stöhnen müsse. Und das soll nun auch bald vorbei sein! Wenn ich’s denke, ist mir’s, als ob ich meinen guten Mann und den Franz noch einmal verlieren sollte, und ich meine, diesmal könnt’ ich’s nicht überleben!
Das gute alte Gesicht sah so kläglich unter dem schwarzen Tuch hervor, daß ich mit der armen Frau das herzlichste Mitleid fühlte.
Seien Sie doch nicht so verzweifelt, liebe Frau, sagt’ ich. Es wird ja noch alles gut werden, wenn Ihr Sohn wieder bei Ihnen ist. Denn der kommt doch gewiß wieder zurück, wenn er Fräulein Johanne hier nicht mehr begegnen muß. Wie ist es denn aber zugegangen, daß jetzt schon von „Veränderung“ die Rede ist? Der arme Teufel, der Firmian, hat doch seine fünfzehn Jahre noch lange nicht abgesessen?
Die Frau wischte sich die Augen und sah zu mir auf.
Das ist’s ja eben, worüber ich mich abhärme, sagte sie. Hätte sie nur ruhig die Zeit abgewartet, wär’ alles vielleicht noch gut geworden. Aber denken Sie nur: vor etwa zwei Monaten kommt sie zu mir und bittet mich, sie nach München reisen zu lassen, nicht für lange, höchstens auf acht Tage. Sie müsse hin. Was sie da vorhatte, wollte sie mir nicht sagen. Was sollte ich thun? Ich konnte mir nicht von ferne so etwas denken, wie sie’s wirklich im Sinne hatte. Stellen Sie sich vor: sie hatte ein Gnadengesuch an den König aufgesetzt – damals lebte unser armer Herr noch auf dem Linderhof – und darin hatte sie gebeten, dem Firmian die letzten drei Jahre von seiner Strafzeit zu schenken, und hatte mit so schönen, kräftigen Worten alles erzählt und daß sie selber die Hauptschuld trage, von wegen ihrer Untreue, und was er dann gethan, in der blindwütigen Verwirrung seiner Sinne, das habe er jetzt zwölf lange Jahre bereut und sich so tadellos gehalten, daß ihm der Gefängnisdirektor und alle Wärter das beste Zeugnis gegeben hätten, – kurz, kein Advokat hätte die Schrift besser und eindringlicher abfassen können.
Nun überlegte sie, wenn sie selbst damit an den König ginge, würde dessen gutes Herz mehr gerührt werden als beim bloßen Lesen. Also mußte sie nach München. Da erfuhr sie freilich, zu Seiner Majestät höchstselbst könne sie nicht kommen, ruhte aber nicht, bis sie wenigstens Audienz beim Justizminister erlangte. Na und wie Sie sie nun kennen, mit ihrer stillen, großartigen Manier, [62] werden Sie begreifen, daß Seine Excellenz sie nicht wie die erste beste Supplikantin abfertigen konnte, sondern sehr gnädig anhörte und versprach, ihre Eingabe bei dem allerhöchsten Herrn zu befürworten.
Sie ist dann auch gleich wieder abgereist, hat aber auch da noch kein Wörtel verraten von dem, was sie gethan hatte. Bis nach etwa vierzehn Tagen ein großes Schreiben aus dem Ministerium an sie einlief, ihr Gesuch sei in Gnaden gewährt und der Häftling werde demnächst entlassen und der Rest der Strafe ihm geschenkt werden.
Ich bekam vor Schrecken einen so heftigen Anfall, daß ich sechs Tage mich wie ein Wurm in meinem Bette krümmte und wand. Zum erstenmal aber schien sie gar kein Mitleid mit meinen Schmerzen zu haben. Sie hatte den Kopf zu voll mit ihren eignen Sorgen, schrieb an den Firmian, daß sie nun Hochzeit machen würden, sobald er frei geworden, ließ sich für ihn und sich alle nötigen Papiere aus ihrer Heimat kommen und bestellte das Aufgebot bei unserm Pfarrer, der freilich auch ein bißchen den Kopf dazu schüttelte, daß gleich vom Zuchthaus weg geheiratet werden sollte. Auch er wußte aber, daß sie sich von niemand raten ließ. Und wie ich ihr sagte: warte doch wenigstens, bis du ihn wieder gesehen hast; es könnte ja sein, er hätte sich sehr verändert – Nein, Frau Pate, sagt sie, das darf mich nicht hindern meine Pflicht zu thun. Wenn er noch so heruntergekommen aussähe, – ich wäre ja schuld daran und würde ihn nehmen wie er geht und steht.
Nun, ein bißchen dachte sie doch auch an sein Aeußeres, schrieb an den Gefängnisdirektor um seine Kleidermaße und ließ ihm dann zwei Anzüge machen, einen für den Werktag und einen für die Hochzeit. In der Sträflingsjacke mochte sie ihn doch nicht vor sich hintreten sehen.
Und dann kündigte sie ihr Kapital, das sie auf der Nürnberger Bank deponiert hatte – die Zinsen hatte sie nicht angerührt und obenein noch ein Sparkassenbuch angelegt, denn sie brauchte fast nichts für ihre Person, nicht einmal die Hälfte von dem Lohn, den ich ihr zahlte. Einmal fuhr sie noch selbst nach Nürnberg, ich glaube, um ihr Testament zu machen. Dann, als alles besorgt war, wurde sie ordentlich heiter und wieder ganz besorgt um mich und bat mich um Verzeihung, daß sie mich verlassen würde. Aber ich sähe wohl selbst, hier, wo alles ihn kannte, könne er nicht bleiben. Sie will mit ihm nach Amerika. Sogar die Billette zur Ueberfahrt hat sie schon in Hamburg besorgen lassen.
Nun soll in fünf Tagen die Hochzeit sein, eine ganz stille. Uebermorgen erwartet sie ihn, und jetzt, wo es ernst werden soll, kommt mir’s doch vor, als ob sie manchmal ein Schauer überliefe, daß sie nun die Hand drücken soll, die ihrem Geliebten den Tod gebracht hat. Aber dann schüttelt sie sich und spricht von gleichgültigen Dingen. Sie ist eben ein ganz apartes Menschenkind, und eben darum ein Jammer, daß sie sich in dieses Schicksal verrannt hat. Wenn ich denke, den Firmian rührte über Nacht der Schlag, und dann könnte mein Franz wieder Hoffnung fassen – – aber stille! Da kommt sie eben über den Hof. Verraten Sie ihr ja nicht, daß ich mir das Herz gegen Sie erleichtert habe!
Wirklich sah ich sie jetzt dem Garten sich nähern, mit ihrem steten, ruhigen Schritt und dem festen Blick der schönen großen Augen. Sie sah uns beide so eigen an, als ob sie wohl vermute, wovon wir so lange geschwatzt hatten, sagte aber kein Wort. Nur daß es Zeit für die Frau Pate sei, wieder ins Zimmer zu kommen, die Sonne scheine, durch das Dach des Bräuhauses abgehalten, nicht mehr in das Salettl. Wie du willst, Kind, sagte die Alte, ließ sich aufrichten und fester einwickeln und dann, mehr getragen als geführt, wieder zu Bett bringen, nachdem sie sich bei mir entschuldigt hatte, daß sie mich so lange belästigt habe.
Ich verließ denn auch bald nach den Frauen den Garten, holte mein Skizzenbuch und schlenderte ins Freie, um noch ein paar Striche zu machen auf einem andern Fleck als am Vormittag. So dankbar aber das Motiv war – ich kann es Ihnen noch zeigen – die Arbeit ging mir nicht recht von der Hand. Diese wunderliche trübselige Geschichte lag mir im Sinn, das Bedauern mit dem herrlichen Geschöpf, das eine so abenteuerliche Buße über sich nahm. Für andere Weiber ist’s ein Scheidungsgrund, wenn ihre Männer sich ins Zuchthaus gebracht haben; wenigstens wünschten sie, nun von ihnen loszukommen. Und dieses Mädchen wartet zwölf Jahre standhaft, bis der Bräutigam, den sie nie recht geliebt hat, frei würde, verschafft ihm einen Nachlaß seiner Strafzeit, will seinetwegen ihre Heimat aufgeben und ihm in eine ungewisse Ferne folgen – das schien mir in einem Atem großartig und verrückt, bewundernswert und kläglich, und ich konnte mich, wie die alte Frau Pate, des Wunsches nicht erwehren, der Himmel möchte dazwischenfahren und den Knoten dieses Trauerspiels durchhauen, ehe die schöne Heldin an dem unseligen Ehebund ersticken müßte.
Noch ehe es zum Zeichnen zu dunkel wurde, klappte ich das Buch zu und ging in die Stadt zurück.
Als ich aber in mein Zimmer trat, fand ich zu meinem Erstaunen Fräulein Johanne an meinem Tische stehend, ein Buch in der Hand, in welchem sie so eifrig gelesen haben mußte, daß sie mein Kommen überhörte. Es war die Tauchnitzausgabe des Vicar of Wakefield, die ich mit einiger andern Lektüre mitgenommen hatte, für Regentage; ich wollte ja seit Jahren eine Studienreise nach England und Schottland machen, zu der es auch heute noch nicht gekommen ist.
Verzeihen Sie, sagte das Mädchen, indem sie mit einer kleinen Verlegenheit das Buch wieder auf den Tisch legte, – ich wollte nachsehen, ob Ihr Zimmer gelüftet und frisches Wasser im Kruge sei – die Christel ist oft nachlässig –, da fiel mir das Buch in die Augen, und ich habe mir erlaubt –
Ich beruhigte sie, daß sie gar kein Verbrechen begangen habe, und fragte, wie sie denn Englisch gelernt habe, da Engländer doch wohl kaum unter den Passanten im Bayrischen Löwen zu finden seien.
Freilich nicht. Aber sie habe es schon seit Jahr und Tag auf ihre eigene Hand gelernt, es falle ihr nicht schwer, ein leichtes Buch zu verstehen, nur mit der Aussprache sehe es übel aus, da sie keinen Lehrer gehabt habe und aus der Grammatik nicht alles habe lernen können.
Ich lachte: das glaubte ich wohl; ich würde mich ihr gern zum Lehrmeister anbieten, aber wenn ich selbst auch länger bleiben wollte, ich hörte ja, daß sie schon in kurzem das Haus verlassen werde. Vielleicht fände sie auf der Ueberfahrt einen freundlichen Reisegefährten, der ihre Aussprache korrigieren könne.
Sie sah mich mit einem prüfenden Blicke an, ob ich es ernst meinte, oder, wie die anderen, ihre Auswanderung für ein tolles und thörichtes Unternehmen hielte.
Die Frau Pate hat Ihnen natürlich gleich meine ganze Geschichte erzählt, sagte sie dann. Sie kramt sie ja auch vor jedem aus, der die Geduld hat, ihr zuzuhören, und da ohnehin der ganze Ort darum weiß – aber hat sie Sie am Ende aufgestiftet, mir, wie sie’s versteht, zur Vernunft zu reden, um mich noch kurz vor der Entscheidung andern Sinnes zu machen, so möcht’ ich Sie bitten, sich darauf nicht einzulassen. Jeder weiß allein, was er thun und lassen soll, und ich habe lange genug Zeit gehabt, mit mir selbst darüber einig zu werden, was meine Pflicht ist.
Sie irren, Fräulein Johanne, sagt’ ich. Ihre Frau Pate hat mir gar keinen Auftrag gegeben; sie ist zu sehr überzeugt, daß Sie sich nicht mehr umstimmen ließen. Und ich selbst – daß Sie unter diesen Umständen nicht in der Heimat bleiben wollen, begreife ich ja. Auch werden Sie drüben über dem Wasser mit Ihrer Thatkraft und Besonnenheit sich bald einen neuen Wirkungskreis geschaffen haben und Ihr mangelhaftes Englisch wird Sie darin kaum hindern. Nur, wenn ich mich doch offen aussprechen soll – daß Sie die Heirat so übereilen, noch ehe Sie den Bräutigam wiedergesehen haben – ich meine nicht wegen seines Aeußeren, aber sein Charakter – wer bürgt Ihnen, daß es in Ihrer Macht steht, ihn wirklich glücklich zu machen, auch wenn Sie auf eigenes Glück gar keine Rücksicht nehmen wollen?
Sie schwieg eine Weile und sah an mir vorbei nach der alten Kirche hinüber. Die feinen Flügel ihres etwas stumpfen [63] Näschens zitterten, die hellblonden Brauen zogen sich zusammen.
Ich glaube, daß Sie es gut mit mir meinen, sagte sie endlich; aber es hilft nichts, darüber zu reden. Auch wenn ich es ihm nicht schuldig wäre, nur an sein Glück zu denken, auf ein eigenes Glück würde ich doch nicht mehr hoffen dürfen. Vielleicht, in dem fremden Lande, unter einem ganz neuen Himmel läßt sich ein ganz neues Leben anfangen. Und jedenfalls – hinüber müssen wir. Ich bin einmal als ganz junges Ding – kaum siebenjährig – ich hatte mich weit vom Dorf verlaufen und war auf eine moosige Wiese geraten, es gab dort so schöne Blumen, aber ehe ich mich’s versah, sank ich bis über die Knöchel ein, weit und breit kein fester Weg! Da dacht’ ich, wenn ich zurückginge, könne ich ebensogut im Sumpf stecken bleiben, also nahm ich mein Röckchen zusammen, zog einen Schuh nach dem andern aus dem Moorgrund und hielt sie beide hoch, um leichtere Füße zu haben, und dann in Gottesnamen vorwärts, noch eine gute Strecke, bei der ich das Wasser unter mir gurgeln hörte, das mir ein paarmal über die Kniee ging, und endlich hatt’ ich’s doch überwunden und wieder festen Grund unter den Füßen! So, denk’ ich, wird’s auch jetzt das Klügste sein, nur vorauszuschauen und alles unserm Herrgott anheimzustellen.
Sie wandte sich mit einem stillen, ernsten Gruß hinweg und überließ mich meinen Gedanken.
Am nächsten Tage kam es nicht mehr zu einem Gespräch zwischen uns.
Ich war sehr fleißig an meiner angefangenen Studie, doch mehr mit der Hand, denn ich hatte Kopf und Herz zu voll, um recht bei der Sache zu sein.
Wenn ich Ihnen zu Anfang gesagt habe, die traurige Geschichte habe mich persönlich nicht betroffen, so ist das nur halb wahr. Freilich – was ging mich das sonderbare Mädchen, ihr Geschick und ihre Zukunft eigentlich an? Ich war weder ihr Bruder noch ihr Freund, noch auch – aber nein! das war’s ja eben: ich konnte mir nicht verhehlen, daß ich mich gründlich in sie verliebt hatte, nicht bloß mit meinen Maleraugen in ihre reizende äußere Erscheinung, sondern in die ganze Person mit all ihren rührenden Wunderlichkeiten und heroischen Schrullen. Ich mußte beständig daran denken, was für ein Glück es sein müßte, eine solche Geliebte, solche Frau, solche Herzensfreundin und Lebensgefährtin zu haben und sie nach und nach das verlorene Lachen wiederfinden zu sehen. Und dazu war nun nicht die mindeste Hoffnung, weil dies seltene Wesen an einer Hypertrophie des Gewissens litt, von der niemand sie kurieren konnte.
Ich schlief sehr schlecht in meinem Himmelbett und überlegte beständig, ob es nicht das Gescheiteste wäre, mein Bündel zu schnüren und durchzubrennen, ehe ich den verwünschten Tölpel zu Gesicht bekäme, der sich dies Prachtmädel nur durch ein bißchen Mord und Zuchthaus verdient hatte! Aber ich kam nicht von ihr los. Wenn sie mir auch nur ein Gericht auftrug oder den Krug mit einem „Wohl bekomm’s!“ vor mich hinstellte, wurde mir schon wohl ums Herz; ich mußte dann an mich halten, daß ich nicht ihre Hand faßte und ihr zuraunte: Sei doch gescheit, Mädel! Laß deinen zwölfjährigen, längst verschimmelten Liebhaber sitzen und geh mit mir! Für den Firmian wollen wir sorgen, der läßt sich gewiß mit einem schönen Stück Geld abfinden. Du aber sollst es so gut bei mir haben, daß dein pedantisches Gewissen gar nicht mehr zur Besinnung kommt.
Ich fand natürlich nicht den Mut, so zu ihr zu sprechen, und das war gut. Sie hätte mich groß angesehen und mir wie einem, der plötzlich übergeschnappt wäre, den Rücken zugedreht.
So kam ich auch am zweiten Tage nach unsrer letzten Unterredung sehr verstimmt und unschlüssig gegen Mittag nach dem Gasthofe zurück, zumal ich mir eine Skizze schändlich verklext hatte. Da sah ich vorn neben der Einfahrt auf einem Stuhl, der sonst nicht dort stand, eine Figur sitzen, in der ich unschwer den verhaßten Begnadigten erkannte: einen langen hageren Gesellen, dessen Arme und Beine so dünn waren, daß der Sommeranzug aus karriertem Zeug eine Menge Falten warf. Das Gesicht aber war gedunsen, von einer fahlen Farbe, die schwammigen Backen von einem eben aufsprossenden Bart umstarrt. An der geraden Nase und dem Schnitt der Augen konnte man noch erkennen, daß er ehemals ein hübscher Bursche gewesen sein mußte. Aber die vorquellenden wasserblauen Augen und die hängende Unterlippe gaben dem Gesicht einen widerlich stumpfsinnigen Ausdruck, zumal er beständig vergnügt lächelte, zuweilen wie im Gefühl besonderer Wichtigkeit die Brauen in die Höhe zog und, seinen braunen Strohhut lüftend, sich in dem kurzgeschorenen, schon ganz ergrauten Haare kraute.
Er hatte einen Maßkrug neben sich auf der Erde stehen, aus dem er dann und wann einen Zug that, worauf er sich mit dem Rücken seiner sehnigen Hand die breiten Lippen trocknete. Dann sah er wieder wohlgemut um sich her, nickte den Schulkindern zu, die sich im Halbkreis um ihn gesammelt hatten und ihn wie ein Wundertier angafften, und schien nicht im mindesten dadurch betroffen, daß Männer und Weiber, die über den Markt gingen, ebenfalls stehen blieben und sich in halblauten Reden über ihn lustig machten.
Das also war der Glückliche, der die Braut heimführen sollte!
Nun, ungefähr so hatte ich ihn mir gedacht, aber daß ich ihn jetzt leibhaftig vor mir sah, gab mir doch einen Stich ins Herz, als wäre jetzt erst die letzte Hoffnung geschwunden, daß das Gefürchtete noch abgewendet werden könnte. Ich sputete mich, an dem verhaßten Thürhüter vorbeizukommen; der aber stand mit einer linkischen Gebärde der Höflichkeit auf, grinste mich neugierig an und zog den Hut. Ich sah jetzt, daß er – infolge der harten Gefängniskost – mit einem ansehnlichen Bauch behaftet war, der zu der übrigen Dürre seiner Gliedmaßen in lächerlichem Kontrast stand. In demselben Augenblicke öffnete sich die Thür des Gastzimmers und die Johanne trat heraus. Als sie mich erblickte, stieg ihr das Blut ins Gesicht, sie schlug aber die Augen nicht nieder, sondern heftete sie tapfer auf den unsicher dastehenden Bräutigam und sagte: Komm’ jetzt herein, Firmian. Das Essen ist fertig.
Dann, als er sich nicht gleich rührte, sondern nach seinem Kruge zurückschielte, nahm sie ihn am Arme und führte ihn an mir vorbei ins Haus, aber nicht ins Gastzimmer, sondern in die Schenkstube gegenüber, die jetzt leer war. Drüben pflegten sich einige Stammgäste zu Mittag einzufinden, der Stationsvorsteher, der Apotheker, der unverheiratet war, ein Forstgehilfe und zuweilen der Bezirksarzt. Ich begriff, daß sie es nicht über sich gewann, ihren Verlobten dieser Gesellschaft vorzustellen.
Ich selbst vermied es, sie anzusehen, so sehr that sie mir in der Seele weh. Auch während des Essens war’s heute im Gastzimmer stiller und ungemütlicher als sonst. Die Herren, die natürlich alle den armen Sünder gesehen hatten und nun erst recht die ganze Geschichte verrückt fanden, tauschten flüsternd ihre Gefühle und Ansichten aus und verstummten, sobald die Braut sich wieder blicken ließ.
Ich konnte nur ein paar Bissen hinunterwürgen und machte, daß ich wieder auf mein Zimmer kam.
Oben im Korridor begegnete ich der Wirtin, die mühsam am Stock herumwankte. Haben Sie ihn nun auch gesehen? raunte sie mir zu. Ach Gott und Vater, ist es denn zu glauben?
Des Menschen Wille ist sein Himmelreich – oder auch seine Hölle! – etwas Tröstlicheres wußte ich der armen Alten nicht zu sagen. Dann schloß ich mich in meinem Zimmer ein, rauchte eine Cigarre nach der andern und hatte sogar nicht einmal Lust, mich im Freien zu ergehen; meine bitteren Gedanken wären mir ja überall gefolgt.
Im Hause war’s seltsam still, als läge darin ein Todkranker. Als die Christel mir abends frisches Wasser brachte, sah ich, daß sie rotverweinte Augen hatte. Sie wollte gern von der Hochzeit anfangen, sie hing sehr an ihrem Fräulein Johanne, ich schnitt aber alles weitere ab, indem ich mich stellte, als wäre ich in meine Lektüre vertieft.
Der folgende Tag war ein Sonntag. Ueber Nacht war ein Gewitter niedergegangen, und während der Morgenstunden hatte es so ausgiebig geregnet, daß ich nicht daran denken konnte, meine Staffelei draußen aufzuschlagen. Es lag mir [64] auch nicht viel daran, ich war, wie gesagt, ohnehin nicht con amore dabei.
Also stand ich am Fenster und sah auf den Marktplatz hinab, wo die Bäume sich des frischen Bades erfreuten. Das Laub hatte sich so mächtig entfaltet, daß der Brunnen fast dazwischen verschwunden war, und die Bäumchen auf der Burgruine, deren Umriß sich über dem schwarzen Kirchendach erhob, waren plötzlich grün geworden.
Ich dachte eben, ich sollte eine Skizze von dieser Morgenscene machen, als die Glocken wieder zu läuten anfingen, was den Schluß des Gottesdienstes ankündigte. Einzelne Männer und Frauen kamen aus der spitzbogigen Pforte, schienen aber mit dem Heimweg keine Eile zu haben, sondern zögerten draußen noch herum. Immer mehrere kamen, und alle machten es wie die ersten. Worauf sie warteten, sollte mir bald klar werden.
Denn jetzt erschien eine lange schwarze Gestalt in einem Tuchanzug, der an allen Ecken und Enden zu weit war, einen hohen Cylinder auf dem Kopf, darunter ein bleiches, gedunsenes Gesicht, das aber ganz zuversichtlich umhersah, vielmehr es als eine Art Huldigung aufzufassen schien, daß so viele Augen ihm entgegen spähten. Neben dieser Karikatur von einem ungelenken philisterhaften Kirchgänger nahm sich seine ebenfalls schwarzgekleidete Begleiterin wie eine Fürstin aus, schon durch die stolze Haltung ihres Nackens, der sich auch jetzt nicht beugen wollte. Sie war mir nie so schön erschienen, die Augen so groß und dunkel, und doch wie von einem leichten Schleier bedeckt. In der einen Hand hielt sie ein Meßbüchlein, an der anderen ließ sie sich von der Vogelscheuche an ihrer Seite führen. Ein paarmal wendete sie den Kopf nach rechts und links, einer Bekannten zuzunicken. Dann zog ihr Begleiter mit einem feierlichen Schwunge den Hut und lächelte blöde die Leute an.
Der Weg über den Platz war nicht weit. Mir aber war doch, als das Paar im Hausflur des Gasthofs verschwunden war, als hätte ich am eigenen Leibe die Wunden gespürt, die man ihr bei diesem Spießrutengang durch das gaffende Spalier beigebracht hatte.
Mittags ließ sie sich im Gastzimmer nicht sehen. Die Christel bediente uns und erzählte, Fräulein Johanne habe am Morgen mit ihrem Bräutigam kommuniziert und esse mit ihm auf seinem Zimmer. Mir war’s nur lieb, daß sie nicht zum Vorschein kam. Ich hätte nicht gewußt, mit welchem Gesicht ich sie begrüßen sollte.
Auch war ich entschlossen, den Tag der Hochzeit – übermorgen – nicht abzuwarten, sondern schon morgen mit dem Abendzuge abzureisen. Als ich aber am Montag Vormittag mein Zimmer verließ, um an einer meiner Studien noch ein paar Striche zu machen, begegnete sie mir im Korridor, und es war keine Möglichkeit, ihr auszuweichen.
Ich hätt’ es gern gethan, denn zu allem andern erschien sie mir verwandelt, so aufgeregt lustig, daß mir diese unheimliche Heiterkeit noch weher that als ihre trübsinnige Resignation. Sie begrüßte mich mit einer lauten Stimme, die mir auch fremd klang, sie danke mir vielmals für das Buch, das ich ihr zum Andenken geschenkt hatte – den Vicar of Wakefield – und auf der Seereise werde sie Zeit genug haben, die ganze Geschichte zu lesen, vielleicht finde sich dann auch jemand, ihre Aussprache zu korrigieren. Heute habe sie alle Hände voll zu thun, ihr und ihres Bräutigams Koffer sei schon gepackt, nun müsse sie noch Kuchen backen für die Hochzeit morgen. Gleich nach der Frühmesse werde sie getraut werden, hernach gebe es nur ein Frühstück mit den Trauzeugen, dem Herrn Bezirksarzt und dem Apotheker – Sie begreifen, daß ich es gern möglichst still und klein haben will, sagte sie, denn die dummen Menschen verstehn mich ja nicht und glauben, es sei mein Unglück. Ich allein weiß, was mir bevorsteht, und unser Herrgott sieht in mein Herz, und so kann ich alle auslachen, die mich für verrückt halten. Haha! – sie lachte wirklich! sie, die seit zwölf Jahren nie gelacht hatte! Es war auch danach: wie eine zersprungene, verrostete Glocke, die man nach langer Zeit wieder einmal anschlägt.
Mich überlief es kalt. Ich wünsche Ihnen das beste Glück, Fräulein Johanne, sagt’ ich, und wenn ich Sie nicht mehr sehen sollte – ich reise schon morgen mit dem ersten Zug – so lassen Sie mich Ihnen Lebewohl sagen, und denken Sie manchmal an mich, als an einen Freund, der Sie nie vergessen wird.
Nein, nein! machte sie, ich lasse Sie nicht fort. Meinen Kuchen müssen Sie durchaus probieren und morgen früh sich überzeugen, wie ich als glückliche junge Frau aussehe. Sie haben wohl Furcht, es möchte viel geweint werden? Die Frau Pate freilich – für die steh’ ich nicht. Aber ich – Sie sollen sehen wie vergnügt ich sein werde, ich habe ja auch Ursache dazu – einen Mann zu kriegen, der zwölf Jahre Wolle gezupft hat, um mich endlich heimführen zu dürfen – und wenn er darüber ein bißchen schläfrig geworden ist, ich werde ihn schon aufwecken, und es wird eine recht musterhafte Ehe geben, wie sie nicht immer so gut und friedlich ausfallen. Nur erst fort – fort! Sie glauben nicht, wie müde ich mich fühle, aber das hat ja so sein müssen, und jetzt bin ich am Ziel. Also Sie bleiben noch zur Hochzeit, ich nehme keine Ausrede an, und nun noch vielen Dank für all Ihre Freundlichkeit!
Damit huschte sie von mir weg, auch darin verwandelt, daß sie alles in einer seltsamen Hast that und z. B. die Treppe hinunter sprang wie ein ganz junges Ding.
Ich kann nicht sagen, welch peinlichen Eindruck das alles auf mich machte.
Draußen auf dem Markt sah ich den Firmian. Er kam, in seinem Sommeranzug, aus einem Laden, in dem allerlei kurze Ware zu Kauf geboten wurde, hatte sich eine Pfeife angeschafft mit einem Porzellankopf, auf dem ein Mädchen in sehr losem Gewande gemalt war. Als ich an ihm vorüberging, zeigte er mir seinen Einkauf mit einem vertraulichen Grinsen, ohne dabei zu sprechen, und ging dann in einen anderen Laden, wo Tabak zu haben war. Seine Braut hatte ihn offenbar mit einem Taschengeld versehen, das er sich nun beeilte loszuwerden, um dadurch die lang entbehrte Freiheit zu bekunden. Die Kinder ließen sich’s nicht nehmen, ihm auf Schritt und Tritt zu folgen und auch wohl gelegentlich ihm etwas zuzurufen, was ehrenrührig klang. Er aber schien auch das wie eine Huldigung hinzunehmen, zog zuweilen mit ironischer Höflichkeit den Hut und schwenkte ihn gegen die ungezogene Bande, die dann schreiend und lachend auseinanderstob. Es war offenbar, daß er kein klares Bewußtsein mehr hatte von allem, was um ihn und mit ihm vorging.
Und dieses arme Mißgeschöpf, das man nicht mehr für einen richtigen Menschen ansehen konnte, sollte morgen früh – der Gedanke war nicht auszudenken!
Ich verbrachte den Tag in tiefer Verstimmung, die ich an meiner armen Studie ausließ. Zu Mittag mochte ich nicht in den Gasthof zurückkehren. Ich ließ mir in einem Bauernhof eine Schüssel Milch und Brot geben und malte nachmittags weiter. Aber es ging endlich nicht mehr. Ich packte mein Malgerät zusammen, als es noch kaum zu dämmern anfing, und beschloß, den Hochzeitsmorgen überhaupt nicht abzuwarten, sondern schon mit dem Abendzug mich aus dem Staube zu machen.
Als ich aber in den Ort zurückkehrte, erstaunte ich nicht wenig, den kleinen Marktplatz schwarz von Menschen zu finden, die alle in dumpfem Schweigen nach den Fenstern des Bayrischen Löwen hinaufstarrten. Sämtliche Einwohner des Städtchens schienen aus ihren Häusern herausgekommen zu sein, in Erwartung irgend eines ungewöhnlichen festlichen oder traurigen Schauspiels.
Warum stehen hier alle Leute? fragte ich einen ehrsamen Bürgersmann, der von seiner Arbeit weggelaufen zu sein schien, da er noch den Schurz vorgebunden hatte und keine Mütze trug.
Fräulein Johanne ist vor einer Stunde von ihrem Bräutigam erschossen worden, war die Antwort, mit einem so verstörten Gesicht, als handle sich’s um eine nahe Verwandte.
Das Mädchen wurde allgemein verehrt; ich hatte es an vielen Beweisen sehen können.
Aber das ist ja unmöglich! rief ich, im Innersten erschüttert. Am Tag vor der Hochzeit – und da er ihr alles verdankt –
Es soll nicht mit Absicht geschehen sein, sagte ein anderer. Mit dem Firmian war’s nicht ganz richtig – er ist auch jetzt ganz auseinander – aber tot ist sie –
[65] Nein, sie hat noch gelebt, rief eine alte Frau, die heftig weinte, und sie hat noch sagen können, daß den Firmian keine Schuld trifft, und dann hat sie noch versehen sein wollen – und da kommt eben der Herr Pfarrer – o Jesus Maria Joseph! das Unglück! Einen Tag vor der Hochzeit!
Wirklich sah man eben den Geistlichen, der das Viaticum in den Händen trug, von einem Chorknaben gefolgt aus der Einfahrt des Gasthofs kommen und durch die Menge, die vor ihm niederkniete, der Kirche zuschreiten. Sein breites, joviales Gesicht war sehr ernst. Als er mich erblickte, nickte er mir mit einer schmerzlichen Gebärde zu und erhob dann die Augen zum Himmel.
Wie mir zu Mute war, können Sie sich ungefähr denken. Aber so gräßlich das Ereignis erschien, ich empfand doch heimlich eine gewisse Erleichterung nach dem peinlichen Druck der letzten Tage. Alles besser als das, was am nächsten Morgen hatte geschehen sollen!
Ich drängte mich hastig durch die Menge durch, betrat das Haus und stieg mit zitternden Knieen die Treppe hinauf, an der weinenden Christel und dem alten Hausknecht vorüber, die Mühe hatten, den Schwarm der Neugierigen und Trauernden zurückzuhalten. Das ganze Haus und den Korridor oben durchzog noch die duftende Wolke des Weihrauchs, die der Priester zurückgelassen hatte. Die wies mir auch den Weg nach dem Sterbezimmer.
Die Thüre stand offen. Vom Hof herein drang nur noch ein schwaches Zwielicht. Ich sah die Johanne auf ihrem Bett lang ausgestreckt, mit geschlossenen Augen, die sie langsam öffnete, als ich über die Schwelle trat. Nie werde ich den Blick vergessen, von einer so verklärten Ruhe, fast heiter, und um die Lippen ein schwaches Lächeln, als ob sie sagen wollten: du siehst, du hast dir umsonst Sorge gemacht um meine Zukunft. Ich habe nun keine andere Zukunft mehr, als im Himmel.
Es dauerte aber nur ein paar Sekunden, dann wich der Glanz aus den großen grauen Augen und das edle Haupt, an dessen linker Seite hinter dem Ohr dunkles Blut in langsamen Tropfen auf das weiße Kissen rann, neigte sich nach rechts, und die Brust begann schwer zu arbeiten. Jetzt erst bemerkte ich, wer noch im Zimmer war. An der Seite des Betts kauerte, unförmlich in sich zusammengesunken, der unglückliche Mensch, der mir mit dem Ausdruck blöder Hilflosigkeit entgegenstarrte, während ihm die Thränen über das verzerrte Gesicht liefen. Er hatte die eine Hand der Sterbenden mit seinen beiden knochigen Fäusten umklammert, als ob er sie mit Gewalt festhalten wollte, daß sie ihn nicht verließe, und sie hatte ihm ihre blasse Hand nicht entzogen. Am Fußende des Bettes aber kniete in einem Aufzuge, wie wenn sie selbst eben erst ihr Bett verlassen hätte, das schwarze Tuch um den grauen Kopf gehüllt, die alte Wirtin, leise in sich hinein schluchzend.
Keine zehn Minuten hatte ich in meiner Erschütterung so gestanden und dem Rätsel dieses Schicksals nachgesonnen, da traten noch zwei Männer herein, der Bürgermeister und der Bezirksarzt, beide in tiefer Bewegung. Der Arzt näherte sich dem Bette, faßte die andere Hand der jetzt regungslos Daliegenden und drückte sein Ohr an ihr Herz. Nach einigen Minuten richtete er sich wieder auf. Es ist vorbei! sagte er leise. Dann entwand er die andere Hand dem Firmian, legte beide gefaltet auf die Decke und schloß die offenen Lider. Der Bürgermeister bückte sich zu dem Burschen herab, der jetzt in ein krampfhaftes Heulen ausbrach. Steh auf! sagte er barsch, du mußt mit mir kommen. – Ich bin unschuldig! rief der Unglückliche. Gott weiß, ich hab’ es nicht gethan. – Das wird sich finden, antwortete der gestrenge Vater der Stadt. Das Gericht wird darüber entscheiden.
Er packte den Widerstrebenden am Arm und zerrte ihn in die Höhe.
Führen Sie ihn nur fort, Herr Bürgermeister, kam es jetzt aus dem schwarzen Tuch hervor, aber behandeln Sie ihn nicht wie einen Missethäter. Ich kann bezeugen, daß er es nicht gethan hat. Wer die Schuld trägt, ob es nur ein Zufall war, oder ob sie selbst – nur der himmlische Richter kann es entscheiden. Ach meine arme Johanne, mein unglückliches Kind –.
Und sie raffte sich mühsam auf, tastete sich am Bett entlang und drückte ihren stammelnden Mund auf die gefalteten Hände.
Die Männer hatten sich entfernt und den Firmian mit fortgeführt. Es gelang mir mit großer Mühe, die alte Frau zu bewegen, daß auch sie das Zimmer verließ und der Seelnonne, die inzwischen angelangt war, die Sorge für die Tote übergab.
Ich führte die heftig Weinende in ihr eigenes Zimmer neben dem der Johanne und bestand darauf, daß sie sich wieder zu Bette legte. Dann setzte ich mich zu ihr.
Ueber eine Stunde blieb ich dort, und während nebenan die Tote eingekleidet und aufgebahrt wurde, was unter beständigem Schluchzen und Gebetemurmeln der Christel geschah, hörte ich von der zuverlässigsten Zeugin, wie das schreckenvolle Ende dieses Trauerspiels sich zugetragen hatte.
Die gute Frau hatte gerade einen ihrer bösesten Anfälle und hütete schon seit dem Morgen das Bett. Von Zeit zu Zeit sei die Johanne hereingekommen, nach ihr zu schauen. Auch der Alten war die aufgeregte Munterkeit ihres Gesichts und ihrer Reden unheimlich gewesen, sie hatte aber nur gedacht, das Mädchen wolle sich über ihre eigene Bangigkeit betäuben.
Dann, gegen Abend schon, habe sie plötzlich die Thüre nebenan gehen und das Brautpaar eintreten hören und sich noch gewundert, daß die Johanne ihn in ihr Zimmer ließ, was sie bisher streng vermieden hatte. Die Thür zwischen beiden Stuben, die nach dem Hof gingen, schließe so wenig fest, daß man jedes Wort hören könne, das nebenan gesprochen werde. Darauf gerade muß es der Johanne angekommen sein.
Gleich beim Eintritt habe der Firmian sie küssen wollen. Sie habe ihn aber fortgedrängt und gesagt, dazu sei morgen nach der Trauung Zeit genug, er müsse überhaupt versprechen, sehr brav zu sein, sonst dürfe er nicht bei ihr bleiben. Sie möchte aber allerlei mit ihm besprechen.
[66] Dann habe sie ihn zum Sitzen genötigt und gesagt: Schau, Firmian, du mußt doch auch wissen, was deine Frau dir in die Ehe mitbringt. Da in der Kommode habe ich die Papiere, die ich bisher auf der Bank verwahrt hatte – und sie nahm das Bündel heraus, breitete die einzelnen Scheine auf dem Tisch vor ihm aus und sagte ihm, auf wieviel sich die Summe belief. In ihrem Testament, das der Notar aufbewahre, habe sie ihm ihren ganzen Besitz vermacht, wenn sie vor ihm sterben solle, was ja immerhin möglich sei, da sie nicht wisse, ob sie das Klima drüben ertragen werde. Und dann zeigte sie ihm noch ihr Sparkassenbuch und sagte: Ich weiß zwar, du nimmst mich nicht des Geldes wegen, aber es wird dich doch beruhigen, daß wir drüben in Amerika nicht um den Taglohn arbeiten müssen, sondern uns ein Stück Land kaufen können und mit der Zeit, will’s Gott! zu einem hübschen Wohlstand gelangen. Arbeiten mußt du freilich, und versprich mir auch, das Trinken zu lassen, zu dem du schon vom Vater her Neigung hast. – Das versprach er ihr, mit Handschlag, und wollte sie wieder an sich ziehen. Aber sie wehrte ihn wieder ab, that die Papiere in die Schublade zurück und zeigte ihm dabei auch die beiden Billette zur Ueberfahrt. Immer ganz heiter. Und er brauche sich auch nicht vor der Seekrankheit zu fürchten, sie wisse schon ein Mittel dagegen.
Er selbst sprach nur wenig. Er scheint sie immer nur mit verlangenden Blicken angesehen zu haben.
Dann sei sie aufgestanden und ein paarmal schweigend durch das Zimmer auf und ab gegangen. Als ob sie noch ein paar Atemzüge habe thun wollen vor dem letzten Entschluß. Dann auf einmal sei sie wieder an der Kommode stehen geblieben und habe ein anderes Fach herausgezogen. Ich wußte, was sie darin aufbewahrte, sagte die Alte. Nach der Gerichtsverhandlung vor zwölf Jahren hat sie sich den Revolver zu verschaffen gewußt, der eigentlich zu Gerichtshänden verbleiben mußte, und das Mordwerkzeug, das so großes Herzeleid über sie gebracht, in einem schwarzen mit Sammet gefütterten Kästchen aufbewahrt. Nur ein einziges Mal war ich darüber gekommen, als sie krank war und ich ihr etwas von ihrer Leibwäsche holen mußte.
Schau, sagte sie und legte die kleine Waffe auf den Tisch vor ihm hin, erkennst du dies noch?
Er antwortete mit einem dumpfen Grunzen.
Wie hast du’s denn eigentlich angestellt, den Revolver gebrauchen zu können? Du hast dich doch sonst mit Schießwaffen nie abgegeben.
O, sagte er und lachte kurz auf, ein Lachen, das mir grauenhaft klang, ich bin schon gescheit genug gewesen, mir das Laden und Schießen von dem Büchsenmacher, bei dem ich’s gekauft hab’, zeigen zu lassen. Und dann bin ich den Nachmittag, eh ich’s hab’ brauchen wollen, weit über Feld gegangen, nach der Gänsweide zu, wo keine Menschenseele mir begegnet ist. Da hab’ ich mich eingeschossen, auf Krähen, und erst wie ich die dritte getroffen hab’, hab’ ich gedacht, jetzt ist’s genug, jetzt wirst auch den Veit nicht fehlen.
Und wieder lachte er, und ich dachte: wie erträgt sie das nur! Sie blieb aber eine ganze Weile still, und dann hörte ich sie plötzlich sagen: Geschickt hast du’s schon angestellt, daß du nicht mit dem Messer auf ihn losgegangen bist, denn dann hätt’ er dir’s aus der Hand gewunden und dein Blut, statt seines, wär’ über den Friedhofrasen geflossen. Und schon mit der zweiten Kugel hast du ihn kalt gemacht. Nicht wahr, es stecken noch vier Schüsse drin? Wenn in dem Amerika Räuber unsre einsame Farm überfallen wollen, denen soll’s schlecht bekommen, gelt? Aber du mußt mir nun auch zeigen, wie man’s anstellt. Da, nimm’s einmal in die Hand und ziele – du kannst ja zum Fenster hinausschießen – so! – nein, thu’s nicht – ich fürcht’ mich vor dem Knall, – und auch die Pate könnt’ erschrecken – gieb das Ding wieder her –
Im nächsten Augenblick hört’ ich den Schuß und zugleich den Schrei des Firmian: Herrgott und Vater, Johanne –! und dann den dumpfen Fall der armen Getroffenen, und schreie: Firmian, was hast du gethan? und der unselige Mensch reißt die Thür zu mir auf, die rauchende Waffe noch in der Hand, und ruft: Kommen Sie geschwind, Frau Pate! Die Johanne – sie hat mir den Revolver aus der Hand nehmen wollen und wie sie danach gegriffen hat, ist er losgegangen, gerade auf sie zu, und hat sie hinterm Ohr getroffen und – o alle Heiligen, sie stirbt, die Johanne stirbt!
Ich bin dann hinein, wir haben sie aufs Bett gehoben, sie hat mit ihrer schwachen Stimme sogleich gesagt: der Firmian ist unschuldig, ich habe es so ungeschickt angestellt –
O du arme Seele! Nur allzu geschickt hast du’s angestellt! Niemand sollte wissen, daß du lieber ins Grab wolltest, als in dieses Brautbett. Wir zwei aber, nicht wahr, lieber Herr, wir haben sie besser gekannt. So tapfer sie war, das hat sie denn doch nicht übers Herz gebracht, neben dem hinzuleben, der ihren Geliebten unter die Erde gebracht hat.
Ich trat dann noch in das Sterbezimmer. Man hatte das Bett von der Wand abgerückt, zwei Kerzen daneben gestellt und die Leiche mit dem Myrtenkranz geschmückt, den sie morgen in der Kirche hatte tragen sollen. So lag sie still und friedlich aufgebahrt. Ich konnte mir’s nicht versagen, noch ihr schönes, vornehmes Profil zu zeichnen. Wenn ich Ihnen das Blatt zeige, werden Sie begreifen, daß ich ein paar Jahre brauchte, bis dies Gesicht in meiner Erinnerung zu verblassen anfing.