Fortsetzung über die Erde und Sonne

Textdaten
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Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Fortsetzung über die Erde und Sonne
Untertitel:
aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
S. 13-22
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
s. Die Erde und die Sonne
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Fortsezung über die Erde und Sonne.

Nachdem in der vorhergegangenen Predigt zuerst von der Erde und hernach von der Sonne, jede für sich geredet worden ist, so wollen wir nur noch mit wenigem hören, wie sie unter einander in guter Freundschaft leben, und wie aus ihrer Liebe zu einander Tag und Nacht, Merzveilchen, Erndekränze, Wein und gefrorne Fensterscheiben entstehen.

Da die unermeßlich große Sonne in einer so unermeßlich weiten Entfernung von uns weg ist, so hat es den Sternforschern schon lange nicht mehr einleuchten wollen, daß sie unaufhörlich und je in 24 [14] Stunden um die kleine Erde herumspringen soll in einer unbegreiflichen Kraft und Geschwindigkeit, nur damit wir in diesem kurzen Zeitraum einmal Morgen und Mittag, Abend und Nacht bekämen, und wandelnde Sterne. Denn die Naturkündiger haben sich überzeugt, daß alles, was geschieht, auf eine viel einfachere und leichtere Art auch geschehen könnte. Allein ein rechtschaffner Sternseher, Copernikus genannt, hat bewiesen, daß es nicht nur so geschehen könnte, wie die Naturforscher denken, sondern daß es wirklich so geschieht, und die göttliche Weisheit hat früher daran gedacht, als die menschliche.

Der geneigte Leser wird jezt erfahren, was Copernikus behauptet und bewiesen hat, wird aber ersucht, zuerst alles zu lesen, ehe er den Kopf schüttelt, oder gar lacht.

Erstlich, sagt Copernikus, die Sonne, ja selbst die Sterne haben gegen die Erde weiters keine Bewegung, sondern sie stehen für uns so gut als still.

Zweitens, die Erde dreht sich in 24 Stunden um sich selber um. Nemlich, man stelle sich vor, wie wenn von einem Punkt der Erdkugel durch ihr Centrum bis zum entgegengesetzten Punkt eine lange Spindel oder Axe gezogen wäre. Diese zwei Punkte nennt man die Pole. Gleichsam um diese Axe herum dreht sich die Erde in 24 Stunden, nicht nach der Sonne, sondern gegen die Sonne, und wenn ein langer rother Faden ohne Ende, ich will sagen am 21sten Merz von der Sonne herab auf die Erde reichte, und Mittags um 12 Uhr, an einen Kirschbaum oder an einem Cruzifix auf dem Felde angeknüpft würde, so würde die Erdkugel diesen Faden in 24 Stunden einmal [15] ganz um sich herum gezogen haben, und so jeden andern Tag.

Auf diese einfache Weise geschieht das Nemliche, was geschehen würde, wenn die Sonne in der nemlichen Zeit, einen Kreisgang von 132 Millionen Meilen rings um die fest stehende Erde herum wandeln müßte. Nemlich die eine Hälfte der Erdkugel ist gegen die Sonne gekehrt, und hat Tag, und eine Hälfte ist von der Sonne abgekehrt gegen die Sterne hinaus, und hat Nacht, aber nie die Nemliche, sondern wie die Erdkugel sich gleichsam an ihrer Axe gegen die Sonne dreht, löst sich immer an dem einen Rand der finstern Hälfte ein wenig von der Nacht in die Dämmerung auf, bis man dort die ersten Strahlen der Sonne erbliken kann, und meint, sie gehe auf, und an der andern Seite der erleuchteten Hälfte wird’s immer später und kühler, bis man die Sonne nicht mehr sieht, und meint, sie sey untergegangen, und den Morgen und Mittag und Abend, das heilige Osterfest und sein Glockengeläute wandeln in 24 Stunden um die Erde herum, und erscheinen nie an allen Orten zu gleicher Zeit, sondern in Wien zum Beispiel 24 Minuten früher als in Paris.

Drittens, sagt Copernikus, während die Erde, den Morgen und den Abend, und zu seiner Zeit das heilige Osterfest in 24 Stunden gleichsam um sich herum spinnt, bleibt sie nicht an dem nemlichen Ort, im unermeßlichen Weltraum stehen, sondern sie bewegt sich unaufhörlich, und mit unbegreiflicher Geschwindigkeit in einer großen Kreislinie, zwischen der Sonne und den Sternen fort, und kommt in 365 Tagen [16] und ungefähr 6 Stunden um die Sonne herum, und wieder auf den alten Ort.

Deßwegen und weil alsdann nach 365 Tagen, und ungefähr 6 Stunden alles wieder so wird, und alles wieder so steht, wie es vor eben so viel Zeit auch gestanden ist, so rechnet man 365 Tage zu einem Jahr, und spart die 6 Stunden vier Jahre lang zusammen, biß sie auch 24 Stunden ausmachen, denn man darf nichts von der kostbaren Zeit verlohren gehn lassen. Deßwegen rechnet man je auf das 4te Jahr einen Tag mehr, und nennt es das Schaltjahr.

Die Sache fängt an, dem verständigen Leser einzuleuchten, und er wäre bald bekehrt, wenn er nur auch etwas von dem Drehen und Laufen der Erdkugel verspühren könnte! Deßwegen und

Viertens, sagt der Hausfreund, man kann die Bewegung eines Gefährtes, auf welchem man mitfahrt, eigentlich nie an dem Gefährte selbst erkennen, sondern man erkennt sie an den Gegenständen rechts und links, an den Bäumen und Kirchthürmen, welche stehen bleiben, und an denen man nach und nach vorbeikommt. Wenn ihr auf einem sanftfahrenden Wagen, oder lieber in einem Schifflein auf dem Rhein fahrt, und ihr schließt die Augen zu, oder ihr schaut eurem Cameraden, der mit euch fahrt, steif auf einen Rockknopf, so merkt ihr nichts davon, daß ihr weiter kommt. Wenn ihr aber umschaut nach den Gegenständen, welche nicht selber bey euch auf dem Gefährte sind, da kommt euch das Ferne immer näher, und das Nahe und Gegenwärtige verschwindet hinter eurem Rücken, und daran erkennt ihr erst, daß ihr vorwärts kommt, also auch die Erde. An der [17] Erde selbst und allem was auf ihr ist, so weit man schauen kann, läßt sich ihre Bewegung nicht absehen; (denn die Erde ist selbst das grosse Gefährte, und alles was man auf ihr sieht, fahrt selber mit:) sondern man muß nach etwas schauen, das stehen bleibt, und nicht mitfahrt, und das sind eben nach Nro. 1. die Sonne und die Sterne, zum Beispiel der sogenannte Thierkreis. Denn 12 große Gestirne, welche man die 12 himmlische Zeichen nennt, stehn am Himmel in einem hohen Kreis um die Erde herum. Sie heissen: der Widder, der Stier, die Zwillinge, der Krebs, der Löwe, die Jungfrau, die Wage, der Skorpion, der Schütz, der Steinbock, der Wassermann, die Fische.

Eins folgt auf das andere, und das lezte schließt an das erste wieder an, nemlich die Fische an den Widder. Dieß ist der Thierkreis. Er steht aber noch viel höher am Firmament als die Sonne, und sie steht von hier aus betrachtet immer zwischen den zwei Linien, die seinen Rand bezeichnen, und in einem Zeichen derselben. Denn ob sie gleich noch weit herwärts desselben steht, so meint man doch wegen der sehr großen Entfernung, sie befinde sich in dem Zeichen selbst. Wenn sie aber heute in dem Zeichen des Steinbocks steht, so steht sie nach 30 Tagen nicht mehr im Zeichen des Steinbocks, sondern im nächsten, und je nach 30 Tagen immer in dem nächstfolgenden, und daran erkennt man, daß die Erde in ihrem Kreislauf unterdessen vorwärts gegangen sey. Es kann nicht fehlen. Zu dem allem sagt

Fünftens und leztens der Copernikus wieder, wenn gleichwohl die Axe der Erdkugel gegen die [18] Sonne waagrecht läge, und die Erde drehte sich auch so, und sie bewegte sich waagrecht in einer vollkommen runden Cirkellinie um die Sonne, also daß die Sonne genau im Mittelpunkt des Cirkelkreises stünde, so müste Jahr aus Jahr ein, und auf allen Orten der Erde Tag und Nacht gleich seyn. Ja es müste mitten auf der Erde rechts und links um den rothen Faden ein ewiger Sommer glühn, weiterhin zu beiden Seiten am Abhang der Kugel milderte und kühlte sich die Hitze ein wenig, je schiefer die Sonnenstrahlen herab fielen, und näher gegen die Pole hin herrschte ein Winter ohne Trost und ohne Ende. Aber es ist nicht so, sagt der Sternseher. Die Axe der Erde liegt nicht waagrecht und nicht senkrecht gegen die Sonne, sondern schief in einem Winkel von 67 Graden, wer’s versteht. In dieser Richtung gegen die Sonne dreht sich die Erde in 24 Stunden um, in dieser Richtung wandelt sie in einem Jahr um die Sonne ebenfalls nicht senkrecht, sondern schief.

Wenn am 21sten Merz der geneigte Leser sich vor den rothen Adler stellt, vor das Wirthshaus, und sich mit dem Gesicht gegen Sonnenaufgang kehrt, so ist der Kreis, den an selbigem Tag der rothe Faden um die Erde zieht noch 1470 Stundenwegs, oder 735 Meilen rechts hinaus von ihm entfernt, sein Pol aber, dem er am nächsten ist, ist 1230 Stunden oder 615 Meilen von ihm entfernt links hinaus. In solchem Standpunkt steht der geneigte Leser am 21 Merz. Aber schon am 22sten legt sich der Faden nicht mehr ganz an das bewußte Cruzifix, und an seinen Anfang an, sondern er lauft etwas herwärts gegen uns daran vorbey, und so windet er sich von 24 Stunden [19] zu 24 Stunden in einer Schraubenlinie fort, und kommt immer näher gegen uns bis zum 21 Juni, und ist alsdann gleichwohl noch nicht bey uns, sondern ist uns nur ungefähr um 705 Stunden, oder 352 1/2 Meile näher gekommen. Aber vom 21 Juni an kehrt der Faden in den nemlichen Windungen wieder zurük, immer weiter von uns weg, bis er ungefähr am 21 September in gleicher Entfernung von beiden Polen wieder satt an dem Cruzifix vorbeistreift. Von dieser Zeit an windet er sich jenseits gegen den andern Pol immer weiter und weiter von uns weg bis ungefähr zum 21 December, wo er 1440 Stunden weit, rechts hinaus von uns entfernt ist, kehrt alsdann eben so zurük, und trift am 21 Merz wieder richtig bei dem Cruzifix ein. Aber bis zu uns kommt er nie, weil wir so weit von ihm weg wohnen, hinaus gegen den Pol.

Aus dieser figürlichen Vorstellung ist nun zu erkennen, was zwar der geneigte Leser schon weiß, daß er während des Kreislaufs der Erde nicht immer in der nemlichen Richtung gegen die Sonne bleiben könne, aber die Astronomen haben daraus berechnet, in welcher schiefen Linie die Erde binnen Jahresfrist die Sonne umlaufen muß, damit diese Veränderungen und die 4 Jahreszeiten zu Stande kommen.

Der Frühling beginnt um den 21sten Merz, wann der rothe Faden gerade auf das Cruzifix herabreicht. Die Sonne steht gleich weit von beiden Polen über der Erde. Tag und Nacht sind gleich. Die Sonne scheint immer näher zu kommen, und immer höher am Himmel aufzusteigen, je mehr sich der rothe Faden [20] nähert. Der Tag und die Wärme nehmen zu, die Nacht und die Kälte nehmen ab.

Der Sommer beginnt um den 21sten Juni, wenn der Faden am weitesten von dem Cruzifix entfernt, und am nächsten bey uns ist. Alsdann steht die Sonne am höchsten über dem Haupt des geneigten Lesers, und dieser Tag ist der längste. So wie sich der Faden wieder hinauswindet, kommt die Sonne immer schiefer gegen uns zu stehen, und die Tage werden kürzer.

Der Herbst beginnt am 21 September. Tag und Nacht sind wieder gleich, weil die Sonne, besage des Fadens wieder über dem Cruzifix steht. Aber je weiter er alsdann jenseits hinauslauft gegen den andern Pol, desto tiefer stellt sich gegen uns die Sonne. Die Tage und die Wärme nehmen immer mehr ab, die Nächte und die Kühle nehmen zu.

Der Winter beginnt, wenn am 20. December der Faden am weitesten jenseits von uns entfernt ist. Der geneigte Leser verschläft alsdann die längste Nacht, und die Sonne steht so tief, daß sie ihm noch früh um 9 Uhr durch des Nachbarn Caminhut in das Stüblein schauen kann, wenn die Fensterscheiben nicht gefroren sind.

Endlich wenn von diesem Tage an der Faden zurükkehrt, verlängern sich auch die Tage wieder. Am 22. Februar auf Petri Stuhlfeier kommt schon der Storch in seine alte Heimat zurük, und ungefähr am 20. Merz trift der rothe Faden wieder bey dem Cruzifix ein. Dieß hat noch nie fallirt.

Hieraus ist zu gleicher Zeit zu erkennen, daß nie auf der ganzen Erde die nemliche Jahrszeit herrscht. [21] Denn zu gleicher Zeit, und in gleichem Maaße, wie sich die Sonne von unserm Scheitelpunkt entfernt, oder wir von der Sonne, kommt sie höher über diejenige zu stehen, welche jenseits des Cruzifixes gegen den andern Pol hinauswohnen, und umgekehrt eben so.

Wenn hier die lezten Blumen verwelken, und das Laub von den Bäumen fällt, fangt dort alles an zu grünen und zu blühen. Wenn wir in unserm Winter die längste Nacht verschlafen, schimmert dort der längste Sommertag, und der Hausfreund kann sich nicht genug über die göttliche Weisheit verwundern, die mit einer Sonne auf der ganzen Erde ausreicht, und in die winterlichste Landschaften noch einen lustigen Frühling, und eine fröhliche Erndte bringen kann.

Soviel für diesmal von der Erde. Gleichwohl wenn ein Mensch von derselben sich aufheben, und in grader Linie langsam oder geschwind zum Abendstern aufsteigen könnte, der unter allen Sternen der nächste ist, so würde er noch merkwürdige Dinge sehen. Der Stern würde vor seinen Augen immer größer werden, zuerst wie der Mond, bald darauf wie ein großes Rad, zulezt wie eine unübersehbare Kugel oder Fläche. Sein Licht würde ihm immer milder erscheinen, weil es sich immer über eine größere Fläche verbreitete, ja er würde in einer gewissen Entfernung davon schon Berge und Thäler entdecken, und allerley, und zulezt auf einer neuen Erde landen. Aber in der nemlichen Proportion müste unter ihm die Erde immer kleiner werden, und glänzender ihr Licht, weil es sich auf einen kleinern Raum zusammen drängt. In einer gewissen Entfernung hätte sie für ihn noch [22] den Umfang wie ein großes Rad, hernach wie eine Schützenscheibe, hernach wie der Mond, und endlich wenn er gelandet wäre, würde er sie weit drausen am Himmel, als einen lieblichen Stern unter den andern erbliken, und mit ihnen auf und untergehn sehen. „Sieh dort, würde er zu seinem ersten Bekannten sagen, mit dem er bekannt wird, sieh jenen lieblichen Stern, dort bin ich daheim, und mein Vater und meine Mutter leben auch noch dort. Die Mutter ist eine gebohrne so und so. Es müste ein wundersames Vergnügen seyn, die Erde unter den Sternen des Himmels und ganz als ihres Gleichen wandeln zu sehen, und der Hausfreund hat dem geneigten Leser diese Freude in dem Artikel von den Planeten zugedacht.


(Die Fortsetzung folgt.)