Textdaten
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Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Von den Processionsraupen
Untertitel:
aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
S. 11-13
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
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Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Von den Processions-Raupen.

Oft fürchten wir, wo nichts zu fürchten ist, ein andermal sind wir leichtsinnig nahe bei der Gefahr. In unsern Eichwäldern hält sich eine Art von graufarbigen haarigen Raupen auf, die sich in sehr großer Anzahl zusammenhalten, und in ganzen grossen Zügen dicht aneinander und auf einander von einem Baum auf den andern wandern, deßwegen nennt man sie [12] Processions-Raupen. Oft sieht man sie langsam auf der Erde fortkriechen, oder an den Eichenstämmen hinaufziehen; sie theilen sich bisweilen wie ein Strom in zwey und mehrere Arme, ziehn eine Strecke weit so fort, vereinigen sich dann wieder und schließen einen leeren Raum in der Mitte, wie eine Insel zwischen sich ein: Oft sieht man an der Länge eines ganzen Stammes hin eine unzählige Menge leere Bälge, welche sie bei der Häutung hängen ließen. Wer im Sommer oft in Eichwälder kommt, wird sich erinnern, dieses schon gesehen zu haben. Daß solche ganze Züge von gefräßigen Raupen an den Blättern der Bäume, wo sie hinkommen, große Verwüstungen anrichten, und das Gedeihen und die Gesundheit der Bäume hindern können, ist leicht zu erachten; doch ist das nicht das schlimmste, sondern sie können sogar dem menschlichen Körper gefährlich werden, wenn man ihnen zu nahe kommt, sie muthwillig beunruhigt, oder gar aus Unvorsichtigkeit mit einem entblößten Theil des Körpers berührt und drückt. Sie dulden es nicht ungestraft, wenn sie sich rächen können. Man hat schon einige traurige Beyspiele an Leuten erlebt, denen solches wiederfahren ist. Sie bekamen bald starke Geschwulst, heftige und schmerzhafte Entzündungen an der Stelle des Körpers, wo sie diese Raupen mit bloser Haut berührten, und nach dem Zeugniß erfahrner Aerzte könnte daraus noch größeres Unheil entstehen, wenn man nicht mit zweckmäßigen Heilmitteln zuvor käme. Aber wie das zugehen mag. Die Raupen lassen augenblicklich ihre kurzen, steifen stechenden Haare gehen, und drücken und schießen sie gleichsam wie Pfeile ihrem Feind in die zarte [13] Haut des Körpers. Dies ist das Mittel, welches die Natur auch diesen verachteten Thieren zu ihrer Vertheidigung gegeben hat. Mehrere andere Arten von Haar-Raupen thun es auch. Aber bei den Prozessions-Raupen ist die Menge gefährlich. Der Körper bekommt unzählig viele kleine unsichtbare Wunden; in jeder bleibt der feine reizende Pfeil stecken, und viel kleine Ursachen zusammen thun eine große Wirkung, was man auch sonst im menschlichen Leben so oft erfährt, und doch so wenig bedenkt. Man soll also mit diesen Thieren keinen unnöthigen Muthwillen treiben; wenn man Ursache hat, an einem Baum hinauf zu klettern, soll man aufschauen, was daran ist; man soll in der Nähe von Eichbäumen halb nackte Kinder nicht auf den Boden setzen, ohne ihn zuerst zu besichtigen, und sie warnen, daß sie es nicht selber thun. Es ist leichter, Schaden zu verhüten, als wieder gut zu machen.