Fliegende Blätter Heft 7 (Band 1)

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Titel: Fliegende Blätter Heft 7 (Band 1)
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aus: Fliegende Blätter, Band 1, Nr. 7, S. 49–56
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
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Erscheinungsdatum: 1845
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: MDZ München = Commons
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Nro. 7.
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Der dicke Bildschnitzer.
(Aus Bülows Novellenbuch.)


Eines Sonntags Abends im Jahre vierzehnhundert neun versammelte sich eine Gesellschaft junger Leute zum Nachtessen bei dem Edlen Tomaso de Pecori in Florenz, einem großen Freunde der Kurzweil und Geselligkeit. Und als man über dies und jenes plaudernd nach Tische um das Feuer herumstand, sagte Einer aus der Gesellschaft: Was meint ihr, daß Manetto Ammanatini heute nicht gekommen ist? Wir haben ihm zugeredet, was wir konnten, er war nicht von der Stelle zu bringen.

Dieser Manetto, ein junger Bildschnitzer, hatte seine Werkstatt auf dem Platze San Giovanni, und galt für den geschicktesten Meister in Verfertigung ausgelegter Holzarbeiten. Er war ein aufgeweckter possirlicher Mensch, eher arglos als schlau von Natur, und wegen seiner ziemlich starken und großen Körpergestalt, in der erwähnten von ihm häufig besuchten Gesellschaft fröhlicher lebenslustiger Leute, vorzugsweise der Dicke genannt.

An diesem Abende hielten ihn entweder Geschäfte, oder Grillen, oder Anderes ab, und er hatte sich trotz aller Bitten nicht entschließen wollen, mit den Gesellen zu gehen.



Indem sie sich nun darüber besprachen und sich die Ursache nicht erklären konnten, aus der er zurückgeblieben war, kamen sie endlich überein, es möge nichts Anderes als Grillenfängerei von ihm gewesen seyn. Ein wenig unwillig deshalb, sagte der Sprecher von vorhin: Wir sollten ihm einmal einen Streich spielen, auf daß er sich nicht gewöhnte, seine Grillen an uns auszulassen. Worauf ein Anderer erwiederte: Was können wir ihm anhaben? Lassen wir ihm nicht etwa die Zeche wo bezahlen, oder treiben einen ähnlichen Spaß mit ihm?

Es war unter dieser munteren Tischgesellschaft Einer, Namens Filippo di Ser Brunellesco, um seiner Kunst willen allbekannt. Dieser ging vertraut mit dem Dicken um, und kannte ihn genau. Wie er also jetzt ein wenig still nachgedacht, und bei sich erwogen hatte, daß der Dicke von sehr schwachem [50] Verstande sei, brach er in die Worte aus: Hört, lieben Freunde, wenn ihr Lust habt, so denke ich, wir könnten eine allerliebste Posse mit dem Dicken spielen, die uns gewiß den größten Spaß abwürfe. Käme es auf mich an, so machten wir ihm weiß, er sei aus sich selber heraus verwandelt, und nicht mehr der Dicke, sondern ein Anderer. Hierauf wendeten zwar die Andern ein, daß dies unmöglich auszuführen sei; Filippo wußte ihnen aber seine Meinung so annehmlich zu machen, stellte ihnen die Verstandesschwäche des Dicken so augenfällig dar, daß sie zuletzt nicht mehr an Ausführbarkeit des Planes zweifelten. Sie verständigten sich, wie einer nach dem andern den Dicken in dem Glauben bestärken solle, daß er ein gewisser Matteo sei, der auch zu der Gesellschaft gehörte, und die Sache nahm am nächstfolgenden Abende ihren Anfang dergestalt: Filippo di Ser Brunellesco, bekannter, wie gesagt, mit dem Dicken, als die Uebrigen, trat zu der Stunde, da die Handwerker ihre Läden zuzuschließen pflegten, in den Laden des Dicken ein, und schwatzte eine lange Weile mit ihm, bis verabredetermaßen ein kleiner Knabe eilig gelaufen kam, und fragte: Kommt hier nicht zuweilen Filippo di Ser Brunellesco her, und ist er vielleicht da? Filippo trat auf ihn zu, sagte, er wäre der Mann, und fragte das Kind, was es begehre? Der Knabe erwiederte: Ach! geht doch ja so schnell als ihr könnt nach Hause; es hat eure Mutter vor zwei Stunden der Schlag gerührt, und sie ist halb todt. Kommt aber ja recht bald. Filippo stellte sich an, heftig zu erschrecken, rief: Gott steh' mir bei, schüttelte dem Dicken die Hand, und nahm hastig von ihm Abschied. Der Dicke sagte theilnehmend: Ich will mit dir gehen, im Falle du meiner bedarfst. Das sind Fälle, in denen man seine Freunde nicht schonen muß. Filippo bedankte sich und sprach: Ich nehme dich nicht mit, aber wenn mir dein Beistand fehlt, so schicke ich nach dir. Er ging, und schlug anscheinend den Weg nach seiner Wohnung ein; als er aber eine Strecke entfernt war, bog er um, und begab sich zu des Dicken Hause, das der Kirche Santa Reparata gegenüber lag. Er öffnete, bekannt mit solchen Dingen, mit einem kleinen Messer, das er bei sich trug, die Thüre, und schob innen den Riegel vor, so daß Niemand hinein gelangen konnte.

Der Dicke hatte seine Mutter bei sich, die dieser Tage nach Polverosa gegangen war, wo sie ein Gütchen besaß, um da ihre Wäsche zu waschen und zu trocknen, und er erwartete sie alle Tage zurück. Er machte seine Werkstatt zu, ging seiner Gewohnheit nach einige Mal auf dem Platze San Giovanni auf und ab, den Kopf mit Gedanken an Filippo und dessen kranke Mutter erfüllt, und sagte bei sich selbst, nachdem ein Uhr des Nachts vorüber war: Nun bedarf der Filippo meiner doch nicht mehr, da er nicht zu mir schickt. Er beschloß also, nach Hause zu gehen. Und als er vor seiner Thüre, zu der man zwei Stufen in die Höhe trat, angelangt war, und wie sonst aufschließen wollte, versuchte er es mehrere Male, und merkte endlich, da es nicht ging, daß von innen der Riegel vor sei. Er klopfte an, und rief: Wer ist denn oben? Mach auf! – der Meinung, daß wohl seine Mutter vom Dorfe zurückgekommen sei, und aus Vorsicht den Riegel vorgeschoben habe. Filippo drinnen trat an den Treppenhals, und rief, des Dicken Stimme nachahmend: wer ist unten? Worauf der Dicke entgegnete: Mach' auf! – Filippo, als halte er den Pochenden für den Matteo, von dem schon die Rede war, rief, gleichwie der Dicke hinab: Ach, Matteo! geh' mit Gott, ich bin heute nicht aufgelegt, eben war Filippo di Ser Brunellesco in meiner Werkstätte bei mir, und ward abgeholt, weil seine Mutter seit ein paar Stunden schon auf den Tod krank liegt. Das hat mich für den ganzen Abend betrübt gemacht. Und nach innen gewendet, fügte er hinzu: Monna Giovanna, so hieß des Dicken Mutter, macht, daß ich zu essen bekomme. Es ist gar zu arg; vor zwei Tagen solltet ihr schon wieder da seyn, und heute kommt ihr nun so spät. Er schalt noch einige Worte so verdrossen hin, und ahmte des Dicken Stimme immer dabei nach.

Wie der Dicke drin so schreien hörte, und es ihm doch seine eigene Stimme schien, sagte er: Was heißt denn das? Kommt es mir doch vor, als sei der da oben ich, der da sagt, daß Filippo in seiner Werkstatt gewesen, als er zu seiner erkrankten Mutter gerufen ward! Und über dies schwatzt er ja mit Monna Giovanna. Bin ich bei Sinnen, oder wie ist mir? Er trat die beiden Stufen wieder hinab, ein wenig zurück, um zu dem Fenster hinauf zu rufen.

Da kam alsbald der Bildhauer Donato di Niccolo di Benetto Bardi, Donatello benannt, ein großer Freund des Dicken, hinzu; und wie er so in der Dämmerung vorüberging, sagte er: Guten Abend, Matteo; suchst du den Dicken? Der ging eben in's Haus hinein. Nach diesen Worten hatte er sich schon entfernt.

War aber der Dicke vorher voll Verwunderung, so stand er nun, wie er hörte, daß Donatello ihn Matteo nannte, ganz verblüfft, und ging wieder auf den San Giovanniplatz, indem er zu sich sagte: Ich will so lange hier stehen, bis Jemand vorbeigeht, der mich kennt, und mir sagen kann, wer ich eigentlich bin. Zu dem so halb von Sinnen Dastehenden kamen, nach Abrede, vier Diener des Handelsgerichtes, nebst einem Notar, und mit ihnen ein Gläubiger jenes Matteo, für den der Dicke schon auf dem besten [51] Wege war, sich zu halten. Der Gläubiger trat dicht zum Dicken heran, und sagte zu dem Notar und den Bewaffneten: Führt den Matteo hier weg, er ist mein Schuldner. Zum Dicken aber: Siehst du wohl, ich bin dir so lange auf den Fersen gefolgt, bis ich dich doch erwischt habe. Die Gerichtsdiener und der Notar nahmen den Beklagten fest und schickten sich an, ihn hinwegzuführen. Der Dicke aber sagte zu dem, der ihn greifen ließ: Was habe ich mit dir zu schaffen, der du Gewalt gegen mich brauchst? Heiß den Leuten mich loslassen: Du nimmst mich für einen Andern, ich bin nicht der, für den du mich halten magst, und du begehst schweres Unrecht, daß du mir solche Schande anthuest. Ich habe nichts mit dir gemein. Ich bin der dicke Tischler und nicht der Matteo, und weiß nicht, was für ein Matteo ich seyn soll. Hiermit wollte er anfangen, sich zu widersetzen, da er sehr stark und kräftig war; die Häscher fielen ihm aber rasch in die Arme und hielten ihn. Der Gläubiger trat vor ihm hin, sah ihm scharf in's Auge und sagte: Wie! du hättest nichts mit mir zu thun? So, so, und ich sollte den Matteo, meinen Schuldner, nicht kennen, und nicht wissen, wie der dicke Tischler aussieht? Du stehst in meinem Schuldbuche, und ich habe Urtheil gegen dich schon ein Jahr lang, trotz deiner Schliche, bei mir. Du thust wohl daran, schlechter Mensch, zu sagen, daß du nicht der Matteo seist. Aber ich will dich schon lehren, daß es besser ist, du bezahlst mich, als daß du dich zu einen Andern machst. Führt ihn immer fort: wir wollen sehen, ob er es wirklich ist. Unter heftigem Gezänk ward der Dicke auf das Handelsgericht geführt. Und weil es fast schon Zeit des Abendessens war, so trafen sie weder unterwegs noch an Ort und Stelle Jemand an, der ihn kannte.



Im Gerichtshause schrieb der Notar scheinbar einen Verhaftsbefehl auf des Matteo Namen ein. Der Dicke ward in's Gefängniß gebracht, und wie er hineintrat, drängten sich die anderen Gefangenen, die den Lärm bei seiner Ankunft vernommen hatten, und ihn öfter Matteo nennen hörten, ohne ihn zu kennen, um ihn herum, und riefen ihm zu: „Guten Abend, Matteo, was gibt's denn mit dir?“ Der von dem einen wie von dem anderen Matteo genannte Dicke meinte also ziemlich gewiß Matteo zu seyn, und erwiederte die Begrüßung ganz verwirrt: Ich bin da einem, der mich hat setzen lassen, eine Summe Geld schuldig; aber morgen bei guter Zeit komme ich los. Die Gefangenen entgegneten: Du siehst, wir sind eben beim Abendbrode; iß mit uns, du kannst deßwegen morgen früh immer wieder gehen. Bedenke aber wohl, daß man hier jedesmal länger bleibt als man bleiben will. Der Dicke speiste mit den Gefangenen, und nach der Mahlzeit räumte ihm einer den schmalen Rand seines Lagers ein, indem er sagte: Matteo, richte dich für heute Nacht ein, so gut du kannst. Kommst du morgen früh los, so ist es gut für dich, wo nicht, so bringt man dir wohl aus deinem Hause ein Bett hieher. Der Dicke dankte und legte sich nieder, um zu schlafen, während in seinem Kopfe folgende Gedanken aufstiegen: Was will ich machen, wenn ich einmal aus dem Dicken der Matteo geworden bin? Und das kommt mir jetzt ziemlich ausgemacht vor, nach allen den Beweisen, die ich habe. Schicke ich nach Hause zu meiner Mutter, und der Dicke ist da, so machen sie sich lustig über mich und werden sagen, daß ich verrückt geworden sei. Und auf der andern Seite dünkt es mir doch immer noch, daß ich der Dicke bin. Unter solchem Selbstgespräche,[WS 1] bald seiner Sache gewiß, daß er Matteo, bald wieder der Dicke sei, blieb er bis Morgens wach, ohne ein Auge zuzuthun. Und als er in der Frühe aufgestanden war, und an dem kleinen Fensterchen des Gefängnisses stand, in der Erwartung, von da irgend eines vorübergehenden Menschen habhaft zu werden, der ihn kenne, kam ein junger Mann Namens Giovanni di Messer Francesco Rucellai auf das Handelsgericht, der auch zu der Gesellschaft gehörte, und an der Abendmahlzeit, so wie an der spaßhaften Verschwörung Theil genommen hatte. Er war ein genauer Bekannter des Dicken, der eben den Rahmen zu einem Madonnenbilde für ihn fertigte, und brachte noch vorigen Tages, um ihn anzutreiben, eine lange Weile in seiner Werkstatt zu, bis der Dicke versprochen hatte, ihm die Schilderei in vier Tagen fertig zu liefern. Wie nun Giovanni in das Gerichtshaus getreten war, steckte der Dicke seinen Kopf durch das Gitterfenster des Kerkers, der sich zur ebenen Erde befand, in die Flur, und sah und lächelte ihn freundlich an. Giovanni sah ihn wieder an, als hätte er ihn noch niemals gesehen, und sprach: „Was lachst du guter Freund?“ Der Dicke, dem es vorkam, er werde von jenem nicht erkannt, antwortete: „O! ich lache über weiter nichts; sagt mir, kennt ihr nicht Einen, den man den Dicken nennt, der gleich dort hinten am San [52] Giovanniplatz wohnt, und ausgelegte Arbeit macht?“ Wie! ob ich ihn kenne! sagte Giovanni, ja wohl, er ist mein guter Freund, und ich werde bald wegen einer kleinen Arbeit, die er mir macht, zu ihm gehen. Der Dicke fuhr fort: Ach! thut mir doch den Gefallen, da ihr einmal zu ihm geht, und sagt ihm, es sitze einer seiner Freunde im Handelsgerichte, er möge doch ihm zu Lieb' im Vorbeigehen einmal mit hier zusprechen. Giovanni, der ihm fortwährend starr in's Gesicht sah, und nur mit Mühe das Lachen verhielt, sagte: Recht gerne will ich das thun; worauf er sich entfernte und an seine Geschäfte ging.



Der Dicke blieb allein am Gefängnißgitter stehen und sagte bei sich selbst: Nun kann ich sicher seyn, daß ich nicht mehr der Dicke, sondern Matteo geworden bin. Verwünschtes Schicksal! Wollte ich den Leuten etwas von meinem Unfalle sagen, sie glaubten gar noch, ich sei närrisch geworden, und die Kinder liefen mir auf der Gasse nach. Und sage ich nichts, so fallen noch hundert Mißverständnisse wie gestern Abend vor, da man mich gefangen setzte. Ich mag thun was ich will, es geht mir schlecht. Wir wollen aber doch sehen, ob der Dicke nicht kommt. Und wenn er kommt, so erzähle ich es ihm, und werde ja hören, was er sagt. Er wartete, in dem Wahne, der Dicke solle kommen, eine lange Zeit, und machte endlich, da er nicht kam, einem Andern am Fenster Platz. Dann setzte er sich, und sah bald den Fußboden, bald die Wand, mit gefalteten Händen an. Es war dieser Tage auch ein Rechtsgelehrter in der Haft, ein sehr braver Mann, dessen Namen wir aus Achtung vor ihm verschweigen wollen, der zwar den Dicken nicht kannte, doch da er ihn so schwermüthig sitzen sah, und sich einbildete, er sei um seine Schuld betrübt, ihn ein wenig zu trösten gedachte, indem er sprach: Nun Matteo, du bist ja so trübselig, als wenn es dir an Leib und Leben ginge, und deine Schuld ist doch, wie du selber meintest, klein. Man muß sich nicht im Unglück niederdrücken lassen. Warum schickest du nicht nach einem deiner Freunde oder Verwandten aus, und suchst deinen Gläubiger zu bezahlen, oder dich mit ihm zu verständigen, damit du auf freie Füße kommest und den Muth nicht ganz und gar verlierst. – Wie sich der Dicke so wohlmeinend und freundlich trösten hörte, entschloß er sich, dem Fremden seine Noth zu klagen. Er zog ihn in einen Winkel des Gefängnisses, und hub an: Obgleich ihr mich nicht kennt, mein lieber Herr, kenne ich euch doch wohl, und weiß, daß ihr ein braver Mann seid. Ich will euch also den Grund gestehen, weßwegen ich so schwermüthig bin. Ihr sollt nicht glauben, daß eine kleine Schuld mir solches Leid erregt. Es ist etwas Anderes. Und er erzählte ihm seine Lage, und jeden Umstand, der sich bisher mit ihm zugetragen hatte, vom Anfange bis zu Ende weinerlich, und bat sich zweierlei von ihm aus: daß er erstens mit Niemand von seinem Unfall spreche, und ihm dann irgend einen guten Rath, oder Hilfe in seiner Noth ertheile. Er setzte hinzu: Ich weiß, daß ihr erfahren in den Wissenschaften seid, und belesen in vielen Autoren und alten Historien, in denen mannigfache Ereignisse beschrieben sind. Fandet ihr niemal eine Geschichte darin, die der meinigen gleicht? Als der wackre Mann diese Rede vernommen und still bei sich erwogen hatte, meinte er, es könne mit dem Guten nur zweierlei Bewandtniß haben, entweder sei er verstandeskrank, oder man treibe seinen Spott mit ihm. Er entgegnete also schnell: er habe vielerlei der Art gelesen, wie nämlich aus einem Menschen ein anderer ward, und dieß möge denn gerade kein so neuer Fall seyn. Der Dicke antwortete: Sagt aber, wenn ich der Matteo geworden bin, wo ist dann der alte Matteo hin? Der Rechtsgelehrte: Nothwendigerweise muß der Dicke aus ihm geworden seyn. Worauf abermals der Dicke sagte: Recht sehr wohl, könnte ich ihn nur einmal, meine Neugier zu stillen, sehen!

Unter solchen Betrachtungen verging der Tag. Um die Vesperzeit kamen zwei Brüder Matteo's in das Gerichtshaus, und fragten den anwesenden Notar, ob nicht ein Bruder von ihnen, Namens Matteo, hier gefangen sitze, und wie groß die Summe sei, die er schulde; sie wollten ihn aus seiner Haft befreien. Der Notar, der als genauer Freund des Tomaso Pecori um den ganzen Handel wußte, bejahte die erste Frage, blätterte aufmerksam in seinem Buche herum, und sagte, er ist der, und der Summe halber auf des und des Antrag hier. Gut, erwiederten sie, wir wollen ihm ein paar Worte sagen, alsdann schaffen wir das Geld herbei. Und auf das Gefängniß zugehend, sagten sie zu Einem, der am Fenster stand: Sage doch dem Matteo drinnen, es wären seine Brüder hier, um ihn zu befreien, er solle einen Augenblick herantreten. Der Gefangene richtete seinen Auftrag aus, und der Dicke kam an das Gitter und grüßte sie, worauf der ältere der beiden Brüder ihn solchergestalt anredete: Matteo, du weißt, wir haben dich schon unzählige Mal ermahnt, von dem schlechten Lebenswandel abzulassen, den du seither geführt hast, du weißt, wir haben dir immer gesagt: Du geräthst tagtäglich in Schulden, heute bei dem, morgen bei dem, und bezahlst keinen [53] Menschen je. Was du heute nicht verspielst, bringst du morgen liederlicher Weise durch, so daß du nie einen rothen Heller in deinem Beutel hast. Nun haben sie dich aber gar eingesteckt! Du weißt, wie wir uns behelfen müssen, und ob wir immerdar im Stande sind, für dich Schulden zu bezahlen, der du mit deinem Saus und Braus die Zeit her einen wahren Schatz durchgebracht hast. Wir sagen dir, wenn es nicht um unserer Ehre willen wäre, und weil uns unsere Mutter keine Ruhe läßt, wir ließen dich diesmal eine Weile zappeln, damit du wo möglich in dich gingest. Wir wollen uns jetzt noch einmal deiner annehmen und für dich bezahlen; doch wenn du wieder so tief hineingeräthst, so sollst du länger drin stecken bleiben, als dir lieb seyn mag, das merke dir. Damit uns Niemand bei hellem Tage mit dir herausschleichen sieht, so werden wir heute Abend, um das Ave-Maria, dich abzuholen, kommen, wann wenig Menschen auf der Straße sind; denn es soll nicht Jedermann Zeuge unseres Elendes seyn, und wir mögen nicht noch mehr Schande deinetwegen auf uns laden. Der Dicke gab ihnen gute Worte, und versprach hoch und theuer, er wolle in Zukunft ein ganz anderes Leben führen, als er bisher gethan habe, und sich hüten, wieder so liederlich zu seyn, und ihnen solche Schande ins Haus zu bringen. Er beschwor sie um Gotteswillen, sie möchten ihn ja abholen, wenn die Stunde gekommen sei. Sie versprachen es und gingen hinweg, und er zog sich wieder in seine Ecke zurück, wo er gegen den Richter sich äußerte: Es kommt immer besser mit mir. Eben waren zwei Brüder des Matteo, jenes Matteo, mit dem man mich verwechselt, hier, und haben mit mir gesprochen und mir gesagt, um's Ave-Maria kämen sie wieder und holten mich ab. Und fügte er kläglich hinzu: Wie soll es nun werden, wenn ich hier weggeführt worden bin? Wo soll ich hin? In mein Haus kann ich nicht gut wieder, denn ist der Dicke drinnen, was soll ich sagen, will ich nicht für einen Narren ausgeschrieen werden? Und ganz gewiß muß der Dicke drin seyn, meine Mutter hätte mich ja suchen lassen, wär' er's nicht; so aber sieht sie ihn gewiß vor sich und wird ihren Irrthum nicht gewahr. Der Rechtsgelehrte verbiß sich das Lachen, und hatte über den Dicken unendlichen Spaß. Er sagte: Lauf ja nicht zum Dicken hin; geh nur mit denen, die sich für deine Brüder ausgeben; du wirst bald sehen, wohin sie dich führen, und was weiter mit dir geschieht.


(Schluß in nächster Nummer)


Der schlesische Zecher.


Auf Schlesiens Bergen, da wächst ein Wein,
Der braucht nicht Sonne nicht Mondenschein.
Ist's Jahr auch schlecht, ist's Jahr auch gut,
Da trinkt man fröhlich der Trauben Blut.

5
Da lag ich einmal am vollen Faß,

„Ein Anderer soll mir trinken das;“
So rief ich,
„Und soll's der Teufel sein,
Ich trinke ihn nieder

10
Mit solch'nem Wein.“

Und eh noch das letzte Wort verhallt,
Des Satans Tritt durch den Keller schallt,
„He Freund!, gewinn' ich, so bist du mein,“
Ich gehe, so sprach ich, ich gehe die Wette ein.

15
Da wurde manch Krüglein leer gemacht;

Wir saßen und tranken die halbe Nacht,
Da lallte der Teufel: „He Kamerad,
Beim Fegfeuer jetzt – jetzt hab' ich's satt.
Ich trank vor hundert Jahren zu Prag

20
Mit den Studenten Nacht und Tag;

Doch mehr zu trinken solch sauren Wein,
Müßt' ich ein geborner Schlesier sein.“


[54]
Der gute Mond.



Guter Mond du gehst so stille
In den Abendwolken hin.
Bist so ruhig, und ich fühle
Daß ich ohne Ruhe bin.

5
Traurig folgen meine Blicke

Deiner stillen heitern Bahn;
O wie hart ist das Geschicke,
Daß ich dir nicht folgen kann.



Guter Mond dir kann ich's sagen,

10
Was mein banges Herze kränkt,

Und was unter bitterm Zagen
Die betrübte Seele denkt.
Guter Mond, du kannst es wissen,
Weil du so verschwiegen bist,

15
Warum meine Thränen fließen,

Und mein Herz so traurig ist.



Dort in einem kleinen Thale,
Wo viel junge Bäume steh'n,
Nah bei einem Wasserfalle,

20
Wirst du eine Hütte seh'n.

Geh' durch Felder, Bäch' und Wiesen,
Blicke sanft ans Fenster hin:
Dort erblickest du Elisen,
Aller Mädchen Königin.



25
Mond, du Freund der reinsten Triebe,

Schleich dich in ihr Zimmer ein;
Sag es ihr, daß ich sie liebe,
Und daß sie nur ganz allein
Mein Vergnügen, meine Freude,

30
Meine Lust, mein Alles ist;

Daß ich auch mit ihr dann leide,
Wenn ihr Aug' in Thränen fließt.

[55]
Der Liebesbrief.



O laß, Du Himmlische, Dir sagen,
Daß alle meine Pulse für Dich schlagen.



Kaum gebiet' ich meinem Schmerze,
Sie verschmäht das treu'ste Herze.




Spanische Geschichte.



Progressist: Nur zugehauen, frisch! wie lange werd' ich knieen sollen?
Moderados: Sie sind ja schon geköpft, wenn Sie nur gütigst schütteln wollen.





Eine englische Geschichte.



Die Armen: Brod, Brod! wir flehen auf dem Knie!
Fabrikherr: Wie glücklich die Canaillen sind, es hungert sie.


[56]
Musikalische Meteore.



Liszt übertroffen! Eine freie Phantasie vierhändig.[WS 2] Das größte Ereigniß der Neuzeit! Alle Lippen nennen ihn, – alle Herzen schlagen ihm entgegen. Worte schildern ihn nicht, – nicht seiner Harmonieen Macht. Nur hören, sehen und dann – – sterben.



Ein neu Gestirn erscheint am Horizont der Kunst! – Wer schildert seinen Glanz? Die Feder entfällt der anbetenden Hand! o – ach – ah!! Alle Pulse schlagen fieberhaft; hier endet die Kritik, die Kunst!




München, Verlag von Braun & Schneider.Papier und Druck von Fr. Pustet in Regensburg.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Im Original: „Selbstgegespräche“.
  2. Dies bezieht sich offenbar auf Franz Schubert, geboren im Himmelpfortsgrund (damals eine Wiener Vorstadt), der im Jahre 1810 im Alter von 13 Jahren eine Klavierfantasie G-Dur zu vier Händen schuf.