Fliegende Blätter Heft 40 (Band 2)

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator:
Titel: Fliegende Blätter Heft 40 (Band 2)
Untertitel:
aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 40, S. 121–128.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[121]



Nro. 40.
16. II. Band.
Bestellungen werden in allen Buch- und Kunst- Erscheinen wöchentlich. Subscriptionspreis für
handlungen, sowie von allen Postämtern und den Band von 24 Nummern 3 fl. 36 kr. R.-W.
Zeitungsexpeditionen angenommen. od. 2 Rthlr. Einzelne Nummern kosten 12 kr. oder 3 ggr.

Eine Nacht aus dem Leben eines Dichters.
1.

Uns frieret, und das Holz auch in unserm Hain,
So klagten die Musen, wird theuer.
Heizt, sprach Apoll, mit deutschen Romanen ein.
So habt ihr ein ewiges Feuer. Pfeffel.

Am Vorabend des Weihnachtstages lag ein armer Dichter in seinem Kämmerlein auf dem Lager von Stroh, in zerrissene Bettlacken und Kleider gehüllt, den Kopf tief in eine schmutzige Nachtmütze gesteckt. Vor ihm stand der dreibeinige Tisch, morsch und wurmstichig mit dem buntesten Wirrwarr von Gegenständen angefüllt. Da lagen stumpfgeschriebene Gänsekiele und neue Gedichte, und dort stand das alterthümliche Tintenfaß, das einen Löwen vorstellte, in dessen gekröntem Haupte der schwarze Saft enthalten; hier lagen zierliche Madrigale und paarten sich mit anmuthigen Sonetten, während sich eine geschämige Idylle kokettisch zu verbergen suchte; hochtönende Heldengedichte, an deren holperigen Hexametern der gewaltige Liebling der Camönen seinen Pegasus lahm gepeitscht hatte, blickten verstohlen unter dem braunen Makulatur hervor, in welchem vor einigen Tagen der Dichter sein frugales Mahl nach Hause getragen; vielleicht dass sie ahnten ihr künftiges Schicksal. Mächtig schallende Oden und trunkene Dithyramben rauschten wie toll im Dachkämmerlein umher, vom eisigen Winde gehetzt, der sich erfrechte, mit seinem kalten Hauche durch die Fugen und Lücken und Spalten der Bretterwände zu dringen und den Freund Apollo’s zu küssen, dass derselbe zitternd in die starren Hände hauchte.

Alte Bücher, mächtige Folianten standen in schweinlederner Rüstung trotzig auf dem Boden umher, ein kräftiges Geschlecht der Vorzeit, während eine Menge kleinerer Broschüren, Tagblätter, Flugschriften und anderes Gesindel, wahrscheinlich Freiexemplare, unser jetziges Zeitalter sinnbildend, wirr, staubig und zerstreut umherlagen. Neben dem Lager des Dichters sprudelte die Roßhufsquelle, wie Meister Bürger weiland den Musenborn nannte, woaus der Dichter in Stunden der Begeisterung schöpfte, nämlich der grüne narbenvolle Wasserkrug, der heute Nacht eingefroren war; denn dort steht wohl der mächtig große Ofen, der zwei Dritttheile von dem Kämmerlein für sich wegnimmt, wie ein feister Metzger oder Pächter in einem Stellwagen, aber wo das Holz oder Torf? Armer Dichter! raffe deine Gedichte, die Folianten, Broschüren und Flugblätter zusammen, zünde sie an und wärme dich und deine zitternden Finger, daß du doch einmal von deinen Musen erwärmt worden bist! Frevelhafter Wunsch! Auf dem Ofen steht eine Weinflasche! aber wie sie hieherkommt, ist schwer zu errathen; denn dass der jetzige Besitzer je Wein gekostet, ist kaum zu glauben, obgleich er schon mehr [122] Lob- und Trinklieder auf den Wein geschrieben hat, als Gleim und Hagedorn sammt dem Wandsbecker Boten; sie dient als Leuchter, wie das mit Papier umwickelte Kerzenstümpchen bezeugt, das in dem Halse derselben steckt. An der Wand hängt ein lederner Tabaksbeutel, und in der Ecke am Fenster lehnt eine thönerne Tabakspfeife mit langem Rohr, von Spinnen gänzlich übersponnen. Jener würde längst von den Ratten und Mäusen, welche das Kämmerlein mit dem Musensohne theilen, verzehrt sein, und es ist sein Glück, daß er hoch an der Wand hängt; aber dem Gekrabbel nach zu urtheilen, dürfte er nicht mehr lang eines unversehrten Daseins sich erfreuen, da es scheint, als ob die Feinde einen Minirgang angelegt hätten, und den Angriff von innen aus beabsichtigten.

Horch! schon ruft der Glocke eherne Stimme die vierte Stunde über die nebelgehüllte Stadt, - Armer Dichter! schon dämmert es, und noch hat Niemand verlangt nach den Erzeugnissen deines Geistes, trotzdem, daß unten am Fensterladen mit zierlichen Buchstaben geschrieben, nicht lithographirt, steht: „Hier werden Namensfest-, Kindstauf-, Hochzeit-, Leichen-, Neujahr-, Schmaus und Trinkgedichte fabrizirt; man garantirt strengste Verschwiegenheit und kopirt auch Briefe.“ Ein mächtiger Vorrath ist aufgeschichtet, weil man aus der Dichter Werken die Größe ihres Hungers erkennen kann; denn je bogenreicher ein Werk, desto größer, desto anhaltender war der Hunger des Schreibers, wie selbst ein Dichter sagt.

Jetzt springt der Dichter auf, rückt die Mütze vom Ohr, und horcht auf die nahenden Tritte, welche die Stiege heraufpoltern, „Endlich einmal“ - macht sich seine gepreßte Seele durch einen langen Seufzer Luft, und er labt sich schon in Gedanken an einem Stücklein Käs und einigen Broden, die ihm in einer erquickenden Nähe erscheinen; aber wie schaudert er zurück, als durch die geöffnete Thür das fette roth aufgedunsene Vollmondgesicht der Hausbesitzerin hereinstrahlt, während der mächtige Schlüsselbund an ihrem Gürtel klirrt und klappert.

„Ei! Herr Faullenzer!“ begann die Donna mit gellender Stimme, „kann er mich bezahlen oder nicht? Morgen ist Weihnachten; da halte ich Jahresrechnung, - Scher er sich zum Teufel, versteht er mich, zum Teufel, wenn er mich nicht bezahlen kann. Solche Tagediebe und Müssiggänger, die den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen, brauche ich nicht in meinem Haus. Mein Haus will lauter ehrliche Leute, nicht solche, die sich bis zum lieben Abend auf der Streue dehnen. - Verstanden Musjö? - Wär es nicht zu kalt in diesem Loche, ich hätte ihm noch mehr zu sagen, aber“ - hier schritt die Gnädige stolz zur Thür hinaus, und wälzte ihre Masse über die knarrenden Stiegen hinab. Der Dichter schaute der dicken Dame mit triumphirenden Blicken nach, und pries sich glücklich, der Fürchterlichen so leichten Kaufes entronnen zu sein. Im ersten Freudentaumel machte er eine Ode auf Gott Apollo, der ihn beschützt in dieser Noth, und mit zitternden Fingern kritzelte er die Zeilen mit Bleistift aufs Papier.

Schon wieder poltert es; doch sind es nur des Dichters Zimmergefährten, welche die eingebrochene Dämmerung aus ihren Schlupfwinkeln lockt zu geselligem Vergnügen. Das ärgert den Getäuschten, welcher glaubte, daß ein Gedichtbedürftiger die Stiege heraufpolterte, und im Grimm, vervielfacht durch des Hungers nagenden Zahn, packt er mit kräftig hagerer Faust einen mächtigen Folianten, und schleudert ihn krachend an die dumpfhallenden Wände. Alles ist still! Aber gar bald beginnt das Getümmel von neuem, und zuletzt wird das denn doch dem Dichter zu arg; er erhebt sich mühevoll und rüstet sich zum Ausgehen, um vielleicht dem Glücke, das ihn heute nun einmal durchaus nicht aufsuchen will, mit Gewalt nachzujagen.

Nächst dem Thürmer ist er wohl die höchste Person in der Stadt, und die Aussicht von seinem mit Papier verklebten Fensterlein ist herrlich, wenn man die abstoßende Wirklichkeit wegrechnet; schwarze Kamine mit braunen Pechstreifen, dunkelgraue Feuermauern und eingeschneite Dächer, der Tummelplatz alter Kater, begrenzen den Blick. Das grämt aber den Dichter wenig: die Wirklichkeit ist immer rauh und abstoßend, und er lebt in andern Gauen, bildet sich eine Gobi zur blühendsten Trift, und denkt sich eine Sahara zur reichsten Landschaft; er weiß nichts von des Winters Kälte, kennt nicht des Sommers Glühhitze, noch bringt ihm der April trübe Tage; über ihm strahlt ein ewig heiterer Himmel. -

Der Dichter bürstete den oft geflickten schwarzen Frack aus, fuhr mit derselben Bürste einigemal über die röthlichen Stiefel, mit der rechten Hand durch die Haare, drückte den narbenvollen Hut in die Stirne und rannte die Stiegen hinab, hinaus in die belebten Straßen. Er durchwanderte die hellerleuchteten Gassen, sah die glänzenden funkelnden Buden voll der buntesten Gegenstände, und hörte den Jubel und die laute Freude der Kinder und Käufer, welche in scherzenden schäckernden Haufen auf und abzogen. Der Anblick der aufgethürmten Eßwaaren, die duftenden Käse, die feinen Schinken und Würste, die mächtigen Haufen schwarzen und weißen Brodes, von denen ein einziges seiner Sehnsucht genügt hätte; der Anblick that seinen Augen wehe und der zurückgehaltene Hunger brach mit neuer Gewalt los. Mit Wehmuth dachte er an die längst gestorbene Mutter, an den alten Vater, den guten lieben Mann, er dachte an seine eigene Person, Thränen perlten über seine abgehärmten Wangen und er konnte nicht länger das Treiben dieser frohen und freudigen Gestalten anschauen. In die dunkelsten und engsten Winkel und Gäßchen trieb ihn seine Wehmuth und verzweifelnde schwarze Gedanken bemächtigten sich des Verlassenen.

„Mir blüht bei hellem Kerzenlicht
Kein Weihnachtsbaum empor,
Und keiner Freude Schimmer bricht
Durchs engverschloßne Thor.
Wenn eine Nuß am Baume hängt,
So ist sie taub und hohl,
Und wenn am schwanken Zweig was hängt,
So bin ich’s selber wohl.“

Solcher Art mochten des Armen Gedanken auf der traurigen Wanderung sein.

Der kalte Wind durchsauste seinen hagern Körper, daß er mit den Zähnen klapperte, und vergebens rannte er wie toll durch die Straßen, um die kalten Glieder zu erwärmen. Doch [123] nicht länger konnte der starke Wille die Schwäche des Leibes beherrschen; halb ohnmächtig sank er nieder, und Morpheus schüttete seine braunen Mohnkörner auf die Schläfe des Hungernden, und aus der elfenbeinernen Pforte des Hades schlichen sich leichtbeschwingte Träume und gaukelten um seine traurige Seele.

Wie durch einen Zauberschlag war der Poet in ein anderes Land versetzt; ein unbewölkter Himmel blickte lachend auf grüne Wiesen mit bunten Blumen durchwebt, aus deren Kelchen summende Bienen mit Duft sich beluden, und gaukelnde Schmetterlinge Nektar sogen; aus Gebüschen von Rosen und Jasmin schallten die Lieder der buntgefiederten Kehlen des Haines, und schäckernde Zephyre wiegten sich auf den schwankenden Zweigen der Orangen-, Feigen- und Melonenbäume; wie ein Silberband schlängelte sich ein Bächlein durch heerdenreiche Triften; rauschende Cascaden stürzten schäumend von mächtigen Felsenhöhen und spiegelglatte Seen spiegelten den blendenden Strahl der Sonne in ihren dunkelblauen Tiefen. Staunend und freudig blickte er um sich, und konnte sich nicht satt sehen an der schönen Gegend. Ist es Wirklichkeit, fragte er sich, oder träume ich nur? Schon hatte er im Sinn, sich hier eine Hütte zu bauen, da drang ein sonderbares Gemurmel in des Dichters Ohren und rauhe Stimmen ließen sich hören,

„Der Gesell da ist gerade recht auf diese Feiertage; zwölf Gulden ist kein Lumpengeld."

„Ha!" lachte der Angeredete: „bist du toll? Der Bursche da lebt ja noch; da würde sich der Herr Doctor bedanken für solch eine lebende Kanaille."

„Was Doctor? ich bring ihm einen Cadaver, erhalte meine zwölf Gulden und damit Basta! Verstehst du mich nun, Kaspar?"

„Ich verstehe; Nickels Branntwein ist dir in den Kopf gestiegen, und du glaubst in deinem Rausche, der Bursche da sei todt, was nicht möglich ist; er schnarcht ja wie ein träumender Hund!"

„Mordelement!" rief der andere zornig; „Kaspar, du bist ein dummer Kerl, sag ich dir, du magst davon halten, was du willst. Ist denn das so was Arges, wenn man das Lämpchen solchem Bärenhäuter ausbläst und zudem würde er heute Nacht doch erfrieren!"

„Ah so, ich begreife jetzt! Also schnell, mich friert!"

Sie wollten eben dem Dichter, der aus seinen Traumländern zurückgekehrt war und mit Schrecken und Schauder die Unterredung mit angehört hatte, beim Kopfe fassen und ihm einen Knebel in den Mund stoßen, als dieser mit Hasenschnelle auf und davon lief, während die andern ihm starr eine Weile nachschauten durch Nacht und Nebel, und dann fluchend weiter wanderten, mit dem Entschlusse, bei nächster Gelegenheit schneller zu sein.

2.

Wo man singt, da laß dich ruhig nieder,
Böse Menschen haben keine Lieder!
 Seume.

Hirsch, Wölfe und ähnliches Gewild ist schon oftmals bei Jagden in solchen Schrecken gesetzt worden, daß es lange Waldungen durchrannte, breite Ströme durchschwamm, über Moore und Haidegegenden flüchtete und ganz von seiner Richtung ab in unbekannte Gegenden gerieth. Auf ähnliche Weise ging es dem Dichter Thomas Knappauf, so ist sein Geburts- und Familiennamen, wie das Taufbuch seines Pfarrers ausweisen muß. Die schrecklichen Worte der beiden Gauner wiederhallten wie die Posaunen des jüngsten Tages in seinen Ohren, und er rannte mit all seiner Kraft, mit aufopfernder Anstrengung immer vorwärts, und bog nur in ein Seitengäßchen, wenn er glaubte, die andere Gasse möchte in einen Sack enden, wagte aber ja nicht umzuschauen oder hinzustehen. Keuchend, schweißtriefend und todtmatt wankte er weiter, obgleich die Füße kaum mehr vor Schwere sich hoben; die Angst, die fürchterliche Angst vor den abscheulichen Menschen trieb ihn immer wieder weiter, obgleich er kaum mehr athmen konnte. Jetzt konnte er nicht länger aushalten; er hörte die Schritte der Verfolger schon ganz nahe hinter sich; sie kamen näher, immer näher und im nächsten Augenblick mußte er ihr erbarmungswerthes Opfer werden. So glaubte Thomas Knappauf, und doch war es nur der Schall seiner eigenen an dem öden Gemäuer und den hohen Gebäuden wiederhallenden Tritte, der ihn so gewaltig ängstigte. Da sah er im Dunkel eine halb offenstehende Hausthür und mit dem Muthe der Verzweiflung rannte er in den Hausgang. Sonst hätte der ehrliche Thomas so was am helllichten Tage nicht gewagt, um sich nicht der Gefahr auszusetzen für einen Dieb angesehen und eingesperrt zu werden; aber Noth bricht Eisen, und doch schauderte ihm, als er den gewagten Sprung gethan hatte, so sehr, daß ihm der ganze Leib mit einer Gänsehaut überlief. Doch der Schritt war einmal gethan; zurück konnte er nimmer; denn draußen harrten nach seiner Meinung die Bösewichte und hier im Gange war er doch wenigstens für den Augenblick geborgen. Er tappte durch das Dunkel vorwärts, um ein bequemes Plätzchen zum Sitzen oder Liegen zu finden und wagte nicht recht zu athmen, aus Furcht, die Hausbewohner zu wecken, obgleich die Brust ihm fast zu zerspringen drohte.

Während er, behutsam um sich greifend, vorwärts schritt, merkte er, daß innerhalb einer der Thüren, an denen er vorüber kam, Licht sei; denn es strahlte an der entgegengesetzten Wand ein heller Schimmer zurück, der durch das Schlüsselloch seinen [124] Weg nahm. Mit Staunen und halbem Schrecken vernahm er rauhe Stimmen, lautschreiend bald und bald in dumpfen Baßtönen singend, vermischt mit dem Klange aneinandergestoßener Gläser und Krüge und wunderseltsamen Toasten. Hier ist keine so große Gefahr mehr für dich, dachte bei sich der Poet und legte sein Ohr an die verschlossene Thür, ohne sich an das Sprüchwörtlein von der Schule her zu erinnern: „Schäm dich des Horchens an der Wand, es bringt dir nur Verdruß und Schand“; aber so sehr er auch seine Ohren anstrengte, vernahm er doch nur ein verworrenes Gemurmel, das ihm fast noch unheimlicher vorkam, als die Verabredung der beiden Cadaverlieferanten. Schon war er entschlossen, stille, wie er gekommen war, sich wieder zur Thüre hinauszuschleichen und nach Haus zu eilen, wenn die Fürchterlichen nicht draußen auf ihn warteten; doch es sollte anders gehen.

Durch die Thüre, welche der Poet bei seiner eiligen Flucht angelehnt hatte, kam Jemand herein und schritt raschen Ganges auf ihn zu, der vor Angst und Bestürzung nicht wußte, sollte er um Hülfe rufen oder fliehen oder sich zur Wehre setzen. „Erbarmen! Erbarmen!“ rief er jammernd, indem er glaubte, es wären seine Verfolger; „ich bin ein armer Mensch und habe nichts als mein elendes Leben! o ich bitte, laßt mir mein Leben! nur mein Leben!“

„Wer da!“ donnerte eine Stimme den Bittenden an; „wer bist du, Schurke?“

„Laßt mir nur mein Leben, Herr, ich bitte euch! was nützt es euch, wenn ihr mich todtschlagt?“

„Schweig doch mit deinem Leben, Bestie,“ lachte der Eingetretene; „wer will dir dein Leben nehmen? Sage mir aber erst, wer du bist, oder, wie du da hereinkommst; doch vor allem will ich dich sehen.“ Mit diesen Worten packte er den zitternden Dichter am Kopf und zog ihn mit sich in die Stube, aus welcher das Stimmengemurmel mit den Toasten gedrungen war.

Da saßen an einem mit Krügen und Flaschen und Gläsern dicht bestellten Tische, in einer Wolke von Tabaksrauch mehrere junge Männer von sonderbarem Aussehen. Das düster flackernde Licht warf seinen traurigen Glanz unheimlich in der Stube umher und erhellte zum Theil die Gegenstände, die sich allda befanden. An den Wänden hingen mächtige Haurappiere mit zerfetzen Körben paarweise, abwechselnd, mit Stoßklingen und Drahtvisiren und Bildern, welche Scenen aus dem Leben berühmter famoser Burschen darstellten, oder rühmliche Paukereien und körnige Sentenzen dem Auge veranschaulichten. Auf dem Boden lagen zerrissene Spielkarten, Cigarren, angebrannte Fidibus, Pfeifentrümmer, zerbrochene Klingen, Stuhllehnen und anderes Gerümpel, das daselbst seinen besten Platz hatte. Die Herren selbst waren eigenthümlich in ihrer Tracht, in ihrer Geberdung und Sprache. Lange zottige Bärte deckten Wangen und Kinn, und dichte Locken ringelten sich um den Nacken, der mit einem weißen oder weiß sein sollenden Kragen geziert war. Sie hatten den Flaus abgelegt und saßen in Hemdärmeln da ohne Weste und Halsbinde, mit bloßem Hals und bloßer Brust. Die schweren Reithosen wurden über den Hüften vom einem breiten Gürtel gehalten. Mächtige Sporen klirrten an den Stiefeln und eine langrohrige Tabakspfeife, ähnlich einem feuerspeienden Berglein, spie unaufhörlich Dampf und Qualm, und hüllte ihre Häupter, die mit bunt gerändeten Mützen bedeckt waren, in einen düstern Wolkennimbus.

„Kommst du endlich, Kameel?“ riefen rauhe Stimmen dem Eintretenden entgegen und aller Augen schauten nach der Thüre.

„Wohl!“ entgegnete lachend der neue Ankömmling; „hier bring ich Euch einen Fuchsen mit.“

„Wo hast du doch den Philister da aufgehockt?“ fragte einer verächtlich und blies mit verkrümmten Lippen den Rauch in die Lüfte.

„Der bittet mich, ihm das Leben zu schenken, und nur sein Leben zu schenken, sonst nichts; ich hätte eher gedacht, ich sollte ihm einen Pfennig schenken, aber er will nur sein Leben.“

„Er mag sich mit seinem Leben zum Teufel scheren“, donnerte ein andrer, und maß den armen Poeten von unten bis oben mit blitzenden Augen.

„So red’ jetzt!“ schrie der, welcher den Geängsteten hereingezogen hatte; „ohne Furcht sprich, wie du in dies Haus gekommen und was du von uns hältst, daß du so gar erbärmlich um dein Leben heulst und winselst.“

Mit bebender Stimme erzählte Thomas Knappauf sein bestandenes Abenteuer, seine Flucht und den fürchterlichen Schrecken der ihn überfallen, als der Herr, den sie unter sich den langen Hans nannten, durch den Gang auf ihn zu kam, zum allgemeinen Gelächter.

„Ha!“ lachte der eine mit einer Narbe im Gesicht vom Ohr bis zu den Lippen, die der schwarze Bart ein klein wenig verdeckte: „bist du unter den Eisbären von Grönland und Spitzbergen geboren, oder unter Sibiriens Zobeln erzogen worden, daß du in heutiger Nacht im Freien kampiren willst?“

„Nein! meine geehrten Herrn,“ entgegnete Thomas; „ich bin aus Deutschland; aber eine kleine Ermattung zwang mich zum Niedersitzen, und da bin ich eingeschlafen, weil – da es nicht –“

„Hat wohl der Geselle zu tief ins Gläschen geschaut,“ rief ein Andrer, und trank in langen Zügen ein mächtiges Deckelglas bis auf die Nagelprobe.

„Nein, meine Herrn! ich beschwöre euch bei allem was heilig ist, daß ich seit gestern früh noch nichts getrunken habe!“

„Und sicherlich auch nichts gegessen,“ fiel ihm der lange Hans in die Rede: „Was bist du denn deinem Stand oder Gewerbe nach?“

„Ich – ich bin – ein Dichter,“ sprach Thomas Knappauf wehmüthig.

Kaum war dieses Wort seinen Lippen entflohen, als alle Anwesenden lachend und jubelnd mit den gefüllten Gläsern und Krügen klirrend zusammenstießen, und dem erstaunten Dichter ein höchst tumultvolles Lebehoch brachten.

Wie sollte sich der gutmüthige Jünger des Apollo nun dieß Alles auf einander reimen? Fremde unbekannte Männer brachten seinem Ruhme Toaste aus, und er, dem sie galten, war, dem Tode durch Banditenhand kaum entronnen, dem Hungertod fast verfallen. Glühender Durst verbrannte seine Kehle, vor seinen Augen tanzte das Licht in buntfarbigen Schwingungen, und Tisch und Stuhl und Ofen schauten ihm grinsend unter die Nase. Er fühlte, daß er einer Ohnmacht nahe sei, und mit [125] lallender Zunge bat er um Entschuldigung wegen der Anmassung und Frechheit, sich ungeheißen auf einen Stuhl niederzulassen.

„Hergesessen!“ riefen die Herren insgesammt; „hergesessen an unsern Tisch, du altes Haus und sei fidel! Iß und trink und laß dir wohl sein; ein Dichter ist aller Orten willkommen.“

„Wie? was?“ fuhr einer auf; „der Dichter stirbt! Lugete Veneres Cupidinesque! Der Dichter stirbt! Hilf, Apollo! hilf!“ - „Bier her! Der Dichter braucht Medizin; Stärkungsmittel, Tinkturen und Mixturen her! - ein solches Leben muß unserm Zeitalter erhalten werden.“

So lärmten Alle durch einander und betrachteten den Poeten von allen Seiten, und überzeugten sich nunmehr, daß eine wirkliche Ohnmacht die Lebensgeister in Fesseln geschlagen hatte. Verschiedene Berathungen, was zu thun wäre, erfolgten; die einen wollten ihn unter die Pforte setzen, wo die kalte frische Luft ihn wieder zu sich bringen würde; die andern glaubten, es dürfte wohl am besten sein, wenn man ihn in ein Bett schaffte.

„Nichts da!“ schrie der lange Hans; „man nehme die Biertaufe mit ihm vor, und wenn diese nicht wirkt, so bedarf der arme Bursche des Küsters und Todtengräbers.“

Gesagt, gethan; man rückte den Stuhl, in dem Thomas regungslos lehnte, mitten in die Stube, und begoß des Dichters Haupt mit einem Strome von Bier; doch die Biertaufe war nicht ohne Nutzen. Der Dichter wurde munter, wischte sich mit dem Frackärmel das herabfließende Bier aus den Augen, und blickte scheu um sich, während er voll Verwunderung mit der Hand sein nasses Haupt befühlte und betastete. Das muß Schweiß sein, dachte er im ersten Augenblicke; aber die tolle Freude der um ihn beschäftigten Hilfeleistenden riß ihn bald von seiner gefaßten Meinung weg. Mit zierlich gestellten Worten dankte er, und bat um Entschuldigung wegen der unwillkommenen Störung; die tollen Menschen merkten aber nicht auf seine Worte und schleppten den Todtmüden an den Tisch, pflanzten einen Steinkrug vor ihn hin mit einem Teller voll Käs, Häring und dergleichen Leckerbissen, und zwangen ihn unaufhörlich zum Trinken. Das Bier floß wie Nektar durch die vertrocknete Kehle, der Käs und die Häringe deuchten ihm Ambrosia und Honig von Hybla oder vom Hymettus.

Eine gewaltige Pfeife streute um ihn ihre Düfte, und hüllte den Sänger in ein wolkiges Heiligthum trotz der übrigen Herren.


(Fortsetzung folgt.)


Redensarten.

„An der Gränze gereifterer Jugend angelangt, möchte es nicht auffallen, wenn sich die bewegte Seele nach einem zarten Gegenstande inniger Vereinigung hingezogen fühlt.“

Ein ganz brauchbares Individuum von guter Familie; nur dürfte es kaum gerechtfertigt werden können, dasselbe für complicirtere Fälle in Anspruch nehmen zu wollen.


[126]

Des Herrn Barons Beisele und seines Hofmeisters Dr. Eisele
neue Kreuz- und Querzüge durch Deutschland.


Reise nach München.
(Fortsetzung.)



Freudiger Schrecken bannt die Reisenden bei dem Anblicke eines Ritterschlosses; ein treues Bild aus jener glücklichen Zeit des Mittelalters, wo noch Jeder seine Thüren und Fenster machen lassen konnte, wie er wollte. „Hier möchte ich den Rest meiner Tage beschließen" schwärmt Beisele. „Hier möchte ich ein mannhafter Raubritter sein, die Ehre meiner Dame vertheidigen, Riesen erwürgen und mit Zwergen fraternisiren. — Hier, — ein zweiter Kuno von Kyburg mit der Silberlocke des Enthaupteten — leben, kämpfen, heirathen und — sterben in meinem Bette im Kreise unzähliger Enkel und Urenkel — welche Seligkeit!"


(Fortsetzung folgt.)

[127]

Ein Zweckrausch.
(Pfälzisch.)


Ich gab was drum, Frau Bas, könnt ich erfahre,
Ob all die Männer bei dem Welckers-Schmaus
Dann aa so arg wie meiner bsoffe ware;
Der hot schier umgewendt des ganze Haus.

5
Zwee hawwen en gebrocht; ’s hot grad geklunge

Als könnte se nit zu der Gaß erein’,
So sin se gschtolpert all, un hawwe gsunge:
„Nein, nein! sein Vaterland muß größer sein!“

Ich mach die Hausdhür uf, un plumps! do falle

10
Se alle drei erein’ platt uf die Bäuch,

Un fange an’ zu dudle un zu lalle:
„Kein Preußen fortan und kein Oesterreich!“

Allmählig sin die Annre naus gekrawwelt,
Do war der ärgschte Lärme dann vorbei;

15
Nor Meiner hot gekräckst noch un gezawwelt,

Er hot nit schtehn’ un gehn’ gekönnt so glei.

E Weil druf schießt er hinner in de Schoppe; -
’S schteht Allerhand dort, - unner Annerm aach
E Sack voll Welschkorn, for die Gäns zu schtoppe; -

20
Uf ee’nmal hör ich en weltsmäßge Schlag,


Un glei druf hör ich aa mein Chrischtoph sage:
„Sie großer deutscher Hofrath! - edler Munn
Der Sie so schöne Motione mache!
Wie fräät’s mich, daß ich Sie heut küsse kann!“

25
Da war die Red vun Trummle un Kanone,

Un vun der Landwehr, vum Beamteschtand,
Vun Ehrebecher und vun Bürgerkrone,
Un vun Medaille un vum deutsche Land.

Non’, korz, mein’ Mann, der volle Schode,

30
Der hot im Aarm den volle Welschkornsack,

Un korgelt mit em uf dem dreckige Bode
Daß Jammerschad war for sein schwarze Frack.

Sunscht redt er als in seine Räusch vum Ramse,
Vum Knöchle, Schlauche, Trump und Schippe-Aß,

35
Un daß er Selle odder Jene durch wollt wamse,

Mächt e paar Zode odder sunst en Schpaß;

Deßmol, drum will ich’s jo aa gern vergesse,
So arg’s aa war, war’s doch e nobler Brand;
Er hat schun voraus gsacht: „Beim Welckers-Esse

40
Trink’ ich en Rausch for’s deutsche Vaterland.“


Sein letschtes Wort im Schlof war noch: „der Welker
Er lebe hoch! - Sauft aus und stoßet an!“
Der und der Itzstein lehren jetzt die Völker:
Er lebe hoch, der edle deutsche Mann!



 Perlaetus sum, Caspare Larifari
 Abs te tuisque me laudari,
 Nam, quae per vinum, laus sincera,
 Et, quia plebis vox est, vera.

 K. G Nadler.


[128]

Weltschmerz.
Ich singe bei nächtlicher Lampe
Den Schmerz, der mich betraf;
Er kommt bei Hoffmann und Campe
Heraus in klein Octav.


Jagdabenteuer
von Michael Veith.
„Ja Herr Erber, wo ist denn der Waldmann?" -



Wie der unübertreffliche Bertram im Wirthshause den Speiszettel steht.




Redaction: Caspar Braun und Friedr. Schneider. – München, Verlag von Braun & Schneider.
Kgl. Hof- und Universitäts-Buchdruckerei von Dr. C. Wolf & Sohn in München.