Seite:Fliegende Blätter 2.djvu/127

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

nicht länger konnte der starke Wille die Schwäche des Leibes beherrschen; halb ohnmächtig sank er nieder, und Morpheus schüttete seine braunen Mohnkörner auf die Schläfe des Hungernden, und aus der elfenbeinernen Pforte des Hades schlichen sich leichtbeschwingte Träume und gaukelten um seine traurige Seele.

Wie durch einen Zauberschlag war der Poet in ein anderes Land versetzt; ein unbewölkter Himmel blickte lachend auf grüne Wiesen mit bunten Blumen durchwebt, aus deren Kelchen summende Bienen mit Duft sich beluden, und gaukelnde Schmetterlinge Nektar sogen; aus Gebüschen von Rosen und Jasmin schallten die Lieder der buntgefiederten Kehlen des Haines, und schäckernde Zephyre wiegten sich auf den schwankenden Zweigen der Orangen-, Feigen- und Melonenbäume; wie ein Silberband schlängelte sich ein Bächlein durch heerdenreiche Triften; rauschende Cascaden stürzten schäumend von mächtigen Felsenhöhen und spiegelglatte Seen spiegelten den blendenden Strahl der Sonne in ihren dunkelblauen Tiefen. Staunend und freudig blickte er um sich, und konnte sich nicht satt sehen an der schönen Gegend. Ist es Wirklichkeit, fragte er sich, oder träume ich nur? Schon hatte er im Sinn, sich hier eine Hütte zu bauen, da drang ein sonderbares Gemurmel in des Dichters Ohren und rauhe Stimmen ließen sich hören,

„Der Gesell da ist gerade recht auf diese Feiertage; zwölf Gulden ist kein Lumpengeld."

„Ha!" lachte der Angeredete: „bist du toll? Der Bursche da lebt ja noch; da würde sich der Herr Doctor bedanken für solch eine lebende Kanaille."

„Was Doctor? ich bring ihm einen Cadaver, erhalte meine zwölf Gulden und damit Basta! Verstehst du mich nun, Kaspar?"

„Ich verstehe; Nickels Branntwein ist dir in den Kopf gestiegen, und du glaubst in deinem Rausche, der Bursche da sei todt, was nicht möglich ist; er schnarcht ja wie ein träumender Hund!"

„Mordelement!" rief der andere zornig; „Kaspar, du bist ein dummer Kerl, sag ich dir, du magst davon halten, was du willst. Ist denn das so was Arges, wenn man das Lämpchen solchem Bärenhäuter ausbläst und zudem würde er heute Nacht doch erfrieren!"

„Ah so, ich begreife jetzt! Also schnell, mich friert!"

Sie wollten eben dem Dichter, der aus seinen Traumländern zurückgekehrt war und mit Schrecken und Schauder die Unterredung mit angehört hatte, beim Kopfe fassen und ihm einen Knebel in den Mund stoßen, als dieser mit Hasenschnelle auf und davon lief, während die andern ihm starr eine Weile nachschauten durch Nacht und Nebel, und dann fluchend weiter wanderten, mit dem Entschlusse, bei nächster Gelegenheit schneller zu sein.

2.

Wo man singt, da laß dich ruhig nieder,
Böse Menschen haben keine Lieder!
 Seume.

Hirsch, Wölfe und ähnliches Gewild ist schon oftmals bei Jagden in solchen Schrecken gesetzt worden, daß es lange Waldungen durchrannte, breite Ströme durchschwamm, über Moore und Haidegegenden flüchtete und ganz von seiner Richtung ab in unbekannte Gegenden gerieth. Auf ähnliche Weise ging es dem Dichter Thomas Knappauf, so ist sein Geburts- und Familiennamen, wie das Taufbuch seines Pfarrers ausweisen muß. Die schrecklichen Worte der beiden Gauner wiederhallten wie die Posaunen des jüngsten Tages in seinen Ohren, und er rannte mit all seiner Kraft, mit aufopfernder Anstrengung immer vorwärts, und bog nur in ein Seitengäßchen, wenn er glaubte, die andere Gasse möchte in einen Sack enden, wagte aber ja nicht umzuschauen oder hinzustehen. Keuchend, schweißtriefend und todtmatt wankte er weiter, obgleich die Füße kaum mehr vor Schwere sich hoben; die Angst, die fürchterliche Angst vor den abscheulichen Menschen trieb ihn immer wieder weiter, obgleich er kaum mehr athmen konnte. Jetzt konnte er nicht länger aushalten; er hörte die Schritte der Verfolger schon ganz nahe hinter sich; sie kamen näher, immer näher und im nächsten Augenblick mußte er ihr erbarmungswerthes Opfer werden. So glaubte Thomas Knappauf, und doch war es nur der Schall seiner eigenen an dem öden Gemäuer und den hohen Gebäuden wiederhallenden Tritte, der ihn so gewaltig ängstigte. Da sah er im Dunkel eine halb offenstehende Hausthür und mit dem Muthe der Verzweiflung rannte er in den Hausgang. Sonst hätte der ehrliche Thomas so was am helllichten Tage nicht gewagt, um sich nicht der Gefahr auszusetzen für einen Dieb angesehen und eingesperrt zu werden; aber Noth bricht Eisen, und doch schauderte ihm, als er den gewagten Sprung gethan hatte, so sehr, daß ihm der ganze Leib mit einer Gänsehaut überlief. Doch der Schritt war einmal gethan; zurück konnte er nimmer; denn draußen harrten nach seiner Meinung die Bösewichte und hier im Gange war er doch wenigstens für den Augenblick geborgen. Er tappte durch das Dunkel vorwärts, um ein bequemes Plätzchen zum Sitzen oder Liegen zu finden und wagte nicht recht zu athmen, aus Furcht, die Hausbewohner zu wecken, obgleich die Brust ihm fast zu zerspringen drohte.

Während er, behutsam um sich greifend, vorwärts schritt, merkte er, daß innerhalb einer der Thüren, an denen er vorüber kam, Licht sei; denn es strahlte an der entgegengesetzten Wand ein heller Schimmer zurück, der durch das Schlüsselloch seinen

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/127&oldid=- (Version vom 1.9.2023)