Felsentempel bei Ellora in Indien

LXIX. Neapel und der Vesuv Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
LXX. Felsentempel bei Ellora in Indien
LXXI. Der Rhone-Gletscher von der Höhe des Grimsels
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DER FELSEN-TEMPEL
zu Ellora

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LXX. Felsentempel bei Ellora in Indien.




Jeder Augenblick mahnt den denkenden Menschen an seine Nichtigkeit. Müßte er aber außer sich Gründe suchen, um sich davon zu überzeugen, daß sein Leben nichts ist als „der schwere Traum eines Schattens“, dann findet er sie am überwältigendsten, wenn er das Schicksal der bewundertsten, stolzesten Werke seiner Hände betrachtet. Vier Jahrtausende widerstanden die Pyramiden dem Zahne der Zeit; aber es begräbt sie der Staub der Wüste; – von ihren Erbauern, denen sie Unsterblichkeit sichern sollten, weiß man die Namen nicht! Die Pracht von Hadrian’s Villa besangen des Alterthums Dichter; jetzt wachsen Fliederbüsche in ihren Fenstern und im marmornen Schlafgemache des Imperators nistet die schüchterne Amsel. Ziegen weiden in des olympischen Jupiters hohem Tempel, und auf den Sitzen des Colosseums, wo das blutdürstige, marterfrohe Volk der Welteroberer sich drängte, sonnt sich die einsame Viper am Stamm der wilden Rebe. Kein Reich der Erde widerstand dem Wirbelwinde von ein paar Jahrtausenden, und diese, Momente der Ewigkeit, reichten hin, ihre festesten und herrlichsten Denkmäler in Staub zu zerbröckeln. Nur wenige von allen auf der ganzen Erde widerstanden länger, und auch dieser Wenigen längere Dauer ist nur ein längeres Verwesen.

Ein solches Werk, durch das der Sterbliche den Kampf mit der alles vernichtenden Zeit siegreich zu bestehen wähnt, führt das nebige Bild vor unsere Betrachtung.

Dort im Ursitz der Menschen, in Indien, 4 Meilen nördlich vom Aurungabad (der Hauptstadt von Deccan in der Präsidentschaft Bombay) in einer öden Gebirgsgegend, liegt das Braminendorf Ellora. Eine halbe Stunde nordwestlich von demselben fällt das Gebirge schroff gegen die Ebene ab, und eine hohe, senkrechte Felsenwand bildet einen Halbkreis, dessen vorspringende Enden ½ Meile weit von einander abstehen. Dichter, hoher Wald umsäumt den Rand der Felsenbucht und Gestrüpp und Gesträuch wuchern üppig in ihren Spalten. In einiger Entfernung bietet sie nichts Ungewöhnliches dar; bei näherer Betrachtung aber bemerkt man mit tiefem Erstaunen, daß sie ein Werk ist von Menschenhand. Skulpturen wunderbarer Götter- und Thiergestalten, Arabesken von Blumengewinden und Vögeln, alle in riesenhaften Dimensionen, bedecken ihre Seiten, und an mehren Stellen, theils der Erde gleich, theils in der Höhe, beschattet Buschwerk regelmäßig geformte mit kunstvollen Portalen versehene Eingänge, zu des Berges Innerem. Jahrhunderte lang waren die Wunder desselben den Europäern ein Geheimniß. Der gewohnte Aufenthalt gefährlicher Räuber, reißender Thiere und unzähliger Schwärme wilder Bienen, war es erst nach gänzlicher Unterjochung der Maratten durch die Britten, daß diese, nunmehrige Herren des Landes, [62] der Untersuchung der Höhlen, die der Einzelne ohne Lebensgefahr nicht betreten durfte, Aufmerksamkeit und die nöthigen Mittel widmeten. 1824 wurde Hauptmann Sykes mit einem Detaschement brittischer Truppen ausgesendet, die Raubnester der Gegend zu vertilgen, und diesem Auftrage verdanken wir die sorgfältigste Erforschung jener räthselhaften Orte, über welche frühere Reisende des Mährchenhaften so viel berichtet haben.

Sämmtliche Felseneingänge, deren man 11 unterscheidet, führen durch mehr oder minder lange Gallerien und Säulen-Vorhallen in große, kirchenähnlich geformte Säle. – Diese Tempel, mehren Gottheiten geweiht, haben eine verschiedene Weite von 100–250 Fuß und sind 40–100 Fuß hoch. Die Wände bedecken erhaben ausgehauene Bildwerke, Thaten der Götter vorstellend, die man hier verehrte. Die fast im Styl unserer ältesten Basiliken kunstvoll ausgehauenen Deckengewölbe werden in einigen der Tempel durch Pilaster, in andern durch freistehende Säulen, deren Kapitäle und Knäufe Thierhäupter sind, oder durch Elephanten, Tiger und Schlangen, als Caryatiden, getragen. In zweien überraschen den Beschauer Freskogemälde, gleich bewundernswürdig durch den Schmelz der Farben, Korrektheit der Zeichnung und verständige Gruppirung, und Zeugniß gebend von einer Kunstbildung in undenklicher Vorzeit, gegen welche die der späteren Jahrtausende, in Indien, wie in dem seiner Bildung nach von letzterm entsprossenen Aegypten, barbarisch erscheint. Diese Gemälde sind unbegreiflich gut erhalten, während die Skulpturen von der zersetzenden Luft und Feuchtigkeit so sehr gelitten haben, daß sie nur ihren Hauptumrissen nach noch einige Kenntlichkeit besitzen. Merkwürdig ist, daß die Götzenbilder zum Theil an der Stelle der Augen tiefe Aushöhlungen haben, ein Beweis, daß man, wie auch in Aegypten und später in Griechenland oft geschah, die Augäpfel, wahrscheinlich von passenderm Material, besonders einsetzte.

So viel über diese wunderbaren urältesten Denkmäler der Kunst, der Menschengeduld und des Aberglaubens im Allgemeinen: und nun noch das Nöthige zum Verständniß des Stahlstichs.

Er gibt die Ansicht von vier aus dem Felsen zu Tage ausgehauenen Tempeln, die hinter den eben beschriebenen in einem weiten, ausgehöhlten Hofe stehen, in welchen mehre Ausgänge aus den unterirdischen Verehrungsörtern führen. – Sie heißen die Tempel des Kaylus. „Worte,“ sagt Capitain Sykes, „können keine Ahndung von dem Eindruck geben, den diese stupenden, von schwachen Menschenhänden aus der Tiefe befreiten Steinmassen, welche die reichsten und prachtvollsten Skulpturen vom Fuße bis zum Scheitel bedecken, auf die Betrachtenden hervorbringen.“ Die 4 Hauptmassen des ausgegrabenen Gebirgs bilden eben so viele durch Höfe getrennte Tempel; sie sind würfelförmig, und haben 80 bis 100 Fuß Höhe, Breite und Tiefe. Vor dem größten steht ein 130 Fuß hoher Obelisk mit abgebrochener Spitze. – Von so colossalen Verhältnissen ist er, daß die bewunderten Monolithen Aegyptens, neben ihn gestellt, wie Zwerge erscheinen würden. Die Mitte des vordern Hofes nimmt ein Elephant ein, leider ganz verwittert und fast unkenntlich. Dieser größte aller Kolosse, dessen Verhältniß zur Memnonsstatüe wie 30 zu 1 ist, hat 80 Fuß Höhe. Große Bäume zwischen seinen Füßen erreichen kaum den Bauch mit ihren Gipfeln, und dünken einem niedriges Buschwerk! Auf dem Hinterhofe, zu dem ein sechzig Fuß hohes Felsenthor [63] führt, steht ein eben so großes Elephanten-Standbild. Der innere Raum dieser Gebäude besteht in jedem Stockwerke aus einem Saale, deren Verzierungen das Gepräge der vorbeschriebenen haben. Aber vom belebenden Hauche der durch die Thüröffnungen eindringenden Luft angeweht, grünen Sträucher auf dem Boden, wurzeln rankende Schlinggewächse in den Spalten der Wände und umkleiden die verlassenen Götzen mit Gewändern von frischem Laub und duftenden Blumen. Auch außen sind die Zinnen der Tempel mit grünenden und blühenden Sträuchern üppig überwachsen, so daß manche wie aufgesetzte Blumenkörbe sich ausnehmen.

Ursprung und Zeit der Verfertigung, – Erbauung kann man nicht sagen, – dieser räthselvollen Menschenwerke der Urzeit umhüllen undurchdringliches Dunkel. Vergeblich hat man die ältesten Quellen der indischen Geschichte, die Bücher der Braminen, durchforscht. Die ältesten Chronikenschreiber nannten sie drei tausend Jahre vor Christo schon Werke der Vorzeit. Wischnuh, – sagen die Braminen, – Gott selbst war, unter dem Beistande des ganzen Menschengeschlechts, der Urheber dieser Orte der Verehrung.