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LXX. Felsentempel bei Ellora in Indien.




Jeder Augenblick mahnt den denkenden Menschen an seine Nichtigkeit. Müßte er aber außer sich Gründe suchen, um sich davon zu überzeugen, daß sein Leben nichts ist als „der schwere Traum eines Schattens“, dann findet er sie am überwältigendsten, wenn er das Schicksal der bewundertsten, stolzesten Werke seiner Hände betrachtet. Vier Jahrtausende widerstanden die Pyramiden dem Zahne der Zeit; aber es begräbt sie der Staub der Wüste; – von ihren Erbauern, denen sie Unsterblichkeit sichern sollten, weiß man die Namen nicht! Die Pracht von Hadrian’s Villa besangen des Alterthums Dichter; jetzt wachsen Fliederbüsche in ihren Fenstern und im marmornen Schlafgemache des Imperators nistet die schüchterne Amsel. Ziegen weiden in des olympischen Jupiters hohem Tempel, und auf den Sitzen des Colosseums, wo das blutdürstige, marterfrohe Volk der Welteroberer sich drängte, sonnt sich die einsame Viper am Stamm der wilden Rebe. Kein Reich der Erde widerstand dem Wirbelwinde von ein paar Jahrtausenden, und diese, Momente der Ewigkeit, reichten hin, ihre festesten und herrlichsten Denkmäler in Staub zu zerbröckeln. Nur wenige von allen auf der ganzen Erde widerstanden länger, und auch dieser Wenigen längere Dauer ist nur ein längeres Verwesen.

Ein solches Werk, durch das der Sterbliche den Kampf mit der alles vernichtenden Zeit siegreich zu bestehen wähnt, führt das nebige Bild vor unsere Betrachtung.

Dort im Ursitz der Menschen, in Indien, 4 Meilen nördlich vom Aurungabad (der Hauptstadt von Deccan in der Präsidentschaft Bombay) in einer öden Gebirgsgegend, liegt das Braminendorf Ellora. Eine halbe Stunde nordwestlich von demselben fällt das Gebirge schroff gegen die Ebene ab, und eine hohe, senkrechte Felsenwand bildet einen Halbkreis, dessen vorspringende Enden ½ Meile weit von einander abstehen. Dichter, hoher Wald umsäumt den Rand der Felsenbucht und Gestrüpp und Gesträuch wuchern üppig in ihren Spalten. In einiger Entfernung bietet sie nichts Ungewöhnliches dar; bei näherer Betrachtung aber bemerkt man mit tiefem Erstaunen, daß sie ein Werk ist von Menschenhand. Skulpturen wunderbarer Götter- und Thiergestalten, Arabesken von Blumengewinden und Vögeln, alle in riesenhaften Dimensionen, bedecken ihre Seiten, und an mehren Stellen, theils der Erde gleich, theils in der Höhe, beschattet Buschwerk regelmäßig geformte mit kunstvollen Portalen versehene Eingänge, zu des Berges Innerem. Jahrhunderte lang waren die Wunder desselben den Europäern ein Geheimniß. Der gewohnte Aufenthalt gefährlicher Räuber, reißender Thiere und unzähliger Schwärme wilder Bienen, war es erst nach gänzlicher Unterjochung der Maratten durch die Britten, daß diese, nunmehrige Herren des Landes,