Fantasia
[386] Fantasia. (Zu dem Bilde S. 361.) „Fantasia!“ Das ist ein Wort, bei dessen Klang der Orientale sich über des Lebens Notdurft hinwegsetzt. Den Blumenschmuck im Haar der Frauen, die Verzierungen an seinen Waffen nennt er „Fantasien“. Ebenso heißen Gesänge und Tänze der Alméen, und mit dem Namen der „Fantasia“ wird auch das Tummeln des Rosses, werden Scheinkämpfe der Reiter bezeichnet.
Am beliebtesten sind die letzteren bei den Arabern Nordafrikas. Jedes Fest, jedes besondere Ereignis wird von den Reiterscharen mit „Fantasien“ gefeiert. Unser Bild führt uns eine derartige „Fantasia“ vor.
Alt und jung strömt vor die Thore von Tripolis, denn durch die Straßen hat sich die Kunde verbreitet, daß eine Karawane aus dem fernen Sudan angekommen sei und daß der Gouverneur beschlossen habe, sie festlich zu empfangen. Auf dem Platze vor dem Thore steht die irreguläre Kavallerie, der Oberst in der türkischen Uniform vor der Front, in schnurgerader Linie. Erwartungsvoll schaut alles in die Ferne, bis auf dem nahen Höhenzuge eine Reiterabteilung erscheint: die Deputation der Karawane.
„Jalla ia Uled!“ („Auf Söhne!“) ruft nun der Oberst, und wie ein elektrischer Funke zuckt es durch die buntgewandeten Reiter und ihre Pferde. Im Sturme sprengt die Schar den Fremden entgegen. „Halt!“ – und eine dröhnende Salve grüßt die Wüstenreisenden. Mit Flintengeknall erwidern diese den Gruß und ziehen weiter, umsprengt von den Reitern, die ihre Kunststücke zeigen. Von Augenblick zu Augenblick wächst die Begeisterung. Empfangende und Empfangene bilden zuletzt vor der Stadt einen wirren Knäuel, aus dem Flinten- und Pistolenschüsse fallen, als ob eine Schlacht geliefert würde. „Jalla ia Uled!“ Jubelnde Rufe erschallen aus der Zuschauermenge, denn es wird ja die „Fantasia“ geritten, bei der dem Araber das Herz aufgeht.
So weit der Einfluß des Arabers und sein Roß gekommen sind, kennt man diese „Fantasia“. Sie wird auf den weiten Flächen vor den Thoren der Wüstenstädte geritten, und man kennt sie am Hofe der Sultane jenseit der Wüste in dem fernen Sudan. Freilich nicht immer sind die Reiter schmuck, die Rosse schön und edel – aber die Begeisterung bei diesem Festreiten bleibt immer dieselbe. *