Etwas über die Lage der Deutschen in England

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Autor: Wilhelm Hasbach
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Titel: Etwas über die Lage der Deutschen in England
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12-13, S. 195–196, 198, 207–210
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Etwas über die Lage der Deutschen in England.

Von Wilhelm Hasbach.


Es gehört unstreitig zu den anziehendsten Capiteln der Culturgeschichte, dem breiten und vielverzweigten Strome der deutschen Auswanderung zu folgen und zu schauen, wie er in fernen Ländern wüste Strecken urbar macht und unter weniger civilisirten Völkern echte Bildung und Sitte verbreitet. Nicht minder interessant ist es aber, die Lage der deutschen Einwanderer in hochcivilisirten Ländern zu prüfen und zu erfahren, wie dort unsere Landsleute unter ebenbürtigen Nationen an den Werken der Cultur rastlos arbeiten und durch ihren emsigen Fleiß die Ehre des deutschen Namens zu wahren wissen. Ein solches Bild des deutschen Lebens und Strebens auf englischem Boden soll in den nachfolgenden Zeilen unseren Lesern vorgeführt werden, ein Bild, das einen Einblick in die stolzen Erfolge, welche die deutsche Colonie in England errungen, und die Leiden, welche sie dort zu erdulden hat, eröffnet.

Im Jahre 1871 (die Berichte über die jüngste englische Volkszählung von 1881 sind noch nicht veröffentlicht) zählte man in England 32,823 Deutsche, und zwar 21,232 männlichen und 11,591 weiblichen Geschlechts.[1] Unsere Landsleute bildeten den größten Bestandtheil aller Fremden; denn ihre Zahl betrug 32,64 % der Gesammtsumme fremder Einwanderer, während diejenige der Franzosen sich auf 17,81 %, die der Polen auf 7,02 % und die der Holländer auf 6,22 % belief.

Theilen wir nun die Deutschen in England in einzelne Gruppen ein, je nach dem Beruf, dem sie sich widmen, so ersehen wir, daß die Mehrzahl unserer Landsleute im Handel und Gewerbe beschäftigt ist. Nehmen wir also diese wichtigsten Zweige der deutsch-englischen Colonie zum Ausgangspunkte unserer heutigen Betrachtungen!

Der deutsche Handelsstand ist hier in commercieller Beziehung nicht gerade beliebt. Von Zeit zu Zeit wird in Zeitungen untergeordneter Bedeutung eine kleine Deutschenhetze veranstaltet, die immer wieder dieselben Gedanken vorbringt. Eine Stelle aus dem „Globe“, welche der prägnanteste Ausdruck der allgemeinen Ueberzeugung ist, soll hier folgen. Der Meinungskampf wurde in der beliebten Weise englischer Zeitungen durch an die Redaction gerichtete Briefe geführt. Er wurde eröffnet durch die Epistel eines „Preußen“, welche sehr roh gewesen sein soll. Darauf wurde nun in der folgenden Nummer erwidert: „Ganz so, wie er – der Preuße – sich darüber beklagt, daß die Juden in Deutschland auf Kosten der Deutschen reich werden, so klagen englische Kaufleute, daß die Deutschen, welche heerdenweise herüberkommen, auf Kosten der Engländer reich werden. – Ihre Kaufleute unterbieten uns; ihre Commis arbeiten für niedrigere Löhne, als die unserigen, und da ihre Begriffe von kaufmännischer Ehre weiter, als diejenigen englischer Kaufleute sind, so gelingt es ihnen gewöhnlich, in kurzer Zeit ein großes Vermögen zu erwerben. Aber nun kommt der Unterschied. Der deutsche Jude, der in Deutschland Geld im Verkehre mit Deutschen gemacht hat, bleibt dort und giebt es dort aus, wo er es verdient hat, während der Deutsche, welcher in der äußersten Armuth nach England gekommen ist, reich in sein Vaterland zurückkehrt, um unter seinem Volke seine Tage zu beschließen und sein Geld auszugeben. Gehen Sie, wohin Sie wollen – Sie werden in jedem Kreise englischer Kaufleute dieselbe Meinung über die Deutschen hören. Es ist nicht zu viel gesagt, daß sie allgemein verhaßt sind. Sie verkaufen zu niedrigeren Preisen; sie betrügen uns (overreach), und zur selben Zeit schimpfen sie über das Land, welches sie gastfreundlich aufnimmt.“ Der Artikel ist unterzeichnet: „Ein Engländer und ein Jude.“

Der Vorstellung, daß die deutschen Kaufleute, welche sich mit bedeutenderem Gewinn aus dem Geschäft zurückziehen, regelmäßig nach Deutschland zurückkehren, muß an der Hand der Statistik entschieden entgegengetreten werden. Die auf eine arme Bevölkerung von 30,000 Menschen entfallende Rentnerzahl ist nothwendig gering. Wenn aber laut amtlicher Zählung 62 Deutsche, die von ihren Renten leben, in England verbleiben, so kann der in’s Vaterland wieder einwandernde Theil reich gewordener deutscher Kaufleute nicht groß sein.

In der folgenden Nummer des „Globe“ fand sich nachstehendes, von der Redaction des Blattes geschriebene Entrefilet: „‚Ein in England lebender Deutscher‘ protestirt in, wie wir gestehen müssen, gemäßigten Ausdrücken gegen den Ton des Briefes, welchen wir gestern mit der Unterschrift ‚Ein Engländer und ein Jude‘ brachten. Der Deutschenhaß (anti-German Feeling) in diesem Lande, von welchem der zuletzt genannte Verfasser sprach, mag nicht so gerechtfertigt sein, wie er glaubt, aber wir sind der Meinung, daß Niemand, welcher viel in Gesellschaft verkehrt, die Existenz dieses Gefühles leugnen wird. Wenn ‚Ein in England lebender Deutscher‘ es nicht bemerkt hat, so muß er dies der guten Erziehung der Engländer zuschreiben, mit welchen er zusammengekommen ist.“

Ich habe mich natürlich bemüht, englische Kritiken über diese Stellen zu hören. Ueberall gab man zu, daß die Abneigung gegen die Deutschen bedeutend sei. Aber ein englischer Kaufmann erzählte mir auch, daß die deutschen Kaufleute sich viel mehr Mühe zu verkaufen gäben, als die englischen und deshalb den Engländern eine erfolgreiche Concurrenz bereiten.

Der deutsche Commis zeichnet sich durch meistens schwer wiegende Vorzüge im Vergleich mit seinen englischen Collegen aus, vor Allem durch eine bessere geistige Bildung, welche er sich in Realschulen, Bürgerschulen und Handelsschulen erworben hat. Mit Hülfe seiner Kenntniß mehrerer moderner Sprachen – diese besitzt er gewöhnlich – gelingt es ihm in kurzer Zeit, sich das fremde Idiom für alle zunächst wichtigen Zwecke anzueignen. Er bringt meistens nach England den Fortbildungstrieb mit, welcher den deutschen Kaufmannstand so vortheilhaft von demselben Stande in andern Ländern unterscheidet, und diese Neigung wird noch unterstützt durch die Gewöhnung an ernste, geistige Arbeit, durch eine höhere anregende Allgemeinbildung und den uninteressirten Wissensdrang, welcher häufiger in Deutschland, als in England gefunden wird. Der junge Engländer hat in der Militärpflicht keinen äußeren Zwang. Die Schulen sind theuer und sehr oft schlecht. Zudem verdient er der Regel nach nicht den Namen eines lernbegierigen Schülers von rascher Auffassung, und der Ruhm, im Football oder Cricket zu glänzen, steht ihm oft genug höher, als die Kenntniß fremder Sprachen. Junge Leute aus nicht gerade vornehmer oder reicher Familie, welche für den Kaufmannsstand bestimmt sind, erhalten zudem in den meisten Fällen nur eine gewöhnliche Elementarschulbildung, da die Engländer zu glauben pflegen, daß ein Mensch, welcher eine höhere Bildung besitzt, nicht gewöhnlicher Kaufmann sein könne. Kann ein so vorgebildeter junger Mann nach Ablauf der Geschäftsstunden für etwas anderes, als Vergnügen der simpelsten Art Sinn haben? Nicht zu vergessen ist es eben, daß einen der tiefsten Schäden des heutigen Englands der Mangel an Gelegenheit zu veredelnden Vergnügungen bildet.

Dazu kommt der volkswirthschaftlich außerordentlich wichtige Umstand, daß die Lebensführung des Engländers höher ist. Der englische standard of life hat eine gute und eine schlechte Seite. Gut ist der höhere Werth, den man überall in England auf genügende Quantität und gute Qualität der Nahrung sowie auf eine würdige äußere Erscheinung legt. Gut sind weiter die [196] englischen Kaufsitten. Nirgendwo ist die Vorliebe für das Billige so selten zu finden, wie in England. Das schlechte Element der englischen Lebensführung dagegen liegt in der Vorliebe des Engländers für einen plumpen, schwerfälligen, oft überflüssigen und rein materiellen Luxus und in dem Mangel an Sparsamkeit.

Die deutsche Art zu leben enthält weder die guten noch die schlechten Elemente der englischen, und daher kann der deutsche Commis für geringeren Lohn arbeiten. Noch jetzt sind englische Kaufleute manchmal erstaunt, zu welch geringem Preise deutsche Commis ihre Arbeitskraft anbieten, obwohl sich der englische Unternehmer daran gewöhnt hat, den Deutschen als einen außerordentlich genügsamen und billigen Arbeiter zu betrachten. Eine Stellung, welche einem Engländer 150 Pfund Sterling einbringt, übernimmt ein Deutscher nicht selten für 60 bis 80 Pfund Sterling. Unsere Landsleute bieten sich außerdem in solchen Mengen auf dem Arbeitsmarkte an, daß Manche keine Stellung finden würden, wenn sie sich nicht bereit erklärten, ohne Gehalt zu arbeiten. Sie wollen eben, wenn auch mit Opfern, festen Fuß fassen, und den Vortheil davon haben natürlich die englischen Arbeitgeber. Einige derselben beuten die Verhältnisse so gründlich aus, daß sie deutsche Commis für 80 Pfund Sterling anstellen und nach einigen Jahren, wenn eine Aufbesserung des Gehaltes am Platze wäre, dieselben entlassen und frisch angekommene Deutsche mit demselben bescheidenen Gehalte engagiren.

Der englische Commis leidet selbstverständlich unter dieser Concurrenz. Sein Gehalt wird durch dieselbe manchmal gedrückt, und er muß eine Lebensführung, an die er sich von Jugend auf gewöhnt hat und die, wie gesagt, in mancher Beziehung besser als die deutsche ist, aufgeben. Manche englische Commis werden aus ihren Stellen durch deutsche verdrängt. Es wäre daher ungerecht, diese Verhältnisse nur vom deutschen Standpunkte aus zu betrachten. Wer da weiß, von welchem Vortheile eine hohe Lebenshaltung für ein Volk ist, wird den Proceß, der sich vollzieht, nur mit Schmerz vor sich gehen sehen. Wenn auch der Engländer so argumentiren, wenn er vorurtheilslos die Bildungsvorzüge des deutschen Kaufmanns anerkennen und das Bestreben zeigen würde, den englischen Commis auf das geistige Niveau des deutschen zu erheben, dann würde er alle Billigdenkenden auf seiner Seite haben.

Aber er findet es ungerecht, daß die Deutschen überhaupt nach England kommen, wie wir aus dem angeführten Briefe ersehen haben. Der gewöhnliche John Bull möchte am liebsten jeden Fremden, vor Allem aber die Deutschen aus England ausgewiesen sehen. Er läßt es natürlich völlig außer Acht, daß die Einwanderung deutscher Commis eine Form der freien Concurrenz ist, welche man doch, wo sie England Vortheil bringt, nicht genug rühmen kann. Die Befehdung der Deutschen in England ist um so unverständiger, als gerade der Engländer überall zu finden ist, überall große Unternehmungen in’s Leben ruft und in allen Ländern die Fremden ausbeutet. Er murrt über die Deutschen und andere Landeskinder just zu derselben Zeit, da die erschöpfte Türkei und das ausgesogene Aegypten sich über die großen Gehälter müßiggehender englischer Beamten beklagen und das arme Indien Tausenden von Engländern ungeheure Gehälter bezahlen muß, die sie theilweise in England verzehren. Und wäre es nicht viel richtiger, die englischen Prinzipale anzugreifen, ohne deren Willen ja doch kein deutscher Commis eine Anstellung finden könnte?

Junge deutsche Kaufleute, welche nach England herüberzukommen gedenken, sollten diese Verhältnisse wohl beherzigen. Möchten sie sich nicht durch die glänzende Stellung einiger deutschen Commis in England blenden lassen! Es wäre ebenso klug, fest auf einen großen Gewinn in der Lotterie zu rechnen, wie auf gute Stellungen in England. Sie sehen nicht die Menge junger Leute, welche monatelang auf eine Stelle warten und, wenn sie ihre Ersparnisse verzehrt haben, zuweilen so tief sinken, daß an ein Aufstehen nicht mehr zu denken ist. Wenn junge Deutsche nicht wenigstens einem dreimonatlichen Aufenthalte ohne Stellung in’s Auge sehen können, wäre es am besten, wenn sie in Deutschland blieben. Der Aufenthalt in einer billigen englischen Pension berechnet sich mit Wäsche auf 30 Mark wöchentlich. Der junge Kaufmann sollte also vor seiner Uebersiedelung ein Capital von 500 Mark besitzen.

Mit all diesen nicht gerade verlockenden Schwierigkeiten hat der deutsche Kaufmann in England zu rechnen; der deutsche Handwerker befindet sich gleichfalls in einer nicht beneidenswerthen, von Rassenhaß und Concurrenzneid gefährdeten Lage. Ihn ziehen zunächst die hohen Löhne nach England. Dort liegen die Verhältnisse für ihn aber so: ein tüchtiger Arbeiter verdient wöchentlich durchschnittlich 18 bis 20 Schillinge, und in einzelnen Gewerben, z. B. in der Schneiderei, gelten 25 Schillinge wöchentlich für einen guten Lohn. In anderen Zweigen des Handwerks, welche längere Ausbildung und mehr Körperkraft fordern, geht er auf 30, 35 Schillinge bis zu 2 Pfund Sterling hinauf. Die Löhne sind jedoch ihrer Natur nach schwankend, und der Handwerker muß sich wohl hüten, eine vorübergehende Conjunctur für einen dauernden Zustand zu halten. Ein zweiter Umstand, welcher oft unsere Landsleute zur Auswanderung nach England bestimmt, ist die geringere wöchentliche Arbeitsstundenzahl, an der in England festgehalten wird. Sie beträgt hier 54 Stunden, während in Deutschland noch vielfach die Arbeitswoche von 72 Stunden die Gewohnheit bildet. Nun waren aber alle Handwerker, welche ich gesprochen habe, der Ueberzeugung, daß in diesen 54 Stunden viel intensiver gearbeitet wird, als bei uns zu Hause, und so der anscheinende Verlust reichlich eingebracht wird, sie betrachten es indessen allgemein als eine große Annehmlichkeit, daß die Woche am Samstag Mittag beschlossen wird, und nun eine Ruhepause von anderthalb Tagen folgt. Vielfach loben sie auch die englische Besteuerungsweise. Indem der Staat nur die nicht nothwendigen Genüsse des Arbeiters (Tabak, Branntwein, Bier) zu seinen Einnahmen heranzieht, giebt er ihm erstens einen Antrieb zur Mäßigkeit und ermöglicht ihm zweitens eine richtige Verfügung über seinen Lohn. Der Arbeiter hat nämlich nur eine directe größere Ausgabe: für die Miethe, wenn er verheirathet ist, und für Kost und Logis, wenn er unverheirathet ist.

Der praktische Sinn der Engländer hat es so eingerichtet, daß beide, auch die Miethe, am Ende der Woche erhoben werden, und tüchtige Handwerker legen auf den letzten Umstand besonderes Gewicht. Sie halten es für eine Nothwendigkeit, daß der Handwerker, der wenige directe Ausgaben hat, dieselben in kurzen Zwischenräumen, und zwar an seinen Zahltagen berichtigt. Auch das System der Baarzahlung halten sie darum für so segensreich, weil es den Arbeiter zwingt, Einnahmen und Ausgaben von Woche zu Woche zu vergleichen. Sie sprechen die Ueberzeugung aus, daß diese gesunden praktischen Sitten dem Arbeiter mehr Segen bringen, als hohe Löhne auf die Dauer, und schreiben ihnen theilweise das Gedeihen des deutschen Handwerkers in England zu. Im letzten Grunde beruht es zweifellos auf der Genügsamkeit, der Mäßigkeit, dem unermüdlichen Fleiße, der Ausdauer und der Zähigkeit der deutschen Handwerker, auf die wir allen Grund haben, stolz zu sein. Daß der englische Handwerker, welcher häufig genug den Wochenverdienst in Whiskey und Gin vertrinkt, seinen deutschen Collegen wegen der lobenswerthen Eigenschäften haßt, braucht wohl nicht ausdrücklich erwähnt zu werden.

[198] Die Aussichten des deutschen Handwerkers in England sind nicht mehr so erfreulich, wie sie vor einem Menschenalter waren. Damals war er als ein kenntnißreicher, fleißiger und mäßiger Arbeiter jenseits des Canals sehr geschätzt. Er verfügte gewöhnlich über eine allseitigere gewerbliche Ausbildung als der englische und fand sich bald in die dortige Arbeitstheilung hinein. Jetzt klagen die hiesigen deutschen Meister, daß die jungen herüberkommenden Leute den Kopf voller politischer Theorien und Bildungsfetzen haben, aber weder eine umfassende Kenntniß ihres Gewerbes besitzen, noch sich in den einzelnen Zweigen tüchtig erweisen. Man giebt zu, daß sie willig und fleißig sind und es unter tüchtiger Leitung noch immer zu mittelmäßigen Leistungen bringen. Vor Allem räth man den jungen Leuten, in Deutschland mehr zu lernen. Aber auch die tüchtigen dürfen im Anfang nicht sofort auf ein gutes Verdienst rechnen; denn die Arbeitstheilung ist in England viel weiter fortgeschritten als in Deutschland. In großen Kleidermagazinen ist sie auf den Punkt gelangt, daß ein Theil ihrer Arbeiter nur Knopflöcher macht, ein anderer nur Knöpfe annäht etc. Nun verfließt immerhin einige Zeit, bevor der Handwerker herausgefunden hat, für welche Detailarbeit er sich am meisten eignet, und bevor er in seinem Specialfache eine solche Gewandtheit erlangt hat, daß er erfolgreich mit dem Engländer concurriren kann.

Einige Gewerbe haben noch jetzt eine sichere Basis, da sie Producte liefern, welche von Engländern nicht hergestellt werden. Zu diesen gehört z. B. die deutsche Brodbäckerei; denn der englische Bäcker bäckt nur englisches Brod und überläßt das Backen des fremden Brodes den Fremden, den Deutschen und Franzosen.

Handwerksburschen und Commis mit kleiner Börse finden nicht blos billige Kost und Wohnung, sondern auch manchmal Arbeitsnachweisung in der „Deutschen Herberge“, welche an dem großen Finsbury Square Nr. 20, nicht weit von der City, der Geschäftsstadt Londons, entfernt liegt, diese „Deutsche Herberge“ wurde im Jahre 1872 von einem Londoner Jünglingsvereine gegründet und hat in den zehn Jahren ihres Bestehens sehr viel Gutes gewirkt. Da sie noch immer mit Deficit arbeitet, sei sie dem Wohlthätigkeitssinne deutscher Landsleute bestens empfohlen!

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Autor: Wilhelm Hasbach
Titel: Etwas über die Lage der Deutschen in England
aus: Die Gartenlaube 1882, Heft 13, S. 207–210

[207] Die deutschen weiblichen Dienstboten in England sind in mancher Beziehung günstiger, als andere Einwanderer gestellt; denn ihre Löhne sind hoch. Eine Köchin bezieht gewöhnlich einen Jahresgehalt von 20 bis 25 Pfund Sterling (400 bis 500 Mark), ein Zimmermädchen und Hausmädchen je nach Alter und Erfahrung einen solchen von 12 bis 20 Pfund Sterling (240 bis 400 Mark), da aber die englische Küche verschieden von der deutschen ist, kann eine deutsche Köchin in den seltensten Fällen sofort eine derartige Stellung bekleiden. Was daher deutschen Dienstboten vor Allem noth thut, ist, daß sie etwas Gründliches gelernt haben. Im englischen Hauswesen herrscht nämlich eine bestimmte Arbeitstheilung, und darum ist es für die Dienstboten von viel größerem Vortheile, in einem Zweige tüchtig zu sein, als mannigfache, oberflächliche Kenntnisse zu besitzen. Sie müssen sich auch an eine andere Behandlung durch die Herrschaft gewöhnen; denn während in Deutschland die Hausfrau vielfach im Hauswesen thätig ist und sich daher leicht ein halb vertrauliches Verhältniß zwischen Hausfrau und Magd herausbildet, besteht in England eine unüberbrückbare Kluft zwischen Herrschaft und Dienerschaft.

Bei uns in Deutschland sind wir es gewohnt, daß sich junge Mädchen in den Zeitungen „zur Stütze der Hausfrau“ anbieten. Manche derselben haben nicht genug Kenntnisse, um in Deutschland zu unterrichten; sie haben nicht wie ein Dienstmädchen arbeiten gelernt, sondern nur der Mutter in ihren Obliegenheiten geholfen. Sie wählen gern eine Zwitterstellung zwischen Dienstmädchen und Gesellschafterin, in der ihnen ein gewisser Halt in der Familie bleibt. In England gehört ein großer Theil der deutschen Einwanderinnen zu dieser Classe von Mädchen, welche bei uns zu Hause auf eine Stellung als „Stütze der Hausfrau“ reflectiren würden. Auf englischem Boden versuchen sie zuerst meistens ihr [208] Brod als Gouvernanten zu verdienen. Mißlingt ihnen dies, so bieten sie sich als Dienstmädchen an. Dazu sind sie aber nicht erzogen worden, wenigstens ist ihnen kein Theil des Hauswesens völlig vertraut, und so sind sie in diesen Versuchen in der Regel auch nicht glücklich. Nachdem Alles, was sie besaßen, verzehrt worden, erhalten sie, vielleicht durch die Hülfe eines deutschen Geistlichen, in einer kleinen Familie eine Stelle mit niedrigem Gehalt, welche ungefähr ihren Kenntnissen entspricht.

Das ist ein Fall, den man noch einen glücklichen nennen muß, denn in der Regel blüht den deutschen Dienstboten ein viel weniger gutes Loos; es ist ein sehr gefahrdrohender Weg, auf dem sie sich befinden. Dieser Weg ist aber, um ihn kurz zu skizziren, dieser: weibliche Dienstboten und ein großer Theil der Gouvernanten werden in England gewöhnlich von Agenten engagirt, welche ihnen auch Kost und Logis, manchmal zu unverhältnißmäßig hohen Preisen, geben. Der Agent hat natürlich ein großes Interesse daran, immer möglichst viele Waare auf Lager zu haben, und läßt deshalb in deutschen Zeitungen oder unter der Hand übertriebene und lügenhafte Berichte über den Bedarf und die Stellen deutscher Dienstmädchen in England verbreiten. Er schießt ihnen sogar zuweilen das Ueberfahrtsgeld unter der Vorspiegelung vor, daß eine glänzende Stelle für sie bereits gefunden sei. Aber wenn das arme Mädchen in England gelandet ist, will sich die Stelle nicht finden. Nachdem es Wochen lang gewartet und seine sauren Ersparnisse verzehrt hat, giebt ihm der Agent noch so lange Credit, wie die Habseligkeiten seines Opfers die Kosten zu decken scheinen, und weist ihm dann einfach die Thür. Das ist jedoch noch nicht das schlimmste Loos junger deutscher Mädchen. Mit manchen Agenturen stehen die verrufensten Häuser des Continents in Verbindung. Auch vor den englischen Agenten selbst und deren guten Freunden, älteren wie jüngeren Herren, die immer Geld haben, muß auf’s ernsteste gewarnt werden. – Wird es den Regierungen denn niemals gelingen, diesen verruchten Menschenschacher zu unterdrücken und die Agenturen unter dauernde Controlle zu bringen? Vorläufig sollten deutsche Mädchen den Verlockungen der Agenten das hartnäckigste Mißtrauen entgegensetzen und nur mit solchen verhandeln, die ihnen von berufener Seite als vertrauenswürdig bezeichnet sind. Pflicht der Eltern ist es, ihre Kinder nicht so leichtsinnig wie bisher nach England ziehen zu lassen. Ueber die Zahlen deutscher Dienstmädchen und Gouvernanten, welche hier zu Grunde gehen, berichtet keine Statistik; aber sie ist jedenfalls sehr bedeutend.

Für deutsche Frauen bietet sich hier ein reiches Feld der Vereinsthätigkeit. Möchten sie doch bis zu einem gewissen Grade die Vermittelung zwischen dem Agenten und dem Mädchen übernehmen und Beiträge für solche Häuser sammeln, welche sich die Unterstützung nothleidender Mädchen zum Zweck gemacht haben! Eine englische Wohlthätigkeitsanstalt hat mehrere derartige „Homes“ bereits gegründet; so wurde z. B. im Jahre 1881 ein Haus (8 Ensleigh Gardens, Tavistock Square) für deutsche Mädchen eröffnet, zunächst für Arbeiterinnen und Ladenmädchen bestimmt. Die wöchentliche Miethe für Schlafzimmer und Mitbenutzung der Speise- und Lesezimmer, beträgt 2,50 bis 4 Mark, und für Beköstigung berechnet sich dieses „Gordon-House“ wöchentlich ungefähr 4,50 Mark.

Ueber die Lage der deutschen Gouvernanten läßt sich nur ein allgemeiner Satz aufstellen: sie würden kein so entschiedenes Uebergewicht über die französischen Erzieherinnen behaupten, wenn sie nicht den Ruf größerer Solidität besäßen; denn die französische Sprache und Literatur werden in England noch immer höher geschätzt, als die deutsche. Deutsche Erzieherinnen werden daraus entnehmen, daß ihnen eine gründliche Kenntniß des Französischen, eine gute Aussprache und Fertigkeit in der Unterhaltung besonders förderlich sind. Wie bei allen Deutschen, wird auch bei ihnen musikalische Bildung vorausgesetzt.

Das Loos der deutschen Erzieherinnen jenseits des Canals ist nicht immer rosig, und es ist besonders ein Punkt, auf welchen die Schäden des Gouvernantenthums in England zurückzuführen sind: die Mißdeutung des contractlichen Verhältnisses zwischen der Erzieherin einer- und des stellungbietenden Hauses andererseits. Selbst intelligente Köpfe der vornehmen englischen Welt sehen nicht ein, daß das moderne Arbeitsverhältniß auf dem Contracte gleichberechtigter Menschen beruht, daß die Gouvernante die Kinder erzieht und dafür ihren Lohn zum Theil in Geld, zum Theil in Wohnung und Nahrung erhält, daß eine Familie folglich außer der erziehenden Thätigkeit keine Ansprüche an die Erzieherin zu stellen hat und dieselbe, deren Arbeitskraft sie kauft, ebenso wenig zu meistern hat, wie den Kaufmann, von dem sie ihren Kaffee und Zucker bezieht.

Ein Unternehmen, welches im Stande ist, manche Härten im Leben der Erzieherinnen abzuschleifen, verdient daher volle Aufmerksamkeit, nämlich der von Fräulein Adelmann gegründete „Verein deutscher Erzieherinnen in England“. Der Zweck desselben ist ein vierfacher: Er will seinen Mitgliedern Stellen verschaffen, den stellenlosen Lehrerinnen vorübergehend ein Heim bieten, arme und kranke Erzieherinnen ohne Stellung unterstützen und Damen des Vereins, welche Schulen in England gegründet haben, Zöglinge zuführen. Der Verein besitzt ein Haus in Wyndham Place 16, Bryanston Square, London W, welchem Fräulein Gaudian vorsteht. Es enthält ein Stellenvermittelungsbureau und Raum für etwa 20 stellenlose Damen. Der Verein verlangt von Neuaufzunehmenden gewöhnlich ein deutsches wissenschaftliches Prüfungszeugniß oder einen Nachweis über erfolgreiche Thätigkeit. Die Candidatinnen dürfen nicht unter 20 Jahren alt sein, und der Jahresbeitrag beläuft sich auf beinahe 8 Mark. Dafür hat das Mitglied die erwähnten Vortheile und den bedeutend höheren, daß es einer guten Stelle gewisser ist, als wenn es sich an einen Agenten wendet. Ohne es ausdrücklich zu bezwecken, verhilft der Verein seinen Mitgliedern auch zu besseren Gehältern und freundlicherer Behandlung.[2]

Angesichts dieser großartigen Thätigkeit des schwachen Geschlechts ist der Mangel an jeder Organisation unter den deutschen Lehrern, deren Anstellung auch durch Agenten vermittelt wird, um so auffallender und beschämender. Hier ist der Gang des Engagements gewöhnlich folgender: wohnt der Principal nicht zu weit von London, so läßt er Einige unter den Hunderten von Bewerbern in das Comptoir des Agenten bitten und trifft eine Auswahl; wohnt er aber weit von der Hauptstadt entfernt, so überläßt er das Engagement ganz dem Agenten. Da Beide gewöhnlich weder deutsche Zeugnisse lesen können, noch die geringste Kenntniß des deutschen Bildungswesens haben, so sind sie völlig unfähig, die Lehrer zu beurtheilen.

Damit ist dem Schwindel Thür und Thor geöffnet; denn die Kenntnisse, welche in England von einem Lehrer verlangt werden, sind so gering, daß ein gebildeter Kaufmann und Kellner ohne Noth unterrichten kann. Was hält sie da ab, die pädagogische Laufbahn zu betreten? Ob sie etwas von Pädagogik verstehen, kann der Principal nicht beurtheilen; es ist ihm auch herzlich gleichgültig. Die Hauptsache bleibt immer, daß die Knaben gut genährt und gesund aussehen, und wenn sich hier und da ein Talent unter der Schaar findet, so wird es auf das Bestehen eines öffentlichen Examens eingedrillt. Um diese Lage der Dinge noch begreiflicher zu finden, muß man bedenken, daß der Agent um so mehr Gebühren einnimmt, je mehr Stellen er vermittelt, und daß ein Mann von weitem Gewissen seine Interessen wahrt, wenn er den richtigen Mann nicht an die richtige Stelle schickt. Die Rechnung ist einfach: bei diesem Mißverhältniß löst sich das Verhältniß am leichtesten wieder auf; der Lehrer sucht eine neue Stelle und zahlt neue Gebühren. Ich möchte nicht behaupten, daß alle Agenten so handeln, aber der Eine oder Andere steht nicht nur im Verdacht, solche Streiche zu begehen, sondern weit schlimmere auf dem Gewissen zu haben, z. B. ganz unfähige Candidaten für sehr gute Stellen zu empfehlen, wenn dieselben mehr als den gewöhnlichen Procentsatz zahlen.[3]

Das englische Schuljahr zerfällt in 3 Trimester, welche zu Weihnachten, Ostern und Ende Sommer durch im Ganzen 15 Wochen [209] dauernde Ferien unterbrochen werden. Die Ferienzeit muß der Lehrer außerhalb der Schule zubringen, und zwar bei Stellenlosigkeit in der Nähe der Schulagenten in London. Die Reise und dieser Ferienaufenthalt verschlingen, selbst wenn er sparsam ist, gewöhnlich 35 Pfund Sterling, sodaß er sich jährlich eine Agenturgebühr von fünf Pfund Sterling auferlegen muß. Nun beträgt das durchschnittliche Gehalt des deutschen Lehrers, welches gewöhnlich nur ein Drittel oder die Hälfte desjenigen seiner englischen Collegen erreicht, 50 Pfund Sterling. Es bleiben ihm also für Wäsche, Kleidung und unvorhergesehene Fälle etc. nur 10 Pfund Sterling = 200 Mark!

Den deutschen Lehrer wie die deutsche Erzieherin schätzt man nicht etwa wegen vorhandener Kenntnisse oder der Nationalität. Der Lehrer ist für den Principal eine schätzbare Acquisition, weil er überall zu gebrauchen ist. Erstens kann er neben Deutsch auch Französisch unterrichten. Dann spielt er Clavier, vielleicht auch Violine, und wenn die Schule eine eigene Capelle hat, Sonntags die Orgel. Er kann, wenn es nöthig ist, auch zum Unterricht in Geographie, Geschichte, Rechnen und verschiedenen anderen Fächern verwandt werden. Nun, welcher Art, angesichts dieser Verhältnisse, der Unterricht an Privatschulen überhaupt und der fremden Lehrer insbesondere sein muß, das kann sich jeder verständige Mensch selbst sagen, ja sogar Engländer gewinnen allmählich einige Einsicht in diese Zustände, richten aber in nationalem Dünkel ihren Tadel wieder an die unrichtige Adresse, indem sie sich in bitteren Schmähungen über die „pädagogischen Abenteurer“ ergehen, welche von Frankreich und Deutschland herüberkommen; sie schmähen so, ohne zu bedenken, daß Adler sich sammeln, wo Aas ist, und daß etwas faul sein muß im Staate England, wenn die Zahl der „pädagogischen Abenteurer“ anschwillt. Und faul ist in der That in dieser Beziehung manches im Staate England; denn – um nur Einiges kurz anzuführen – in welchem Lande ist es in das Belieben jedes Reverend gestellt, eine pädagogische Firma zu gründen? In welchem Lande hält man eine Agentur für das geeignetste Mittel, um tüchtige Lehrer zu erhalten? In welchem Lande sind die Directoren so ungebildet, daß sie nicht einmal die Zeugnisse ihrer Lehrer lesen können?

Hier muß gründlicher Wandel geschaffen werden. Von englischer Seite kann man kein kräftiges Eingreifen erwarten; folglich müssen die deutschen Lehrer sich der Sache annehmen. Die tüchtigen Elemente, welche gute Zeugnisse besitzen, sollten zu einem Verein zusammentreten und vor Allem die Agentur in die Hand nehmen, damit die Schatzung der Stellenvermittler endlich aufhört. Ihr zweites Bestreben müßte es sein, ihre Kunden mit scrupulöser Gewissenhaftigkeit zu bedienen, um Vertrauen im Lande zu gewinnen; denn alsdann würde sich die sociale Hebung ihrer Mitglieder von selbst vollziehen und in Folge dessen jeder englische Director ihnen gern ein höheres Gehalt geben. Der jährliche Beitrag müßte so hoch bemessen werden, daß der Verein seinen kranken und stellenlosen Mitgliedern eine Unterstützung zukommen lassen könnte.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß zahlreiche Mitglieder der deutschen Colonien den Gründern solchen Vereins mit Rath und That zur Seite stehen und hochstehende Personen das Patronat desselben übernehmen würden. Dieser Hülfe müssen die deutschen Lehrer sich aber zunächst versichern, wenn sie in England Vertrauen und Erfolg erwarten wollen. – Eine Species deutscher Lehrer, welcher man am dringendsten vom Besuche Englands abrathen muß, ist der deutsche Musiklehrer. Er vermehrt sich jenseits des Canals in so wunderbarer Weise, daß an einigen Stellen die Preise bis auf einen Schilling für die Musikstunde heruntergegangen sind. Wie gering aber ist der Werth eines Schillings [210] (etwas mehr als eine Mark) in England! Ja, es ist eine schlimme Lage, in der sich die deutschen Musiklehrer in England befinden, und diese Lage wird immer schlimmer. Alles, was in Deutschland Elfenbeintasten gefühlt hat, bietet sich dort als Lehrer im Spielen und Singen an, aber es ist ein Irrthum zu glauben, die Engländer seien noch immer so unmusikalisch, daß jeder musikalische Deutsche hier sofort eine gut bezahlte Stellung fände. Langsam vollzieht sich eine wichtige Aenderung. Die Engländer studiren mit großem Eifer Musik; in zehn bis fünfzehn Jahren wird das Land seinen Bedarf an Musiklehrern ganz decken, und der dilettantische deutsche Musiklehrer nur noch ein Dasein in den alten Jahrgängen des Punch führen, in denen er jetzt eine beliebte Figur ist.

Besonders praktisch haben sich dagegen in England die deutschen Kellner organisirt! Dieselben finden hier je einen Zweig der zwei großen über Mitteleuropa verbreiteten Kellnervereine vor, nämlich die Section des „Deutschen Kellnerbundes“ und die des „Genfer Vereins der Hôtelangestellten“. Das Centralbureau des ersteren befindet sich in Leipzig, das des zweiten in Genf, und beide bezwecken Hebung des Kellnerstandes, Stellenvermittelung, Gründung einer Kranken- und Unterstützungscasse. Der Genfer Verein beschreitet mehr die Wege eines Gewerkvereins. Er hat sein Bureau Charlotte Street 107 W. und der deutsche Kellnerbund 36 Clipstone Street W. Ein solcher Verein ermöglicht einen regen, geselligen Verkehr zwischen den Mitgliedern. Die Häuser, in welchen sich die Bureaus befinden, enthalten je einen kleinen Gasthof, in welchem Mitglieder gegen geringes Entgelt Unterkunft finden, und trotz dieser Organisation haben die Vereine einen über den Bedarf starken Zufluß ihrer Mitglieder nicht verhindern können.

Die Deutschen halten England noch immer für ein Eldorado, in dem es ihnen glücken müsse. Aber mehr als die Hälfte aller Einwanderer leidet Schiffbruch und muß sich glücklich schätzen, wenn sie nicht moralisch verkommt. Alle, Kaufleute, Handwerker, Dienstboten, Erzieher und Erzieherinnen, müssen dringend vor einer Uebersiedlung nach England gewarnt werden. In jedem Erwerbszweige ist Ueberfluß an Deutschen vorhanden, und ihre erbitterte Concurrenz unter einander bewirkt ein stetiges Sinken des Lohnes. Es herrscht unter vielen die größte Noth und ein unbeschreibliches Elend.

So verdienen denn alle Berichte in deutschen Zeitungen, deren Verfasser entweder aus gewinnsüchtiger Absicht oder aus übel angebrachtem Patriotismus die Verhältnisse unserer Landsleute so glänzend wie möglich darstellen, das größte Mißtrauen, und es ist nicht zuviel gesagt, wenn behauptet wird, daß jeder, welcher, um dem deutschen Nationalgefühl zu schmeicheln, irrige Angaben über die Lage der Deutschen in England verbreitet, sich zum Mitschuldigen an den bitteren Enttäuschungen, den pecuniären Verlusten und dem moralischen Ruin einwandernder Landsleute macht.[4]

Nur wenige Deutsche gelangen in England zu Wohlstand und Reichthum, und diese Wenigen bleiben gewöhnlich im Lande. Es wird also auf diese Weise kein großes Capital von England nach Deutschland getragen.

Weshalb die Deutschen, wie dies von den Engländern gefordert wird, ganz besonders dankbar für ihre Aufnahme in Albion sein sollten, ist uns wirklich unverständlich. Denn was man ihnen giebt, ist in den meisten Fällen der Lohn, den sie für harte Arbeit reichlich verdient haben. Die Engländer sollten im Gegentheil dankbar dafür sein, daß sie die deutsche Arbeit so billig kaufen können.

Eines will ich zum Schluß hier nicht unerwähnt lassen, weil es charakteristisch für die Sache ist: Man will uns verwehren, unser Urtheil über England abzugeben – das ist eines der zahlreichen Beispiele englischer Inconsequenz. Die Waare des Arbeiters ist seine Arbeit. Verkauft er an den Unternehmer außer dieser Waare etwa auch sein Urtheil, seinen Verstand, seine Meinung? Unsere Vettern haben uns ein Beispiel gegeben, welches augenscheinlich seine Früchte trägt! Ueber jedes Land, in welches der Britte seinen Fuß setzt, sitzt er gewöhnlich mit viel Unkenntniß und von ausschließlich englischem Gesichtspunkte zu Gericht, aber kein Land hat er seit zehn Jahren mit solcher Vorliebe zur Zielscheibe beleidigender Sottisen gemacht, wie Deutschland. Und nun verlangt er von uns Dankbarkeit, Wohlwollen und Schmeichelei?!

Möge es mir nun nach der möglichst objectiven Darstellung der Lage unserer Landsleute in England vergönnt sein, hier zwei Ziele für künftige Thätigkeit kurz zu bezeichnen! Energische und praktische Männer werden trotz der mannigfachen Schwierigkeiten zwei Vereine in’s Leben rufen können: einen Rechtsschutzverein und einen Vorschußverein. Die englischen Gerichtskosten sind hoch, und die Kenntniß des englischen Rechts unter unseren Landsleuten ist gering. Von welch unberechenbaren Segen würde sich da ein Verein erweisen, an den sie sich in Fällen der Rechtsverletzung wenden könnten! Und gleiche Bedeutung würde ein Vorschußverein behaupten, welcher unsere Landsleute in Nothlagen, in welche sie unverschuldet gerathen sind und in welchen sie sich, fern von der Heimath, nicht zu helfen wissen, mit einem verzinslichen Darlehen unterstützte. Er würde manches schwache Gemüth vor übermächtigen Versuchungen und manchen stolzen Charakter vor Entblößungen bewahren, welche nicht nur die Kraft seines Körpers untergraben, sondern oft die Gesundheit seiner Seele in Mitleidenschaft ziehen. Möchte deutsche Intelligenz und deutsche Thatkraft nach diesen beiden Seiten hin zum Heil Deutschlands in England heute lieber als morgen eintreten!


  1. Es fanden sich Deutsche fast in allen Berufsclassen. Ungefähr 70 waren in der Staats- und Selbstverwaltung thätig. Es werden aufgezählt über 80 Officiere und Soldaten, über 40 Geistliche, mehr als 700 Aerzte und Apotheker, 50 Schriftsteller, 100 Maler und Photographen, 173 Musiker und nicht weniger als 45 Straßenmusikanten. Unter dem Namen Lehrer, Erzieher und Professoren befanden sich damals gegen 500 Personen in England. Die Wirthshaus-, Schänken- und Gasthofsbesitzer erreichten mit ihrem Personale die stattliche Zahl von 1000 Personen. Dieselbe Höhe zeigte die Ziffer der Großkaufleute. Mehrere Hundert Agenten waren im Lande thätig. Die Commis hatten es auf 1257 gebracht. Auch darin that sich Deutschland hervor, daß es die größte Anzahl von Pfandleihern nach England entsandte. Vielleicht fällt einiges Licht in dieses Dunkel, wenn man erwägt, daß die Nation, welche uns am nächsten kam, die polnische war. Es gab damals 33 deutsche und 32 polnische Pfandleiher in England. Die Zahl der Buchhändler und Buchdrucker näherte sich der Ziffer 100. Die Musikinstrumentenmacher und Musikhändler waren etwas zahlreicher. Die Zahl der Uhrmacher betrug ungefähr 900, die der Bau- und Möbeltischler 650, der Schneider 1600, der Schuster 700, der Metzger 400, der Bäcker 1300, der Zuckerraffineure 900, der Goldschmiede und Juweliere 300. – Unter den Frauen hatte die Majorität den Beruf der Hausfrau eingeschlagen. Der Census führt 6120 Ehefrauen, 2200 Dienstmädchen und 1300 Gouvernanten auf. – 62 Personen lebten von ihren Renten.
  2. Der Jahresabschluß des Vereins für 1880 zeigte eine Einnahme von 3520 Pfund Sterling 15 Schilling 21/2 Pence (über 70,000 Mark) und eine Ausgabe von 1371 Pfund Sterling 5 Schilling 73/4 Pence. Ueber 1000 Pfund Sterling waren als Geschenk und freiwillige Beiträge eingegangen. Unter den Geschenkgebern stehen deutsche Fürsten und freie deutsche Städte voran. Die Leiter beabsichtigen einen Reservefonds von 4000 Pfund Sterling anzusammeln, um den Verein vollständig unabhängig zu machen und vielleicht später einmal ein Haus für alte und invalide Mitglieder, „a Home of Rest“, irgendwo an der schönen und gesunden Seeküste Englands zu gründen.
  3. Welche Steuer die Agentengebühren vorstellen, kann man daraus entnehmen, daß Jemand 33 Pfund Sterling 10 Schilling in 6 Jahren an Agentengebühren ausgab. Während dieser Zeit betrugen seine Einnahmen 450 Pfund Sterling. Er bezahlte also eine jährliche Steuer von 51/2 Pfund oder 71/2% von seinem Gehalte. Ein Anderer bezahlte in 2 Jahren 11 Pfund Sterling auf eine Einnahme von 110 Pfund Sterling.
  4. Wie groß die bekannte Noth unter den Deutschen in England ist, wird man folgenden Angaben entnehmen. Die Unterstützungen, welche im ganzen Lande von den deutschen Pfarreien gespendet werden, rechne ich nicht. Das General-Consulat unterstützte vom 1. November 1880 bis zum 1. November 1881 1188 Personen und spedirte 36 Personen in die Heimath zurück. Die „Deutsche Gesellschaft der Wohlthätigkeit und Eintracht“, welche unter der energischen Leitung Herrn Karl Tuchmann’s steht, vertheilte im Jahre 1880 an 1477 Personen etwa 630 Pfund Sterling, gleich 13,000 Mark. Außerdem bezahlte sie an 14 Pensionäre 71 Pfund Sterling 10 Schilling. Die „Gesellschaft der Freunde nothleidender Fremden“ ließ in demselben Jahre an 2300 Deutsche Almosen austheilen. In dem deutschen Hospital zu Dalston fanden im Jahre 1880 nicht weniger als 758 Personen Aufnahme.