Die sicilianische Vesper

Textdaten
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Autor: Fritz Träger
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Titel: Die sicilianische Vesper
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 210–212
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die sicilianische Vesper.

Auch ein „Jubiläum“.


Fürwahr, es ist eine eigene Sache um die Lehre von der dereinstigen Verbrüderung der Nationen, um das Dogma vom „goldenen Zeitalter des ewigen Völkerfrühlings“, wie das Ding von den rechtgläubigen Bekennern einer politisch-optimistischen Weltanschauung officiell benamst wird. Es giebt nämlich Leute, die nicht recht daran glauben mögen, Leute, die es vielmehr umgekehrt bedünken will, als stünde aller Humanität zum Trotz unsere alte Erde leider noch auf lange hinaus im verhängnißvollen Zeichen des Mars. Und was beinahe noch schlimmer: selbst mitten im formellen Friedensstande treten von Zeit zu Zeit Symptome hervor, sehr unzweifelhafte Symptome, welche die Verwirklichung jenes schönen Traumes einstweilen als in unabsehbare Ferne gerückt erscheinen lassen.

So z. B. an dem bevorstehenden fröhlichen Osterfeste des gegenwärtigen Jahres. Ein wahres Glück, daß Meister Elihu Burritt, der bekannte amerikanische Hufschmied und Friedensapostel, vor drei Jahren das Zeitliche gesegnet hat. Lebte der Mann heute noch, er würde wahrscheinlich die Augenbrauen bedenklich emporziehen und sich baß verwundern ob der Dinge, die gegenwärtig dort unten im europäischen Süden sich zutragen. Denn im Augenblick, da wir dies schreiben, rüsten sich gewisse politische Kreise Italiens, besonders Siciliens, mit Paukenschlag und Posaunenton den sechshundertjährigen Gedenktag jener ingrimmig blutigen Metzelei feierlich zu begehen, die in den Jahrbüchern der italienischen Geschichte unter der Bezeichnung der „Sicilianischen Vesper“ eingetragen steht. Da dieses Ereigniß zwar nicht der äußern Veranlassung, wohl aber dem tiefern Grunde nach mit der mittelalterlichen Geschichte unseres deutschen Vaterlandes, speciell mit dem glorreich-tragischen Abschnitt der Hohenstauferzeit im Zusammenhange steht, so wird es kaum einer näheren Motivirung bedürfen, wenn auch wir heute einem historischen Factum, das über Jahrhunderte hinaus seine Wellen schlug und welches noch gegenwärtig im Gedächtnisse des italienischen Volkes lebendig fortwirkt, eine kurze Betrachtung nicht versagen.

[211] Nach Conradin’s, des letzten Hohenstaufer’s, Niederlage und Hinrichtung (29. October 1268) – Ermordung wäre hier der richtigere Ausdruck – waren Neapel und Sicilien mit leichter Mühe der Regierung Karl’s von Anjou wieder unterworfen worden, allein der Uebermuth, mit dem die Franzosen ihre Unterthanen behandelten, die unbarmherzige Eintreibung unsinniger Steuern, das Verbot, irgend welche Waffen zu tragen, und die Verfolgungen, welche sie über eine Menge von Leuten als angebliche Anhänger des staufischen Geschlechts ergehen ließen, trieben das Volk mehr und mehr zur Verzweiflung. Am tiefsten wurde der Druck auf der Insel Sicilien empfunden, die, von den deutschen Kaisern von jeher besonders bevorzugt, jetzt unter französischer Herrschaft auf jede Weise hintangesetzt und in ihren Rechten gekränkt wurde.

Da faßte ein unternehmender Mann, Johann von Procida – er entstammte einer angesehenen Familie in Salerno, war Besitzer der Insel Procida und zugleich in der Arzneikunde wohlerfahren – den Entschluß, der unerträglichen Unterdrückung ein Ende zu machen. Als Ghibelline, das heißt als Anhänger der staufisch-kaiserlichen Partei, hatte er zwar seine Güter vor König Karl’s räuberischen Händen nicht retten können, sein Leben aber brachte er in Sicherheit durch die Flucht an den aragonischen Hof in Spanien, wo er die freundlichste Aufnahme fand. Voll Haß gegen die Franzosen und voll Treue gegen das hohenstaufische Haus erregte er den König von Aragonien, Peter den Dritten, der mit einer Tochter des bei Benevent besiegten und gefallenen Königs Manfred vermählt war, zur Rache gegen Karl und zur Befreiung der Unterdrückten. Da Peter allein sich nicht für stark genug hielt, zog Johann von Procida überall umher, ihm Bundesgenossen zu werben. Er ging heimlich nach Sicilien, entdeckte sich den dortigen Mißvergnügten und fand, daß er auf diese Insel am meisten werde rechnen können. Als Barfüßermönch verkleidet, reiste er auch nach Constantinopel zu dem griechischen Kaiser, der, mit König Karl’s feindseligen Absichten gegen seinen Thron nicht unbekannt, diesen gern in dessen eigenen Staaten beschäftigt sah. Kaiser Paläologus spendete reichliche Hülfsgelder und versprach außerdem den sicilianischen Edelleuten die Lieferung von Waffen. Nun faßte auch Peter von Aragonien Muth; er begann, eine Flotte auszurüsten, und da er vorgab, mit derselben gegen die Ungläubigen in Afrika kreuzen zu wollen, so erhielt er Geldbeiträge dazu vom König Philipp dem Dritten von Frankreich und, wie man sagt, sogar von Karl von Anjou selbst. In der That wollte Peter nach Afrika segeln, um dort zu erwarten, was in Sicilien geschehen werde; allein ehe er noch mit seinen Schiffen an der afrikanischen Küste erschien, war die von Johann von Procida geleitete Verschwörung durch einen Zufall, und früher als eigentlich beabsichtigt, bereits zum Ausbruch gekommen. Hiermit aber verhielt es sich folgendermaßen.

Das Osterfest des Jahres 1282 war herangekommen, aber es war für Palermo kein Fest der Freude; es war die Zeit, da der schmachvolle Uebermuth der Gewalthaber seinen Gipfelpunkt und die bis dahin mühsam bewahrte Geduld eines mißhandelten Volkes ihr Ende erreichen sollten. Gerade die gedachte Stadt – die ehemalige Hauptstadt des Reiches – haßten die Franzosen am meisten, einmal, weil sie die mächtigste der ganzen Insel war, sodann, weil man sich von ihr, welche die schwersten Kränkungen zu erdulden gehabt, gelegenen Falles des Aeußersten zu versehen hatte.

In Messina hatte Herbert von Orleans, der königliche Statthalter der Insel, seinen Sitz, und der Königsrichter des Districtes Mazzara, Giovanni di San Remigio, ein seines Herrn würdiger Diener, war Gouverneur von Palermo. Seine Unterbeamten hatten sich eben zu neuen Räubereien und Gewaltthätigkeiten verbunden, aber noch duldete das Volk im Stillen. Als die Bewohner Palermos an den Tagen des Leidens Christi gegen die irdische Trübsal in den Kirchen Trost durch das Gebet suchten, spähten des Königs Steuereinnehmer unter der andächtigen Menge diejenigen aus, welche dem Fiscus Abgaben schuldeten, schleppten sie mit Gewalt aus den Gotteshäusern, warfen sie gefesselt in den Kerker und höhnten das herbeieilende Volk durch den Zuruf: „Bezahlt, ihr Ketzer, bezahlt eure Schulden!“ Es war der letzte Act despotischer Willkürherrschaft. Das Maß war voll, und wenige Tage später, am Osterdienstage, den 31. März, nahm zunächst das Volk von Palermo und im weiteren Verlaufe der Empörung ganz Sicilien blutige Rache an den fremden Peinigern.

Etwa tausend Schritt südlich von der Stadt steht auf der Höhe von Oreto eine Kirche, welche dem heiligen Geiste geweiht ist. Rings um dieselbe dehnte sich zu jener Zeit ein freundliches Gefilde, welches eben der Frühling mit neuen Blüthen geschmückt hatte und durch das am gedachten Osterdienstage gegen Abend, alter Sitte gemäß, die Bewohner Palermos und der Umgegend friedlich dahinzogen, um in jener Kirche die Vesper zu hören. Noch während des Gottesdienstes thaten sich draußen im Freien Gesellschaften zusammen; Tische wurden errichtet; man lagerte sich im Grase, und muntere Tänze begannen. Für einen Augenblick athmete das Volk frei auf und vergaß seiner Noth. Plötzlich erschienen königliche Gerichtsdiener, und ein Schauer durchbebte all die froh Versammelten. Die Fremden kamen in gewohnter Weise, um die Ordnung aufrecht zu erhalten, wie sie sagten; sie mischten sich unter die Gesellschaften, betheiligten sich am Tanze, thaten mit den jungen Mädchen vertraut – und schon begannen die Herzen der heißblütigen Sicilianer heftiger zu schlagen.

In diesem Augenblicke kam eine schöne Jungfrau von edler, sittsamer Haltung mit ihrem Bräutigam und ihren Anverwandten zur Kirche. Ein Franzose Namens Drouet – nach anderer Lesart hätte der Wackere Drouchet geheißen – näherte sich ihr, stellte sich, als wolle er untersuchen, ob sie nicht dem königlichen Verbote zuwider verborgene Waffen bei sich führe, und legte in schamloser Weise Hand an sie. Dies war das Signal zum Ausbruche des lange verhaltenen Grolles. Ohnmächtig sank die Jungfrau in die Arme ihres Bräutigams; dieser, rasend vor Wuth, schrie laut: „Nieder, nieder mit den Franzosen!“ und in demselben Augenblicke stürzte aus dem umstehenden Volke ein Jüngling hervor, der den Franzosen packte und ihn durchbohrte.

Kräftige Beispiele entflammen die Gemüther mehr als gesprochene Beweisgründe; die von langer Sclaverei Gedrückten erwachten wie mit einem Schlage aus ihrer Betäubung, und binnen weniger Minuten hallte der Ruf. „Tod allen Franzosen!“ durch das ganze Thal. Auf Drouet’s Leiche sanken haufenweise die Opfer von beiden Parteien, und wild durch einander wogte der Kampf. Die Sicilianer schlugen sich wie Verzweifelte mit Dolchen, Steinen und Stöcken gegen die vom Kopfe bis zum Fuße bewaffneten Fremden; ein wildes Gemetzel tränkte den Boden mit Lachen von Blut, aber die einmal entfesselte Kraft des Volkes trug den Sieg davon, und von den zweihundert bei der Kirche anwesenden Franzosen entkam nicht ein Einziger.

Keuchend, blutbedeckt und wie rasend vor Wuth rannten die Empörer nunmehr nach der Stadt, die vom Geschehenen noch keine Kunde hatte, schwangen die erbeutetet Waffen und verkündeten die erlittene Schmach sowie die geübte Rache. „Nieder mit den Franzosen!“ ertönte auch hier der allgemeine Ruf, und Alle, deren man habhaft wurde, mußten über die Klinge springen. Mitten im Getümmel wählte man einen palermitanischen Edelmann, Ruggiero Mastrangelo, zum Anführer. Immer mehr wuchs die Volksmenge; in große Trupps getheilt stürmte sie durch die Straßen; die Thüren der Häuser wurden eingeschlagen; kein Versteck, kein noch so verborgener Schlupfwinkel blieb ununtersucht. Wo immer man Franzosen fand, da schlug man sie nieder, zerriß man sie förmlich in Stücke, und wer nicht dazu gelangen konnte, selbst einen zu tödten, der schlug wenigstens jauchzend in die Hände, wenn ein Anderer es that. Giovanni di San Remigio, der schon oben erwähnte Gouverneur von Palermo, hatte sich bei dem plötzlichen Ausbruche der Empörung in seinem festen Palaste eingeschlossen, aber in einem Nu war derselbe von einer mordschnaubenden Volksmenge umringt, die den Tod des Verhaßten forderte. Die Schutzwehren wurden niedergerissen, und die Aufständischen drangen in den Palast ein, aber der Statthalter entkam in der Dämmerung und allgemeinen Verwirrung, indem er, nur von zweien Dienern begleitet, sich auf ein Pferd warf und in gestrecktem Laufe davonjagte.

Indessen dauerte das wüthende Gemetzel überall fort, und selbst die hereinbrechende Nacht setzte ihm kein Ziel. Am folgenden Morgen begann das Blutbad von Neuem; noch immer war der Rachedurst nicht gesättigt, aber es mangelten ihm allmählich die Opfer; denn gleich bei diesem ersten Ausbruche der Revolution waren mehr denn 2000 Franzosen hingeschlachtet worden. Wie die Chronisten berichten, diente der Laut eines Wortes als Erkennungszeichen der Fremden; wenn nämlich das Volk einen verdächtigen oder übelberüchtigten Menschen von zweifelhafter Nationalität bemerkte, so zwang man ihn mit an die Kehle [212] gesetztem Dolche, das italienische Wort „Ciciri“ (tschitschiri, so viel wie „Erbsen“) auszusprechen; sprach er die Laute fremdartig, das heißt mit französischer Betonung aus, so wurde er ohne Weiteres niedergestoßen.

Selbst in die Kirchen und Klöster drangen die Empörer; die Altäre boten keine Zufluchtsstätte mehr; Greise, Kinder und Weiber wurden getödtet, die Säuglinge an der Mutter Brust erwürgt und selbst das Kind im Mutterleibe nicht verschont von den unbarmherzigen Rächern.

Der stürmische Ausbruch der Empörung in der Hauptstadt hatte zunächst die auf die ganze Insel zurückwirkende heilsame Folge, daß alle inneren Parteiungen wie mit einem Schlage aufhörten. Noch in der Blutnacht des 31. März, unter dem Frohlocken über die gelungene Rache und dem Entsetzen über seine eigene kühne That, versammelte sich das Volk von Palermo, bildete ein Parlament und wurde dadurch noch weiter auf der betretenen Bahn vorwärts getrieben. Der königliche Name ward für immer abgeschafft; man beschloß, einen Freistaat zu bilden und ihn unter den Schutz der römischen Kirche zu stellen. Zu diesem Entschlusse wurde das Volk bestimmt, einmal durch seinen tödtlichen Haß gegen König Karl und seine Behörden, sodann aber auch durch das leuchtende Vorbild der lombardischen Städte-Republiken, die schon ein halbes Jahrhundert zuvor die Oberherrschaft der hohenstaufischen Kaiser glücklich abgeschüttelt hatten und nun sich auf ihre eigene stolze Kraft stützten.

Die Berufung auf den wesentlich nur nominellen Schutz der Kirche aber mußte den päpstlichen Zorn entwaffnen, vielleicht sogar dem Ehrgeize des Stellvertreters Christi schmeicheln, oder doch wenigstens der Rebellion einen Schein von Rechtmäßigkeit verleihen, indem man bei der Vertreibung des böswilligen unmittelbaren Herrschers doch nicht die Rechte des päpstlichen Oberlehnsherrn verletzte, aus dessen Händen Jener die Herrschaft empfangen hatte.

So wurden denn der schon weiter oben gedachte Ruggiero Mastrangelo und acht Beiräthe – sämmtlich den vornehmsten Geschlechtern der Stadt angehörig – zu Häuptern des Volkes ernannt. Bei Fackelschein wurde auf dem blutgetränkten Boden unter rauschendem Geleite Bewaffneter und festlichem Auf- und Niederwogen der Menge der republikanische Magistrat eingesetzt; Trompeten und maurische Heerpauken ertönten, und Tausende jubelnder Stimmen vereinten sich in dem Rufe: „Es lebe das Glück! Es lebe die Freiheit!“ Das alte Banner der Stadt aber, ein goldener Adler in rothem Felde, entfaltete sich in erneutem Glanze, und zum äußeren Zeichen des Gehorsams gegen die Kirche wurden in einem neuen Geviert die Schlüssel Sanct Peter’s hinzugefügt.

Von der Hauptstadt Palermo aus verbreitete sich der Aufstand binnen wenigen Tagen über die ganze Insel. In Catania allein sollen 8000 Franzosen um’s Leben gekommen sein, und in Taormina, wohin sich Viele geflüchtet hatten, ging es ebenso. In Messina, welche Stadt, da sie durch die stärkste Besatzung im Zaume gehalten wurde, sich am spätesten (gegen Ende April) der Empörung anschloß, wurden 3000 Franzosen ermordet, und in ganz Sicilien sollen, dafern man den Chronisten Glauben schenken darf, nur zwei französische Edelleute verschont geblieben sein.

So gestaltete sich diese „Sicilianische Vesper“ zu einem Blutbade, dem – gottlob! – die Geschichte aller Zeiten nur wenig ähnliche an die Seite zu stellen hat; in Deutschland aber betrachtete man sie mit Befriedigung als ein Strafgericht Gottes, als ein loderndes Todtenopfer, dargebracht den Manen Conradin’s, des ermordeten Hohenstaufer’s.

Karl von Anjou befand sich eben beim Papste Martin dem Vierten zum Besuche, als er die Schreckensnachricht erfuhr. Er schäumte vor Wuth und schwur den Sicilianern grimmige, teuflische Rache. Aber während er Messina, welches sich heldisch vertheidigte, mit großer Macht zu Wasser und zu Lande bestürmte, landete Peter von Aragonien, der, Karl’s Uebermacht fürchtend, einstweilen den Ereignissen gegenüber eine beobachtende Stellung eingenommen hatte, jetzt aber frischen Muth faßte, im Monat August mit 30,000 Kriegern, ließ sich in Palermo feierlich zum König krönen, zwang Karl zur Aufhebung der Belagerung von Messina und vernichtete den größten Theil seiner Flotte. So war denn die junge Freiheit der schönen Insel nur von kurzer Dauer gewesen, die Herrschaft Peter’s trat an die Stelle der Tyrannei Karl’s, und obschon der Kampf zwischen beiden Königen und ihren Nachkommen noch lange fortdauerte, blieben doch alle Versuche der Franzosen, die Insel wieder ihrer Botmäßigkeit zu unterwerfen, vergeblich. Im Jahre 1302 kam endlich ein Friede zu Stande, kraft dessen Peter’s von Aragonien Sohn, Friedrich, König der Insel Sicilien blieb, während Karl der Zweite, der Sohn des drei Jahre nach dem sicilianischen Aufstande gestorbenen Karl’s von Anjou, sich mit dem unteritalienischen Festlande oder dem Königreiche Neapel begnügen mußte. Die Kirche bestätigte den Vertrag, einmal, weil auch König Friedrich sich für ihren Lehnsmann erklärte, sodann aber, weil eine Theilung der neapolitanischen Macht in ihrem eigenen Interesse lag; und so bildeten die Länder diesseits und jenseits der Meerenge für länger denn anderthalb Jahrhunderte zwei getrennte Reiche.

Die Weltgeschichte – und diese ist bekanntlich das Weltgericht – hat mit Recht in dem geschilderten Drama einen Act der Nothwehr seitens der Sicilianer erkannt und demgemäß ihren Wahrspruch auf „Nichtschuldig“ gestellt. Die französische Herrschaft über die trinakrische Insel hatte sich zu einer unerträglichen Landplage gestaltet, und die heißblütigen Sicilianer entledigten sich derselben nach ihrer Art, rasch und gründlich. Auch die Frage, ob das mißhandelte Volk bei Ausübung seines guten Nothwehrrechts nicht das erlaubte Maß bedenklich überschritten habe, mag hier füglich unerörtert bleiben. Anders verhält es sich mit jener pomphaften und feierlichen Verherrlichung der „Sicilianischen Vesper“, zu welcher augenblicklich die nationale Partei in Italien umfassende Vorkehrungen trifft. Unseres Erachtens wäre dieser „sechshundertjährige Gedenktag“ besser ungefeiert geblieben. Wir wissen es: die nationale Empfindlichkeit der Italiener ist durch die französische Besitznahme von Tunis schwer gereizt; aber der Genius der Humanität verhüllt trauernd sein Haupt gegenüber einer absichtsvollen Jubelfeier, die, gelinde gesagt, eine allmähliche, friedliche Verständigung unter den europäischen Völkern anzubahnen so wenig geeignet ist.

Fritz Träger.