Erinnerungen an den Dichter des „Ekkehard“

Textdaten
>>>
Autor: R. Artaria
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Erinnerungen an den Dichter des „Ekkehard“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, 19, S. 314–316, 340–344
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[314]

Erinnerungen an den Dichter des „Ekkehard“.

Eine schwere Trauerkunde zieht durch Deutschland: nach entsetztlichen Leiden starb zu Karlsruhe am 9. April Joseph Viktor von Scheffel, der Besten und – der Letzten Einer. Es wird gewaltig öde auf dem deutschen Parnaß, und nur wenige Häupter ragen in die stolze Höhe, wo ein großer Theil der Jetztlebenden noch in der Jugendzeit Rückert, Lenau, Uhland, Freiligrath, Heine, Geibel, Mörike stehen sah. Die letzten dreißig Jahre haben furchtbar aufgeräumt, wir sind arm geworden und klammern uns deßhalb mit größerer Innigkeit an die Wenigen, die uns bleiben. Deßhalb aber trifft auch jeder Verlust doppelt tief, vor Allem, wenn er außer dem gefeierten Dichter auch noch den lieben Freund wegnimmt, der in langen Jahren dem eigenen Leben ein treuer und theilnahmvoller Begleiter war. Es ist eine tieftraurige Empfindung, mit welcher der alternde Mensch die Genossen seiner Jugend scheiden sieht; aber über Eines wenigstens hat der Tod keine Macht: über die Erinnerung, welche im Flug über dreißig Jahre zurückträgt und die müde und resignirt aus dem Leben Gegangenen wieder jung, lebensfroh und glücklich zeigt ...

Gerade dreißig Jahre sind es her, daß in ein heiteres Landhaus zu Weinheim an der Bergstraße zwei junge Besucher eintraten. Der Aeltere, ein ernsthafter Gelehrter von damals schon [315] bekanntem Namen, stellte seinen Freund Joseph Scheffel den Damen des Hauses vor, und diese, welche den kürzlich erschienenen „Trompeter von Säkkingen“ bereits gelesen hatten, begrüßten lebhaft den schmächtigen, blonden Mann, dessen Habitus allerdings die Erwartungen der Jüngsten über das Aussehen eines Dichters stark enttäuschte. Keine wallenden Locken, keine weltschmerzlichen Blicke: nur schlichtes, kurzgeschnittenes Haar, ein Gesicht, wie es etwa ein junger Assessor auch haben konnte, und eine goldene Brille! Aber die Augen unter dieser Brille gewannen beim Sprechen einen merkwürdigen Ausdruck und um den sehr feingeschnittenen Mund spielten allerlei hnmoristische Linien, wenn er sich zum Erzählen öffnete und mit einem Accent, der die Vaterstadt Karlsruhe nicht ganz verleugnen konnte, die schönsten Abenteuer und Erlebnisse aus wälschen und deutschen Landen zum Besten gab. Nach einer Stunde schon waren Alt und Jung bezaubert; wie ein alter Freund saß der Gast im Familienkreise, und indem er von Pompeji und dem sorrentinischen Gestade erzählte, fuhr seine Hand mit dem Bleistifte über ein Blatt, und in charakteristischen Strichen entstanden darauf Uferfelsen und Brandung und feingezogene ferne Berglinien ... Das Blatt und manche folgende von seiner Hand befinden sich in guter Verwahrung, an jenem Nachmittage unter der Rebenlaube des Weinheimer Landhauses knüpfte sich aber eine Freundschaft, die fest und warm drei Jahrzehnte überdauert hat und heute das Recht verleiht, dem Gedächtnisse des Geschiedenen ein Blatt der Erinnerung zu weihen.

Joseph Scheffel (denn so, und nicht Viktor, wie ihn norddeutsche Begeisterung später umtaufte, nannten ihn Eltern und Freunde) wurde 1826 in Karlsruhe geboren als Sohn eines Elternpaares, welches nach Schopenhauer als das prädestinirte zur Hervorbringung ausgezeichneter Söhne gilt: charakterfest, ehrenhaft der Vater, geistvoll und etwas phantastisch die Mutter. Der alte Major, Veteran aus den Freiheitskriegen, war eine kurz angebundene Soldatennatur, etwas schrullenhaft, aber fest in Grundsätzen und Meinungen, die Mutter eine hervorragend schöne und lebhafte Frau, Schriftstellerin, deren poetische Produkte der Sohn mit kindlicher Pietät verehrte. Sehr bedeutend waren sie nicht, aber die humoristische Ader schlug darin, welche Joseph Viktor in so viel stärkerem Grade von ihr geerbt hat. Ihren großen Tag erlebte die „Frau Majorin“, als Anfang der fünfziger Jahre ein neues Lustspiel von ihr im Karlsruher Hoftheater aufgeführt wurde und die höchsten Herrschaften, sowie Alles, was zur Gesellschaft zählte, den lebhaftesten Beifall klatschten.

Die heitere und weltgewandte Frau nahm in den geselligen Kreisen der Resideuz eine hervorragende Stellung ein. Ein günstiges Geschick ersparte ihr zeitlebens die Last des Haushalts, indem so lange, bis die einzige Tochter Marie erwachsen war, eine sorgsame Großmama in Küche und Keller schaltete. So blieb ihr Muße genug, die schönen Seiten des Daseins zu pflegen, und das behaglich zugerichtete Scheffel’sche Haus in der Stefanienstraße zahlte zu den Mittelpunkten der Residenz. Aber der junge Joseph war kein häufiger Theilnehmer der Abendgesellschaften im mütterlichen Salon. Vereinigungen alltäglich schwatzender Menschen blieben ihm zeitlebens ein Gräuel, und so rettete er sich schon damals hinauf in seine Dachstube, deren Fenster in die grünen Wipfel hinaussahen, „wo die Hardtwaldamseln den Frühling ansangen“, und verbrachte dort hinter seinen Büchern oder mit einem guten Freunde die Stunden voll Jugendpoesie und unklaren Zukunftsahnungen, die so selig in der Erinnerung der Altgewordenen stehen.

Die Oberklasse des damaligen Karlsruher Gymnasiums zählte außer einer Anzahl tüchtiger Lehrer eine Reihe ausgezeichneter Köpfe als Schüler. Ein heute noch erhaltenes „Philologen-Album“, von den Letzteren den Ersteren gewidmet, zeigt in Wort und Bild eine erschreckliche Respektlosigkeit gegen die theuersten Errungenschaften philologischen Scharfsinns, aber zu gleicher Zeit die wahrhaft geniale Drastik und den sprühenden Geist der muthwilligen Autoren. Auch etliche Romantik wurde getrieben an den Kneipabenden, welche das letzte Jahr in Prima verschönerten. Man hielt des Königs Artus Tafelrunde ab, mit so viel ritterlichem Kostüm, als eben aufzutreiben war. Scheffel, mit 18 Jahren noch ein so mädchenhaft hübscher Junge, daß er eine reizende Königin Ginevra abgab, saß mit Schleier und goldenem Stirnreif zwischen dem König und Herrn Lanzelot vom See, Ein verspätet Hereintretender begann bei diesem Anblicke einen alten Vers zu citiren, der mehr deutlich als zartfühlend das Verhältniß des Paares charakterisirte. Worauf die Königin mit einem lauten Schrei ohnmächtig umfiel und Herr Lanzelot dem unhöflichen Gaste an die Gurgel fuhr und nur durch die energische Intervention seiner Mannen abgehalten wurde, ihn auf dem Fleck zu erdrosseln.

Manche jener lustigen Jugendgenossen liegen schon lange unter der Erde, wie Julius Braun und Graf Reichenbach, andere stehen unter den leitenden Männern in Baden wie Ellstätter und Stößer, auch der wanderlustige Ludwig Eichrodt bekleidet sein Staatsamt, während manchen Anderen, wie Karl Blind, das Jahr 1848 aus dem Lande trieb.

Vor allen diesen zeichnete sich Scheffel in der Schule weit aus durch den musterhaften lateinischen Stil, der ihm wie eine Naturgabe eigenthümlich war und den er auch zeitlebens in Vers und Prosa mit Vorliebe pflegte. Im Uebrigen wuchsen er und seine Freunde unter der lebendigen Einwirkung der Alten zu selbständigen Geistern auf. Was Joseph einem von ihnen schalkhaft zum zwanzigsten Geburtstage dichtete, gilt ebenso wohl für ihn selbst:

„Aber es hatte die Muse schon früh seinen Scheitel berühret,
0Und von Buttmann und Krebs flüchtet’ er an ihre Brust.
‚Keck‘ drum nannt ihn Herr Süpfle, der zeusgeliebte Professor;
0Vierordt, der Hofrath, auch schüttelt’ bedenklich das Haupt.
Doch es erlosch nicht der göttliche Funke im Lärm der Philister,
0Brannte und glühete fort, Flammen ersprühend und Licht.
Endlich konnte ihn die Hydra Lyceum nicht länger umstricken,
0Frei, mit geflügeltem Schritt zog er gen Heidelberg hin.“

Denselben Weg nahm nun Joseph selbst, und in der einzig schönen Stadt am Neckar, wo das Leben so heiter fließt und auf Schritt und Tritt historische Erinnerungen zur Seele sprechen, wo in den zauberischen Sommernächten der fröhliche Lärm aus den Gartenschenken den Neckar entlang hallt, während über Schloß und Kaiserstuhl der Vollmond steht und in seinem glitzernden Schein die Wellen drunten leise rauschen – aus dieser Fülle des freudigsten Lebensgenusses sog des jungen Studiosen Herz die tiefe Liebe zu „Altheidelberg der feinen, der Stadt an Ehren reich“. Immer wieder kehrte er dahin zurück, so viel ihn auch die Fahrt in der Welt herum tragen mochte, und es ist eine wehmüthig-rührende Fügung, daß er sie auch zu seiner letzten schweren Erkrankung wieder aufsuchen mußte, nachdem ihm vorab in den fröhlichen Studententagen so viel Glück und Heiterkeit dort gelächelt hatte.

Die Genossen jener Tage wissen von manchem gelungenen Streich des Uebermuths zu erzählen, von nächtlichem Anläuten z. B. an der Thür einer zanksüchtigen Hauswirthin, der man dann, als sie schimpfend unter der Thür erschien, mit der heuchlerischen Frage, ob nicht hier der gewisse Herr Maier wohne, an den man Etwas abzugeben habe, einen großen Balken vom nächsten Bau in den Hausflur stieß und zwar so glücklich durch die vordere und die hintere Thür zugleich, daß beide diese Nacht nicht mehr geschlossen werden konnten und der erbosten Wittwe Nichts übrig blieb, als ihr offenes Haus bis zum Tageslicht zu bewachen.

Oder ein anderes Mal, wo nach nächtlichem Randaliren und Fenstereinwerfen am andern Morgen ehrbar und geschäftsmäßig im schwarzen Rock mit der blauen Aktenmappe unterm Arme Scheffel und ein nunmehriger badischer Würdenträger bei den Beschädigten erschienen, um „das Protokoll aufzunehmen“, unter großem innerlichen Ergötzen über die reichlich strömenden Klagen und Verwünschungen. Als dann eine Stunde später die wirkliche Polizei erschien, mußte sie sich sagen lassen, die „Herren“ seien schon dagewesen, und hatte noch einen Zorn mehr zu verwinden.

Neben solchen Allotria gingen doch auch ernsthafte Studien her, nicht nur das der Jurisprudenz, die Scheffel als Fach erwählt hatte, sondern Geschichte und Alterthumswissenschaft, vorab in Beziehung auf Land und Leute seiner Umgebung. Scheffel ist, wie Hebel, nur im Zusammenhalt mit seiner engeren Heimath ganz zu verstehen, es war in ihm bei aller Weite des Horizonts ein speciell badischer Zug, der Jedem sofort auffallen mußte, ein inniger Zusammenhang mit Sitte und Anschauung des Volks. Unter den stammverwandten Schweizern, Bayern und Schwaben hielt er sich oft und gerne auf – ein dauernder Wohnsitz in Norddeutschland würde ihm wohl unmöglich gewesen sein. Er empfing von dem alten Berlin unerfreuliche Eindrücke, als er nach [316] der Heidelberger Zeit dort hinkam – sein süddeutsches Wesen bedurfte der Heimatherde, um sich zu entfalten.

Freilich ging das bei seiner starken Eigenart, die manchmal mit der des alten Herrn heftig zusammenprallte, nicht ohne vielfache Kämpfe ab, trotz der guten Verhältnisse des Elternhauses. Des Vaters Ideal war, seinen Joseph dereinst als badischen Kreisgerichtsrath zu sehen, der Sohn hatte auch im Princip Nichts dagegen einzuwenden und machte sein Staatsexamen mit allen Ehren. Aber die darauf folgende Schreiberei in der Gerichtsstube sah den jungen Praktikanten immer unerfreulicher an, und er fühlte bald nur das Eine klar: daß er sein Leben nicht so zubringen könne. Alles Uebrige schien bedenklich zweifelhaft. Die Poesie als Lebensberuf zu wählen, wäre ihm nicht von ferne eingefallen. Die paar lustigen Kneiplieder, die er bis dahin geschrieben, schienen weder ihm noch den Freunden etwas Besonderes, eher dachte er noch daran, sein entschiedenes Talent für Landschaftsmalerei auszubilden, allein auch das schien unsicher. Als Karlsruher Haussohn war ihm ein gutes Stück bürgerlicher Korrektheit anerzogen, er gab also immer wieder den väterlichen Vorstellungen nach, und so vergingen unerquickliche Jahre zwischen 1847 bis 1851 mit juristischer Praxis und plötzlich verzweifeltem Desertiren daraus, zum großen Kummer des Alten, dem es durchaus nicht in den Kopf wollte, daß aus seinem Joseph „nichts Ordentliches“ werden sollte.

Joseph Viktor von Scheffel.
Nach einer Photographie von Schulz und Suck, Hofphotographen in Karlsruhe.

Seine damalige Stimmung schildern am besten die folgenden Auszüge aus einem Brief, den er am 18. December 1851 an den damals aus dem Orient heimkehrenden Julius Braun richtete, als Antwort auf ein langes Schreiben, das die Aufforderung enthielt, rasch zum gemeinsamen Aufenthalt nach Rom zu kommen.

„... Während wir in Altdeutschland herum sitzen und uns immer noch die Augen reiben, als hätten wir einen bösen Traum geträumt, hast Du Dir auf klassischem Boden die Sohlen abgelaufen, manchen scharfen Ritt durch die Wüste und die ausgebrannten Steinberge Kleinasiens gemacht und vom Steuer Deines Schiffes hinaus ins blaue Meer des griechischen Archipels geschaut, und nun ruhst Du im alten Rom und rekapitulirst hinter dem Vater Herodot, der vor grauen Jahren desselbigen Wegs gefahren, Deine Reisebilder.

Lieber Langer, wem das zu Theil geworden der darf wieder manchen schlechten Tabak in Deutschland rauchen, er hat immer noch ’was Erkleckliches voraus ... Ich hab im rauhen Schwarzwald oben in Säkkingen und auch zu Herrischried, wo ich im Ochsen und sonst mir manchen guten Freund erworben, gar oft meine Gedanken zu Dir fliegen lassen, und die schmutzigen Wände meiner Amtskanzlei kamen mir immer grün vor, und meine Hauensteiner wurden vom ‚jungen Ambtmâ‘ immer viel glimpflicher behandelt, wenn ich ein Wanderblatt aus italien oder aus dem Orient zu Gesicht bekommen hatte ...

... Langer! Dein gestriger Brief hat mir ins Herz geschnitten. Hättest Du vier Wochen früher geschrieben, so wäre jetzt mein Bündel geschnürt, und ich käme zu Dir über die Alpen, bräche in Rom bei Dir ein und sagte: Mensch, hauche mich an mit Deinem Odem, auf daß ich des Tintenschreibens erlöst werde. Am Neujahr wollt’ ich fort, da kam der Louis Napoleon mit seinem Staatsstreich, und wiewohl mich’s herzlich gefreut hat, daß der kleine Thiers auch einmal mit jenem keltischen Gesang: ‚Ha’ – ham’ – hammer Dich emol etc.‘ abgefaßt und nach Ham in Schatten gesetzt wurde, so schien mir die Landstraße doch zu kritisch, um jetzt darauf zu wandern. Von Dir hatt’ ich auch keine Nachricht, dachte, Du führst von Konstantinopel donanaufwärts heim.

Um ein paar Monate nützlich zu arbeiten, laß ich mich von Bruchsal ans Hofgericht verschreiben, und wie ich kaum ein paar Tage hier sitze, kommt Dein Brief. ‚Rathe, wo sind wir jetzt?‘[1] habe ich mich gefragt, den Brief in der Hand und die Gluth des Orients im Sinn. Auf meinem Sekretariat, wo die Gipfel des Zuchthauses zum Fenster hereinwinken und der alte Sekretär Sch ..., der bereits 50 Jahre im Amt ist und nur noch im Kanzleistil denkt und ein Gesicht hat wie ein Schellfisch und vor lauter Dekreten und Urtheilen die Liebe vergessen hat, so daß er sie jetzt – zu spät – nur seinem Hund Pfefferle zuwenden kann – und um mich herum seinen Tabak schnupft – da sind wir jetzt! Daß ich’s nicht lange aushalten werde, begreifst Du. Leer, unbefriedigt fahre ich schon lange in der Welt herum. In Karlsruhe bin ich oft stundenlang vor den Gipsabgüssen gestanden, am Donnerstag hab ich der Frau Venus von Melos meinen Besuch gemacht, am Samstag der kleinen Büste der Sappho oder der schleierduftigen Berliner Muse – ich muß mich an der plastischen Schönheit antiker Welt und südlicher Natur erlaben, sonst verbeißt sich alle Sehnsucht nach innen und ich bin im Stande und schreib meinen Hofgerichtsräthen einmal wahnsinnige Entscheidungsgründe zu einem weisen Urtheil. Schreib mir deßhalb, ob Du den Sommer noch in Rom bleibst. ... Ich wollte oft, ich hätte nie ein corpus juris gesehen und wäre in München Maler geworden. ...

Deutschland ist gegenwärtig ein Janusbild mit dem einen Kopf, der nach rückwärts schaut, der vordere hat den Schnupfen gehabt und ist vor allzustarkem Niesen abgefallen. ... Die Professoren katzbalgen sich, wie früher, die deutsche Bewegung fluktuirt jetzt im Kleinlichen, die theologische Fakultat ist wieder lebendig geworden, denn die Jesuiten waren im Lande und haben dem Herrn Allerhand gesagt, was sie bereits der Archäologie für verfallen hielten – und jetzt streiten sie wieder über die Unterscheidungslehren und es wimmelt mit Flugschriften wie vor dreihundert Jahren. Was sagst Du dazu?“

[340]

Scheffel’s Wohnhaus auf der Mettnau bei Radolfzell
Originalzeichnung von R. Püttner.

Im Jahr 1852 endlich waren die väterlichen Bedenken gegen das zweckwidrige In-die-Welt-hinauslaufen beseitigt, und dem nach Kunst und Schönheit Schmachtenden öffneten sich Italiens Herrlichkeiten. Rom und Neapel durchwanderte Scheffel und streifte darauf mit dem schon früher in Berlin gewonnenen jüngeren Freund Paul Heyse am Strand von Sorrent und Capri umher. Eine schöne Epistel in des Letzteren „Neuen Gedichten“ erwähnt auch voll Sehnsucht jener Zeiten:

„Lieber alter Freund, gedenkst du
Unsrer Sorrentiner Tage,
Da wir in der Rosa magra,
Jener billigen, bescheidnen
Künstlerherberg’ alten Stiles,
Treulich hausten Thür an Thür?

Du, von Capri erst gelandet,
Da wir kaum in rothem Landwein
Uns den Willkomm zugetrunken,
Gabst des Säkkinger Trompeters
Erst Kapitel mir zum Besten,
Frisch gedichtet in Paganos
Palmenschatten; ich dagegen
Ließ dich sehn die Arrabiata
Kaum noch von der Tinte trocken ...“

Unter italischer Sonne war dem Meister Josephus plötzlich sein Poetenberuf aufgegangen, und die Erinnerungen der oberrheinischen Amtsstadt zusammen mit dort gemachten historischen Studien klangen nun in den Versen aus, die frisch und kräftig, voll herzerfreuender Heiterkeit, wenn auch nicht allzu formvollendet in die bisherige Amaranthschwärmerei hinein fielen und den Namen des jungen Autors in kurzer Zeit durch ganz Süddeutschland trugen.

Zwei Jahre später saß derselbe wieder mit einem Freunde, dem allzu früh geschiedenen Maler Anselm Feuerbach, in italischer Landschaft, diesmal im Kastell Toblino am gleichnamigen See. Seine dortigen Erlebnisse hat Scheffel 1856 im „Frankfurter Museum“ (herausgegeben von Creizenach) äußerst anmuthig und humoristisch erzählt.

Es ist charakteristisch für seine Eigenart, daß ihm der längere Aufenthalt in Italien bei aller Liebe zur südlichen Landschaft, die er später sich so oft zeichnend vor die Seele zurückrief (vergl. Illustration S. 341), keine dichterische Verklärung italischer Menschen gezeitigt hat. Er sah sie, ungerührt von der malerischen Außenseite, mit demselben kritischen Auge an, womit etwa ein Gefolgsmann des Rothbarts die welschen National-Eigenthümlichkeiten mochte betrachtet haben, und der Ausspruch des Alten in der Heidenhöhle (Ekkehard): „Aber nach Welschland muß gerannt werden, als säß in den Bergen hinter Rom der große Magnetstein. Ich hab’ oft darüber nach- gedacht, was uns in die falsche Bahn gewiesen – wenn’s nicht der Teufel ist, kann’s nur der gute Wein sein!“ – er entstammte einem althistorischen Span in der Seele seines Autors. Denn für dessen Augen waren die vergangenen Jahrhunderte nicht todt, er stand wie ein Mitlebender in ihren Ereignissen, die er aufs Genaueste kannte, ihm füllten sich die verlassenen Stätten mit lebendigen Figuren, die ihre charakteristische Sprache redeten. Seine Phantasie hatte gleich der Walter Scott’s einen starken Zug zur realistischen Darstellung, und seinem bilderreichen Humor war die derbe Sprache der Vorfahren das willkommenste Ausdrucksmittel. Auch war er der Erste, welcher mitten in die gangbaren süßlichen Verhimmelungen der „Ritterzeit“ hinein der auri sacra fames als Triebfeder der schönsten romantischen Begebenheiten zu ihrem Rechte verhalf.

Eill sehr glücklicher Griff war es, als er, von Italien heimgekehrt, die sanktgallischen Klostergeschichten zur Hand nahm, die der Mönch Rutpert begonnen und der jüngere Ekkehard bis ans Ende des 10. Jahrhunderts fortgeführt hat. Der heutige Leser sieht mit Ueberraschung, wie viele Details aus dem „Ekkehard“ in dieser von Scheffel selbst einer werthvollen Perlenschnur verglichenen Chronik bereits wörtlich stehen, aber er staunt nur um so mehr darüber, was der Dichter zu diesem kleinen Kreise der Klostergeschichten neu geschaffen hat. Es wäre überflüssig, noch ein Wort zum Preise des großen Kunstwerkes „Ekkehard“ hinzuzufügen, das so rasch eines der werthvollsten Besitzthümer unserer Nation geworden ist.

Vater Scheffel söhnte sich auch erst nach dem Erscheinen dieses Buches und seinem stets wachsenden Erfolge mit dem Gedanken aus, daß sein Joseph wirklich für den badischen Staatsdienst verloren sei, und legte Nichts in den Weg, als jener nun den Plan faßte, nach München überzusiedeln in den Kreis hervorragender Menschen, den König Max dort um sich versammelt hatte. Marie, seine Schwester, sollte ihn dahin begleiten. Sie hatte kurz vorher eine übereilt geschlossene Verlobung unmittelbar vor der Hochzeit gelöst und vertauschte gern die engeren Karlsruher Verhältnisse mit der freieren Atmosphäre von München. Alles schien sich dort vortrefflich anzulassen: der feine und interessante junge Poet, die schöne, sehr geistvolle Schwester fanden die zuvorkommendste Aufnahme bei Einheimischen und „Berufenen“. Scheffel wurde sofort zur Mitarbeiterschaft an der unter des Königs Protektorat erscheinenden „Bavaria“ geworben, die Pforten eines reichen Lebens thaten sich mit einer Fülle neuer Beziehungen auf. Aber es waren nur wenige Monate, welche die Geschwister in so reizenden Verhältnissen leben durften: im Februar 1857 raffte der damals in München so heimtückisch umgehende Typhus das schone, lebensfrohe Mädchen in wenig Tagen hin, und Scheffel brach in tiefem Schmerze um sie alle Verbindungen ab und kehrte nach Karlsruhe ins einsame Haus, zu den trostlosen Eltern zurück.

Diese Wendung war, abgesehen von dem persönlichen Verluste, für ihn ein großes Unglück, denn in dem heiteren Münchener Leben, im Verkehre mit so ebenbürtigen Geistern hätte er doch nicht seinen Hang zur Einsamkeit dermaßen ausbilden können, wie er es nun in der Heimath that, wo er die Menschen geradezu vermied. Und ein weiteres Unglück war es für sein litterarisches Schaffen. Zwei große Romane, deren einen er früher am Tobliner See, den andern jetzt in München geplant und begonnen hatte, sind in jener dumpfen und trauervollen Zeit zurückgelegt und später nie mehr aufgenommen worden. „Tizian’s Ende“ hieß der eine, und was sein Mittelpunkt sein sollte, das sagt Scheffel selbst in jenen Unglückstagen:

„Ist es nicht ein Verhängniß, daß ich in München eine Arbeit begann, drin ich allen Glanz einer edlen, jugendschönen, der Kunst zugewandten Weiblichkeit in Gestalt von Tizian’s Schülerin Irene schildern wollte und zu Marien sagte: ,Wenn was Gutes hinein kommt, ist’s von Dir, aber sie muß frühe sterben, die Gestalt meiner Dichtung!‘ Jetzt kommt der Tod und reißt mir mein bestes Leben von der Seite, und ob ich je wieder eine Feder anrühren kann, weiß ich nicht!“

Das Andere sollte ein Wartburgroman werden, ein Werk in großem Stile, dessen Bestandtheile der Hof des Thüringer [341] Landgrafen, Minnesang und Kreuzzugsabenteuer abgegeben hätten, dazu noch Donaulandschaft und der geheimnißvolle Autor des Nibelungenliedes, der bekanntlich seine Phantasie stark beschäftigte. Ein Stück dieses Romans, die Erzählung des Ritterknaben Juniperus vor Akkon, ist vollendet und der Welt übergeben, das Andere wird wohl auf immer für sie verloren sein, trotz der zu Zeiten in der Presse umgehenden Gerüchte von ungedruckten, aber vollendeten Manuskripten Scheffel’s. Freunde, welchen er den Plan des Romans mittheilte, erwarteten Großes davon, besonders ergötzlich gedacht war ein fahrendes Minnesinger-Trifolium: Höllenbrand, Schandolf und Lasterbalk, welches die minder respektabeln Seiten des Standes repräsentirte, der um den Landgrafen Hermann so glänzend durch Wolfram und seine Genossen vertreten war.

Sicher entstammt auch jenem Romanentwurf und dem Bedürfniß nach Proben höfischer Poesie, bez. noch ungedruckten Liedern der bekannten Größen, ein Theil der Aventiurelieder, die dann später vermehrt und als selbständiges Ganzes herausgegeben wurden. Als ich vor etwa 10 Jahren einmal bei Scheffel auf Fortsetzung jener alten Arbeiten drängte und ihn bat, mir mindestens einmal das vorhandene Manuskript zur Durchsicht zu geben, antwortete er, dasselbe sei so verworren und unleserlich, daß außer ihm sich Niemand darin zurechtfinden könne. Auch sei es ihm unmöglich, jetzt wieder in den alten Ton hineinzukommen.

Faksimile einer Handzeichnung von Joseph Viktor von Scheffel: Visp, Eingang in die Thäler von Monte Rosa.

Der Tod einer noch so geliebten Schwester ist für einen Menschen von lebhaftem Produktionsdrange keine dauernde Abhaltung vom Schaffen. Wenn also Scheffel in den nächsten Jahren stille saß und nichts von sich hören ließ, so ist der Grund davon neben ernsthaften Nervenstörungen, die ihn damals zuerst heimsuchten, vor allen Dingen der, daß er jenen starken Produktionsdrang nicht besaß. Er bedurfte allezeit günstiger Umstände und einer gewissen Lockung zum Schaffen. Vielschreiberei war ihm ein Gräuel, und er empfand es als großes Glück, daß er in der Lage war, auf die gute Stimmung warten zu können. Vielleicht wäre es ihm freilich besser gewesen, manchmal eine äußere Nöthigung zu haben. Müßig ging er aber darum doch nicht. Die Lust des Studiums war groß in ihm, er empfand im höchsten Grade die Wonne, welche das Versenken in geschichtliche Dinge gewährt, und indem er immer mehr den Quellen selbst in Archiven und Klöstern nachging, erwarb er sich die gründliche Gelehrsamkeit, welche ihn jeden Augenblick zur Uebernahme einer germanistischen Professur befähigt hätte. Was er aber noch bei seinen vielfachen Wanderungen durch Deutschland, die Alpen und Südfrankreich gewann, das war die genaue Kenntniß von Land und Volk, mit dem er gern in der menschlich-einfachsten Weise verkehrte, und nebenbei eine Fülle persönlicher Erlebnisse unter den seltsamsten Umständen, die er später, im Freundeskreise sitzend, mit unvergleichlichem Humor zum Besten gab.

Allerhand Aussichten eröffneten und zerschlugen sich in den nächsten Jahren, das Letztere hauptsächlich deßhalb, weil Scheffel immer abgeneigter wurde, sich dauernd irgendwo zu binden. Der fürstliche Herr der Wartburg bot ihm eine Stellung dort, er hielt sich auch vorübergehend bei ihm auf, ging aber dann doch wieder. Die Eltern sahen seinen Lebensweg mit gemischten Empfindungen: die Dreißig waren überschritten und von Seßhaftigkeit am eigenen Herde keine Rede. Als eine glückliche Fügung begrüßte es darum der alte Herr, als nun der Fürst von Fürstenberg den Dichter einlud, nach Donau-Eschingen zu kommen, um das dortige Archiv zu ordnen, und Scheffel den Antrag annahm.

Wie es ihm dort gefiel, zeigen die folgenden Zeilen, freilich in scherzhafter Uebertreibung, wie es der Ton der Korrespondenz zwischen ihm und dem Weinheimer Hause so mit sich brachte. Er hatte in diesem Hause beim Abschiedsbesuche die ihm seltsamer Weise noch unbekannten Makamen des Hariri gefunden und mit Entzücken gelesen. Allerhand Unsinn in Makamenform wurde darauf hin mündlich und schriftlich zwischen ihm und der lustigen Jugend betrieben, und ein paar Wochen nach seinem Scheiden kam von Donau-Eschingen die folgende schöne Makame:

„Jussuf Scheff-El spricht:

[342] Viel Stunden sind um und viel auch bereits sind um Tage – seit mit alten Scharteken ich mich herum schlage – zwar ist darunter die Urschrift der Nibelungensage – die vor Mottenfraß ich geschützt in juchtenledernem Umschlage – doch steht zu fürchten, daß ich mich lahm und krumm plage – daß der Schaben und Motten Schwarm an mir selber ringsum nage – wenn stets bei der Arbeit geharrend ich nur meinen Büchern stumm klage – daß Niemand, Niemand, Niemand mit mir des alten Kanzleidieners Gebrumm trage – und Vieles, was ich zu lesen verdammt, in die Welt so entsetzlich dumm rage. – Drum scheint mir, daß heut, wo ich wiederum auf meiner Bücherei sitze – daß von Rechtswegen vernünftiger und mir zu Besserem sei nütze – wenn in den Ernst auch ein klein wenig schalkhaftige Narrethei blitze – und ich gegen 18 Grad Winterfrost mich durch einige Reimschreiberei schütze.

Wie herrlich ist’s doch im Allgemeinen, zu versäumen seine Kanzleistund – Gedenkend der Zeit, wo die ganze Welt, wo Thun und Lassen noch freistund – wo man mit der ganzen Jugendkraft mit fröhlichem Körper und Geist und – muthigem Ringen als wie ein Soldat zur Fahne der Poesei stund!

Anstellend diese verpönte, jedoch so edle und wahre Betrachtung – steig ich an diesem Vormittag in meiner eigenen Achtung – daß ich jedwede Bureau-Arbeit abweisend mit Verachtung – das Dampfschifflein der Gedanken heut befrachtend mit bess’rer Befrachtung – fortsteure aus der Region zeitweiser Sinnesumnachtung.

Fortsteure? Wohin? ich glaub’ in die Pfalz, in die fröhliche Pfalz nach Weinheim – denn dorthin denk’ ich zuweilen auch mit Sehnsucht und leisem Gegrein heim – als wär’ ein Stück meiner Seele mir mit unsichtbarlichem Scheinleim – dort festgeleimt und fände nicht an anderm Ort zum Gedeihn Keim. – Mir ist, es wäre Donnerstag, ich bäte, daß man mir einräum – ein Album, drin ich zeichnend mich so gern einspinn’ und einträum’ – zu schlürfen noch einmal italischen Lands und italischer Kunstphantasei’n Seim – oder zu ersinnen einen zierlich klingenden Feinreim.“ – – –

Hier folgt ein Passus, welcher zu viel private Anspielungen enthält, um allgemein interessant zu sein, und zum Schluß heißt es:

„’s schlägt zwölf Uhr schon. Die Kanzleistund’ ist mit Glück verträumt, die infame – so wünsch’ ich diesem Knittelgereim eine freundliche Aufnahme – und wünsch’ Euch Allen am Schlusse des Jahres in feierlichem Proklame – Viel Glück, und daß der Kaffee sei nie ohne Zucker und Rahme – O Juletante[2], du federgewandte, abu-seid-verständige[3] Dame – daß nicht ich verfall’ an der Donau Quell dem herzverzehrenden Grame – oder gar dem stillen Trunk mich ergeb’ und an der Seele erlahme – gedenke mein und schreibe mir bald eine lange, lange Makame – sie wird mir sein wie ein gülden Gefäß, gefüllt mit edlem Balsame!“

Der Wunsch wurde umgehend erfüllt, und zum Danke flogen rasch nach einander ein paar ähnlich reizende Episteln ins Haus. Dann vergingen mehrere Monate, und die Freunde in der Pfalz hörten nichts vom Meister Josephus. Also schickte man eines Tages an das fürstliche Archiv in Donau-Eschingen einen amtlich stilisirten Fragebogen um Auskunft über einen verloren gegangenen Poeten, und mit Postwendung kam auf einem Stempelbogen der fürstlichen Bibliothek folgende „amtliche Auskunft auf die werthgeschätzte Anfrage“ zurück:

Ad Frage 1: Lebt der Mann noch?

Antwort: Ja, aber schwach.

Ad Frage 2: Kann er schreibend

Antwort: Ja, aber ebenfalls schwach.

Ad Frage 3: Wie geht’s ihm?

Antwort: Wie dem Ovidius, da man ihn an den Pontus ins Exil gesetzt. Trinkt viel Bier. Macht große Fußwanderungen ins Wutachthal, Gauchachthal, Brigachthal. Entdeckt keltische Steinwälle auf abgelegenen Bergkuppen. Hat Händel mit Revisoren und Rechnungsräthen. Ist Pompier bei der Stadtfeuerwehr und durch Diplom vom 1. März Ehrenmitglied des wieder aufgelebten pegnesischen Schäferordens in Nürnberg.

Ad Frage 4: Plagt er sich mit eines neuen Buches Gestaltung?

Antwort: Leider, ja.

Ad Frage 5: Kommt’s bald heraus?

Antwort: Leider, nein.

Ad Frage 6: Oder ist er verliebt?

Antwort: Hier muß zuerst ad formalia dieser Frage bemerkt werden, daß selbe in keinem Gegensatz zu Frage 4 und 5 steht, indem man mit Bücherschreiben sich plagen und recht wohl daneben verliebt sein könnte. Quoad materialia aber die beruhigende Auskunft, daß von angedeutetem Zustande bei diesseitiger Stelle nichts wahrzunehmen.“

Es folgen noch einige weitere Absätze und dann, für den Fall einer beabsichtigten Uebersiedelung der Freunde nach Heidelberg, der Schlußpassus:

„Wenn dieselben die Güte hätten, dem Fürstl. Archiv Nachricht zu geben, wo dorten die neue Wohnung aufgerichtet wird, so möchte dasselbe, so es wieder einmal mobil wird, seine Aufwartung dort zu machen unterlassen zu haben bereuen zu müssen kaum in die Lage kommen.

Möge eine wohllöbl. Fragestellungs-Kommission aus der baldigen und eingehenden Beantwortung der geehrten Zuschrift vom 26. hujus die Ueberzeugung gewinnen, wie sehr dem dienstergebenst Unterfertigten das Bestreben angelegen ist, auch in dem laufenden Etatsjahr durch gewissenhafte Besorgung dienstlicher Angelegenheiten keiner verderblichen Oberflächlichkeit sich schuldig zu machen. (S. auch 2. württemb. Etats.-Instruktion vom 17. April 1819. F. Müller. Handbuch des Kasseb- und Rechnungswesens, Nördlingen 1846.“

Besser, als tausend Erklärungen es vermöchten, zeichnen die mitgetheilten Stellen Scheffel’s Art, den schalkhaften Humor, der seine Glanzlichter über die alltäglichsten Dinge warf, die Besonderheit seines Wesens, die Allem, was er sagte und schrieb, ein unverkennbares Gepräge aufdrückte.

Lange hielt er es indessen in der kleinen Residenz am Donauquell nicht aus. Als die Bibliothek neu geordnet war, nahm er Abschied von der mehr geologisch interessanten als landschaftlich reizenden Gegend und begann sein Wanderleben von Neuem, mit gelegentlichen längeren Aufenthalten in Karlsruhe. Auch in Heidelberg ward Scheffel damals oft gesehen. Selbstverständlich war er, wie jeder, der sich von der großen Menge sehr stark unterscheidet, ein innerlich einsamer Mensch, und weil er das war und sich in seinen vielen Eigenthümlichkeiten auch von den Ausgezeichneten selten wirklich verstanden sah, kam es ihm gar nicht darauf an, einen lustigen Kneipabend lang mit Solchen zusammenzusitzen, an denen außer ihrer Fähigkeit zum Weinvertilgen nichts Ausgezeichnetes zu finden war. Der „Engere“ zu Heidelberg enthielt neben geistvollen Männern auch eine hinlängliche Anzahl der Erstgenannten, und so standen seine Unterhaltungen durchaus nicht immer auf der Hohe der

„Neun antiken Tanten,
Die man im Mythus mit Apollo nennt.“

Aber eine Menge von Heiterkeit wurde doch darin entwickelt, wenn Häußer die Maibowle braute und stets neue Geschichten erzählt wurden, die freilich stets in Gefahr schwebten, von dem entsetzlichen Hohngebrüll „Meidinger“ begrüßt zu werden, denn in diesem Punkte wenigstens war man im „Engeren“ sehr rigoros. Scheffel blieb der Gesellschaft stets eng verbunden, ob er persönlich anwesend war, ob er von ferne einen der langen Reiseberichte sandte, die heute eine werthvolle Kollektion ausmachen müssen und hoffentlich der Oeffentlichkeit künftig nicht vorenthalten werden, obgleich weder Häußer noch der Pfarrer Schmetzer mehr leben, um sie herauszugeben.

Der Letztere, ein Original und nebenbei ein Pfarrherr, wie er heut zu Tage kaum mehr möglich sein würde, im „Gaudeamus“ als Kaplan des wilden Heeres gefeiert oder als „Tegulinum’s (Ziegelhausen’s) Augur, der sternenkundig vorsingt in dem Rundgesang“, war ein tüchtiger Astronom und furchtloser Zecher, der aufrechten Hauptes unter dem mitternächtigen Himmel in sein Dorf zurückwanderte, wenn die Andern Mühe hatten, ihre Stadtwohnung aufzufinden. Indessen war, was für ihre robusten Naturen ganz unschädlich sein konnte, zuviel für Scheffels zartere Konstitution, und jenen heiteren Festen im „Engeren“ folgte 1861 eine schwere Nervenerkrankung. Scheffel brachte den Sommer in der Wasserheilanstalt Brestenberg am Hallwyler See zu, und von jener Zeit an datirt eine Veränderung in seinem Aussehen und ganzen Habitus, die mir schmerzlich auffiel, als ich ihn nach jahrelanger Trennung im Jahre 1863 in Pienzenau bei Miesbach wiedersah, wohin er sich, um völlig ungestört zu arbeiten, in Ernst Förster’s hübsches Landhaus zurückgezogen hatte. Die früher elegante und schmächtige Figur war stark geworden, über die angegriffen aussehenden Augen lief oft ein nervöses Zucken, aber der alte gute [343] Humor war noch vorhanden, und wir verlebten mit ihm zusammen einen goldenen Septembertag auf der schönen Aussichtswarte des „Taubenberg“, der mir unvergeßlich sein wird.

Das Alleinseinkönnen ist bekanntlich eine scharfe Probe auf den inneren Reichthum einer Menschenseele. Scheffel hielt diese Probe glänzend aus, er saß dort in dem einsamen Waldhaus Monate lang ohne Sehnsucht nach dem Umgang mit Stadtmenschen, versenkt in seine Bücher, vollkommen zufrieden und vergnügt. Mit den umgebenden Bauern stand er vortrefflich, sprach ohne Herablassung mit ihnen und war stets bemüht, ihre Anschauungen und Gewohnheiten sorgfältig zu schonen. Dann streifte er auch wieder Tage lang in die nähere und fernere Umgebung, in die altersgrauen Stifter von Weyarn, Polling und Andechs, ging den Spuren germanischer Götter in den uralten heiligen Figuren nach und traf bei solchen Fahrten auf allerhand unerwartete Funde.

Im Herbst darauf erschien „Frau Aventiure“, aus welcher er uns damals Proben vorgelesen. Die Welt wußte nicht recht, was aus diesem Buche machen, er empfand darüber eine Art von Enttäuschung und schrieb noch später, 1869, ein Jahr nach dem Erscheinen und riesenhaften Erfolg des „Gaudeamus“:

„Als Poet hab ich mit diesem Heidelberger ‚engern‘ Humor eine eigentlich wehmüthige Erfahrung gemacht: mein ernsthaft gemeintes und aus mühsamen historischen Forschungen herausgewachsenes Büchlein ‚Frau Aventiure‘ schleicht seit 1863 durch die Litteratur und bringt’s trotz aller Anerkennung Sachverständiger kaum nach sechs Jahren zu einer neuen Auflage. Die durstigen Studentenlieder aber, welche im Nov. v. J. erschienen, waren mit allgemeinem Halloh! schon im December vergriffen!“

Sie sind freilich verständlicher für die große Menge und in ihrer Art auch ein Unikum: Das Hohelied vom deutschen Durst und Humor. Daß der Letztere indessen nicht das selbstverständliche Erbe aller Deutschen ist, zeigt die kopfschüttelnde Bemerkung eines sehr gelehrten Professors, der da meinte, als ihm das Granit- und Asphalt-Lied zu Gesichte kam: das sei doch eine kuriose Manier, die Geologie zu popularisiren!

Trotz der im Anfang kühlen Aufnahme, welche „Frau Aventiure“ fand, giebt es doch heut zu Tage Viele, die sich gern in die tiefsinnige Schönheit ihrer Lieder versenken und ihren Duft einfangen, wie die Blume alten Rheinweins. Manches steht auch darin den alten Meistern zugeschrieben das des Dichters eigenes Herz in Schmerz und Freude bewegte, ebenso wie das Trompeterlied: „Das ist im Leben häßlich eingerichtet“ existirte, ehe der „Trompeter“ geschrieben war. Aber an dergleichen Dinge ist Angesichts des frischen Grabes nicht zu rühren, und es wäre auch kein Schaden, wenn sie dem Spürsinn künftiger Litteraturhistoriker auf immer verborgen blieben. Scheffel selber war mit Allem, was sich auf seine Herzens-Erfahrungen und -Enttäuschungen bezog, so streng zurückhaltend, daß nicht viel Kunde davon existiren wird.

Scheffel auf einer Fußreise am Hohentwiel.
Nach einer Zeichnung von Anton von Werner.

Die nun folgenden Jahre wohnte Scheffel dauernder in Karlsruhe und wurde umgänglicher gegen die Karlsruher, als er dies früher gewesen. Die Freundschaft mit dem jung aufstrebenden A. von Werner wurde ihm zur Lebensfreude, und Poet und Maler vereinigten sich zu gedeihlichem Schaffen. Die illustrirten Ausgaben von „Gaudeamus“, „Trompeter“, „Frau Aventiure“ entstanden rasch nach einander, und es steht zu hoffen, daß Werner, der schriftgewandte Künstler, seine Erinnerungen an jene Tage festgehalten haben wird. Aus späterer Zeit stammt die Zeichnung, welche wir in Holzschnittreproduktion wiedergeben. Sie ist gelegentlich eines Besuches Anton von Werners bei Scheffel im Jahre 1882 auf einem Ausfluge, den die beiden Freunde zusammen nach dem Hohentwiel machten, entstanden.

1865 endlich hatte er den Schritt gethan, den seine Mutter schon seit lange so sehnlich gewünscht, indem er sich mit Freiin Karoline von Malsen, einer geist- und anmuthvollen Dame, verheirathete. Allein beide Naturen stimmten so wenig zusammen, daß schon nach kurzem Bestand der Ehe eine Trennung eintrat, die bis acht Tage vor Scheffel’s Ende andauerte, wo die so lange von seinem Hause Ferngebliebene zurückkehrte, um ihm den letzten Trost einer vollen Versöhnung zu gewähren. Die Mutter erlebte diese Trennung nicht mehr, sie schied im Bewußtsein des Glückes ihrer Kinder und ließ dem tief gebeugten alten Mann allein die Sorge für den geistesschwachen Sohn Karl, den dritten der Geschwister, welcher den Vater noch um mehrere Jahre überleben sollte.

Das Kind seiner kurzen Ehe, den blonden Knaben Viktor, erzog Scheffel im elterlichen Hause und zog mit ihm im Sommer an den Bodensee, wo er sich auf der vorspringenden Landzunge der Mettnau bei Radolfszell ein stattliches Haus erbaute und unermüdlich war, diesen Besitz immer zu vergrößern und zu verschönern.

Die stumpfen Klippen des Hohentwiel und Hohenkrähen stehen über der Landschaft, und der Erstere ist neuerdings ein vielbegangener Berg geworden. Scheffel erzählte mir, als wir vor einigen Jahren mit einander hinaufstiegen, von der Verzweiflung des alten Wächters, der, nur eingeübt auf die Erzählung von der tapferen Vertheidigung des Kommandanten Widerhold im Dreißigjährigen Krieg und vom Fall der Veste im Jahr 1800, sich nun plötzlich von den zahlreich heraufkommenden Reisenden bestürmt sah um Auskunft über die Herzogin Hadwig, den Ekkehard und den Kämmerer Spazzo. Endlich aber erfuhr er auch, in welchem Buch das Alles geschrieben stehe, kaufte sich das Buch und legte sich als verständiger Custode die Lokalität zurecht. „Und sehen Sie, Herr Doktor, wenn sie mich jetzt fragen, wo die Hadwig gewohnt hat, dann zeig’ ich ihnen den Thurm dort, und wenn sie die Linde im Burghof sehen wollen, führ’ ich sie unter selbigen Quetschenbaum, da sind sie ganz zufrieden. Aber Ihnen vergeß’ ich’s nicht, daß Sie mir mit dem Buch eine solche Unmuß’ gemacht haben!“

Die Jahre zogen ihren Gang, und Scheffel’s Name wuchs zu einer Nationalcelebrität. Auflagen um Auflagen seiner Bücher wurden vergriffen, die Autographensucht schrieb tonnenweis unnütze Briefe an ihn, um Antwort zu erpressen, Reporter erschienen und „interviewten“ ihn, er schloß sich solchen Bestrebungen gegenüber immer hartnäckiger ab. Es kam der fünfzigste Geburtstag im Jahr 1876, wo Fürsten und Volk von Deutschland wetteiferten, sein Haupt mit reichen Ehren zu bedecken. Der Großherzog verlieh ihm den erblichen Adel, und Viktor von Scheffel, wie er mehr und mehr in Büchern und Zeitungen genannt wurde und, dem allgemeinen Druck nachgebend, sich schließlich selber nannte, er fügte das neuverliehene Wappen über das Portal seines Hauses der Mettnau ein, sprechend: „Man muß nur [344] gesund bleiben, so altert man von selbst ruhig in Ehren und Würden hinein.“

Ehren und Würden sind ihm in reichem Maße zu Theil geworden, Geld und Erfolg ebenfalls. Und doch glaube ich, seine glücklichsten Stunden werden nicht die gewesen sein, wo die Verlegerbriefe mit der Meldung neuer Auflagen oder die Kistchen mit Dekorationen kamen, sondern die, wo er einsam schweifend im Wasgau, in Tirol, in Franken die Stätten vergangenen Lebens aufsuchte, unter den Burgtrümmern den Hochwald rauschen hörte und die Gestalten tausendjähriger Vergangenheit herauf beschwor. Denn das höchste Glück liegt doch nur in der Bethätigung des innersten Wesens, und die Zwiesprache mit dem eigenen Genius ist ein feineres Ding, als der Widerhall vom Lobgeschrei der großen Menge ...

Aber allgemach mußte der rastlose Wanderer die Fahrt einstellen. Stärker und stärker kamen seit fünf Jahren die Mahnungen ans Ende. Jährliche Badereisen nach Kissingen vermochten wohl noch Linderung zu bringen, aber Anzeichen verhängnißvoller innerer Störungen waren unverkennbar, und vom vorigen Jahr an sind es nur noch kurze Zeilen, die als Antwort auf fragende und theilnehmende Briefe kamen. Vor mir liegt als Letztes eine Karte mit zitternden Zügen der sonst so festen und wunderschönen Handschrift, datirt Heidelberg vom 19. Februar d. J., ein kurzer Dank für die Geburtstagsgratulation, „leider gar zu krank und schreibunfähig.“

Und hier schließe ich den Bericht über den seltenen Geist, den merkwürdigen Dichter, der ein so treuer Freund seiner Freunde war. Was der arme, gequälte Körper noch Furchtbares zu leiden hatte, was der junge Sohn und die Freunde blutenden Herzens mitlitten, das gehört nicht hierher. Zum Schlusse mögen die Worte stehen, welche Scheffel selbst vor Jahren zum Trost für Andere bei schwerem Trauerfall schrieb:

„Ich bin fest überzeugt, daß die unsterbliche Seele diese letzten Schmerzen nicht mehr mitempfindet, sondern sich schon zur Auswanderung in lichtere und leichtere Sphären bereit hält.“

Möchte das an ihm selbst wahr geworden sein!

München. R. Artaria.     


  1. Anspielung auf eine Stelle dieses Briefes.
  2. Schwester der Hausfrau. –
  3. Abu-seid, Held der Makame.