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Autor: Claire von Glümer
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Titel: Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient/Nr. 11
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 509-512
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Wilhelmine Schröder-Devrient, berühmte deutsche Opernsängerin
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[509]

Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.

Von Claire von Glümer
XI.

Eine der unglückseligsten Episoden in Wilhelminens Leben ist ihre Verbindung mit Herrn v. Döring. Er war Officier in sächsischen Diensten, Wilhelmine lernte ihn zu Anfang der vierziger Jahre kennen, und es gelang ihm, der Künstlerin eine Leidenschaft einzuflößen, die sie alles Urtheils, aller Willenskraft beraubte. Es war dies um so unerklärlicher, da Wilhelmine gerade in den letzten Jahren so glücklich gewesen war, wie nie zuvor. Nach mancher Täuschung hatte sie endlich einen treuen, edeln Freund gefunden, dessen Liebe sie für alle Qualen der Vergangenheit entschädigte, bis ihr ungestümes Herz in den äußern Verhältnissen neue Ursache zu Kämpfen und Schmerzen fand. Die Stellung ihres Freundes machte ihm die Ehe mit einer Schauspielerin unmöglich, und er war zu stolz seinen Beruf aufzugeben, um nur der Mann einer berühmten Frau zu sein. Wilhelmine war durch einen zehnjährigen Contract an das Dresdner Hoftheater gebunden; erst nach Ablauf desselben konnte sie an Pension Anspruch machen. Vermögen besaßen Beide nicht genug, um sich der bindenden Fesseln zu entledigen, denn Wilhelmine hatte erst seit einigen Jahren angefangen, für sich zu erwerben; bis dahin hatte sie für ihre Kinder gearbeitet.

Wilhelmine hat in spätern Jahren der achtungswerthen Gesinnung jenes Mannes volle Gerechtigkeit widerfahren lassen – sie hätte es ihm vielleicht nicht vergeben, wenn er anders gehandelt hätte – aber zu jener Zeit wollte und konnte sie die Rücksichten nicht gelten lassen, die ihren Wünschen entgegenstanden. Sie begann an der Liebe ihres Freundes zu zweifeln und gab ihn endlich auf, um der unheilvollsten Täuschung ihres Lebens zu verfallen.

Die Gewalt, die Döring über sie gewann, kannte keine Grenzen; seinetwegen brach sie mit den meisten ihrer Freunde, weil diese nicht abließen, sie vor der unheilvollen Verbindung zu warnen; sie opferte ihm ihr Vermögen, die Frucht jahrelanger Thätigkeit; sie brachte sogar durch übermäßige Anstrengungen ihre Gesundheit und – wie sie selbst mehr als einmal gesteht – ihren Ruhm als Künstlerin in Gefahr. Im Widerspruch mit ihrem ganzen Wesen fing sie jetzt an, bei ihren Erfolgen auch den pecuniairen Ertrag zu berechnen. Sie arbeitete nicht mehr für sich selbst, sondern für den Mann, den sie liebte, und dieser brauchte Geld und wieder Geld.

Ich habe niemals mit Wilhelminen über ihre zweite Ehe gesprochen. Jede Erinnerung daran versetzte sie in die äußerste Aufregung; selbst den Namen des Herrn von Döring nannte sie nie. „Der Teufel!“ sagte sie, wenn sie nicht vermeiden konnte, ihn zu erwähnen. Aber eine Menge Briefe und Tagebuchblätter [510] von ihrer Hand liegen vor mir, und diese genügen, um ein helles Licht auf das unglückselige Verhältniß zu werfen.

So lange die Leidenschaft sie gefangen hält, d. h. fünf ganze Jahre, ist Wilhelmine unaufhörlich bemüht, Herrn von Döring gegen die Beschuldigungen zu vertheidigen, die von allen Seiten gegen seinen Charakter erhoben worden. Sie will nichts von allem glauben, klammert sich mit der ganzen Kraft ihrer Seele an diese Liebe, und dennoch ist sie nicht glücklich.

Bald nachdem das Verhältniß mit Döring angeknüpft war, schreibt sie:

„Danzig, den 16. Mai 1843.

„… Leider geht es mit meiner Gesundheit schlecht. Die schnelle Veränderung des Wetters und das überhaupt etwas strenge Klima hier hat einen sehr nachtheiligen Einfluß auf meinen Körper gehabt; ich sehe bleich und elend aus, und Ihr würdet Euch über die Veränderung, die mit mir vorgegangen ist, nicht wenig wundern. Zu allen meinen großen Anstrengungen kommt nun auch noch das schrecklichste Heimweh, was Sie sich denken können, bester H…., und es bedarf all meiner Vernunft, all meiner Fassung, um den unglückseligen Spleen nicht überhand nehmen zu lassen. Sie wissen ja, was ich für ein Gewohnheitsthier bin, und fühlte ich auch die Nothwendigkeit mich einmal von Allem loszureißen, so wußte ich auch im Voraus, daß ich an dieser Umwälzung aller meiner Verhältnisse lange zu kämpfen haben würde. Nun, es mußte so sein, mein Geschick mußte eine andere Wendung nehmen, und bezahlte ich diesen Kampf auch mit meinem Herzblut, er war nothwendig, denn wie es bisher war, stand kein Glück zu erwarten. Ich fühle es wohl, daß ich an einem ernsten Wendepunkte meines Lebens stehe, und wie mein Schicksal sich in der nächsten Zukunft noch gestalten wird, das muß noch zur Klarheit in mir werden. Nur predigt mir nicht von Ruhe vor, für mich giebt es hier keine. Ich muß fort, unaufhaltsam fort, und was mir in den Weg tritt, reiße ich mit mir. Ob nun der Strom meines Lebens zu einem Abgrunde führt, oder sich noch ruhig in die Sandfläche der Alltäglichkeit verlaufen wird – wer kann es wissen? Jetzt eile ich mit einer kranken Brust von Anstrengung zu Anstrengung, von Aufregung zu Aufregung, von Triumph zu Triumph, und jeder Schritt führt, Gott sei Dank, näher dem Grabe. Ich habe Alles, und die Welt beneidet mich, und doch habe ich mir den Tod nie sehnlicher gewünscht, als eben jetzt.“


„Königsberg, 18. Juni 1843.

„Liebe theure Freundin! Nehmen Sie meinen herzlichen Dank für Ihre freundlichen Zeilen vom 13. d. M., die seit gestern in meinen Händen sind. Ihr Gebet zu Gott, daß er meinem Herzen endlich Ruhe schenken möge, wird wohl nicht eher in Erfüllung gehen, als bis dies Herz ganz stille steht, denn leider sehe ich immer mehr ein, daß ich Phantomen nachjage, nie erreichen werde, wornach ich strebe, und so ewig unbefriedigt bleiben werde. Darum, liebe Freundin, je eher dies unruhige Herz aufhört zu schlagen, je früher geht mein heißester Wunsch in Erfüllung.

… „Wünschen Sie mir ja nicht mehr Prosa in mein Leben, liebe Freundin, es ist davon so viel darin, daß sie mich fast erdrückt, und mache ich hier und da einen extravaganten Streich, so ist es nur, um nicht in der ewigen Prosa zu versumpfen. – Das Leben lastet schwer, schwer auf mir, und gewaltsam strebt meine Seele aus dem lästigen Kerker hinaus!“


„Zürich, 11. September 1843.

„Nehmen Sie meinen aufrichtigen, herzlichen Dank, theure Freundin, für Ihr liebevolles Schreiben vom 25. v. M. Bin ich doch überzeugt, wie es aus Ihrem wohlwollenden Herzen in die Feder geflossen ist, und wie Sie es treu und wahr mit mir meinen. Geben Sie sich aber keinen zu bangen Sorgen um mich hin, und sein Sie überzeugt, daß der Schritt, den ich thun werde, das Resultat einer reiflichen Ueberlegung sein wird, indem ich für alle Fälle mit mir einig bin und in meinem Innern abgeschlossen habe. Sie werden gewiß die Freude haben, mein Herz bald auf irgend einem Wege zur Ruhe kommen zu sehen. Mein Loos falle wie es wolle, so bin ich ja der innigen Theilnahme treuer Freunde gewiß, die mich nicht im Glück, viel weniger im Unglück verlassen würden, wenn das Letztere wirklich über mich kommen sollte. Ich werde sehr bald zu Ihnen zurückkehren, und dann muß sich mein Geschick auf die eine oder andere Weise rasch entscheiden. Wendet es sich auch nicht nach Eurem Wunsch und Willen, so werdet Ihr nur nicht durch zu große Bedenklichkeiten, die, ich weiß es ja, aus liebender Sorge für mich entstehen, ein Glück verkümmern, das ich nun eben für mein Glück erkannt habe. Ich sollte meinen, es wäre kein ganz verfehlter Lebenzweck, dem besten, liebenswürdigsten und liebenswerthesten Menschen sein durchaus nicht vom Glück begünstigtes Dasein erleichtern zu helfen, statt ihm die Hand zu entziehen, die er voll Zuversicht und Vertrauen ergriffen hat, und um so weniger werde ich mich jetzt aus ängstlicher Sorge für meine Zukunft von ihm lossagen, da er unglücklich ist und keine Freundeshand, als die meinige, auf dieser Welt hat. Ich werde nur nach seinem Willen handeln, und nur sein Wille kann mich von ihm trennen. Bis jetzt habe ich zu allen meinen Handlungen mich bestimmen lassen und habe nicht selten Ursache gehabt, zu bereuen, daß ich nicht meinem eigenen Willen gefolgt bin. Diesmal nun bin ich fest entschlossen, so selbstständig zu handeln wie möglich und mich nur dem Willen des Einen unterzuordnen, dem ich aus voller Ueberzeugung mein Geschick in die Hand gegeben habe. Ich glaube durch diese Handlungsweise Niemandem zu nah zu treten, da durch sie keiner Pflicht, die ich sonst noch zu erfüllen habe, Eintrag geschehen wird. Meine Mutter ist eine alte Frau von 63 Jahren, die allerdings jetzt Ruhe und Sorglosigkeit allem Andern vorzieht und wohl auch in ihrer Aengstlichkeit zu weit geht, denn meine Zukunft ist ja in jedem Fall gesichert, und wäre es nöthig, würde ich mich einzuschränken wissen und mir gern jede Entbehrung auferlegen, ehe ich mich von den theuersten Pflichten lossagte. Sein Sie daher ganz außer Sorge, liebe Freundin, Sie werden sehen, daß ich nichts thue, was nicht reiflich überlegt ist. Ich werde den 28. bis 30. in Dresden eintreffen – wie lange ich bleiben werde, kommt auf die Umstände an. Meine Reise in die Schweiz beschränkt sich nur auf Zürich, da mein Gastspiel mich bis Mitte des Monats aufgehalten hat. Meine Schwester Betty hat die ganze Tour gemacht und ist erst gestern nach vierzehntägiger Abwesenheit zurückgekommen. Ich habe mich in der fürchterlichsten Hitze schrecklich plagen müssen und habe heute zum elften und vorletzten Male gesungen. Das sind die Freuden, die ich von solcher Reise habe.“

Wilhelmine kehrte nach Dresden zurück, allein die Ruhe, nach der sie sich sehnte, wurde ihr nicht zu Theil. Das Verhältniß zu Herrn von Döring spann sich im stürmischen Wechsel von Qual und chimärischem Glücke jahrelang fort. „Was ist unergründlicher, als das Herz eines Weibes, wenn es liebt?“ schrieb sie später, als der Wahn verflogen war, „und ich liebte ihn treu und innig. Trotz aller Täuschungen, die er mir bereitete, hielt ich seine Reue immer wieder für wahr, seine Thränen für echt, seine Zerknirschung für aufrichtig.“ Ihre Liebe schien nur zu wachsen in den Schmerzen, die er ihr verursachte, und jedes Mißtrauen gegen ihn empfand sie im nächsten Augenblicke wie ein unverzeihliches Unrecht. Im Juni 1846 schreibt sie aus Nürnberg:

… „Gott sei Dank! mein Glaube an diesen einen Menschen hat mich nicht betrogen, und nicht zu hart möge mich die Strafe heimsuchen, die ich darum verdiene, daß ich einem schnöden Argwohn gegen ihn auch nur einen Augenblick Raum in meiner Seele gönnen konnte! In welchem Zustande ich nach Leipzig kam, nachdem ich mir noch zwei Tage lang den fürchterlichsten Zwang in Hannover auferlegen mußte, werden Sie begreifen, der einen so tiefen Blick in mein Inneres gethan hat. Ich war todtkrank an Leib und Seele. Meine Schwester war meiner Aufforderung sogleich gefolgt, und ich fand nicht nur sie, sondern auch Döring dort und war schon den Tag vorher von ihnen erwartet worden. Ich habe nun eine ernste Auseinandersetzung mit Döring gehabt, und es hat sich denn herausgestellt, daß nur schwarze Verleumdung in den Hauptsachen sich an ihn gewagt, daß er unbesonnen, aber nicht schlecht und verrätherisch war und nur bis jetzt den Muth nicht hatte, mir seine Unbesonnenheit einzugestehen. Er hat weder gespielt, noch den Fleiß meiner Hände verkauft, denn ich habe Alles selbst gesehen, und gesehen, wie hoch und heilig er diese kleinen Gaben der Liebe hielt. Fluch also über die Menschen, die ihre Lust nur am Bösen finden und sich nicht schämen, das Reinste und Heiligste zu betasten! Und doch muß ich diesen Menschen wieder danken, denn sie haben es dahin gebracht, was sie freilich nicht bezweckten, daß mein Glaube an den Mann, für den mein Herz die treueste und reinste Liebe hegt, für dieses Leben unerschütterlich fest steht, und nichts mich wankend machen wird in dem Entschluß, mein ganzes Leben mit all seinen edelsten Kräften nur ihm [511] zu widmen. Schelten Sie mich nicht exaltirt, theurer Freund, es ist nun einmal so und kann nicht anders sein und werden. Ich bin dem Leben und der Kunst zurückgegeben und trete nun mit neuer Kraft, mit belebtem Muth allen Plagen entgegen, die meiner noch bis zum Spätherbst warten.“

„Berlin, 6. October 1846.

„… Nun wollen Sie als theilnehmender Freund auch wissen, wie es mir geht? Gut und schlecht! Gut, weil Sie nicht ganz Unrecht haben, daß „die kleine Welt von Glück, die ich mein eigen nenne“, eine Gleichgültigkeit gegen alles Uebrige geschaffen hat, die nur wenige Ausnahmen duldet, unter denen Sie aber oben an stehen, da ich Ihre Freundschaft hoch und werth halte. Schlecht, weil mich meine Verhältnisse zwingen, mit und in einer Welt zu leben, die mich anekelt, da sie die warmen Pulsschläge meines Herzens nicht verstehen kann und nur ausruft: wie spielt sie schön Komödie!! Ich sehne mich nach Ruhe und ungestörtem Genuß dessen, was ich einzig und allein mein Glück nenne.“

1847 ging Wilhelminens Contract mit dem Dresdner Hoftheater zu Ende. Er wurde nicht erneuert; eine Menge kleiner Widerwärtigkeiten und kleinlicher Intriguen, welche die Künstlerin in ihrer gereizten Stimmung doppelt schwer empfand, hatten ihr die alte Heimath verleidet und sie zu dem Entschlusse gebracht, eine längere Kunstreise zu unternehmen.

Zu derselben Zeit waren endlich auch die Schwierigkeiten beseitigt, welche ihre Heirath mit Herrn von Döring so lange verhindert hatten. Ihre Freunde, aufs Höchste bestürzt bei dieser Nachricht, erschöpften sich noch einmal in den eindringlichsten Warnungen – aber Wilhelmine blieb fest in ihrem Entschlusse. Sie nannte Alles Verleumdung, was gegen Döring sprach, und ein Packet von Papieren, durch die sie von seiner Unwürdigkeit überzeugt werden sollte, warf sie ungelesen ins Feuer. Am entschiedensten sprach sich Wilhelminens fürstlicher Freund, der Herzog von …. aus; er schreibt:

„Jetzt muß ich noch ein Wort reden, was mir sehr schwer auszusprechen wird, was ich aber doch aussprechen muß, wenn ich anders Ihr Freund bin. Die Nachricht, daß Ihr Verhältniß mit Herrn von Döring nicht allein noch fortbesteht, sondern sogar zur Ehe führen soll, hat mich mit dem tiefsten Schrecken erfüllt. Von allen Seiten und schon lange ist dieser Döring nämlich als einer der allerverächtlichsten Menschen mir geschildert worden, als ein Mensch, der nur darauf ausgeht Sie auszubeuten und der dabei mit dem Luxus groß thut, den er mit dem Ihnen abgenommenen Gelde treibt. Dies letztere soll sogar seine Cameraden schon mehrere Male zu Deliberationen darüber gebracht haben, ob es ihnen möglich bleibe, mit ihm fort zu dienen. Ich wiederhole, wie weh es mir thut, Ihnen so Schmerzliches sagen zu müssen; ich wiederhole aber zugleich nochmals, daß, wenn ich Ihr wahrer Freund bin, ich das Gesagte nicht verschweigen durfte.“

Dieser Brief ist am 29. August 1847 geschrieben; an demselben Tage wurde Wilhelmine in Kleinzschocher bei Leipzig mit Herrn von Döring getraut. Ob das nicht geschehen wäre, wenn sie den Brief zur rechten Zeit erhalten hätte?

Vor der kirchlichen Ceremonie unterschrieb Wilhelmine den von Döring vorbereiteten Ehecontract, ohne ihn gelesen zu haben. Ihrer Meinung nach mußte sie dem vielverkannten, vielverleumdeten Manne das unbedingteste Vertrauen zeigen. Mit der linken bedeckte sie die letzten Zeilen, um auch nicht ein Wort zu lesen, und schrieb ihren Namen, ohne Ahnung, daß sie mit diesem Federzuge Alles was sie besaß und je besitzen würde, sogar die Hälfte der Pension, die sie vom Dresdner Hoftheater beziehen sollte, Herrn von Döring zuschrieb.

Es war eine entsetzliche Zeit, die nun folgte. „Ich war in die unwürdigsten Bande geschlagen“, schreibt Wilhelmine, „an einen Mann gefesselt, der mich um mein sauer erworbenes Vermögen gebracht hatte und der Jahre lang ein teuflisches Spiel mit meinen heiligsten Empfindungen trieb, denn während er mir in’s Antlitz Liebe heuchelte, war, wenn er von mir ging, Hohn und Spott mein Lohn für alle Opfer, die ich ihm brachte. Und nachdem ich ihm das Letzte gegeben hatte, was ich noch besaß, nachdem ich mich ihm gerichtlich fast mit Leib und Seele verschrieben hatte, warf er die Maske ab und stand vor mir, ein vollkommener Teufel.“

Wilhelmine war nahe daran, in Verzweiflung und Selbstverachtung zu Grunde zu gehen, während sie der Welt gegenüber den Schein des Glückes zu behaupten strebte und auf’s Angestrengteste in ihrem künstlerischen Berufe thätig war. Im Herbst trat sie eine Kunstreise an, die sie gen Norden führte. Petersburg war das Ziel, dem sie zustrebte; aber die Unterhandlungen mit der dortigen Theaterdirection führten zu keinem Resultate. Nachdem sie in Kopenhagen die glänzendsten Triumphe gefeiert hatte, ging sie nach Riga, wo sie als Romeo am 29. December 1847 das Publicum zum letzten Male zu begeisterter Bewunderung hinriß. Sie ahnte nicht, daß sie die Bühne nie wieder betreten würde. Von Riga ging sie nach Dorpat, und hier erfolgte im Februar 1848 ein vollständiger Bruch mit Herrn von Döring. Nun erst erfuhr sie die Bedeutung des Ehecontracts, und während Döring nach Sachsen zurück ging, um seine Ansprüche an Wilhelminens Eigenthum geltend zu machen – er belegte sogar ihre Möbel mit Beschlag – blieb die unglückliche, verlassene Frau in der Fremde. „Ich war vernichtet, zertreten, eine Bettlerin!“ schreibt sie, „an Leib und Seele todtkrank, und ohne Hoffnung, mich jemals wieder aus meinem Elend erheben zu können.“

Ende Februar kehrte Wilhelmine nach Deutschland zurück, um den Schutz der Gesetze gegen Herrn von Döring in Anspruch zu nehmen. Sie ging zuerst nach Berlin, wo eben der Nachhall der Pariser Ereignisse alle Gemüther durchbebte. Zu jeder anderen Zeit würde auch sie auf’s Gewaltigste davon ergriffen worden sein; aber sie war jetzt so müde von den Stürmen, die in der letzten Zeit über sie hingegangen waren, daß sie sich über ihr persönliches Leid nicht zu erheben vermochte. Und hatte sie sich auf Augenblicke davon losgemacht, fing sie an in die Weite zu sehen, so wurde sie durch die zahllosen Widerwärtigkeiten, die ein Ehescheidungsproceß unvermeidlich mit sich bringt, immer wieder auf das alte Leid zurückgewiesen.

Damit war übrigens das Maß ihrer Schmerzen noch nicht erschöpft. Im Mai erhielt sie die Nachricht, daß ihre Tochter Sophie Devrient, die in Hannover bei dem Vater lebte, gefährlich erkrankt war. Sie eilte sogleich zu ihr und fand eine Sterbende. Am vierten Tage nach ihrer Ankunft verschied das arme junge Wesen unter namenlosen Qualen in den Armen der Mutter, und Wilhelmine kehrte vollständig gebrochen nach Berlin zurück. Noch im Juli schrieb sie ihrem langjährigen Freunde, dem Kammerherrn von Dokop in Detmold:

„Berlin, 20. Juli 1848.

„Wie soll ich Ihnen für die freudige Ueberraschung danken, mein werther Freund, die Sie mir durch den Empfang Ihres lieben Briefes bereitet haben? Er war in meinem ganz freudlosen Dasein ein Lichtpunkt. Nehmen Sie meinen innigen, aufrichtigen Dank für Ihre Theilnahme, die mir in meiner gegenwärtigen Lage doppelt wohl gethan hat. Goethe läßt seinen Harfner singen:

„Wer sich der Einsamkeit ergiebt, ach! der ist bald allein.
Ein jeder lebt, ein jeder liebt und läßt ihm seine Pein!“

So geht es auch mir. Ich bin todt für diese Welt, und nur mit sehr wenigen Ausnahmen fragt man nach mir.

Indessen bin ich damit ganz zufrieden, denn zum Glück brauche ich die Welt nicht, und vermisse sie daher auch nicht. – Was Sie fürchten, muß ich Ihnen bestätigen, ich bin verstummt und zwar für immer – und was Sie hoffen, wird nicht in Erfüllung gehen, denn ich werde weder als blutdürstige Lady Macbeth noch als racheschnaubende Medea auftreten, und ständen mir selbst in Wirklichkeit die Zauberkräfte der Letztern zu Gebot, ich würde keinen Gebrauch davon machen, denn mein Jason ist keiner Verfolgung werth! Ich war und bin über allen Ausdruck unglücklich, und die grausigen Geschicke, die in dem letzten halben Jahre gleich schweren Gewittern sich über meinem Haupte entluden, haben eine so vollständige Zerstörung sowohl in meinem Innern als Aeußeren hervorgebracht, daß schon darum an ein vollkräftiges neues Auftreten in der Welt für mich nicht mehr zu denken ist. Meine Seele ist todeswund, und jede leise Berührung macht ihr Schmerzen. Seit einem halben Jahre singe ich nicht mehr, da ich kaum Musik hören kann. Diese Seelenzustände haben nur zu deutliche Spuren auf meine äußere Erscheinung geprägt – ich bin elend und krank – aber frei!! Den Gnadenstoß hat mir der Tod meiner Tochter gegeben, die am 22. Mai in Hannover in meinen Armen verschieden ist.

Seit drei Monaten lebe ich hier in dem bewegten Berlin ganz allein, abgeschieden und vollständig vereinsamt [512] ich wollte hier die gerichtlichen Differenzen mit Herrn von Döring abwarten, die sich aber leider so in die Länge ziehen, daß ich ihr Ende wohl nicht mehr erleben werde. Von wenigen mir treu gebliebenen Freunden gedrängt, will ich nun anfangen, etwas für meine tieferschütterte Gesundheit zu thun, und, nachdem ich hier eine Molkencur beendigt haben werde, nach dem nahen Seebade Heringsdorf gehen und dann im Herbst am Rhein eine Traubencur gebrauchen. Für den Winter suche ich nach einem stillen, bescheidenen Orte, wo ich vielleicht mit einigen treu gesinnten Seelen zusammen leben könnte, die die Mühe nicht scheuen, mich etwas wieder aufzurichten und meinen ganz erstorbenen Muth neu zu beleben. Noch habe ich keine Wahl getroffen, da sie keine leichte Aufgabe ist. Berlin ist mir durch meinen jetzigen Aufenthalt unerträglicher als je; Dresden durch die Erinnerung auf immer verleidet; Weimar, Coburg, Gotha nur im Sommer erträglich. Wo also hin? In eine große Stadt mag ich nicht – kann ich nicht, denn meine pecuniären Verhältnisse gebieten mir die größte Einschränkung, da Herr von Döring Alles, was ich mein nannte, für sein Eigenthum erklärt hat. Gott mag also wissen, wohin mich das Schicksal noch schleudern wird; doch was ist an mir gelegen?“