Erinnerungen an Ernst Rietschel

Textdaten
<<< >>>
Autor: Berthold Auerbach
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Erinnerungen an Ernst Rietschel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18; 20; 23, S. 280–284; 313–315; 356–360
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Ernst Rietschel, Bildhauer
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[280]

Erinnerungen an Ernst Rietschel.[1]

Von Berthold Auerbach.
I.

So möchte ich sterben, wie Rietschel. Solchen Ruhm zu erreichen, wie er, ist nur Wenigen vergönnt, aber so gehegt zu sein im Herzen der Freunde, das überragt allen Ruhm, ist größer, als alle Unsterblichkeit des Namens, gemeißelt und geschrieben. – Das waren meine Empfindungen, bald nachdem der erste erschütternde Schmerz vorüber, da ich den Tod des getreuen Freundes vernommen.

„Du hättest sehen können, was nicht so leicht wiederkommt: eine ganze Stadt in Thränen.“ So schreibt mir ein Freund, mich scheltend, daß ich nicht zum letzten Geleit gekommen war. Ich konnte nicht. Und konnte ich dem Abgeschiedenen nicht ein Wort in das offene Grab nachrufen, so will ich versuchen, jetzt, da die ersten Blumen aus seinem Grabe sprießen, einzelne Erinnerungen an ihn aufzuerwecken, mir zum Trost, Andern zur Erquickung.

Oft bereut man es, daß man nicht feste Aufzeichnungen von Lebensbegegnissen machte, und doch glaube ich, hat das wiederum sein Gutes. Das Leben wird bei der Tagebuch-Führung nicht unbefangen aufgenommen, unwillkürlich bildet sich ein Blick nach der Fixirung hin, und die unmittelbare gerade Aufnahme erhält etwas Schielendes. Eines jeden Menschen Leben und Entwicklung muß sich in gewisser Weise halten wie das Leben der Pflanze, die den Sonnenschein, Regen und Thau nicht als solche aufbewahrt; sie verwandeln sich vielmehr in das eigene Leben, das solche Einflüsse aufnimmt. –

Ich habe durch den Tod Rietschel’s einen Freund verloren, wie nicht leicht einer mehr wird. Zehn volle Jahre haben wir in innigem, beständigem Verkehr gelebt. Nie haben wir uns daran erinnert, wann und wie und wo wir einander zuerst kennen gelernt. Das war für uns keine Zeit mehr, es war von jeher nothwendig gewesen. Ich glaube, daß es in den meisten Fällen nicht aus Freude und Vertiefung, sondern aus theilweise unbewußter innerer Lockerung geschieht, wenn man einander die ersten Momente des Bekanntwerdens vergegenwärtigt: Du sahst so und so aus … kamst mir so und so vor … und fast wäre es anders geworden, u. dergl. Solches Heraufbeschwören der Vergangenheit [281] in fragwürdiger Erscheinung, solches Bloßlegen der Wurzeln dient nicht zur Befestigung. In einem wohnlichen Heimwesen denkt man nicht daran, was für Wahrzeichen und Jahreserzeugnisse in den Grundstein gelegt wurden, auf dem das Haus steht …

Indem ich das hier Niedergeschriebene eben überdenke, steht sofort die Gestalt des Freundes vor mir, wie er mir freundlich zulächelt. Glücklich war der Freund, wenn man ihm einen Gedanken in einem Bilde darlegte oder überhaupt in zusammengefaßter Rede sich aussprach. Er klagte oft, daß ihm die Kraft hierzu fehle; er könne das nicht so hergeben, was er in sich habe. Er ließ sich aber auch beruhigen beim Vorhalte, daß die innerste Kraft, zumal des Künstlers, wesentlich nur eine Seite habe, nach der sie sich voll ausdrücke; hätte er die Kraft des Wortes, so würde er sich nicht gedrungen fühlen, seine Worte, seine Gedanken, seine Anschauungen als Figuren herauszumeißeln. Jedes echte Wesen hat seine eigene Sprache, das eine in Farben, das andere in Tönen, das in Erz, das in Worten. – Der Gegensatz unserer beiden Berufsarten trat oft zu Tage. Ich stand jetzt zum ersten Mal und ein volles Jahrzehnt lang im vertrautesten Verkehr mit einem Meister der bildenden Kunst und kannte die Gemüthsbewegungen, die der äußeren Darstellung vorangehen und ständig sie begleiten. Auch den bildenden Künstler verfolgen und begleiten seine Gestaltungen Tag und Nacht auf Weg und Steg; seine Theilnehmung an der Welt ist auch oft nur eine halbe; er hört und sieht und redet und lebt oft wie fremd, wie abwesend in der gegebenen Welt, denn der Hintergrund seiner Seele ist ganz ausgefüllt und gespannt von dem einen Gedanken, von dem einen Gebilde, mit dem er sich trägt, und das Tagesleben erscheint wie traumhaft, wie durch einen Schleier verdeckt. Aber der bildende Künstler hat es leichter, sich der Gespanntheit seines Wesens durch Fixirung seiner Vorstellung zu entledigen, und er hat einen großen Vorzug vor dem Dichter, daß er sein inneres Schauen dem teilnehmenden Freundesblick zu einer einzigen Betrachtung vor Augen stellen kann, während wir an das Nacheinander des Wortes gebunden sind und dadurch nur schwer von fremder Anschauung bestätigt oder berichtigt werden können.

Ich betrachte es als ein großes Glück, daß ich theilnehmcn konnte an dem Wirken und Schaffen eines Mannes, der in erster Reihe zu denen gehört, die die Größe unseres zeitgenössischen Culturlebens bilden. –

Das Jahr 1846 gehört zu den glücklichsten meines Lebens. Ich hatte mich schon im Vorfrühling in Dresden angesiedelt, das ich im Herbste vorher kurz besucht hatte. Es war ein Kreis trefflicher Freunde, in den ich mich bald eingeschlossen fühlte. Ich weiß nicht wie es kam, schon in der ersten Zeit hatte ich ein ganz besonders vertrauliches Verhältniß zu Rietschel. Ich traf ihn eines Nachmittags bei Robert Reinick, und dieser sagte: „Es kommt mir widersprechend vor, daß man „Sie“ zu Dir sagt.“ – „Und mir auch“ stimmte Rietschel bei. Wir umarmten uns alle Drei, und der gute Reinick war so voll von dieser Stunde, daß er sagte: „Wir können jetzt nicht in der Stube bleiben, wir müssen in’s Freie.“ Wir gingen hinaus in den hellen Frühlingsabend, dort den Weg nach Blasewitz, am „weiten Kirchhof“ vorbei, wo jetzt Reinick ruht, nach dem Birkenwäldchen, und dann an der Elbe entlang nach der Stadt zurück. Die Sonne ging prächtig unter über den Lößnitzer Höhen, und ich weiß nicht mehr wer von uns es sagte: „Das sind Stunden, das sind Blicke in’s Leben, um derentwillen es sich verlohnt auf der Welt zu sein.“

Wir saßen dann noch bis spät in der Nacht dicht am Elbufer, im sogenannten italienischen Dörfchen, bei Speise und Trank; und hier, wie später noch oft, war viel davon die Rede, daß die blasirte Welt jedes heiße Empfinden, jedes treue, innige Versenken in die Tiefe des Augenblicks und in das Leben des Andern gern mit dem Ketzerwort „sentimental“ brandmarken möchte. – Rietschel sagte mir damals, daß er in den nächsten Tagen ein Relief von mir machen wollt. Ich arbeitete in jenem Sommer an der Erzählung „die Frau Professorin“, und daneben wurde das Buch „Schrift und Volk“ vollendet. Auch der „Gevattersmann“ war im vollen Gang, wozu mir Ramberg bereits einige treffliche Zeichnungen machte. Alles war voller Leben, und die Nachmittagsstunden, die ich in Rietschel’s Atelier und dann im kühlen Schatten der Linden auf der Terrasse mit ihm zubrachte, waren voll innerster Erquickung. Wir erzählten einander die Geschichte unseres Lebens, und ich will es nur gleich hier sagen: daß wir Beide uns aus kümmerlichen Verhältnissen heraufgearbeitet, daß wir Hunger und Noth in der Jugend kennen gelernt hatten, das bildete immer einen tiefen Grundton unserer Vereinigung. Oft und oft kam Rietschel wieder darauf zurück, daß wir uns am besten verstehen, weil wir Beide Noth und Elend kennen gelernt. Eine gewisse Zaghaftigkeit und – daß ich es nur geradezu bekenne – eine gewisse Verletzlichkeit, die Jedem, der seine Jugend in Noth verbracht, lebenslang anhaftet, verstanden wir Beide am besten zu erkennen und einander zu deuten. Jenes übermüthig Angrifsslustige, jenes schnell Fertige, jene zu Schutz und Trutz gerüstete Geistesgegenwart, die der hat, der immer gesichert im Leben stand, sich nie zu beugen, zu demüthigen, stille zu sein hatte, wie der in Armuth steht und Wohlthaten zu empfangen hat – das legten wir einander hundertfältig aus. Aber Armuth und Noth giebt auch etwas Besseres und Höheres. Man lernt die Wahrheit, die Güte, die Opferwilligkeit und freundliche Hegung der Menschen kennen, wie ein auf sich Gestellter, in geschützten Verhältnissen Erwachsener sie nie erfährt. Es bildete jetzt und später oft den Gegenstand unseres Gesprächs, daß wir es nicht verstehen könnten, wie Menschen leben mögen, die nicht an die wahrhafte Güte, an den Edelsinn und die Reinheit in der Welt glauben; und noch mehr, wie es Künstler geben kann, die das Schöne, das Wahre, das Höhere bilden und schaffen, und doch der Ueberzeugung sind, daß es in Wahrheit in der Welt nicht besteht.

Rietschel wohnte damals noch in seinem eigenen Hause in der „Langegasse“. Gleicher Erde wohnte Julius Hübner, eine Treppe hoch Bendemann, zwei Treppen hoch Rietschel. Es war ein vergnügliches Sein dort im Hause. Sehr viel Erheiterung gab ein Besuch von Gottfried Schadow, der seinen besondern Spaß daran hatte, daß Männer, und namentlich Officiere in Uniform, den, wie er es nannte, kindischen sächsischen Dialekt sprächen. Er speiste deshalb oft im Gasthofe, um das mit anzuhören. Der alte Schadow sagte einmal, daß er noch wenig solche humane Geistliche gefunden, wie ich einen in der Erzählung „die Sträflinge“ geschildert habe. Rietschel stellte sich auf meine Seite, daß es deren mehr gäbe, als man bei dem religiösen Hochmuth und der dogmatischen Ausschließlichkeit glauben möchte. Der alte Schadow erzählte auch, daß ihm Friedrich Wilhelm IV. einmal beim Eintreten zugerufen: „Voilá, göttlicher Schadow!“ – pas encore, Majesté!“ erwiderte Schadow. – Rietschel, der mit mir am offenen Balcon stand, fragte mich: „Sprichst Du gut französisch?“ Ich erwiderte ihm, daß ich nicht nur nicht gut, sondern sogar sehr schlecht spräche, daß ich in meiner Jugend genug zu thun hatte, noch vor meiner Militärpflichtigkeit das Abiturientenexamen zu machen, und das Französische als nicht obligatorisch sehr vernachlässigte, was mir noch immer nachgeht. Rietschel war auch hierin unserer Gleichheit froh und sagte, daß ihn der Mangel im Französischen sehr viel hindere und ihn namentlich Fremden gegenüber scheu und befangen mache. Als mich St. Reué Taillandier im Jahre 1854 in Dresden besuchte und ich eines Abends die Freunde mit ihm in meinem Hause versammelte, fragte mich Rietschel sofort beim Eintritt: „Er spricht doch deutsch?“ – „Allerdings.“’ Und nun war er den ganzen Abend besonders froh. Damals war noch die glückliche Zeit, wo er noch ein Glas Wein trinken durfte, und nie hat es einen Menschen gegeben, der frömmig dankbarer war für alle Gaben der Natur, der mit größerer Mäßigkeit genoß, als Rietschel. Auch das ist uns, die wir aus der Armuth stammen, eigen, und sehr leicht wird diese behagliche Freude an Speise und Trank und der freien Fülle des Lebens als Genußsucht von den im Wohlleben Erwachsenen mißdeutet.

Es war ein Pfingsttag – ich weiß nicht mehr in welchem Jahre – ich hatte unterwegs Maiblumen gekauft und gab sie nun Rietschel beim Eintreten. Ich sehe noch, wie er mit einer Art fieberischer Hast daran roch und dabei sagte: „Du weißt gar nicht, was mir diese Blumen sind, und gar heute! Wenn ich Maiblumen rieche, so habe ich eine der tiefsten Erinnerungen meines Lebens; sie erwecken ganz Namenloses in mir. Es war an einem Pfingstmorgen ganz in der Frühe, da ging ich mit meinem Vater hinaus auf einen Berg“ – er nannte den Namen, ich weiß ihn nicht mehr. – „Ich war damals sieben oder acht Jahre alt. Es war ein wunderbar heller Morgen, und die Sonne brütete schon auf der Wiese. Da zeigte mir mein Vater etwas in der Ferne, [282] das in Nebel und Kohlenrauch gehüllt war, und da sagte er: Das ist Dresden! Mir war das damals etwas auf der Welt, was gar nicht zu erreichen ist. Wer auch dort sein könnte! Das muß eine ganz andere Welt sein! Es war eine wunderbare Ahnung in mir, was ich dort Alles erleben sollte, und da brachen wir Maiblumen, die da standen, und brachten sie heim. Mein Vater roch besonders gern daran, und so oft ich sie rieche, steigt die Erinnerung an jenen Pfingstmorgen wieder in mir auf.“ – Ich habe später, während Rietschel viele Wochen das Zimmer hüten mußte, ihn veranlaßt, nicht nur ein genaues Verzeichniß aller seiner Arbeiten zu machen, sondern auch seine Jugenderinnerungen aufzuzeichnen. Vielleicht findet sich Dieses und Anderes darin, wornach es sich wird berichtigen und ergänzen lassen.

Nur eine Erinnerung aus jener Zeit muß ich hier doch noch einschalten. Ich las, um mich dem großen Freundeskreise in etwas dankbar zu erweisen, im Hause unseres Freundes Ferdinand Hiller die eben vollendete und noch nicht im Druck erschienene Erzählung „die Frau Professorin“ vor. Ich hatte auf zwölf Uhr Mittags eingeladen und glaubte in höchstens zwei Stunden fertig zu sein, aber ich hatte mich arg verrechnet; es dauerte bis nach vier und ich war noch nicht fertig, und als ich Rietschel hinausbegleitete und mir die alte Frankfurter Köchin im Hause zurief: „Die Kreuzdonnerwetter, die heut’ von allen Köchinnen auf Ihren Kopf heruntergewunschen worden sind, die möcht’ ich nicht haben,“ da lachte Rietschel ganz unbändig und neckte mich noch oft damit.

Ich verließ im Herbst 1846 Dresden, machte eine Fußreise durch die Lausitz und ging nach Breslau. Von dort aus, schrieb ich an Rietschel alsbald nach meiner Verlobung, und er schickte mir das Relief, das er von mir gemacht hatte. Ich sah ihn erst Mitte Juni 1847 wieder. Ich traf ihn in seinem Atelier sehr traurig. Seine Frau war krank, er hatte den Auftrag, für einen Polen, der seinen einzigen Sohn verloren hatte, die Pieta für die Familiengruft zu machen. Durch die 1846 in Polen ausgebrochene Revolution und durch die mitten im Frieden erfolgte Einverleibung Krakau’s in Oestreich ward die Bestellung zu nichte, aber Rietschel arbeitete dennoch zu seinem eigenen Genügen, wenn auch doppelt bekümmerten Herzens, an seinem Werke weiter. – Rietschel erlebte mehrmals die ganze Schwere des Daseins, die dem bildenden Künstler und vor Allem dem Plastiker auferlegt ist, wenn er sich ohne eigentlichen Auftrag sieht. Er arbeitete unverdrossen weiter, und hier liegt die andere Seite, auf der sich die Bevorzugung des bildenden Künstlers vor dem im Worte wieder ausgleicht.

Ich darf es gleich hier einfügen, Rietschel hatte Vertrauen zu meinem unbefangenen Blick. Ich bin noch heute weit davon entfernt, mir eine Kunstkennerschaft zuzutrauen, und eben das, daß ich rein nach persönlichem Eindrucke ein Kunstwerk aufnahm und ohne Scheu denselben kundgab, das nahm Rietschel als ein „Stück gebildetes Publicum“, wie er mich scherzweise oft nannte. Er hatte mehrere Modelle zu dieser Pieta gemacht; ich war beim ersten Blick entschieden, daß nicht Maria mit ausgebreiteten, schmerzlich erhobenen Händen zu wählen sei, sondern die, da sie die Hände still faltet. Der Schmerz als Schrei ist vorüber, es ist eine gewisse stille, beruhigte Ergebung eingetreten, eine Sättigung in Thränen, die nicht mehr fließen. – Es that Rietschel wohl, von einem Unbefangenen so ganz ohne Zweifel und ohne alles Bedenken seine Wahl bestätigt zu sehen, denn auch dem größten Künstler ist es eine Beruhigung und ein Genügen, wenn ein freier fremder Blick seine Intentionen bestätigt. Es tritt inmitten der Arbeit eine Eingenommenheit ein, die den ersten, von keinem Eindruck erfüllten Anblick schwer vermissen läßt.

Ich verließ Rietschel damals mit doppelt schwerem Herzen, da ich mich selbst so hoch beglückt fühlte. Ich hörte dann in der Ferne von dem Tode seiner Frau und sah ihn erst wieder im Jahre 1849, nachdem ich auch durch den tiefsten Schmerz des Daseins geschritten und wieder ein neues Leben begonnen hatte.

Von nun an lebte ich volle zehn Jahre in ungestörtem, innigem Zusammenhang mit ihm, und wenn es einen Trost giebt für einen so unersetzlichen Verlust, so wird man es mir nicht verargen, wenn ich ihn in dem Bewußtsein finde, nach bester Kraft dem Freunde das Beste dessen gewesen zu sein, was man sein kann. Rietschel hatte jene heilige, beseligende Kraft, daß man in seiner Nähe, in seinem Verkehr das Beste, was im Innern lebt, angeregt und zur Entfaltung herausgetrieben fühlte. Er hatte ein getreues Zuhören, ein Hören mit dem Gesicht, ein Ablesen von den Mienen, und dabei eine begütigende Milde, daß man sich im Innersten wohl und glücklich fühlte, auch da, wo man stritt und scharf discutirte; denn Rietschel war bei aller Milde eine strenge und unbeugsame Natur, er hatte in politischen und kirchlichen Dingen ganz bestimmte Sympathieen und Antipathieen und ließ sich seinen Maßstab nie entwenden. Er bedauerte und betrauerte bisweilen, daß dem Freunde der Friede mit den Positivitäten der Welt nicht so gegeben war wie ihm, und er fühlte vollkommen das Schmerzliche, zu lebenslänglicher Opposition verdammt zu sein. Aber er hatte nie eine Spur jenes Hochmuthes, der von dem Standpunkt aus spricht: ich allein habe eigentlich die Wahrheit, und du wirst schon noch, wenn du älter wirst, auch auf meinen Standpunkt kommen. Rietschel war ein strenger, entschiedener Christ und zwar protestantischer Christ; er verhehlte es nie, wie leid ihm das Unvereinbare thue, und wie er glaube, daß nur ein kleiner Schritt dazu gehöre, daß ich dogmatisch oder positiv mit ihm zusammenstimmen müßte; wenn er aber sah, daß dies doch unmöglich, beschied er sich dessen und hielt Freundschaft und Liebe über Alles hoch.

Rietschel war eine friedfertige, in kirchlichen und politischen Dingen conservative Natur. Der Meister, der auf dem Gebiete der Kunst die That setzte, daß das wirkliche Leben auch der Idee, hier also der Idee der Schönheit, entsprechen müsse, hielt die Consequenz auf andern Gebieten nicht so ausführbar; er, der im Gebiete der Kunst ein Neues setzte und hier umbildend sich bethätigte, wollte das Andere in seinem Bestehen walten lassen. Es mag sein, daß es nöthig ist, um nach der einen Seite hin reformatorisch vorzudringen, die anderen an sich bestehen zu lassen. Der bildende Künstler bedarf im weitesten Sinne jenes festen, unbeugsamen, eisernen Stabes, um den er den weichen, jedem Drucke nachgebenden Thon zu fügen hat. Die Kunst schafft nicht das unmittelbare Staats- und Gesellschaftsleben neu, sie nimmt das Gewordene, aus Kampf und Widerstreit Erfochtene auf und erhebt es zur Schönheit.

Anfangs der fünfziger Jahre lebte Rietschel noch oft im geselligen Kreise auch außerhalb des Hauses und besuchte oftmals unsere Montagsgesellschaft, in der sich ein Kreis von Künstlern und Gelehrten zwanglos versammelte. Wir führten damals ein Festspiel auf, das einige von uns als besonderes Comité gemeinsam ausarbeiteten. Es hieß „die Monuments-Concurrenz“ und stellte dar, wie Verschiedene sich bewerben, um den Auftrag zur Ausführung eines Monuments zu erhalten. Zuerst traten die Künstler, Jeder einzeln, auf, und Jeder rühmte seine Arbeit und beanspruchte den Auftrag; bis endlich die Frage aufgeworfen wurde, wem denn eigentlich das Denkmal gesetzt werden solle. Nun traten die Schriftsteller auf, von denen ein Jeder in seiner Weise verlangte, daß man ihm das Denkmal setze. Zuletzt wurde beschlossen, daß ein Denkmal errichtet werde, und es wurde ein solches aufgestellt, aber vor der Hand ohne Kopf. Derjenige, der es verdienen werde, dessen Kopf solle hier in künftigen Zeiten aufgesetzt werden.

Zu diesem Puppenspiel, das die machtgebietende Stimme unsers Obern ausführte, hatten Pecht und Ramberg die sämmtliche Gesellschaft in maliciös gelungenen Caricaturen gemalt. Rietschel war etwas ärgerlich, daß er gar so weichselig und erbarmungswürdig aussah. Aber er verstand Spaß und war dann heiter und guter Dinge. – Auch bei einer Weihnachtsbescheerung, die wir uns gegenseitig machten und wobei die einzelnen Gaben verloost wurden, betheiligte sich Rietschel mit vieler Lust, und seltsamer Weise gewann ich seine Gabe, die noch ganz naß war, da sie eben erst vom Former kam. Er neckte mich noch oft damit, daß gerade ich diesen harten Scherz, von dem weiter kein Abguß vorhanden ist, haben mußte.

Rietschel war nach seiner ganzen Art, nach seiner friedfertigen und jedem heftigen Kampf abholden Natur, ein, man kann sagen persönlicher Gegner der heftigen Bewegungen aus dem Jahre 1848. Wenn er auch oft bekundete, daß er den Jammer mit empfinde, der Jeden in jedes Gebiet hinein verfolgt, den Jammer um eine feste nationale Einheit und einen nothwendigen starken Mittelpunkt – so war er doch nach seiner ganzen Gemüthsanlage allen heftigen Staatserschütterungen abhold. Aus dieser Stimmung heraus hatte er nun eine achtundvierziger Germania modellirt; sie sitzt quer auf dem Kaiserstuhl, hat keck die Beine übereinander geschlagen, [283] in der rechten Hand eine Cigarre, in der linken ein Glas Bier, und unterm Kaiserstuhl steht ein Bierfaß.

Es that mir leid und es that später auch Rietschel leid, daß er diesen herben Scherz gebildet. Der Scherz und die Satire stehen innerlich schon im Widerspruch mit dem Ewigdauernden der plastischen Kunst, wie schon äußerlich ein im Bilde festgehaltenes Lächeln und Scherzen leicht zur Fratze wird. Und doch konnten wir uns nicht dazu entschließen, das einmal Gemachte wieder zu zerstören.

Ich hatte bei Eröffnung des Leipziger Museums einem dortigen Freunde vorgeschlagen, daß Leipzig ein Rietschel-Museum gründe und dadurch einen besonderen Besitz von Plastik gewänne, zumal Rietschel keinen Platz hatte, um seine Modelle aufzubewahren. Ich sprach auch mit Rietschel selbst davon, und es wäre ihm zu seinen Lebzeiten noch ein Erträgniß dadurch geworden. Freilich fand Rietschel die Gründung eines Rietschel-Museums zu stolz, und die Sache wurde überhaupt nicht weiter betrieben. Jetzt wird in Dresden ein Rietschel-Museum gegründet.

Wenn ich nun das genannte Relief dem Rietschel-Museum überliefere, so möchte ich, daß jedem Beschauer durch irgend ein Zeichen kundgegeben werde, wie dies nur ein momentaner Stimmungsausdruck Rietschel’s war, daß er vielmehr für die Einheit, Freiheit und Größe Deutschlands warm erglühte, aber eine zu stille, schreckhafte Natur war, um von den Unzuträglichkeiten, die jede große Umwälzung mit sich führen muß, nicht allzuhart, ja bis zur Ungerechtigkeit hart, berührt zu werden.

Jeder Panegyrismus, jedes Ausdeuten eines wirklichen Menschen zu einem allgemeinen und absoluten Ideal ist falsch und führt zur Lüge vor sich und vor Anderen. Ritschel hatte, offen gestanden, auch seine Fehler, und er war doch bei alledem ein ganzer, vortrefflicher, im vollsten Sinne des Wortes guter Mensch.

Als Rietschel des vielen Rauches wegen unsere Montagsgesellschaft nicht mehr besuchen konnte, kamen wir doch noch bei einem freundschaftlichen Mahle oder im engern Familienkreise des Abends zusammen. Die Welt betrachtet es noch als eine Huldigung, wenn sie vom Künstler verlangt, daß er sich auch der Gesellschaft widme und da allezeit wach erscheine und sein Inneres auslege. Die Welt vergißt, daß der Künstler ja der Welt genug bietet, indem er ihr seine Einsamkeit widmet, in der er erglüht beim Ausgestalten seiner innern Anschauungen.

Rietschel war es nie recht wohl in großer Gesellschaft; er hielt sich auch da am liebsten zu einem Einzelnen, mit dem er sich traulich besprach. In seiner ganzen Redeweise war nie etwas von einer herkömmlichen Phrase, er sprach immer sich selbst aus und zwar sich selbst in der ganzen Fülle momentaner Erregung. Solchen Naturen wird das Gesellschaftsleben zu einer neuen Anstrengung. Er opferte sich oft den herkömmlichen Anmuthungen, wo er viel lieber einsam daheim oder mit einem Freund geblieben wäre. Wer es wahrhaft gut mit ihm meinte, zog ihn nicht in große Gesellschaft, und erst später gewann er die Kraft, sich ohne Rücksicht und Nachgiebigkeit davon zurückzuziehen.

Rietschel durfte doch noch ein Glas Wein trinken. Wir saßen einmal neben einander bei einem Gastfreunde. In grünen Römergläsern wurde Markobrunner 46er aufgetischt, ein Wein voll mächtigen Feuers und Duftes. Rietschel trank davon, dann setzte er ab und rief laut: „Du, trink einmal. Dunnerwetter! Was ist das für ein Wein!“ – Von jenem Tage an hieß der Markobrunner 46er „Dunnerwetter“, und so oft wir bei dem Freunde aßen, mußte auch eine Flasche „Dunnerwetter“ aufgesetzt werden. Rietschel erging sich dabei manchmal in begeisterter Rede, wie herrlich es sei, daß so etwas auf der Welt wachse, und wie glücklich die Menschen seien, die das so mir nichts dir nichts ihren Freunden auftischen können. Herrliche Stunden waren es dann, wenn wir Beide oft, nachdem wir ein paar Glas „Dunnerwetter“ getrunken, stundenlang mit einander auf dem Wege nach Strehlen und durch dem Großen Garten spazieren gingen.

Im Winter 1850–51 war Rietschel, der nun in der Struvestraße Nr. 8 wohnte, krank. Ich besuchte ihn oft. Er saß in dem Zimmer, das nachmals mein Arbeitszimmer wurde, und las und zeichnete mancherlei. Schon damals mußte er im Sprechen sich mäßigen und jede heftig erregende Gemüthsbewegung fern halten. Ich mußte jetzt, wie später noch oft, an Spinoza denken, der von Jugend an durch wachsame, haushälterische Eintheilung seiner Lebenskraft sich sein Leben erhielt. Dem Philosophen mag das eher gelingen, als dem Künstler, dessen Lebenselement die heiße Empfindung ist. Die Freunde und vor Allem die Gattin dürfen sich sagen, daß sie ihn mit jener Friedensstille umgaben, in der er frei und wohlig athmete. – Auch an Widersachern fehlte es Rietschel nicht, und wenn er davon sprach, waren seine Mienen stets voll tiefen Schmerzensausdrucks. Es war sein tiefstes Wehe, nicht mit der Welt in vollem Frieden stehen zu können; er war der Herbheit gegenüber wie ein Waffenloser zu dem, der keine Waffe verschmäht, und eine geflissentliche Grußlosigkeit von dem Begegnenden konnte ihn tagelang betrüben.

Eines Abends, da ich bei ihm war, sprach er von den noch fehlenden Reliefs an dem Lessingdenkmale und zeigte uns Entwürfe dazu. Robert Reinick war mit dabei. Es war viel davon die Rede, ob es möglich sei, eine plastische Gestalt für den Begriff der Humanität unmittelbar kenntlich zu geben; es muß sich noch eine Zeichnung vorfinden, wo die Kraft einen Genius im Arm hält, der die plastische Erscheinung der Humanität sein sollte. Mit dem Lessingdenkmale, für das wir damals Vorlesungen und eine Theatervorstellung veranstalteten, wozu ich einen Epilog zu „Emilia Galotti“ geschrieben habe, hat Rietschel zum ersten Male die ganze Größe und Eigenthümlichkeit seiner Kraft dargestellt. Es wird die Aufgabe des Dr. Schiller in Braunschweig sein – mit dem Rietschel nahe befreundet war – die Geschichte des Lessingdenkmals zu schreiben, die leider keine Ehre für die deutsche Nation sein wird. – Der äußere Ertrag war für den Künstler unsäglich gering, und die braunschweig’sche Regierung hat noch ihre Größe darin gezeigt, daß sie am Tage der Enthüllung das Militär ausrücken ließ und dem Comité keine Militärmusik zur Feier gab.

Mit der Lessingstatue, das ist nunmehr geschichtlich festgestellt, hat Rietschel der plastischen Kunst eine neue Wendung gegeben. Die Kunstgeschichte wird auszuführen haben, wie der Uebergang aus der Rococo-Zeit und dem manierirten Idealismus zu Schadow und von da zu Rauch bis zu Rietschel’s Lessing sich herausstellt. Der ganze theoretische Streit von der Vereinbarung des Stylvollen und des Wirklichen ist hier thatsächlich erledigt; das Schöne ist kein Jenseits mehr, es bedarf nicht mehr des Alles bedeckenden antiken Mantels, um die Wirklichkeit zu verhüllen. Hier ist die volle historische Naturwahrheit, die feste Individualität der persönlichen und zeitlichen Erscheinung durchdrungen und eins geworden mit der ewigen Erscheinung schönheitsgemäßer Stylisirung. Ist es nicht wie ein wunderbarer Zusammenklang geschichtlicher Thatsachen, daß gerade Lessing’s Standbild dazu berufen war, die volle Einheit des Stylvollen und Naturwahren zuerst vor uns erscheinen zu lassen, Lessing’s, der gerade selbst als der Erste und Mächtigste an der Durchdringung dieser beiden Elemente kämpfend und schaffend arbeitete? – Von allen Werken, die Rietschel geschaffen, blieb das große Lessing-Modell immer in seinem Atelier. Lessing sah dem Bildner stets zu, wie er die mit ihm gesetzte Epoche immer weiter und weiter führte.

Am 22. Januar 1729 wurde Lessing zu Kamenz als Pfarrerssohn geboren, fünfundsiebenzig Jahre später, am 15. December 1804, wurde Rietschel als Sohn des Täschners und Kirchners in dem benachbarten Pulsnitz geboren. Beider Gedenken ist nun in eins verschmolzen. Der Knabe, der am Pfingstmorgen so ahnungsvoll nach Dresden ausschaute, sollte hier das Bild seines Landsmanns schaffen und mit ihm eine neue Epoche der Kunst abmarken.

Es ist ein wunderbarer Gegensatz zwischen dem Dichter und dem bildenden Künstler. Dem Maler, dem Bildhauer werden meist, dem Baukünstler immer Aufgaben gestellt. Es giebt aber kein dichterisches Werk von Bedeutung, das aus einem fremden Auftrag hervorgegangen wäre. Der Dichter, der seine Subjektivität einsetzt, kann die Aufgabe nur aus sich selbst empfangen und glücklich der, der mit Gestaltung aus der Subjectivität heraus etwas giebt, was in der allgemeinen Anschauung ruhte oder nun zu derselben wird. Das Material des Dichters ist das Wort, und das Wort ist ursprünglich eins mit dem Athem, der zugleich das eigene Leben ist. Der bildende Künstler dagegen hat Farbe, Thon, Erz und Stein zu seinem Material. Er macht das äußerlich Gegebene zum Ausdruck seines inneren Seins und Schauens. Die größten Erzeugnisse der bildenden Kunst sind aus Aufträgen entstanden, sei nun der Auftraggeber eine machtvolle, einsichtige Persönlichkeit oder eine ganze Nation. Die bildende Kunst hat weit mehr Themas, zu denen eine Nöthigung des allgemeinen Bewußtseins [284] drängt, in welchem Auftraggeber und Künstler mit einander stehen. Indem die bildende Kunst weit mehr an eine geschichtliche Continuation gebunden ist, der der Einzelne sich nicht zu entziehen vermag, und indem sie von technischen Voraussetzungen bedingt ist, hat der ausübende Künstler vorwiegend das formelle Interesse walten zu lassen. Das Inhaltliche, das Stoffliche tritt dabei zurück, und es ist ein besonderes Glück, wenn der Künstler sich damit zugleich erwärmen kann, so daß der von außen gegebene Auftrag zu einer innern Aufgabe wird.

Es giebt eine Kunstbetrachtung, die die Werke der Kunst, besonders der bildenden Kunst, ganz ablöst von der Persönlichkeit des schaffenden Künstlers, von seiner Weltbetrachtung und Eigenart. Ich möchte dagegen behaupten, daß die auszeichnende Eigenschaft Rietschel’s, Wahrheit und Wirklichkeit in eins zu gestalten, ganz aus seinem Charakter hervorging. Daß Rietschel in der Portrait-Statue die stylvolle Formenschönheit herausarbeitete, das lag mit in seinem Glauben an die Güte und Schönheit in der wirklichen Welt. Er sprach diesen Glauben plastisch aus, und Lessing spricht ihn aus in seinem eigenen Sein und in seinem Wiedererscheinen durch die Hand des bildenden Meisters.



[313]
II.

Ein Mann von so feiner und zarter Empfindung wie Rietschel, mußte dreimal am Grabe der Lebensgefährtin stehen, und doch war der Wiederaufbau der Häuslichkeit seinem innersten Naturell nothwendig. Es war eine laue Sommernacht, wir kamen aus einer Gesellschaft und gingen lange mit einander hin und her auf dem Räcknitzer Weg durch die Kornfelder und sprachen darüber, daß die Welt, wie sie ist, weit mehr die Sitte als die Sittlichkeit zu wahren trachte. – Ich sehe Rietschel noch vor mir, wie er uns begegnete auf dem Damm nach dem „Großen Garten“, Arm in Arm mit seiner jungen Frau, Beide stattliche, markige Gestalten, und sein Blick, aus dem es drang wie ein wärmender Sonnenstrahl, war so heiter und glückselig. Wir sahen ihm noch lange nach, wie er mit seiner Frau energischen Schrittes dahinging, und riefen es ihm freudig zu, wie wohl sie Beide einander anstehen, und er wendete sich wieder um und grüßte glückselig. Er hat in dieser Ehe wonnige, innigst befriedigte Jahre verlebt, und dazu hatte er an seinem Schwager Andreas Oppermann, der ihn dann nach Palermo begleitete und getreulich pflegte, eine Freude, daß sein Gesicht immer strahlte, wenn er von ihm sprach. Er erquickte sich an diesem „letzten Jüngling“, wie wir ihn scherzweise oft nannten, der eine Fülle süddeutscher Jugendkraft mit einem feinen und besonnenen Eingehen und einem schönen Verständniß der höchsten Kunstinteressen verband. Bei einem Besuche in meinem Landaufenthalt zu Schandau, als wir im Kirnitzschthale im Walde saßen, berichtete mir Rietschel die Erzählung aus Oppermann’s Buche: „Aus dem Bregenzer Wald“, die ich damals noch nicht kannte, in kurzen Zügen faßlich und bestimmt. Mit besonderem Nachdruck betonte er die Scene, wie die beiden eigenwilligen Gestalten auf der Bergeshöhe an einander vorübergehen, keine von beiden der andern das Wort gönnen will und so beide in ihr Verderben rennen. Rietschel hatte einen feinen Blick für alles Naturgesunde und für alle markigen Erscheinungen in der Poesie. Ich erinnere mich noch, wie er mir einst gegen einen das Gegentheil behauptenden Freund beistimmte, da ich auszuführen suchte, daß die Poesie nicht ein Ergebniß des Schmerzes ober gar der Krankheit sei, wie man sie, zumal in den Zeiten der Zerrissenheit – die noch nicht ganz vorüber sind – darstellen wollte. Wohl ist alle Poesie und Kunst eine Ergänzung des Lebens, die Wirklichkeit läßt einen Bruch zurück, die wahre Erscheinung kommt nicht zu ihrer logisch konsequenten Entfaltung; aber in seinem Wesen ist das Schöne und Gute wirklich, und hier ist’s die Aufgabe der Poesie und bildenden Kunst, das Gegebene und Vorhandene zu dem Schönsten, zu dem Vollendetsten auszugestalten, was es seiner grundmäßigen Naturbedingung nach sein kann. Natürlich bildete das vielfach alberne Gefasel von Realismus und Idealismus sehr oft den Gegenstand unserer Unterhaltung, und wir stimmten immer Beide darin überein, wie traurig es ist, daß man diese Gegensätze noch immer schablonenmäßig festhält. Alle Kunst muß ideal sein, sonst hört sie auf Kunst zu sein; nur ist und bleibt es ihre Aufgabe, die wirklich gegebene Welt zu fassen und zu erhöhen, nach dem ihr innewohnenden Gesetz, nicht nach einer herkömmlichen Tradition.

Es that uns Beiden wohl, daß ich Rietschel seine Wohnung abnahm, in der ich sieben Jahre blieb. Sieben Jahre hatte ich von da aus oft Erquickung am Anblick der hohen Esche mit breiter Krone, die im jenseitigen Garten stand, und als ich die Betrachtungen über den „Baum vor meinem Fenster“ drucken ließ, hatte Rietschel seine besondere Freude daran. Dieser Baum war ja auch sein Freund gewesen. Jetzt eben, indem ich dies schreibe, erhalte ich von Dresden aus die Nachricht, daß der schöne Baum in diesen Tagen, als ihn neuer Frühlingssaft durchdringen wollte, gefällt worden ist. – Rietschel hatte damals die Wohnung verlassen, er durfte nicht mehr drei Treppen hoch steigen. Er zog nach der „kleinen Reitbahngasse“, verließ aber auch diese Wohnung bald, um zur Erkräftigung seiner Gesundheit nach Palermo zu gehen. Er kam frisch und gebräunt wieder.

Wenn ich nur die Hunderte von Stunden zurückrufen könnte, die ich bei ihm im Atelier, zumal während der Modellirung zum Schiller-Goethedenkmal, zubrachte! Da sprach er bald vom Gerüst, bald vom Boden aus, in der einen Hand die Spachtel, in der andern Hand Thon, den er, wie seinen innersten Gedanken Ausdruck gebend, immer hin- und herknetete. Er trug den gelbgrauen Sackpaletot und manchmal auch eine kleine graue Mütze auf dem Kopfe. Wunderbar war und blieb es mir immer, wie es möglich ist, den Fernblick mit dem nahen zu vereinen. Der Meister steht unten auf dem Boden, sieht aus der Ferne, was an der kolossalen Gestalt auf dem Gerüste zu ändern und anzufügen ist, nun steigt er rasch die Treppe hinauf, drückt da und dort, schneidet ab, setzt aus, und darf dies doch nicht mit dem Naheblick thun, sondern muß dabei im Sinne haben, wie es sich von unten betrachtet ausnimmt. Wir hatten viel Scherz darüber, daß ich diesem Geheimniß nahe kommen wollte. Noch jetzt aber thut mir’s wohl, daß ich dem Meister oft willfahrte und länger blieb, als ich wollte, denn er behauptete, wenn ich da sei und wenn ich spräche, das thäte ihm auch gut. Ich habe in dem Aufsatze „Drei Stationen des Schiller-Goethe-Denkmals“ (den ich nunmehr auch in meine gesammelten Schriften ausgenommen habe) mancherlei Bemerkungen von damals niedergelegt. Ich durfte Rietschel nie davon sagen, wenn ich etwas über seine Arbeiten schrieb. Es beleidigte dies seine keusche Natur, und er wehrte sich immer dagegen, denn er fürchtete die Mißdeutungen und die Mißgunst. Nur zum Aufsatze über das Lutherdenkmal lieferte er mir einige faßliche Angaben.

Rietschel war eine in Wahrheit bescheidene Natur, wenn er auch seinen Werth wohl fühlte. Nie wird Jemand etwas gestalten können, wenn er seine Betrachtungsweise für bedeutungslos hält. Schon dadurch, daß er sich ausspricht, sei es im Bild oder im Wort, bekundet er damit thatsächlich, daß er seine Wahrnehmung [314] werth hält, wenn er auch deren Bedingtheit und Begrenztheit wohl weiß.

„Du und ich,“ sagte mir Rietschel oft, „wir sind bescheidener als tausend Andere, die, wie die heuchlerische Modephrase will, stets von „ihrer Wenigkeit“ sprechen. Wir gelten nur leicht für eitel, weil wir bei einem Lobe, das uns entgegengetragen wird, nicht alsbald einfallen und thun: um Gotteswillen! beschämen Sie mich nicht! Ich weiß ja, daß Alles, was ich mache, nichts ist; erinnern Sie mich nicht an diese schwachen Stunden etc. Wer diese herkömmlichen Phrasen nicht vorbringt – natürlich je nach Gelegenheit variirt – wer nicht thut, als ob er auf sich selbst nichts halte, und bei einem Lobe eigentlich den Leuten in’s Gesicht sagt: Ich weiß, daß Ihr höflich lügt, und Ihr wollt wieder eine höfliche Lüge von mir als Bezahlung – wer sich nicht zu diesem falschen Spiel hergiebt, der gilt für eitel.“ – Ich sehe das Lächeln des Freundes noch vor mir und wie er zur Bestätigung mit seiner getreuen, kräftigen Hand fassend nach der meinen griff, als ich ihm einmal darüber sprach und wir dabei Nachts wohl zehnmal hin und her zwischen seinem und meinem Hause gingen, und Jeder den Andern immer heimbegleiten wollte, und als ich ihm da sagte: „Wenn man der Welt ehrlich zu verstehen giebt oder bekennt: ich weiß, ich wiege intellektuell ein Pfund oder ein halbes Pfund – ei, schreit die Welt, wie entsetzlich eitel ist dieser Mensch! Der glaubt doch offenbar, er wiege sieben Centner, denn er sagt ja: ich wiege etwas. Er sagt nur nicht das Ganze; wäre er bescheiden, so müßte er sagen, ich wiege gar nichts, ich bin leichter als Luft.“

Rietschel lachte hellauf in der stillen Nacht über die Zumuthung, daß man leichter als leere Luft sein solle.

Schon bei der Schiller-Goethegruppe klagte Rietschel oft über die Unzweckmäßigkeit seines Ateliers. Er hatte nicht einmal ein eigenes Zimmer, worin er die Entwürfe machen konnte. Er mußte Alles vor den Augen der Schüler, ja, vor den Augen der Besuchenden machen; und dazu war der Weg von der kleinen Reitbahngasse bis auf die Brühl’sche Terrasse beschwerlich und dort am erhöhten Ufer zugig und seiner Gesundheit schädlich, und zuletzt noch in der Werkstatt der Fußboden unmittelbar auf der kalten Erde. Als Rietschel im Winter wieder krank war, ging ich zu einem der ersten höheren Staatsbeamten und stellte ihm vor, welch eine Versündigung an der Nation und an der ganzen Kunst es sei, Rietschel ein solches Atelier zu geben und ihn noch dazu mit akademischen Verpflichtungen, Correcturen etc. zu belasten. Der brave Mann versprach das Seine zu thun. Es geschah aber nichts, bis es zu spät war.

Es ist kein Ruhm zu groß für die andachtsvolle Hingebung und Mühe, die sich Rietschel bei Ausarbeitung des Schiller-Goethe-Denkmals gab, und namentlich der Rhythmus der Fußstellungen wollte ihm lange nicht genügen. Er riß die kolossal ausgebauten nackten Gestalten, wie die bekleideten, wieder ein, und seine Schüler Gustav Kietz und Dondorf halfen ihm getreulich und unverdrossen. Nicht leicht giebt es einen Meister, der so die innige andachtsvolle Verehrung seiner Schüler genoß, wie Rietschel.

Als endlich das große Wagniß einer Doppelgruppe unserer Geistesheroen in modernem Costüm vollendet war, da war Rietschel trotz eines gewissen innern Genügens doch auch eifrig hinaushörend, wie der Eindruck sei. Es ist eitel Lug und Trug, wenn Manche mit der Maske der Bescheidenheit thun und sagen, sie kümmerten sich nichts um den Eindruck, den ihre Arbeiten machten, ja, sie fragten gar nicht darnach und wollten nichts davon hören, wie die Welt darüber urtheilt. Es ist das eitel Lug und Trug. Es giebt keinen Schützen, der, wenn er abgeschossen hat, nicht unwillkürlich nachsieht, ob er auch getroffen habe; er kann sich dabei wohl bewußt bleiben, daß nicht feine vorbedachte Geschicklichkeit das Ziel erreicht. Der ehrliche Künstler weiß, daß noch viel fehlt, damit das Werk das sei, was es nach der innern Conception hätte werden sollen, aber unmöglich ist es, daß man mit der Absicht, etwas Tüchtiges herauszubilden, und zwar mit dem ganzen Einsätze seiner Kraft, nun, wenn es fertig ist, sich davon lossage, als ob es Einen nie etwas angegangen hätte. – Rietschel hatte die Genugthuung, daß sein Werk schon bei der Ausstellung im Gipsmodell große Anerkennung fand. Dennoch fragte er mich oft: „Sage mir auch, was die Gegner dazu sagen; sage mir auch, was man tadelt und was nicht richtig ist. Ich weiß ja selbst, daß es viel besser sein sollte, aber daß etwas Tüchtiges daran ist, das weiß ich auch, und es wird mich keine Gegnerschaft irre machen.“

Wenn ich hier und sonst Rietschel’s Worte wiederhole, so will ich ein für allemal hiemit sagen, daß ich nicht dafür einstehen will und kann, daß dies gerade diplomatisch genau seine Worte waren, aber daß dies der Sinn derselben gewesen, dessen bin ich zuversichtlich überzeugt. Ich hatte damals meine Betrachtung der Schiller-Goethegruppe veröffentlicht, und ein Behutsamer warnte mich, mich nicht zu sehr mit diesem Werke und seinem Lobe einzutasten, man könne nicht wissen, wie sich das Endurtheil feststellen werde.

Ich hatte die Freude, während das Denkmal in München gegossen wurde, mit dabei zu sein, und als ich gleich in der Stunde darauf abreiste, schrieb ich dem Meister auf der Eisenbahn von München nach Augsburg einen Brief mit Bleistift und gab ihn gleich zur Post. Ich habe eine erquickliche Antwort von ihm darauf erhalten, die ich noch finden und später veröffentlichen werde.

Einen Glanzpunkt in Rietschel’s Leben bildeten die Septembertage 1858 in Weimar, und ich bin glücklich, sein Camerad in der eigentlichen Bedeutung des Wortes dabei gewesen zu sein. Es war ein Stück Leben außerhalb des gewohnten Seins in einem Momente großer geschichtlicher Gemeinschaft und in einer tiefheitern Weihestimmung zu einem großen, nie wiederkehrenden Feste. Wir wohnten mit einander in demselben gastlichen Hause, und die schönen sonnigen Tage sind unvergeßlich. Am Morgen das gemeinschaftliche Frühstück an langer Tafel im großen Saale, wo Besuche von Fremden und Einheimischen kamen und wo namentlich der Maler Preller – mit dem Rietschel in inniger Freundschaft lebte und den er als einen der ersten Künstler hockhielt – uns mit Erzählung von Begegnissen aus dem Leben Karl Augusts erfreute. Dann kamen Andere, alte Freunde wurden neu begrüßt, den Trägern guter Namen schaute man zum ersten Male in’s Auge; es kam (damit auch das Störende nicht fehle) die entsetzliche Albumplage, wo man seinen Namen womöglich noch mit einem Spruche auf die ersten Blätter eines neu angelegten Albums eintragen sollte; dann der heitere Gang im Garten am Hause, bis man sich endlich zerstreute und zu den Festlichkeiten vorbereitete – Es war einmal ein Stück Leben, wie auf einem Punkte außerhalb der Welt, in Weimar, diesem Jerusalem des deutschen Geistes, wo Straßen und Häuser von hohen Erinnerungen sprechen, und dazu noch der Mittelpunkt eines großen Weihefestes, da es Jedem zu Muthe war, als ob er den Heroen nun persönlich danken könne für das, was sie der deutschen Nation und der ganzen Welt geworden.

Der Tag der Grundsteinlegung zum Karl-August-Denkmale war regnerisch, auch der Tag der Enthüllung der Dichtergruppe, die nun, statt des bisherigen grauen Mantels, am Morgen einen weißen trug und vor unsern Fenstern wie ein wartendes Geheimniß stand, schien sich trübe anzulassen; aber schon beim Zuge nach dem Wieland-Denkmale hellte sich’s auf.

Die Enthüllung des Wieland-Denkmals war eine wenig erhebende. Als wir den Platz verließen, sagte Rietschel zu mir: „Halte Dich an meiner Seite, damit ich Dich habe und nach Dir fassen kann.“ Der Gang von einem Denkmal nach dem andern hatte etwas Trübseliges. Keine Musik, kein Gesang auf dem Wege, nichts, was an die schöne Festlichkeit der alten Zeit und auch des süddeutschen Lebens erinnerte. Wir standen beim Schiller-Goethe-Denkmal, die Frauen oben am Fenster in unserm gastlichen Hause. Rietschel winkte nur einmal leise hinauf. Dann erscholl Musik und Gesang, davon man nicht viel verstand. Jetzt begann die Rede. Rietschel faßte mich fest an, er mußte tief bewegt sein. Nun blähte sich der Mantel von einem Luftzuge auf, es war, als wollten die gewaltigen Gestalten nun endlich heraus an’s Sonnenlicht, daß sie in heller, voller Pracht dastehen. Auf ein Zeichen des Redners zogen die Schüler Rietschel’s, Kietz und Tondorf, den Mantel – die Hülle fiel, die Heroen standen da in ehernem und ewigem Glanze. – Ein vieltausendstimmiges jubelndes Hoch erscholl, und mir ist’s als spürte ich noch den Druck, mit dem die Hand, die das Werk geschaffen halte, mich zitternd faßte. Der Meister und sein Werk schauten einander an: der Meister in tiefster Bewegung, die geschaffenen Gestalten in ewiger Ruhe. Das Hoch, das jetzt nicht enden wollend durch die Lüfte scholl, es war der zusammengedrängte laute Ausruf tausendstimmiger Freude, der sich still von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzen wird.

Ein Strahl der Ewigkeit senkte sich auf das demüthige Haupt [315] des Meisters nieder. Ich fühlte das Glück, seine Stütze sein zu dürfen.

„Rietschel, kommen Sie herauf!“ rief der Großherzig vorn Balcon, der im Angesicht des Denkmals errichtet war. Rietschel ging hinauf, endloses Hoch aber- und abermals; der Großherzog umarmte ihn vor Aller Augen.

Als ich nach Beendigung des Festes mit Rietschel heimging, sagte er: „O Lieber, wenn ich nur noch einmal da hinaufsteigen, da und dort drücken könnte! Manches tritt heraus, was ich nicht so wollte, und Manches tritt zurück, was ich anders meinte. Ich hab’s noch nicht unter freiem Himmel gesehen, und jetzt ist nichts mehr zu machen.“

Zu Haus sah ich zum ersten Male in unserm Gemeinleben Rietschel weinen. Ich that Alles, was ich konnte, um ihn zu beruhigen, und die Cigarre, die ich ihm bot, half am meisten. Aber auch ein gutes Wort stieg in mir auf, und ich sagte ihm: „Nun giebt es nur noch Eines, das Dich zu einem neuen Leben und höher hebt. Du mußt das Luther-Denkmal ausführen.“ Er umarmte mich innig und sprach mir seinen glückseligen Dank aus, daß ich ihn jetzt auf ein Höheres, Größeres noch hinweise. Später, als er den Auftrag in der That erhielt, sprachen wir noch oft von dieser Stunde. – Wir saßen dann wieder in dem Garten bei den Freunden und rauchten und plauderten und scherzten. Es giebt nach so hoch gespannten Erregungen nichts, was die Fortsetzung dieser Stimmung erhalten könnte, und es ist seelisch und körperlich nöthig, daß zur Erstarkung wieder eine Rückkehr in das alltägliche Leben hergestellt wird.

Mit einem Behagen ohne Gleichen saß Rietschel in der Laube, rauchte und trank Bier dazu, bis der Hoffourier kam und ihn in’s Schloß zum Großherzog rief. Wir wußten, daß ihm ein hoher Orden zugetheilt werde. Am Nachmittag trafen wir uns wieder bei der Hoftafel, wo die Künstler und Gelehrten alle geladen waren.

Rietschel war die ganzen Festtage immer zu Hofe geladen. Nun sollte am andern Tage die Festfahrt nach der Wartburg vor sich gehen. Wir saßen wieder bei unserm Frühstück, wo sich Viele versammelten, da kam der Oberbürgermeister mit einer Deputation des Gemeinderathes und brachte Rietschel das Diplom als Ehrenbürger. Er antwortete in einfachen und herzlichen Worten. Jetzt, hieß es, kommt eine Deputation der Jenaer Universität. „Wenn sie mich nur um Gotteswillen nicht lateinisch anreden,“ sagte Rietschel zu mir. Ich wollte im Uebermuthe diese seine Besorgnis; zum allgemeinen Besten geben, aber er hielt mich davon ab. Er hatte etwas tief Verschämtes in seiner Natur, das jeder Neckerei abhold war. – Auch als nunmehriger Doctor antwortete er einfach und gerad.

Rietschel war auch heute wieder zu Hofe geladen. Wir bestürmten ihn aber Alle, daß er die Festfahrt nach der Wartburg mitmache, da ohne ihn dieselbe ohne Mittelpunkt sei. Es fehlte ja außerdem an einer großen Festhalle, wie sie die Schweizer zu ihren Schützenfesten so trefflich herzurichten verstehen, in der sich die Festgenossen hätten versammeln können. Man hatte damals auch Furcht vor politischen Demonstrationen, die sich immer kundgeben, auch da, wo sie nicht hingehören, so lange das Einzige noch nicht erreicht, daß Deutschland ein wirklicher und einiger Staat ist. – Rietschel hatte auch offenbar Lust zur Mitfahrt nach der Wartburg, aber er glaubte die Einladung zu Hofe nicht umgehen zu dürfen; da übernahm es endlich ein dem Hofe nahestehender Herr, Rietschel für das Nichteintreffen bei der heutigen Hoftafel zu entschuldigen.

In frischer Morgenluft ging’s nun zum Bahnhofe, und eine große Versammlung festlich gestimmter Genossen, Frauen und Männer, fuhr mit dem Extrazuge durch das Thüringer Land dahin, bis nach Eisenach. Rietschel war überaus glücklich und munter. Auf dem Eisenacher Bahnhofe theilten die Ortsbehörden an Einzelne verschiedenfarbige Bänder aus, damit sich Gruppen zur Auffahrt und zum Aufgang nach der Wartburg bildeten, von denen ich eine anführen sollte. Ich erhielt die grünen Bänder. Rietschel und seine Frau waren mit unter unserer Gruppe. Der Bürgermeister führte uns durch den schönen Park, wo wir bald im Ausruhen, bald im Dahinschreiten Allerlei sprachen und uns an den schönen Durchblicken erquickten. Am Ausgange des Parkes warteten Wagen auf uns, mit denen wir die größte Strecke des Berges fast bis vor das Thor fuhren. Helle Trompetermusik – der Festmarsch aus Richard Wagner’s Tannhäuser – begrüßte uns am Eingang der Wartburg des deutschen Geistes. Große Festtafeln waren im weiten Schloßhof aufgestellt. Andere Gruppen waren uns schon vorausgeeilt. Die Officiere und höheren Beamten und vorzüglich der vortreffliche Kreisdirector v. Schwendler machten die Festordner. Es wurde Speise und Trank aufgetischt. Für uns war eine besondere Laube bereit gehalten, und hier wurde Rietschel erst recht der Mittelpunkt eines großen freien Festes. Wir durchstreiften die Säle, wo dann im großen Fürstensaale ein Vortrag über den alten Bau und über die Erneuerung dieser Burg gehalten wurde. Auf dem kleinen Seitenbalcon stand ich mit Rietschel und hinaus schauend in die sonnenbeschienene weite Landschaft, sprach er beglückt davon, daß es nicht leicht eine Landschaft gäbe, die mehr grunddeutsch spräche als diese. Im Nebenzimmer neben dem Lutherzimmer saß ich lange mit Rietschel allein, wo wir uns in das Stammbuch des liebenswürdigen Schloßhauptmanns Arnswald einschrieben. Unvergeßlich ist mir’s, daß Rietschel mir da sagte: „Du hast mich gestern darauf hingewiesen, und jetzt bin ich da. Ja, das möchte ich vollenden, das Lutherdenkmal, dann habe ich genug gelebt.“ Wir zogen endlich auf dem Waldwege den Berg hinab und steckten frische Eichenzweige auf den Hut, und ein Lied, das ich im vergangenen Winter bei einem Feste auf Rietschel verfaßt hatte, wurde vertheilt und gesungen.

Einer gehobeneren Stimmung, als jene war, da wir nach einem so herrlichen Tage zurückfuhren, erinnere ich mich nicht. Auch Rietschel war ganz voll Seligkeit. Der frische Athem der Berge hatte ihm so wohl gethan. Alle, die mit uns in demselben Wagen saßen, waren ganz beglückt von dem wonnestrahlenden Wesen des Meisters, dessen ganze tiefreiche Innigkeit jetzt heraustrat. Und als die Sonne so prachtvoll niederging, da überreiche eine gesangeskundige Dame Rietschel ein Gedicht, das sie auf diese Stunde gedichtet. – –



[356]
III.

Ich habe eines Festes erwähnt und muß dies mit einem andern nachtragen. Es war einer jener wunderbaren Momente, daß auch Lessing, der erste Kämpfer für deutsches Wesen gegen die Allmacht des Franzosenthums, seinen Triumpheinzug in Paris gehalten hat. Rietschel’s Lessingstatue wurde auf der großen Kunstausstellung in Paris als eines der bedeutendsten Werke moderner Plastik mit dem großen Preise gekrönt. Rietschel erhielt den großen Orden und drei- oder viertausend Francs als Ehrensold dazu. Die Kunstgenossen und die Freunde Rietschel’s brachten ihm hierauf einen Fackelzug. Ich war bei Rietschel mit andern Freunden, als die Musik erscholl, die Fackeln leuchteten und das Hoch ertönte und er die Anrede der Begrüßenden erwiderte. Er ließ uns lange nicht fort, als Musik und Fackellicht längst verklungen und verschwunden war.

Nach der Ausstellung der Schiller-Goethegruppe fühlte sich die ganze Dresdner Künstlerschaft gedrungen, dem Meister ein Zeichen der Huldigung und der Liebe zu geben. Im „Deutschen Haus“ wurde am 14. Februar 1857 das Fest zu Ehren Rietschels gehalten, mit allerlei Trinksprüchen und Gesängen. Ich hatte die Freude, daß ich den Trinkspruch auf die Schüler und zugleich auf den Meister Rietschel’s, auf Rauch, auszubringen hatte, dessen Büste – ein unvergleichliches Meisterwerk, wie nicht leicht eins zu finden – Rietschel gefertigt hatte und die nun im Festsaale aufgestellt war. Ich führe hier die früher genannten Verse an, die an sich keinen Werth haben, die aber dadurch einen Werth gewinnen mögen, daß sie dem Meister und Freunde so herzliche Freude bereiteten:

(Melodie: Prinz Eugen der edle Ritter etc.)
 
Gotthold Lessing, der edle Ritter,
Kam herauf, wie ein Gewitter,
Das die Lüfte frisch durchkreist
Er thät schlagen die Parucken,
Daß sie mußten niederducken,
Und erneut ward Deutschlands Geist.

Und als die Parucken waren geschlagen,
That er nun den Deutschen sagen,
Was das wahre Leben sei:
Laßt uns frei die Herzen schlagen,
Künden, was sie in sich tragen,
Trotz Professoren und Klerisei.

Und als die Hand des Dramaturgen
Eingestürzt die alten Burgen,
Drin der Ungeschmack genist’t,
Zeigt er auch im schönen Muster,
Daß nicht blos zu stürzen wußt’ er,
Auch zu bau’n was ewig ist.

Und mit der Eisenfaust von Götzen
Thät dann Goethe scharf auswetzen
Jede Schart’ der Fremdelei’n
Stieg hinan die höchsten Höhen,
Von wannen je der Geist gesehen
Zum Himmel hinauf und zur Erde hinein.

Und mit freiem Götterfluge
Schiller folgt dem reinen Zuge,
Ledig wesenlosen Scheins.
Solche Männer im Freundschaftsbunde –
Deutschland schlug die höchste Stunde,
Die zwei größten Herzen in eins.

Doch auch die Größten müssen sterben
Und den Leib der Erd’ vererben,
Der sie lieh’n die höchste Pracht.
Soll’n wir nimmer sie wieder sehen?
Nimmer ihnen vor Augen stehen?
Nein, seid wieder an’s Licht gebracht!

Und Ernst Rietschel ward erlesen,
Neu zu schaffen, die gewesen
Und erreicht unsterblich Sein.
Auf Du Trias deutscher Geister!
Dich erweckt ein neuer Meister,
Ewig rag’ ins Leben hinein!

Seht in Erz das Bild der Besten:
Lessing’s sichern, Goethe’s festen
Gang und Schiller’s Sonnenflug;
Alles hat er neu gestaltet,
Daß es nun und nie veraltet,
Jeden treulich Zug für Zug.

Auf, ihr Geigen und Trompeten,
Ihr Clarinetten und ihr Flöten,
Stimmt in uns’re Worte ein:
Hoch! Der edle tapfre Meister,
Der die Trias deutscher Geister
Uns wiedergab so groß und rein!

[357]

Rauch und Rietschel im Rietschel’schen Atelier.
Original-Zeichnung von Paul Thumann.

[358] Ich muß hier leider noch ein Stück aus der Schmach unsers deutschen Daseins verzeichnen. In jedes Deutschen Leben wirft die Zerfahrenheit und Rechtlosigkeit unserer vaterländischen Zustände einen dunkeln Schatten. Abgesehen davon, daß der äußere Ertrag auch der Schiller-Goethe-Gruppe ein sehr geringer war, wurde dem Meister auch noch das künstlerische und materielle Recht seiner Arbeit verkümmert. Rietschel hatte bald die Gruppe zum Zimmerschmuck in verkleinertem Maßstab ausgearbeitet. Nun aber wurde in Dresden selbst eine Nachbildung derselben gemacht und zugleich in vielen andern Orten, wo man sie in gebrannter Erde und nipptischfähig mit Goldrändern, goldenem Lorbeerkranz und all dergleichen Unzier ausstattete. Gerade die Rietschel’sche Ausdrucksweise – und das ist von allgemeiner Bedeutung für die ganze Kunst – steht auf jener feinen Grenzlinie, wo sich Wirklichkeit und künstlerische Wahrheit eint; irgend ein Zug anders gemacht, vergröbert das Ganze und drückt es in die Trivialität hinunter. Rietschel war in seiner innersten künstlerischen Intention beleidigt durch den verunstaltenden und rechtswidrigen Diebstahl, und wie nun einmal die Begriffe von geistigem Eigenthum noch so verworren sind in Deutschland, es gab sogar Manche, die, auf nationales Besitzthum hinweisend, die Abwehr für unangemessen hielten.

Rietschel klagte bei Gericht und hatte viel Scheererei von dieser Sache, denn im processualischen Formalismus stehen wir den Engländern nicht nach, bei denen aber ein Künstler, der ein solches Werk geschaffen, für Lebenszeit ein sorgenfreies Dasein führen könnte. Rietschel mußte ein Zeugniß beibringen, daß er der Bildner der Schiller-Goethe-Gruppe sei. Der Nachbildner wurde dann allerdings verurtheilt, aber noch oft, wenn wir über die Straße gingen, sahen wir in den Schaufenstern fremde verunstaltete Nachbildungen. Sollte der Künstler gegen jedes Einzelne Klage erheben? Er ließ die Sache auf sich beruhen, und Tausende kauften die fratzenhaften Nachbildungen, und Niemand dachte daran, daß man den Künstler verunehren und bestehlen helfe. Künftige Zeiten werden es hoffentlich kaum mehr für möglich halten, daß man so mit einem Meister und einem Werke verfuhr, die die Ehre des deutschen Namens verkörperten.

Rietschel stand so hoch als Meister, und wahrhaft andachterweckend war es, wie er sein Verhältniß zu seinem Meister Rauch festhielt. Es ist ein beneidenswerthes Geschick, das dem bildenden Künstler gegeben ist, einen lebendigen, unmittelbaren Meister zu ehren und ihm nachzueifern. Es war ein herzerhebender Anblick, Rietschel und Rauch nebeneinander hergehen zu sehen; die beiden großen Gestalten, anzuschauen, als ob sie sich selbst aufgebaut hätten. Rauch in mehr selbstbewußter, getragener Haltung, majestätisch und straff, Rietschel von gleicher Größe, aber in Haltung und Ausdruck sich mehr in sich zusammennehmend. Ich brachte den letzten Abend, den Rauch noch in Gesellschaft verlebte, mit ihm bei Rietschel zu. Der Blick, mit dem Meister und Schüler – der nun selbst ein so hoher Meister geworden – einander ansahen, die Art, wie sie einander zuhörten, zunickten, es steht in der Erinnerung als classisches, rein schönes Bild der Männerfreundschaft. An jenem Abend war Rauch zum letzten Male in Gesellschaft und trank das letzte Glas Wein. Der andere Tag fand ihn auf dem Krankenlager, von dem er sich nicht mehr erhob. Es läßt sich denken, wie nahe Rietschel der Tod des Meisters ging, und er fand eine besondere Beruhigung darin, daß er die Büste des Meisters noch geschaffen hatte, die er alsbald, wenn ich mich recht erinnere, für Antwerpen in Marmor ausführte.

Mit vielem Humor erzählte Rietschel oft, wie es ihm in seiner ersten Dresdner Zeit ergangen war, als er in die Lehre zum Bildhauer Pettrich kam, der ihm wenig lehren konnte. Rietschel unternahm es auf eigene Faust einen Auftrag auszuführen und zum ersten Male ein kolossales Werk, eine Neptunstatue für Nordhausen, zu modelliren. Er hatte sie vollständig aufgebaut, da merkte er zu seinem Schreck, daß sich die Thongestalt beugte, bald da, bald dort; er brachte Stützen von außen an, aber eines Tages fiel das ganze Modell zusammen. Er hatte nicht gewußt, daß man das Modell um eine schwere, feste Eisenstange herum aufbauen muß. Oft erzählte er auch, wie es ihm erging, da er im Atelier Rauchs das erste Relief machte. Es war zu sehr ausgeladen, und der Meister ging oft still an ihm vorüber und betrachtete die Arbeit; dann blieb er einmal stehen, nahm dem Schüler die Spachtel aus der Hand, als wollte er corrigiren, schnitt aber das ganze Relief vom Bret ab, so daß es sich langsam vorn überbeugte und zur Erde fiel. Zu seiner und seiner Freunde größter Erheiterung ahmte er oft nach, wie es war, als das Relief eine so schöne Verbeugung machte und endlich vornüber fiel. Das Verhältniß zu Rauch war ein innig beglücktes. Rietschel erzählte gern davon, wie er den Meister nach München begleitet, ihm bei der Arbeit und namentlich auch in allen Schreibgeschäften und Rechnungen half. Auch davon erzählte er gern, wie er mit dem Meister bei Goethe war, um dessen Büste zu fertigen. „Als mich Goethe zuerst ansah, da war’s, als ob dessen ganzes Gesicht lauter Auge wäre, solch ein Auge sieht man nicht mehr auf der Welt.“ Als ich Rietschel einmal sagte, wie es zu den traurigsten Verlusten durch den Tod gehört, daß es kein Mittel giebt, um die Stimme, die Tonlage eines Abgeschiedenen zu vergegenwärtigen, und so auch ein ewiger Verlust bleibe, daß wir nicht wissen, in welchem Tone Goethe sprach – da versuchte Rietschel den vollen Brustton Goethe’s nachzuahmen und er behauptete, daß er das gut verstehe. Rietschel hatte, bevor seine Krankheit ihn hinderte, selbst einen schönen klangreichen Brustton und er liebte die Musik, besonders aber den Gesang.

Wieder, als Rietschel den Auftrag zum Lutherdenkmal erhielt, war er krank. Er las viele historische Schriften aus der Reformationszeit. Er machte sich vertraut mit dem Wesen der darzustellenden Charaktere und der ganzen Zeit-Atmosphäre. Eines Abends war ich mit Bendemann bei Rietschel, und das oft behandelte Thema kam wieder zur heißen Diskussion. Rietschel wollte historisch getreu, aber auch weil es sich künstlerisch bester ausnimmt, Luther im Mönchsgewande darstellen, zumal da ja auch Luther damals, als er das welthistorische Wort: „Hier steh’ ich, ich kann nicht anders“ – sprach, es in der That im Augustinergewande aussprach. Der Chorrock mit den Orgelpfeifen, wie Rietschel die langen Falten nannte, waren ihm zuwider; er gäbe kein Leben. Wir hielten ihm natürlich entgegen, daß Luther nun einmal so dargestellt werden müsse, wie er geschichtlich in der Vorstellung der Menschen steht, wenn er auch den Chorrock erst später anlegte; daß es sich beim Monumente, das die ganze Persönlichkeit zusammenfaßt, nicht um deren momentane Erscheinung handle, daß nicht nur der protestirende Luther, sondern der protestantische zu geben sei, nicht nur der höchste Moment der bewegenden Opposition, sondern auch die zur Ruhe gekommene geschichtliche That in der neuen Position. – Allem diesem wußte Rietschel scharfe Gründe mit tiefer Beweisführung entgegenzustellen. Ueberhaupt war er bei aller Milde und Zartheit seines Wesens doch auch zu heftigem Gegenkampfe geneigt. Er liebte und verwarf entschieden; er hatte nichts von der schwächlichen Vermittlungssucht, die es mit nichts und mit Niemand verderben und es Allen recht machen will, und ich glaube, daß dies durchaus nicht im Widerspruch steht mit der Milde und innigen Güte des Wesens. Wer wahrhaft liebt, voll und ganz, den muß naturnothwendig das Widersprechende abstoßen. Wer die Gesundheit und die Geradheit will, muß alle noch so schön aufgeputzte Corruption und alle noch so gefälligen Beschönigungen streng und ganz verwerfen. Wer den Eifer hat, etwas, was in ihm steht, ins Werk zu setzen und zur Geltung im Leben zu bringen, kann nicht auch das Entgegenstehende gelten lassen. Das schließt natürlich die Menschenfreundlichkeit gegen die Träger der Gegensätze nicht aus; aber die Wahrung der eigenen Persönlichkeit und ihrer unerschütterlichen Überzeugungskraft ist ebenso Recht als Pflicht. Es giebt ein Letztes in der künstlerischen und ethischen Persönlichkeit, das nicht mehr zur Discussion gestellt, nicht mehr mit Beweisführung gestützt werden mag. Hier stehe ich, ich kann nicht anders – so ruft jede überzeugungsfeste Persönlichkeit zuletzt auf einem gewissen äußersten Punkte.

Die geballte Faust, die Luther in zusammengedrängter Kraft auf die Bibel stemmt und damit jenes Urwort plastisch sichtbar ausspricht, das ist, nicht nur im Geiste Luthers, sondern auch im eingeborenen Geiste des Künstlers ebenmäßig nothwendig. Weichlichere, fügsamere Naturen möchten wohl hier die aufgelöste Hand wünschen, ein sanftmüthiges Hinweisen mit dem Zeigefinger auf die Bibel – aber Rietschel faßte geschichtlich und naturnothwendig die ganze Gestalt, als die aus innerster Glaubenszuversicht kämpfende und siegesgewisse; das Hin und Wider ist vorbei, es gilt nunmehr den ganzen kriegerisch geschlossenen Einsatz der Persönlichkeit, der der letzte und höchste Beweis innerer, unbeugsamer Ueberzeugung ist.

Rietschel war überaus glücklich, als er endlich eine Wohnung in dem Abendroth’schen Hause auf der Brühlschen Terrasse fand. [359] Er konnte den größten Theil des Weges nach seinem Atelier geschützt vor dem Luftzuge am Wasser zurücklegen. Wir hatten den letzten Winter von 1858 auf 59 eine feste, wöchentliche, abendliche Familien-Zusammenkunft mit Rietschel und einer andern uns beiderseits nahebefreundeten Familie. Rietschel war glücklich, wenn er bewirthen konnte, nur war er empfindlich, wenn man ihn mit der Billigkeit seiner Cigarren neckte, und er ließ sich endlich dazu herbei, für die Freunde eine bessere Sorte anzuschaffen.

Rietschel hatte es doch nicht unterlassen können, Luther im Mönchsgewande zu skizziren und daneben im Chorrock. Er stellte die Skizzen einigen wenigen Freunden vor. Er hatte es aber auch vermocht, der Gestalt im Chorrock derart Bewegung und künstlerischen Fluß zu geben, daß sich Alles für die Fassung entschied, in der wir jetzt das Werk sehen, das unstreitig zu dem Größten gehört, was die deutsche Kunst geschaffen.

Eines Umstandes muß ich erwähnen, weil er ein Beitrag zur Charakteristik unserer allgemeinen und besondern Verhältnisse in Deutschland ist. Rietschel hatte vom Luther-Comité in Worms den Auftrag zum Denkmal erhalten. Nun aber klagte ein eingeborener Künstler aus dem engern hessendarmstädtischen Vaterlande, daß es unrecht wäre, Rietschel die Arbeit zu übertragen; es müsse eine Concurrenz ausgeschrieben werden. Ich darf hier anfügen, daß ich, hiedurch veranlaßt, einen Aufsatz „Thesen zur Frage der Concurrenz in Dingen der bildenden Kunst“ in die Allgemeine Zeitung schrieb. Ich brachte Rietschel den gedruckten Aufsatz nach seinem Atelier, wo eben seine Frau ihn abholte. Wir gingen miteinander – es war Abend – nach einer Bierwirthschaft am Ufer der Elbe; dort las Rietschel den Aufsatz, schalt, wie immer, daß ich zu viel aus ihm mache, neckte mich, daß ich da sehr ketzerische aristokratische Ansichten bekunde, und hoffte doch auch Gutes davon.

Die hessendarmstädtische Regierung hatte sich vorbehalten, erst nach Ansicht des Rietschel’schen Entwurfs ihre Bestätigung zu geben. Rietschel mußte nach Darmstadt reisen. Es bangte ihm davor. Sollte es noch möglich sein, daß er, der sich so ganz in die Sache versenkt, abgewiesen würde? Oder gar, daß man ihm von außen her allerlei private Liebhabereien aufnöthigen wollte? Der alte Staatsrath I., der, wie ich glaube, damals Consistorialpräsident in Darmstadt war, gehörte zu den entscheidendsten und einflußreichsten Persönlichkeiten in dieser Frage. Rietschel wurde nun in Darmstadt trotz alles Widerstrebens veranlaßt, als er I. besuchte, seine sämmtlichen Orden anzulegen. Und nun – es war zum höchsten Ergötzen, wie das Rietschel erzählte – von einer Frage, ob er die Ausführung des Denkmals erhalten werde, war durchaus keine Rede mehr, der alte I. war äußerst zuvorkommend, begleitete Rietschel bis auf die Straße, machte sogar den Kutschenschlag auf und hob ihn hinein.

Ein großer Kampf war Rietschel noch beschieden, während er am Luther arbeitete. Er erhielt den Ruf als Director der Akademie nach Berlin. Wir verhandelten mit einander darüber sehr viel, und als er sich endlich entscheiden sollte, schrieb er mir – der Brief wird sich noch finden, ich war damals den Sommer über in Schandau – und ich antwortete ihm, daß es etwas gebe, das ihn unbedingt nöthige, den Ruf anzunehmen: das Lutherdenkmal rufe ihn nach Berlin. Noch war nur eine geringe Summe dafür zusammengebracht, und der Staat und die Hauptstadt des Protestantismus sei alsdann verpflichtet, das Denkmal zu Ende zu führen. Das half mit zur Entscheidung. Rietschel reiste nach Berlin, kam aber doch wieder ohne feste Verpflichtung. Er fürchtete zu sehr die Bureau-Arbeiten der Direction, die Nöthigung viel zu sprechen, und überhaupt glaubte er, daß er nicht der Mann dazu sei, zumal bei seiner angegriffenen Gesundheit, dem zu entsprechen, was man von ihm erwarten mußte. Die reine und strenge Gewissenhaftigkeit bewährte Rietschel im Leben, wie in seinem Schaffen, und es kann nicht anders sein, als daß es sich in beiden zugleich bewährt. Zudem hatte man Rietschel ein kaum auskömmliches Gehalt geboten, wenigstens war es im Verhältniß zu seiner Dresdner Stellung nach dieser Seite hin durchaus nicht verlockend, und jetzt gab sich die sächsische Regierung alle Mühe, das eingeborene Landeskind, das die Zierde des Landes war, festzuhalten, und Rietschel hing mit inniger Neigung an seinem Heimathlande und an den altgewohnten Verhältnissen.

Es war im Hochsommer 1859, als ich Rietschel einen ganzen Tag für mich hatte. Er kam am Mittag zu mir nach Schandau, blieb über Nacht und athmete mit wahrer Wonne die milde Luft dort im Elbthale ein. Wir saßen noch lange in seinem Zimmer am Fenster und schauten hinaus auf den mondbeglänzten Strom und die dunkeln Berge. Am andern Morgen kam Rietschel ganz früh zu mir, um in dem Berggarten an meiner Wohnung den Kaffee zu trinken. Wir saßen dort unter dem Kastanienbaum, bis die heiße Mittagssonne uns vertrieb. Dann gingen wir in das Kirnitzschthal in den Wald, und hunderterlei, ach leider Vergessenes, was aber doch wie ein stilles ewiges Leben in der Seele ruht, sprachen wir da mit einander. Am Nachmittag war Rietschel voll Heiterkeit, da wir allesammt mit dem anwesenden Dingelstedt und dessen Frau uns an Speise und Trank erlabten. Ich habe Rietschel selten so von Grund des Herzens lachen sehen, als damals, da bei Tische die beiden Frauen als geborene Oesterreicherinnen einander im Erzählen heimathlichen Scherzes überboten. Dann ging’s wieder gemächlich hinaus in’s schattige Thal, bis es endlich Zeit war, den Abendzug nach Dresden zu erreichen. Wir setzten über den Strom. Wir saßen noch eine Weile auf dem Bahnhofe, still hinausschauend nach den Schrammensteinen, die jetzt von der untergehenden Sonne erglühten, die hinter dem Liliensteine verschwand. Dann stieg Rietschel ein; wir hätten ihn gern in lauter Herzlichkeit getragen, so wohl und glücklich machte die Anwesenheit dieses herrlichen Menschen.

Ich kam zum Schillerfeste von meinem Landaufenthalte nach der Stadt. – Es waren wunderbar sonnige Tage, jene Tage vom 9. bis 11. November. Ich war viel bei Rietschel, der leider an keiner der öffentlichen Festlichkeiten Theil nehmen konnte. Ich ging am Mittag des 9. lange mit ihm spazieren, durch die Stadt und über die Terrasse. Ueberall wurden Kränze gewunden, Fahnen getragen, und alle Menschen, kein Stand ausgenommen, waren von dem einen großen Gedanken des Festes bewegt. Ich war erhoben, daß es uns Deutschen und uns Allen, deren Gedankenarbeit uns so oft von dem Gemeindebewußtsein ausschließt, vergönnt war, einmal ein großes, nationales Culturfest mitzufeiern. – Es war in der Welt eine Stimmung, wie zu den olympischen Festen, aber größer und weiter, wie es eben die neue Welt mit sich bringt. Rietschel lächelte zu solchen hochgehenden Betrachtungen und fragte mich: „Sag’ ehrlich, glaubst Du nicht, daß mehr Politik als Schillerverehrung dahinter steckt?“ – Ich erklärte ihm, wenn man das Bewußtsein, daß man einmal etwas Einiges habe, um das man sich sammle, den Gedanken, daß ein Mann und ein Name den edelsten Inhalt unsers Lebens ausdrücke, wenn man das Alles Politik nennen wolle: so sei dies allerdings dabei. Aber in der Einheit der Empfindung des gesammten Lebens liegt eben die Politik mit eingeschlossen. Unser deutsches innerstes Leben ist ein nicht blos politisches, sondern wir wollen das politische Leben in Einheit und Freiheit um der Bildung und Menschenhoheit willen. Rietschel gestand mir, daß er eigentlich blos gefragt habe, um sich bekehren zu lassen, und war nun selbst froh und glückselig.

Ich las Rietschel am Nachmittag die Ansprache vor, die ich im Auftrage des Comités als erste Einleitung zum Festbanket halten sollte. Mehrere Freunde waren dagegen, daß ich diese Worte geradezu lese. Ich war aber der Meinung, daß ich es nicht darauf ankommen lassen dürfe, einen so hohen, nie wiederkehrenden Moment einer unmittelbaren Eingebung zu überlassen. Denn nichts ist peinlicher, als beim Niedersetzen sich sagen zu müssen: du hast nicht gesagt, was du sagen wolltest, hast es in anderer Weise oder gar ganz Anderes gesagt. Ein Vorbereitetes aber auswendig zu lernen, und sich den Schein zu geben, als ob es aus dem Momente entsprungen, erschien mir unwahr und unwürdig. Rietschel gab mir, im Widerspruche mit Anderen, Recht zu diesem Verfahren, und ich las die gesetzten Worte um so beruhigter. Auch am andern Tage war ich wieder bei Rietschel. Er hielt sich still, wie ein Einsiedler, während draußen die hellste Festfreude jubelnd durch alle Straßen und alle Herzen zog. – Das Goethefest 1849 hatte Rietschel noch mit feiern können. Er hatte damals im Harmoniesaale die sitzende Goethe-Statue drapirt, die so sehr gefiel, daß er sie in kleinerem Maßstabe zum Zimmerschmuck ausführen mußte. Das Schillerfest konnte der Bildner Lessing’s, Goethe’s und Schiller’s nicht in der Gemeinschaft mitfeiern.

Nochmals im vorigen Sommer brachte ich einen ganzen Tag mit Rietschel zu. Wir saßen wieder miteinander im kühlen Waldthale. Rietschel war unruhig und besorgt, zog seinen Paletot bald an bald aus und besonders, als zwei Finken hüben und drüben am Berge einander immer zu schmetterndem Gesange aufreizten, [360] hörte er mit Entzücken zu. Auch eine Goldammer pfiff auf einer Erle am Bach, und ich sagte ihm, daß man in meiner Heimath dem Gesange dieses Vogels allerlei Worte unterlegt; neben vielem Derben sagt man auch, daß die sechs kurzen Töne und der langgezogene Schlußton der Goldammer eigentlich heiße: „Wie, wie hab’ ich dich so lieb!“

Als wir wieder über die Elbe fuhren, sagte Rietschel: „Es ist doch schön! Wie, wie hab’ ich dich so lieb – singt der Vogel.“ Nochmals reichte er die Hand zum Wagenschlage heraus, hielt meine Hand fest und schaute mich noch lange an mit seinen treuen Augen, und das war das letzte Mal, daß ich in sein Auge schaute und seine Hand hielt. – Wenn ich wieder von Ufer zu Ufer fahre, werde ich des Liedes unsers Uhland gedenken:

Ueber diesen Strom vor Jahren,
Bin ich einmal schon gefahren;
Und von diesem Kahn umschlossen
Waren wir da zween Genossen …

So, wenn ich vergangner Tage,
Glücklicher, zu denken wage,
Muß ich stets Genossen missen,
Theure, die der Tod entrissen.

Doch was alle Freundschaft bindet,
Ist, wenn Geist zu Geist sich findet;
Geistig waren jene Stunden,
Geistern bin ich noch verbunden. –



  1. Ueber Leben und Wirken des Schöpfers der Lessingstatue, der Schiller-Goethegruppe und des Lutherdenkmals verweisen wir unsere Leser auf Jahrgang 1857, Nr. 41.
    D. Redact.