« Sonntag nach dem Beschneidungsfest Wilhelm Löhe
Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
Register der Winterpostille
Epiphanias 01 »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|

Am Erscheinungsfeste.

Jesaia 60, 1–6.
1. Mache dich auf, werde Licht; denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des HErrn gehet auf über dir. 2. Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir gehet auf der HErr und Seine Herrlichkeit erscheinet über dir. 3. Und die Heiden werden in deinem Lichte wandeln und die Könige im Glanz, der über dir aufgehet. 4. Hebe deine Augen auf und siehe umher: diese alle versammelt kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter zur Seite erzogen werden. 5. Dann wirst du deine Lust sehen und ausbrechen und dein Herz wird sich wundern und ausbreiten, wenn sich die Menge am Meer zu dir bekehret und die Macht der Heiden zu dir kommt. 6. Denn die Menge der Kameele wird dich bedecken, die Läufer aus Midian und Epha. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HErrn Lob verkündigen.

 DEr heutige Festtag hat unter allen, die wir feiern, oder genauer zu reden, die man in der Christenheit feiert, denn überall wird er nicht gefeiert, das wunderlichste Schicksal gehabt. In der grauen Vorzeit der ersten christlichen Jahrhunderte feierte ihn das christliche Morgenland als Geburtstag JEsu, bis von Rom her die abendländische Tradition, nach welcher Christus am 25. Dezember, also zwölf Tage vorher geboren ist, auch in das Morgenland eindrang und durch die schlagende Kraft ihrer Gründe den zähen Morgenländer dahin brachte, daß er von seiner Gewohnheit ließ und mit dem Abendlande den Geburtstag JEsu feierte. Da verlor denn der 6. Januar die große Würde und Bedeutung, die er zuvor gehabt hatte. Doch hörte er keineswegs völlig auf, ein Fest zu sein, sondern er mußte sich nur mit geringerer Feier begnügen. Diese neue, geringere Feier war nun aber wieder keine einträchtige, denn das Morgenland feiert seitdem an diesem Tage das Fest der Taufe JEsu, während das Abendland vorzugsweise die Ankunft der Weisen bei der Wiege des ewigen Erlösers feiert. Wir Protestanten folgen in diesem wie in andern Stücken dem allgemeinen abendländischen Zuge, so jedoch, daß auch wir neben der hauptsächlichen Feier des Besuchs der Weisen in Bethlehem auch an die Taufe JEsu und an das erste Wunder zu Cana denken. Auch in der Aufnahme dieser dreifachen Beziehung folgen wir dem allgemeinen abendländischen Vorgang. Indessen spreche ich, so lange ich heute rede, von dem Epiphanientage als von einem allgemeinen abendländischen Feste, während ich doch Ursache habe, es zu den Schicksalen des Tages zu rechnen, daß er hie und da unter uns gar nicht gefeiert wird und auch hier bei uns nur eine Art von zufälliger Feier hat. Nicht zur hohen Feier, nicht zum Sakramente sind wir hieher gekommen, sondern es ist ein gewöhnlicher Mittwochsgottesdienst, zu dem wir uns versammelten und bei welchem wir, weil gerade der 6. Januar ist, des Festes gedenken, das man allenthalben feiert. Es wird ja doch wol einmal wieder anders werden und der Epiphanientag und vielleicht manch andrer, der gleich ihm abgekommen ist, sonderlich der Tag der Verkündigung Marien, die Wurzel der Zeiten, in den alten Glanz und die frühere Feier wieder eintreten. Bis dahin üben wir die Feier, zu der wir keine Genehmigung| eines irdischen Kirchenregimentes bedürfen, die innerliche Feier der Andacht, die beßer ist, als jede äußere, und benützen die schöne Gelegenheit, die wir heute haben, bei diesem Gottesdienste mit einander eine Betrachtung über den verlesenen Festtext anzustellen. Es sei nun Fest unter uns! Die Herzen in die Höhe! Den Mangel vergeßend, den unsre Feier hat, wenden wir unsre Blicke nun ganz zu dem Texte. Der HErr aber laße uns nicht ohne Almosen Seines Geistes von hinnen gehen.

 Das heutige Evangelium erzählt die Geschichte von dem Besuch der Weisen aus Morgenland. Die Geschichte ist euch bekannt und ich habe mir nicht vorgenommen, über sie zu predigen. Aber allerdings trägt sie ein ganz eignes Gepräge; und wie man erstaunt über die Heerschaaren der Engel, die aus der Höhe kommen und sich in der Nähe der stillen verborgenen Krippe sammeln, in welcher Christus liegt; so erstaunt man über den Zug der Magier, welcher unter Anführung des Sternes von Jerusalem her nach Bethlehem kommt. Die Heimat weiß nichts von einem neugebornen König, aber die Himmel versammeln sich über seiner Geburtsstätte und erheben ihr unsterbliches Lied, – und ferne Heiden, weise Männer, Sternkundige, mit irdischen Gütern gesegnete, ziehen heran, um Dem Anbetung zu geben, für welchen sein Vaterland und seine Vaterstadt in der Nacht seiner Ankunft nur einen Stall zur Herberge, und zur Zeit, da die Weisen kamen, nur ein Haus hatte, das die Weisen nicht als Seinen Aufenthalt errathen hätten, wenn nicht der Stern darüber stehen geblieben wäre. Da zeigt sich an den beiden Beispielen der Engel und der Hirten ein Vorspiel größerer Zeiten und hoher Ewigkeiten, in welchen der Name des HErrn JEsus zu allgemeinen gerechten Ehren kommt. In die Zeit Seiner Kindheit aber fallen die beiden großen Begebenheiten wie helle Strahlen in stilles Dunkel. Wie die aufgehende Sonne zuweilen, noch ehe sie erscheint, einen flammenden Strahl über die Berge hervorschießt, so müßen Engel und Heiden die zukünftige Glorie des großen Königs ansagen, während Er selbst noch wie ein stilles Samenkorn in der Verborgenheit seiner göttlichen Jugend wohnt.

 Man hat den Epiphaniastag in der neuern Zeit um des Besuchs willen, welchen die Magier bei dem neugebornen Christus machen, zum allgemeinen Missionsfest vorgeschlagen, und wenn man auch damit nicht völlig übereinzustimmen Gründe haben, wenn man vielleicht einen Tag in der Nähe des Himmelfahrts- oder Pfingstfestes zu einem Missionsfeste für passender finden könnte; so könnte man sich doch am Ende auch darein finden, den Epiphanientag als Missionsfest gelten zu laßen und zu feiern. Man darf ja nur weniger auf die Weisen sehen, die da kommen, als auf den Stern, der wie ein großer Evangelist und Missionar zu ihnen in ihr Land gegangen und sie zu Christo berufen hatte. Man darf nur weniger auf den Besuch der Weisen sehen, als auf die Offenbarung, die ihnen geschieht; man darf nur daran denken, daß der Tag Theophanie oder Epiphanie, d. i. Gottesoffenbarung, Gotteserscheinung heißt, man darf die Erscheinung nur als Erscheinung für die Heiden, für die Weisen deuten, wie man es vielfach, wenn auch nicht mit vollem Rechte, thut: – so hat man Anhalt genug, um den Tag zum allgemeinen Missionsfest zu machen. Doch wird man immerhin mit Recht auch auf den Unterschied hinweisen dürfen, welcher zwischen der Heidenmission und dieser Begebenheit ist. Es ist da ähnlich, wie wenn jemand in dem Gang der Hirten von den Feldern, wo die Engel predigten, zur Krippe hin die Judenmission vorgebildet fände. Der Stern und die Engel sind eben doch keine Missionare, wie sie nach Pfingsten ausgegangen sind und erst nach Pfingsten ausgehen konnten. Sie sind Boten aus jener Welt, deren Geschäft und Auftrag einzig in seiner Art ist. Auch setzt die Mission den vollendeten Lebenslauf Christi und das vollbrachte Werk der Erlösung voraus, während sich bei der Geschichte der Hirten und Weisen alles darum handelt, daß die Person des göttlichen Erlösers vor unverwerflichen Zeugen auf eine recht auffallende und unverkennbare Weise documentirt und nachgewiesen werde. Endlich kommen hier nicht die Missionare oder Christen zu den Heiden, sondern sie kommen zu Ihm mit einer Erkenntnis und einem Lichte, mit Opfer und Gaben und mit einer Anbetung, die, so unwidersprechlich sie da ist, doch auf der andern Seite etwas ganz Außerordentliches und fast das Gepräge patriarchalischen oder prophetischen Lichtes und Lebens hat.

 Nimmt man nun völlig die prophetische Lection des heutigen Tages hinzu, welche euch anstatt der Epistel verlesen wurde, so wird man zwar unzweifelig| nur desto mehr über die Verbindung frohlocken, welche zwischen dem König der Juden und den Heiden an’s Licht tritt, aber man wird sich gestehen müßen: hier ist mehr als Mission, hier ist nicht etwa blos die Mission im höchsten Schwange, hier ist ein wunderbarer und außerordentlicher Erfolg der Mission, ja ein Ende aller Missionen angedeutet und eine Glorie des Reiches Gottes, welche die Glorie aller Missionen überstrahlt. Das werden wir erkennen, wenn wir mit einander den prophetischen Text etwas genauer beschauen.

 Dieser Text ist ein Teil des 60. Kapitels Jesaias, mit welchem der letzte Teil der Schriften des großen Propheten beginnt. Dieser letzte Teil fällt in die späteste Zeit der Lebensjahre Jesaiä und ist wol später als die Rückkehr Manasse aus der Gefangenschaft zu setzen, so daß der Prophet selbst damals zwischen 90 und 100 Jahre alt gewesen sein muß. Was für ein Alter, zumal nach einem solchen Leben! Und doch was für eine Jugend des Geistes in dem ganzen letzten Abschnitt der Weißagung, welch ein Blick der Freuden in eine ferne Zeit, von der der 90 fast 100jährige Greis doch sicher gewußt hat, daß er sie im Leibe des Todes nicht sehen würde. Ihm thaten sich Hoffnungsfreuden auf, die für manche in spätern Zeiten rein unglaublich geworden sind. Was insonderheit das 60. Kapitel anlangt, aus welchem unser Text genommen ist, so muß ich gestehen, daß es mir eine wahre Entsagung gekostet hat, nicht alle Verse, den ganzen Verlauf des Abschnittes diesem Vortrag als Lection voranzustellen. Es will in der That das Kapitel ganz gelesen sein, wenn man den vollen Blick in die herrliche Zukunft, welche uns der Prophet enthüllt, bekommen will, und ich bitte euch alle, meine theuren Freunde, euch selbst die Epiphanienfreude zu machen und wenigstens in euren Häusern die 22 eng zusammenhängenden Verse nachzulesen.

 Die sechs ersten von diesen 22 Versen bilden unsern Text. Er ist ganz verschieden von den gewöhnlichen epistolischen Texten, die wir im Kirchenjahre zu lesen pflegen. Es kann nichts verschiedener sein. Während die Episteln Belehrung, Bestrafung oder Stellen enthalten, die zur Beßerung und Züchtigung dienen können, ist in unserm Text alles Gesicht, und das Bild einer fernen Zukunft wird aufgerollt. Da bleibt uns auch nichts anders übrig, als daß wir uns das Bild beschauen, das uns gezeigt wird.

 Man muß sich den Propheten gewissermaßen außerhalb Jerusalems wie auf einer Warte denken, auf einer Warte, die ihm den Blick nicht blos über die Stadt, sondern über die ganze Erde hin bietet. Es ist eine innere Warte der Seele und der Blick derselben wird vom Geiste Gottes selbst hell gemacht. Zuerst liegt die Welt vor dem Auge des Propheten im Dunkel und in der dunkeln Welt auch Jerusalem mit Finsternis bedeckt. Da auf einmal geht über der heiligen Stadt, während in den Landen rings umher die dichte Finsternis bleibt, ein helles Licht auf und die Herrlichkeit des HErrn erscheint über Seinem königlichen Sitze. Ein überraschender Gegensatz zwischen Jerusalem und der übrigen dunkeln Welt. Eine mächtige Freude durchdringt den Propheten, so daß er mit lauter Stimme der schlafenden Zion zuruft: „Mache dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit Jehovas gehet auf über dir; denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker, aber über dir geht auf der HErr und Seine Herrlichkeit erscheint über dir.“ Nehme man nun hier Licht und Finsternis blos geistig und geistlich, oder auch leiblich, die Sache bleibt sich gleich: Israel steht in hohen Gnaden und eine Zeit des offenbaren Vorzugs vor allen Völkern ist über ihm angebrochen. –

 Indeß das Bild geht weiter. Das Licht, welches über Zion und Israel erschienen ist, nimmt zwar die Dunkelheit nicht von den Völkern und Landen der Welt, aber es wird bemerkt, es zieht mit mächtiger Kraft die Völker an und es entsteht in der weiten Welt eine große Bewegung dem Licht entgegen, welches in Zion scheint. Das sieht der Prophet auf seiner Warte. Erstaunt ruft er der schlummernden Zion zu: „Es wandeln die Heiden deinem Lichte nach und Könige dem Glanz zu, der über dir aufgeht.“ Zion wird der Mittelpunkt, der Zielpunkt einer Bewegung, die alle Völker und ihre Könige ergreift. Die heilige Stadt weiß selbst kaum, was ihr begegnet, hat sich in ihr eignes Glück kaum gefunden, da strömt und wallfahrtet es bereits von allen Seiten auf sie zu und von allen Bergen rings umher kommen Pilgerströme gezogen. Eine große Menge, eine unabsehbare Zahl, so daß der Prophet in immer steigender Freude ausruft: „Heb’ deine Augen auf und| sieh’ umher: diese alle versammelt kommen zu dir.“ Nun werden sie geschaut, die Schaaren, die da kommen, nun werden sie gemustert. Sind’s etwa Feinde, die herkommen, um die Stadt einzunehmen? Ist’s etwa wie in den Tagen Assurs und Babels? Nicht also, denn es leuchtet ja die Herrlichkeit Gottes über der Stadt, schirmt sie vor Feinden und ist Schirm und Schild gegen alles Böse. Die Bewegung ist friedlich, die Schaaren ohne Zahl kommen mit Freuden. Jerusalem ist eine Stadt, wo nicht blos die Stämme des Volkes Gottes zusammenkommen, sondern alle Völker der Heiden sich sammeln. Es ist wie eine Einkehr zu schauen. Die Kinder, scheint es, kommen aus der Fremde in die Heimat. – Der Prophet erklärt das sich entwickelnde Bild weiter: „Deine Söhne kommen aus der Ferne und deine Töchter werden auf den Armen getragen.“ Es ist die Menge am Meer, die sich nach Zion kehrt, die Macht der Heiden kommt zum HErrn nach Jerusalem: alle Kinder Japhets eilen herzu. Auch von Süden herauf kommt man, die Nachkommen Abrahams, nicht von Isaak, Midian und Epha und Saba, bekehren sich zu ihrem Vater Abraham und deßen echten Kindern. Wie die Kinder Japhets auf Gefährten und Schiffen daher fliegen gleich Wolken und wie die Tauben zu ihren Fenstern, so kommen die Leute von Süden auf Schiffen der Wüste, auf Kameelen und Dromedaren. Gold und Weihrauch und aller Reichtum der Welt wird mitgebracht und der Einzug der reichbeladenen Schaaren geschieht mit Lob und Preis. Kein Wunder, daß nun Zion erwacht und wonnevoll die Ankömmlinge begrüßt und den Lobsängern antwortet, die von den Bergen herein ziehen. Das beschreibt der Prophet in den beiden Textesversen: „Dann wirst du deine Lust sehen und ausbrechen und dein Herz wird sich wundern und ausbreiten, wenn sich die Menge am Meer zu dir bekehrt und die Macht der Heiden zu dir kommt. Denn die Menge der Kameele wird dich bedecken und die Läufer aus Midian und Epha. Die Läufer aus Saba werden alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HErrn Lob verkündigen.“ – Bis hieher geht unser Text. O daß man hier abbrechen muß, da man doch erst unter den Pforten des herrlichen Kapitels und bei den Erstlingsfreuden Israels steht! Daß man nicht weiter lesen und betrachten und schauen darf, was es nun für eine Herrlichkeit und ein wunderliebliches Leben in Zion gibt, wo Heiden und Juden eins werden und eine heilige Kirche bilden unter dem Licht der Herrlichkeit des HErrn! Aber freilich, es soll ja aus der Weißagung eine Stelle gelesen werden, die zur Geschichte der Magier paßt, welche zum neugebornen Christus kommen. Und was kann da schöner passen, als Kameele und Dromedare der Pilger, die nach Zion kommen und der Schluß der Lection: „Sie kommen, Gold und Weihrauch bringen sie, und des HErrn Lob verkündigen sie.“ Passende, herrliche Wahl, zumal wenn sie recht verstanden wird!
.
 Werden sich wol, meine lieben Brüder, die heiligen Apostel am ersten Pfingsttag, da St. Petrus in seiner Rede Apostelg. 2. die euch allen bekannte Weißagung aus dem Propheten Joel anführte, gedacht haben, daß an jenem ersten Pfingsttage die ganze Weißagung Joels hinausgegangen sei? Konnten sie das denken, wenn von Blut und Feuer und Rauchdampf die Rede war? Gewis nicht. Sie sahen den herrlichen Anfang einer Erfüllung, welche ferne Zeiten umfaßte, und wollten nicht blos auf sich und ihre Erfahrungen bezogen wißen, was der Geist auf alle Zeiten des Endes deutete und sagte. Gerade so auch hier. Werden sich jene alten, weisen Väter der christlichen Kirche, aus deren Händen die Wahl unsrer Texte hervorgieng, wol gedacht haben, daß die wunderschöne und selige Geschichte der Weisen von Morgenland die einzige Erfüllung der Weißagung Jesaiä im 60. Kapitel seines Buches sei? Die Weisen aus Morgenland mit ihrem Gold und Weihrauch und ihren Myrrhen, mit ihrer großen Freude und ihrem Lob des HErrn, sind Erstlinge und Herzoge; aber die Menge am Meer und die Macht der Heiden kann man an ihnen nicht erkennen, und ihre Kameele und Dromedare werden die heilige Stadt nicht bedeckt haben. Auch brach Zion bei ihrem Anblick nicht aus in Lust und ihr Herz breitete sich nicht aus, als sie kamen. Dazu kommen sie nicht nach Jerusalem, sondern nach Bethlehem, und ob sie gleich in einem Lichte wandeln, das von Zion stammt, so leuchtete doch noch nicht die Herrlichkeit des HErrn über der heiligen Stadt, sondern Finsternis und Dunkel bedeckete Jerusalem und Israel damals noch eben so wol, als die heidnischen Völker. Das alles ist so einfach und so unwidersprechlich, daß eine Auslegung des Textes rein auf die Weisen von Morgenland denjenigen eine| unmögliche Sache sein muß, die ihr Auge und ihren Verstand nicht durch alte und neue Ansichten von geistlichen Auslegungen haben blenden laßen. Nein, die Weisen aus Morgenland sind nicht blos ein Anfang der Erfüllung theurer Weißagungen Gottes, sondern sie sind selbst eine Weißagung und deuten mit ihrem einsamen Besuch bei JEsu, der wie ihr Stern bald Licht und Klarheit verlor, auf eine ferne große Zeit, deren mächtige und gewaltige Bewegung erst recht zeigen wird, wie groß der HErr ist, den die Hirten in der Krippe und die Weisen im stillen Häuschen trafen.

 Ich weiß, meine Brüder, wie viel Deutelei mit den Propheten je und je getrieben worden ist. Die mancherlei uneinigen, verwirrten Auslegungen der Propheten haben diese selbst in einen Ruf gebracht, daß sie dunkel und unverständlich seien, so daß diejenigen, welche die Notwendigkeit eines göttlichen Interpreten auf Erden für die ganze Kirche behaupten, siegreich sich auf die prophetischen Schriften berufen können. Die Propheten sind aber so klar und deutlich, wie andre Schriften des heiligen Geistes, wenn man einerseits die genügende Kenntnis der Geschichten der Könige Israels und Judas mitbringt, für deren Zeiten die Propheten redeten und schrieben, andrerseits aber die Schrift ungedeutet läßt und nimmt, wie sie da steht. Es ist ja freilich wahr, daß manch prophetisches Gesicht nur bildlich zu nehmen ist und der wahre Sinn daraus erst entwickelt werden muß. Wenn es z. B. im 23. Vers unsers Kapitels heißt: „Deine Sonne wird nicht mehr untergehen, noch Dein Mond den Schein verlieren“, so kann das freilich nicht wörtlich verstanden werden, weil ja der Mond den Schein gar nicht bekäme, wenn die Sonne nie untergienge. Es soll daher durch diese Stelle eben so wenig wie durch den 19. Vers, Sonne und Mond aus der Welt weggeleugnet und gesagt werden, daß Christus ohne Sonne und Mond die leibliche Welt erleuchten werde. Wo aber eine Stelle bildlich zu nehmen ist, da veranlaßt die heilige Schrift selbst dazu, während in den Stellen, in welchen das nicht der Fall ist, nicht Auslegung, sondern einfache Auffaßung deßen, das geschrieben ist, und treues Merken aufs Wort an der Stelle ist. Haben unsre Väter aus mancherlei Ursachen, sonderlich aber, weil sie wie auch wir noch in der Zeit lebten, da die klugen Jungfrauen mit den thörichten entschlafen sind, sich mit Auslegungen geplagt, so ist es gerade die Gnadengabe, welche uns Gott in diesen Tagen darbeut, die Offenbarung von den letzten Zeiten ohne Deutung aufzufaßen und dadurch in den Reichtum der Schrift und in die Herrlichkeit unsrer Hoffnung einzudringen. Wir brauchen am allerwenigsten bei unsrem Texte uns mit Deuten abzugeben, da gerade ohne Deutung nach dem Wort laut die prophetische Rede sich am schönsten mit dem Evangelium zusammenschließt, und uns eben dadurch die göttliche Theophanie oder Epiphanie nicht zu einer vergangenen und abgeschloßenen, sondern zu einer solchen Thatsache wird, die sich immer herrlicher, am herrlichsten aber am Ende entfaltet. Das laßt uns nun noch sehen.

 Die Geschichte, welche uns das heutige Evangelium berichtet, verhält sich zu der, die wir Jes. 60 durch den Geist der Weißagung zum Voraus geschildert finden, wie der Stand der Erniedrigung JEsu zum Stand der Erhöhung. Sie ist ausgezeichnet vor allem, was damals auf Erden geschah, sie ist wunderbar, man mag nun die Art und Weise ansehen, in welcher die Weisen durch einen Stern berufen und geführt wurden bis zum Neugebornen, oder man mag ihr inneres Licht und den Glaubensblick in Betrachtung ziehen, vermöge deßen sie in dem armen Kinde den HErrn der Herrlichkeit erkannten. Doch muß man gestehen, daß sie von demjenigen, was Jesaias berichtet, an Herrlichkeit übertroffen wird, wie eben der Stand der Erniedrigung JEsu durch den der Erhöhung. Denn am Ende der Tage, wenn Zeit und Stunde gekommen sein wird, das Reich Israel aufzurichten und am heiligen Lande und seiner angestammten Bevölkerung die Weißagungen in Erfüllung zu bringen, da wird JEsus Christus nicht mehr in der Gestalt des sterblichen Fleisches, sondern nach dem Zeugnis der Propheten in der Herrlichkeit Seines Vaters über Zion aufgehen und in der heiligen Stadt, wie in den Tagen des ersten Tempels, Seine Wohnung nehmen. Dann werden nicht mehr einzelne Weise, sondern Völker und Könige die Verbindung mit Israel suchen und Jerusalem wird die Mitte der Völker werden. Die augsburgische Confession hat gewis Recht, wenn sie die judaisirende Meinung verwirft, nach welcher am Ende der Tage eitel Heilige ein weltliches Reich haben werden. Da ist kein weltliches Reich zu erwarten, auch nicht| zu bestimmen, wie sich in der von den Propheten so vielfach geweißagten seligen Zeit Israels auf Erden alle Dinge gestalten sollen. Aber das ist aus Jes. 60 gewis, ein Zug und eine Liebe der Völker zu Jerusalem und dem Volke Israel, eine Gemeinschaft, ein Friede und eine Liebe zwischen Juden und Heiden, eine Erhebung des heiligen Volkes und Landes, wie nie zuvor, wird stattfinden, wenn auch nur das in Erfüllung geht, was Jes. 60 geschrieben steht, von den übrigen Propheten und der Offenbarung Johannis nicht einmal etwas zu reden. Leset nur einmal das 60. Kapitel im Zusammenhang und schauet zu, ob ein getreuer Leser sich mit dem Gedanken befreunden kann, daß alle diese 22 Sprüche von weiter nichts reden, als von der verborgenen geistlichen Herrlichkeit der Kirche, so wie sie je und je gewesen und noch ist. Nein, nein, da wird es eine ganz andre Epiphanie geben, als wir jetzt feiern und als sie den Weisen geschenkt wurde, da wird mit Macht in Erfüllung gehen und in einer Treue, ich möchte fast sagen Buchstäblichkeit, was die Propheten schreiben, daß man sich über den Gott wird wundern, der solches Alles voraus bereitet und bedeutet hat und zur rechten Zeit es erfüllt. Es ist keine Zeit, aus allen Zügen, die die Schrift enthält, ein harmonisches Bild der großen Glückseligkeit der herrlichen Zeit zusammenzustellen. Wer würde das auch vermögen, wer die Weisheit dazu haben, wem würde nicht über der Ausführung der Aufgabe Muth und Kraft zerrinnen? Hier gilt, daß kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieb haben. Indeßen lesen wir genug und auch unsre armen Versuche, die geweißagten Siege zu einem Bilde zusammenzufaßen, geben wenigstens so viel Licht, daß unser Herz dadurch entzündet und voll Hoffnung und unser Geist erfreut wird über die kommende Epiphanie des HErrn und über die Anbetung der Völker gegen Den, den auch die Weisen aus Morgenland angebetet haben. Es muß erst kommen das Vollkommne, da hört das Stückwerk auf, da wird groß werden die Anbetung. Gold, Weihrauch und Myrrhen, Gott und seinem Christus dargebracht, wird viel und des Lobgesanges kein Ende werden in den Thoren Jerusalems. Des leben wir in großer fröhlicher, freudiger Hoffnung.

 Bis aber die Zeit unsrer Hoffnung über den Gräbern der Vorzeit und vielleicht auch über den unsrigen aufgeht, nahen wir im Geist und Gebete lobend und dankend dem treuen König Israels, der unsre heidnischen Väter und uns durch sein Evangelium berufen, der nicht gewartet hat, bis daß wir kämen, sondern als ein guter Hirte uns verlorene Schafe besucht und zu der einen Heerde gebracht hat. Er hat uns wilde, heidnische Zweige durch Seine heilige Taufe in den guten Oelbaum Seiner Kirche eingepfropft und auch uns eingeleibt in den großen heiligen Leib, der die Hoffnung eines ewigen Lebens hat. Wir sind Kinder Gottes geworden aus Feinden, Abrahams wahrer geistlicher Same, Erben Gottes und Mitarbeiter JEsu Christi. Dafür sei Ihm hier schon Dank und Psalm und Lob und Opfer gebracht. Unsre Herzen sollen Ihm grünen, unsre Lieder Ihn feiern und unsre Liebe, unsre feurige, betende, andachtsvolle Liebe, soll Ihm alle Tage und Stunden aufs neue geschenkt und dargebracht sein für Seine große Wolthat, daß wir Christen worden sind. Weil aber eine Liebe ohne That und Werk keine wahrhaftige Liebe ist und sich keine Liebe unbezeugt laßen kann, so muß auch diese unsre Liebe zu unsrem HErrn und Erlöser ihre Aeußerung, ihre Früchte, ihre Werke haben. Da fragen wir auch nicht lange: „Was soll ich dir, mein Seelenfreund, für Deine Treue geben?“ Wir wißen längst schon, wonach Er begehrt und nach welchem Danke Ihn von uns hungert. Er will geehrt sein in den Seinen, gesalbt in Seinen armen Gliedern, besucht in Seinen Kranken und Gefangenen, gespeist, getränkt, gekleidet in Seinen Hungrigen, Durstigen und Nackten. Unter den Juden und Heiden soll Sein Evangelium geopfert, dem Glaubensgenoßen soll allerlei Gutes gethan werden, und je nachdem eines oder das andre Seiner Gebote winkt, sollen die Werke der Heiligen als Schaubrode in sein Heiligtum gelegt werden. Das wißen wir, und darum wird uns der Epiphaniastag zum Offertorium- und Opfertage, und was wir alle Tage für unsre Pflicht erkennen, das wird uns heute zur besondern angenehmen Aufgabe, wie ihr dies ja selber wißt, meine Lieben, und wie wir deßen in unsrer Gemeine bereits eine selige Gewohnheit haben.

 Wolan, am Weihnachtsabend und Weihnachtsfeste haben wir unsern Kindern und Freunden je nach Liebesdrang und Vermögen Geschenke und Gaben zugebracht. Heute bringen wir sie JEsu selber und| wir bitten Ihn, daß Er sie für Seine heiligen Zwecke annehmen möge und treulich brauchen laße. Welch ein schöner Tag! Da stehen die Diener Gottes und die Kirchenvorsteher der Gemeinde, um die Handlanger eurer Barmherzigkeit zu sein. Da bringen sie eure Gaben dankend, lobend und preisend Dem in euerm Namen dar, der keinen Becher kalten Waßers unbelohnt laßen zu wollen erklärt hat. Er braucht uns ja freilich nicht, Sein ist ja Silber und Gold, Korn und Waizen und Erdäpfel und alles, was ihr bringet. Von wem habt ihrs denn, wenn nicht von Demjenigen, dem ihrs gebt. Aber eine solche Freude hat Er an der Barmherzigkeit und Liebe, daß Er die Armen und Elenden auf Erden und die da Mangel leiden zu Seinen Stellvertretern ernannt hat. Da wird Er selber zum Armen, zum Bettler, zum Nackten, zum Kranken, ja endlich gar zum Juden und Heiden und wartet mit persönlicher Begier und heißem Verlangen auf unsre milden Hände, auf unsre immerdar arme Gabe und freut sich mit Seinen heiligen Engeln, wenn wir in Einfalt der Seelen Ihm zu Lob und Preis unser Bächlein der Barmherzigkeit rinnen laßen.

 Wolan denn, so kommet zu Ihm und erfreuet Seine Seele mit euren Beweisen, daß ihr am Irdischen nicht klebet, sondern eure Güter in den Dienst der Barmherzigkeit gegeben habet. Ich finde unsre Epiphanias-Sitte, hinter den Weisen aus Morgenland herzugehen und Gaben zu opfern, so schön, daß ich überzeugt bin, Christus ist in unsrer Mitte und freut sich der Sitte selber. Daß nur unter uns kein Heuchler, kein Ananias, keine Sapphira sei! Es sei doch ja alles einfältig, kindlich, und keine andre Absicht beherrsche uns, als wie wir Seinen Willen thun und Ihm wolgefallen. Unter der seligen Uebung vergehe uns der Morgen, entschwinde uns der Tag. Viel lieber möchte ich sagen: entschwinde uns das Leben. All unsre Zeit und Kraft und Habe, HErr JEsu, sei ein Glas Narde, wenn nicht über Dein Haupt, so doch über Deine Füße, das ist, über Deine Armen und Geringen gegoßen.

 Wenn unsre Zeit aus ist und zu Ende unser Leben, ach, wie wäre uns so wol geschehen, wenn wir dann sagen könnten: HErr JEsu, Du König der ewigen Herrlichkeit, auf deßen Reich wir warten, wir haben nichts gewollt, als Dir dienen, wir hatten keine Lust, als Dir zu opfern; Dir wollten wir leben, Dir wollen wir nun auch sterben, Dir wollen wir selbst ein ewiges Opfer sein, o JEsu! Amen.




« Sonntag nach dem Beschneidungsfest Wilhelm Löhe
Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
Epiphanias 01 »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).