Elektricität als Uhr und Stadtpost

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Elektricität als Uhr und Stadtpost
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 198–199
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[198]
Elektricität als Uhr und Stadtpost.

Heut zu Tage sagen gelehrte und ungelehrte Leute, vielleicht mit richtigem Instinct, daß Dinge und Processe in der Natur, deren Ursachen und Geheimnisse man nicht recht versteht, mit Elektricität zusammenhängen. Man vermuthet die Elektricität überall entweder als Haupt-Agenten oder als Compagnon. Auch im Verkehre der Menschen wird sie immer allgegenwärtiger. Sie telegraphirt mit bekannter Blitzesschnelle über Länder und durch Meere, über unsern Häuptern und unter der Erde dahin und ist immer gleich da, sobald sie abgeschickt wird, nur zuweilen aufgehalten durch die Unbeholfenheit der Menschen oder die jetzt überall herrschende Angst der Mächtigen. Die Königin von England erfuhr im Schlosse Windsor noch in derselben Minute der Geburt ihres Enkels, daß sie zum ersten Male glückliche Großmutter geworden.

Aber diese göttlichen Mercurflügel der Elektricität sind nichts Neues mehr. Neuer und wichtiger ist deren Ausbildung für allerhand kleine Alltagszwecke, die Allen und nicht blos den Mächtigen der Throne und der Börse zu Gute kommen, deren Anwendung für Stellung der Uhren und Localverkehr. Die Zeit wird unter jetzigen Verhältnissen der Ueberladung mit Geschäften und socialen Beziehungen immer kostbarer und wichtiger. Hier wird Pünktlichkeit eine Hauptsache, so daß unsere Uhr auf die Secunde richtig gehen muß. Auch hat jeder anständige Mensch mannichfaltige Verbindungen in seiner Stadt, die oft sehr groß ist, so daß man durch persönliche Beachtung derselben und selbst mit der Stadtpost viel Zeit verlieren kann. Dies hat bereits zur Einrichtung elektrischer Zeit-Kugeln, elektrischer Uhren und zu elektrischen Stadtposten geführt. Erstere beiden thun in London bereits sehr gute Dienste und an Ausführung der letzteren wird eben gearbeitet.

Die erste „Zeit-Kugel“ wurde von Professor Airy, Director der Greenwich-Sternwarte (der durch einen vier Jahre lang fortgesetzten Cyklus der feinsten Experimente unsere Erde gewogen), auf dem Thurme der Sternwarte angebracht. Unten geht die berühmte astronomische Uhr, die durch einen elektrischen Apparat mit einer großen, hohlen Kugel oben hoch über dem Thurmdache in Verbindung steht. Durch die Mitte der Kugel geht eine polirte Stange, an welcher sie leicht auf- und abgleitet. Die Kugel wird durch die Uhr aufgezogen und jeden Tag bis astronomisch Punkt ein Uhr Mittags oben festgehalten. In dem Augenblicke, wo es im Weltall ein Uhr schlägt, reißt ein elektrischer Ruck an dem Hebel, der die Kugel oben hielt, so daß sie nun etwa zwölf Fuß tief niederfällt. Die Kugel, von unten gesehen, steht klar am Himmel und kann bei hellem Wetter und mit hellen Augen viele Meilen ringsum gesehen werden. Dieses Aufpassen und Uhrenstellen alle Mittage! Legionen von Schiffen auf der breiten Themse entlang und in den riesigen Docks mit ein paar Dutzend Wäldern von Masten, jeder wie eine deutsche Mittelstadt groß, und Tausende von Menschen auf dem [199] Lande umher warten jeden Tag auf dieses Zeichen und ziehen ihre Uhren stolz und glücklich, wenn die Differenz seit gestern möglichst klein ausfällt. In der Stadt drin, wo der berühmte Greenwich-Zeitball Collegen hat, die mit ihm in demselben Augenblicke fallen, wiederholen sich jeden Tag dieselben Operationen. Die Elektro-Telegraphen-Compagnie im Strand Londons hat einen solchen über ihrem Dache. Einen viel größeren von Zink, 5½ Fuß im Durchmesser und 150 Fuß über dem Spiegel der Themse, findet man in der City über dem Hause des Chronometermachers French (Cornhill), einen auf dem Nelson-Monumente in Edinburg und viele andere in Hafenstädten. Sie hängen durch Drähte mit dem Zeit-Balle in Greenwich zusammen und fallen durch elektrische Mittheilung überall in demselben Augenblicke, da die Elektrizität für diese Entfernungen gar keine meßbare Zeit braucht. Man kann jede beliebige Zahl solcher Zeitbälle mit dem einen verbinden. Dies ist blos eine mechanische Geldsache. Die Stunde ein Uhr ist natürlich nur willkürlich angenommen. Man könnte auch jede andere wählen. Doch empfiehlt sich diese hohe Mittagszeit als die in der Regel hellste und demnach beste.

Die Zeitbälle werden durch elektrische Uhren regiert. Elektrische Uhren sind nicht, wie Manche glauben, wirkliche Uhrwerke, sondern sehr einfache Hebel, Drähte und Räder, die von der Centraluhr in Greenwich durch elektrische Mittheilung getrieben werden. Eine solche Uhr für das große Publicum findet man vor dem Bureau der Elektrotelegraphen-Compagnie, Strand, London. Sie zeigt Tag und Nacht (illuminirt) die astronomisch richtige Zeit, wie die Normaluhr in Greenwich. Die meisten andern Uhren der Art sind in Bureaux angebracht. Und die fünfzehn Haupt-Eisenbahnhöfe Londons (ohne etwa sechzig Stationen, die noch in das Bereich Londons fallen) reguliren ihre Uhren nach täglich mehrmals von Greenwich aus gegebenen elektro-telegraphischen Mittheilungen. Die richtige Zeit ist hier bis auf die Secunde wichtig, da die unzähligen, den ganzen Tag und die ganze Nacht kommenden und gehenden Eisenbahnzüge im Interesse des immer aus- und einfliegenden Publicums auf jeder Station (auf manchen alle sieben Minuten) immer auf die Secunde ankommen und abgehen.

Aber auch diese stets fliegenden und donnernden Eisenbahnen sind nicht schnell genug für die kostbare Zeit und die in wildem Geschäftseifer durcheinander rasenden Menschen. Vieles und zwar das Wunderbarste der Welt in dieser Sphäre thut die Stadtpost, welche alle zwei Stunden Tausende von Briefen durch die kleine Unendlichkeit von London vertheilt. Aber auf eine Antwort, die man oft augenblicklich haben möchte, muß man doch sechs Stunden warten. Man will also die Elektricität zu einer Stadtpost machen, so daß man augenblicklich nach allen Seiten der Stadt fragen und sofort Antwort erhalten kann. In den amerikanischen Riesenhotels und im englischen Parlamentsgebäude existirt schon etwas Aehnliches. Man klingelt und sendet Botschaften in die verschiedensten Theile des Hauses durch Elektricität. Auch in großen Fabriken correspondirt man schon durch telegraphische Elektricität. In Paris, Brüssel und New-York elektro-telegraphirt man schon über die Häuser hinweg für locale Zwecke. In Berlin hatte der Polizeipräsident von Hinkeldey die ganze Stadt unten mit telegraphischen Drähten durchziehen und sie in einem Mittelpunkte des Spinnennetzes, wo er selber saß, vereinigen lassen, um die ganze Stadt zu behorchen und fortwährend Angst zu schöpfen und Mißtrauen in das königliche Ohr zu flüstern.

Durch London will man ein viel größeres Netz spinnen, aber für nützliche, nicht polizeiliche Zwecke; man will eine elektro-telegraphische Stadtpost anlegen. Der Mittelpunkt fällt in den Mittelpunkt Londons, Charing Croß. Von da sollen sich die Drähte vier Meilen Radius, also acht Meilen im Durchmesser, nach allen Richtungen der Windrose ausspinnen, zunächst in elf Hauptpunkte, deren jeder neun Stationen enthalten soll. Dies gibt etwa hundert Stationen oder elektro-telegraphische Stadtpost-Bureaux. Diese werden so verbunden, daß man von jeder zu jeder Zeit nach jeder Station telegraphiren, dort den Inhalt sofort brieflich an die Adresse schicken, und durch den Briefboten die Antwort schriftlich an die nächste Station und elektro-telegraphisch dahin erhalten kann, von wo man just abblitzen ließ. Zur Noth kann man also an den Drähten, welche unsern Brief an die Adresse fortblitzten, stehen bleiben und nach einigen Minuten schon die Antwort ankommen sehen.

In die Einzelnheiten des wunderbaren Problems, 100 Stationen, vertheilt durch das ungeheure Labyrinth Londons, alle mit einander so zu verbinden, daß von jeder stets nach jeder andern telegraphirt werden kann, gehen wir hier nicht ein, da zu einem Verständniß genaue Localkenntniß gehören würde. Wir erwähnen nur, daß die einzelnen Localstationen nicht alle direct verbunden werden, sondern nur mittelbar durch Haupt- und Centralstationen, so daß mancher elektrische Brief große Umwege machen muß, worauf es aber der Elektrizität bekanntlich gar nicht ankommen kann, da sie eben so schnell um die ganze Erde herumlaufen würde, wie auf einem Umwege von einer Station zur andern. Zeit braucht dieser schnellste aller Boten des Weltalls auf unsern Erdentfernungen überhaupt gar nicht. Man spart also dabei die kostbarste aller modernen Münzen, Zeit, ganz. Nur das Abschreiben und Abschicken durch menschliche Hände und Beine kostet eine Kleinigkeit davon.

Das Netzwerk wird über die Häuser weggesponnen, wie schon viele Eisenbahnen mit ihren oft zwanzigfachen Drähten an ihren Wegen entlang. Unterhalb Londons ist kein Platz mehr. Da verästeln und vernetzen sich schon die Drähte von drei andern Elektro-Telegraphen-Compagnien, außerdem die Gasröhren, die Cloaken aus jedem Hause, auch Eisenbahnen mit ihren Tunnels.

Die Londoner elektro-telegraphische Stadtpost ist für alle Zwecke bestimmt, für welche überhaupt Briefe und Boten gebraucht werden. Man muß dabei bedenken, daß zu einem einzigen Wege, Besuche oder Briefe mit Antwort oft ein ganzer Tag gehört, daß alle Großkaufleute der City weit draußen in den Vorstädten wohnen, 5–10 Meilen von ihren Bureaux, daß überhaupt in London die Entfernungen sehr bedeutend sind und die entferntesten Theile in stets lebendiger Verbindung stehen. Man fragt also z. B. durch die elektrische Stadtpost vielleicht 10 Meilen weit, wo man einen Besuch abstatten will: „Bist Du zu Hause?“ Ist er’s nicht, spart man einen Tag. Der Kaufmann in der City läßt seiner Frau zublitzen: „Ich komme heute nicht zu Tische,“ oder: „Ich bringe einen Freund mit.“ Außerdem Abgang und Ankunft von Eisenbahnen, Botschaften von Gericht zu Gericht, Zeugenvorladung, eben angekommene (160000 jährlich) oder abgeschiedene Weltbürger (ziemlich eben so viel), Feuersignale von einer Brigade zur andern, Hülferuf um ärztlichen Beistand in Krankheitsfällen, polizeiliche Blitze, um abfahrenden Betrügern, Verbrechern aller Art zuvorzukommen, Verbindung der elektro-telegraphischen Botschaften aus den Provinzen und aus andern Ländern, respective Vertheilung derselben an einzelne Interessenten und sonstige tausenderlei Dinge, um welche man jetzt Briefe schreibt, auch tausenderlei andere, um welche man jetzt keine schreibt. Bedürfnisse, die man leichter, schneller und vielleicht auch wohlfeiler befriedigt, wachsen dadurch stets in einem viel größeren Verhältnisse, als diese Erleichterung beträgt – eine alte national-ökonomische Wahrheit!

Die elektro-telegraphische Stadtpost-Compagnie Londons hofft täglich von einem einzigen Bureau aus 10000 Botschaften senden, respective empfangen zu können. Die Kosten für Einrichtung der 100 Stationen sind auf blos 35000 Pfund veranschlagt worden[WS 1]. Damit hofft man jährlich 40000 Pfund einzunehmen. Dies klingt sehr fabelhaft, ist aber nicht unsere Sache. Hier kam es blos darauf an, die Idee der Sache anzugeben, ein Bild von den engeren, alltäglichen und häuslichen Verhältnissen zu entwerfen, welche durch weitere Ausbildung der Elektricitäts-Industrie Flügel bekommen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: werden