Textdaten
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Autor: M. v. M.
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Titel: Einsam auf dem Throne
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 840–844
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Einsam auf dem Throne.


Nichts auf der Welt hat beharrlichere Feinde und unverdrossenere Verfolger, als das Geheimniß. Alle Reize der verbotenen Frucht gesellen sich zu dem verlockenden inneren Drange, absichtliches Dunkel mit der Leuchte zu beschleichen, Verborgenes zu enthüllen, Unbekanntes auf den Markt zu ziehen. Noch gesteigert wird aber diese Spürlust nach dem Geheimniß in dem Grade, als es in höheren Regionen spielt, je dichter sein Schleier ist und je sorglicher er zusammengehalten wird. Ein solches Geheimniß ist nur in den seltensten und eben darum denkwürdigen Fällen für immer zu retten; in der Regel ist seine Enthüllung nur eine Frage der Zeit, und sehr häufig hebt ein Zufall den dichtesten Schleier vor Augen, die nach nichts weniger, als derlei Geheimnissen, ausgelugt haben.

Letzterer Fall ist der unsere wenigstens für die ersten Blicke auf den uns vorliegenden Gegenstand.

Die Schneewölfe leuchteten trotz der nahenden Lenzsonne noch an den Hügeln meiner mitteldeutschen Heimath, als der Besuch eines von einer Geschäftsreise heimkehrenden Freundes mich aus meiner Winterruhe aufstörte. Er hatte die Alpen in ihrer Eispracht gesehen und erging sich über die Herrlichkeit der Gebirgsnatur unter dem starren Schmucke des Winters und über die Urgemüthlichkeit des Lebens in den zur Sommerszeit von den „Saison“-Gästen überschwemmten Gebirgsorten in so verlockenden Schilderungen, daß ich hastig fragte: „Wäre wohl noch jetzt Etwas von der Pracht zu erhaschen?“

„Ei, satt und genug,“ antwortete der Freund, „nur dürfen Sie sich unterwegs nicht von etwaigen Sehenswürdigkeiten aufhalten lassen.“

Sofort wurde zur Fahrt gerüstet, ein lieber Verwandter, F. M. in München, telegraphisch und Freund S., der Künstler und Alpenkenner, mündlich zur Mitfahrt aufgefordert, und fort ging’s schon am nächsten Morgen. In Augsburg trafen wir mit F. M. zusammen und hier setzte die nun volle Reisegesellschaft fest, über Kempten, Füßen, Hohenschwangau und Reutte bis Partenkirchen vorzudringen.

Das Glück war mit uns auf die Reise gegangen. Wir kamen zur Abendzeit wohlgeborgen im „Mohr“ zu Füßen an und hatten schon einige Stunden bei Licht gesessen, als S., von einem kurzen Ausgang zurückkommend, uns von der wundervollen Gebirgslandschaft im Mondenscheine so viel vorschwärmte, daß wir seiner Verführung zu einer so späten Lustwandlung im Freien nicht widerstehen konnten. Mit Sturmschritt ging’s in die Mondnacht hinein. Es schlug zehn Uhr im Städtchen, als S. uns auf der Lechbrücke zum Stillstand brachte. – Ja, das war ein Bild, ein Winterpracht- und Mondnacht-Panorama, das allein die ganze Reise lohnte. Aber wer will da mit Schildern und Beschreiben anfangen! Selbst wer das Sommerbild dieses Gebirgswinkels vor Augen hatte, kann es mit der Phantasie allein nicht zu diesem Winterprachtstück umwandeln. Dort entzückt jährlich Tausende von Augen das Grün im Sonnenglanz – und hier ist’s das Weiß im Mondenstrahl, aber welche Mannigfaltigkeit von glitzernden Lichtern bis zum tiefsten Schattenschwarz ist über Thal und Wälder ausgegossen bis zu den aufstarrenden Zackenkronen der Felskolosse am bald scharf abgegrenzten, bald durch Wolkengebilde verschwimmenden Nachthimmel! Unsere Herzen schwärmten so lange durch die Augen in der überraschenden Herrlichkeit, bis die Füße beim Kopf anfragten, ob sie noch nicht kalt genug seien, um wieder von der Stelle zu kommen.

Voller Lust schritten wir drauf los, waren bald vom reif- und schneebedeckten, wie verzuckert glänzenden Parkwald Hohenschwangaus umfangen und wandelten hier bald zwischen dichtem Gehölz, bald an Walddurchschnitten und von den silberglänzenden Bäumen eingerahmten Durchblicken und Fernsichten dahin. Schon waren wir dem Schlosse so nahe, daß wir es bei einer Wegbiegung bis zum Erkennen der einzelnen Bautheile deutlich vor uns sahen, da wurden alle Augen und Ohren plötzlich nach einer Richtung hingelenkt. Sprühendes Fackellicht und Rossestampfen kam eilends uns entgegen.

„Das ist der König,“ rief S. „Geschwind hinter die Bäume!“

Meine Frage: „Na, warum denn?“ kam zu spät, Jeder hatte schon seinen bergenden Stamm und auch ich suchte gedeckte Stellung. Abermals hatte das Glück uns geführt. Wir standen im Winkel einer Biegung, die uns auf längere Strecke nach beiden Seiten hin den Weg zu überschauen gestattete.

Noch eine Zeitlang leuchten die Fackelflammen blitzartig zwischen den Stämmen und dem dichten Unterholze der Waldung her. Jetzt bricht es hervor; die Fackelträger sind Vorreiter; die grelle Beleuchtung spielt auf bortenreicher Livrée. Hutform und Kleiderschnitt gehören vergangener Zeit, gehören den Tagen Ludwig’s des Vierzehnten an. Hinter ihnen biegt ein Viergespann von weißen Rossen in goldstrotzendem Geschirre auf die Bahn herein, auf den Sattelpferden Reiter in derselben schimmernden Tracht. Hinter ihnen ist, sie Alle hoch überragend, eine goldene Krone, wie in der Luft schwebend, sichtbar. Je näher, je prachtvoller wird das Bild. Amoretten sind es, die an und zwischen den zu einem hohen Bogen emporsteigenden Schlittenkufen die Abzeichen des Königthums tragen; wir erkennen deutlich Scepter, Reichsapfel und Schwert; bald wird auch die Muschelform des Schlittenkastens sichtbar; er ist auf Tritonen gestützt; eine Nereide hält die Schlittendecke, alles goldstrahlend – und im Schlitten – von zwei Laternen hell beleuchtet, in Pelze gehüllt, ganz allein, sitzt der König. Gar zu rasch rennen die Rosse; fest halten möchte man die feenhafte Erscheinung, denn nicht der geringste Schmuck derselben ist das Antlitz des in sich gekehrten Mannes, der nur der schweigenden Nacht einen solchen Anblick [841] vergönnt. Unsere Augen hängen an dem Zuge, so weit sie ihm folgen können. Baum um Baum erglüht im Widerscheine des dahineilenden Fackellichts, als wäre das der Waldgruß für den einsamen Gebieter, und endlich ist’s wieder nur die Krone, die noch erleuchtet schwebt, bis Roß und Mann dem Gesicht entschwinden und das verhallende Geräusch der nächtlichen Stille ihr Alleinrecht zurückgiebt.

Man wird es uns nicht verdenken, daß das seltene Erlebniß uns mächtig aufregte. Wir hatten das Kunstwerk von Schlittenbau und plastischer Zierde gesehen, dessen Lobpreisung längst durch alle Blätter gegangen war, ohne daß sich damit eine nähere Beschreibung desselben verbunden hätte; ja wir hatten den vielbesprochenen jungen Monarchen in einer seiner bevorzugtesten Eigenthümlichkeiten, im geheimnißvollen und einsamen Genusse der Natur und königlicher Pracht zugleich gesehen. In aller Weise hochbefriedigt, eilten wir nun unserer Nachtherberge zu.

S. entwarf noch vor dem Schlafengehen die Skizze dieser königlichen Nachtfahrt; mir gelang es während unserer Gebirgswinterreise, ihm eine genaue Abbildung des Prachtschlittens dazu zu verschaffen – wie und von wem, muß mein Geheimniß bleiben. Nach dieser Zeichnung ist der Schlitten in künstlerischer Beziehung von hohem Werthe. Die beiden Tritonen, welche mit dem langen, gewundenen und mit Schwanzflossen endenden Fischleibe, auf die Kufen gestützt, die Muschel auf den Schultern tragen, sind ebenso Vertrauen erweckend kräftige Gestalten, als die die Decke mit emporgehobenen Armen haltende Nereide sich durch reizend schöne Körperformen auszeichnet. Die bedeutungsreichste Zierde bilden aber offenbar die Emblementräger an den zu ansehnlicher Höhe emporragenden Kufenbogen. Es sind deren neun. Drei stützen in der Stangenhöhe der Kufen ein Blatt, aus welchem zwei Amoretten stehen, von denen der eine das Schwert, der andere etwas nicht genau Erkennbares trägt; über diesen schwebt ein sechster, gleichsam dem im Schlitten Sitzenden den Siegerkranz darreichend; noch höher erhebt sich der Scepter- und über diesem der Reichsapfelträger, und zuoberst kniet auf dem in Form eines Krummstabes geschwungenen Bogenende die beflügelte Kindesgestalt, welche eine Krone auf der linken Schulter emporhebt. Eine vollständigere Verherrlichung des Königthums in mythologischem Rococostil ist schwerlich noch einmal in der Welt zu finden.

Ich darf nicht verschweigen, daß, so wenig wir auf unserer Reise durch Baiern bis Füßen an die Person des Landesregenten gedacht hatten, so sehr seit der Schlittennachtfahrt er unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Unwillkürlich brachten wir mit ihm Alles in Beziehung, was wir in und um Hohenschwangau sahen, und benutzten von da an jede Gelegenheit zu Nachforschungen nach den so verschieden beurtheilten Eigenthümlichkeiten des ungewöhnlichen Mannes. Um so überraschender war es für uns, daß wir in dem bis dahin sehr schweigsamen F. M. den genauesten Kenner und gewissenhaftesten Forscher auf diesem subtilen Gebiete besaßen, als er endlich in Reutte in die Stimmung kam, das Schloß vom Munde zu nehmen.

In Reutte nämlich, wo, wie Schaubach sagt, „der Bildersaal des Lechthals“ sich aufthut und wo unsere Gebirgswinterlandschaftssehnsucht von Neuem lohnendste Befriedigung fand, folgten wir der Führung M.’s. Nachdem er in dem Gasthause, welches er uns angewiesen, mit der Wirthin gesprochen, mußten wir ihm in ein Zimmer folgen, in welchem wir nichts als die einfachste Einrichtung vorfanden. „Sehen Sie sich dieses Stübchen recht genau an!“ sagte er; „in diesem bescheidenen Raume bringt König Ludwig manche Stunde ernster Arbeit zu, denn hier, und in guter Jahreszeit an einem Tisch im Freien, da drunten im Hausgärtchen, vollzieht er sehr oft seine Staatsgeschäfte, und zwar mit der musterhaftesten Gewissenhaftigkeit. Ich muß meinem Herzen die Freude machen, Ihnen vor Allem ein unbedingtes Lob des Königs auszusprechen. Minister und Andere berichten geradezu Staunenswerthes aus den Audienzen: wie rasch der König auffasse, wie lange er sich genau erinnere, mit welcher Schärfe er unterscheide, mit welcher Raschheit und Bestimmtheit, ohne das bei seinen Vorgängern so oft beklagte Schwanken, er sich entschließe. Nie sind im Ministerium die königlichen Entscheidungen, trotz der häufigen Abwesenheit des Königs im Gebirge, so rasch eingetroffen, nie war der Geschäftsgang in dieser Hinsicht ein so geordneter, wie unter ihm. Das sind sehr schätzenswerthe Regenten-Eigenschaften, Ihr Herren, und darum war es mir seit Jahren eine sehr ernste Sache, über Leben und Wesen dieses Fürsten, und namentlich die Contraste, welche dasselbe für die gewöhnliche Auffassung so unklar erscheinen lassen, mir durch vielseitigste Forschungen volle Klarheit zu verschaffen Ich habe dies nicht gethan, um Beiträge zu einer bekannten ‚Geschichte der Höfe‘ zu liefern und der unlautern Gier nach Pikantem zu fröhnen, sondern der Wahrheit zu Ehren und um einer Partei, welche aus Haß gegen Deutschland und jeden Fortschritt so gern – und das ist ein öffentliches Geheimniß in ganz Baiern – die Krone des Landes auf einem andern Haupte sähe, in der Presse um so entschiedener entgegentreten zu können. Was ich erforscht, hat mich bald mit Freude, bald mit Wehmuth und oft mit Schmerz erfüllt, und nun sollen Sie es hören, und zwar in diesem Zimmer.“

Stundenlang saßen und lauschten wir, aber – aber – wie übel bin ich gestellt, aus dem vielen nicht Mittheilbaren das wenige Mittheilbare auswählen zu sollen! Die Gesetzgeber auf den Thronen wissen nicht, welch Unheil sie angerichtet haben, als sie aus der schlimmsten Zeit des römischen Reichs den Begriff der „Majestätsbeleidigung“ hervorzogen und den schreckhaften Paragraphen fortführten bis ist die jüngsten Preßgesetze. Wie viele unschätzbare Wahrheit ging dadurch für Diejenigen verloren, für die sie gerade von der höchsten Bedeutung ist! Die Lehren der Geschichte sind, wie Jeder an sich erkennen muß, gleich „fremden Erfahrungen“, von denen nur Wenige lernen, und so geht fort und fort das Leiden durch die Welt, daß über die Fürsten die Wahrheit zu spät für sie selbst an das Licht kommt, erst wenn sie todt sind. – Nur an Unverfängliches, Harmloses darf die Feder sich wagen, und das sei hier geboten.

Will man ein irgend gerechtes Urtheil über Jemanden ermöglichen, so ist es nothwendig, nicht bloß die Erziehung etc., sondern auch erbliche Familienanlagen in’s Auge zu fassen. Bekanntlich vereinigten sich bei Ludwig dem Ersten die widersprechendsten Anlagen und Eigenschaften: Er war „teutsch“ gesinnt und hartnäckigst particularistisch; in Kunstdingen liberal, in Politik despotisch; leutselig und rücksichtslos, ja grausam verletzend; gescheut und jesuitenfeindlich und doch pfäffisch-ultramontan. Auch Max der Zweite offenbarte sehr schroffe Contraste: er war pfaffenfeindlich und doch „hat er mehr für die katholische Kirche gethan, als irgend ein bairischer Fürst“ (Geschichte vom Archivrath Dr. Söltl); scrupulös gewissenhaft als Monarch, und doch vor Verfassungsverletzung nicht zurückscheuend; er liebte aus Gesundheitsrücksichten die Jagd, ließ sich aber überall bequeme Reitwege bauen, um zu den Jagdplätzen hinaufreiten zu können, setzte sich dann auf einen Feldstuhl und las in überall mitgeschleppten Büchern, bis sein Büchsenspanner ihn anstieß und auf die Gemse zeigte. Liebenswürdig im Umgang, errichtete er Abendgesellschaften mit Rauchzimmer, aber ein Wort eines Geladenen, zum Beispiel Bluntschli’s, konnte ihn dabei so verletzen, daß er ihn, den vorher Gerufenen, wieder zum Lande hinausjagte; den Abgeordneten Völk hielt er sehr werth, bis dieser einmal sagte, es helfe nichts, von „deutscher Gesinnung“ immer zu reden, man müsse auch, Souveränetätsrechte opfernd, handeln: da fiel er in mehr als Ungnade.

Was nun Erziehung und Unterricht betrifft, so hat namentlich bei König Ludwig dem Zweiten die außerordentliche Begabung und der Privatfleiß Vieles gut machen müssen, was von Seiten des Vaters hierin versäumt worden war. König Max hielt ihn und den Prinzen Otto mit einer auffallenden Kälte und Unnahbarkeit von sich ab, wohl weil er sicher auf längeres Leben hoffte und daher glaubte, es käme für ihn noch die Zeit, an die Erziehung seiner Söhne zu gehen. Wenn er aber Klagen hörte, war er sehr streng und züchtigte. Die ebenso herzensgute als, wie sie während des Kriegs bewies, auch opferbereite Königin schmerzte dies so tief, daß sie sehr bald deshalb das Verschweigungssystem vorzog.

So schon in zarter Jugend viel auf sich selbst angewiesen, gewann der junge Prinz sehr bald eine Selbstständigkeit, die ihn in den Stand setzte, sich eigene und ganz eigenthümliche Ziele zu stecken und sie später als König mit überraschender Energie zu verfolgen. Bis jetzt sind es zwei Richtungen seines Geistes, [842] welche die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen und der Presse Jahre lang Stoff zu den verschiedenartigsten Beurtheilungsweisen dargeboten haben.

Das Nächstliegende ist sein Verhältniß zu Richard Wagner. In der That identificirte der König sich so vollständig mit diesem Musikfürsten, daß er ihn völlig wie seinen „geistigen“ Vater verehrte. Er las halbe Nächte lang nur Wagner’sche Schriften, spielte auf dem Clavier nur Wagner und wollte nur Wagner hören; dies ist übrigens noch heute der Fall, wenn auch Schauspiele mit Beziehungen auf Louis den Vierzehnten oder den Fünfzehnten neben jene Vorliebe getreten sind. Von den Ansprüchen des geliebten Maestro an die königliche Civilliste wird so unglaubliches berichtet, daß wir es hier nicht nacherzählen wollen. Allbekannte Thatsache ist es aber, daß die Eitelkeit und Anmaßung Wagner’s es so weit trieb, bis der Unwille von allen Seiten gegen ihn losbrach und sein König selbst ihn in München nicht mehr halten konnte.

Von allen Werken Richard Wagner’s äußerte die Oper Lohengrin den stärksten Eindruck auf den König, obwohl er auch zu anderen Opern Wagner’s sich von Künstlern eigene Bilder und Cartons fertigen ließ, um einzelne Scenen immer vor Augen haben zu können. Der Schwan (welcher übrigens auch bei Max dem Zweiten im Hohenschwangau eine große Rolle spielte) wurde für ihn eine Art Sinnbild, und die schmeichlerische Geschäftigkeit Dritter brachte ihn überall an.

Eine große Vorliebe faßte der König für die Schweiz, in Folge der nothgedrungenen Uebersiedelung Richard Wagner’s dahin, und im Zusammenhange damit ließ er sich kostbare Decorationen vom Vierwaldstätter See durch deshalb eigens an Ort und Stelle geschickte Theatermaler herstellen. Die Sammlung derselben ist so reich und trefflich, daß der König nicht selten für sich allein bloße Decorationsvorstellungen geben läßt.

Für das Decorations- und überhaupt für Theaterwesen hat übrigens der König auch an sich und abgesehen von jedem Zusammenhange mit Richard Wagner ein leidenschaftliches Interesse. Er kennt einzelne Theaterstücke von Schiller auswendig und ließ sich oft theils Schauspieler, theils Schauspielerinnen (unter Anderen die Frau von Buljowsky) in die Residenz kommen, um sich Stücke vorlesen oder einzelne Partien einer Rolle vorrecitiren zu lassen. Wenn hierbei dem Recitirenden einmal der Faden zerriß, so vermochte der König stets sofort aus dem Gedächtniß ihm einzuhelfen. – Die Vorliebe für Decorationen ging so weit, daß der König in der grandios-lieblichen Natur Hohenschwangaus sich bekanntlich selbst in seinem Schlafzimmer eine Gebirgsdecoration herrichten ließ, hinter welcher er durch einen vom Bette aus dirigirbaren Zug den Mond aufgehen lassen konnte.

Ueberhaupt ist Romantik ein Grundzug im Geistesleben des Königs, und sie ist von Richard Wagner wohl am meisten gesteigert worden. Man denke sich diese Einwirkung und die Jugend des so ganz unvorbereitet zur königlichen Macht gelangten Fürsten, und man wird selbst bedenkliche Excentricitäten ganz erklärlich finden. Greife doch Jeder in sein eigenes Herz und Gedächtniß, versetze er sich in seine Jugendzeit zurück und denke, wohin sein dieser Zeit entsprechender romantisch-schwärmerischer Zug gekommen sein würde, wenn er ihm mit achtzehn Jahren frei wie ein König hätte nachgehen können! Selbst der greise König Johann von Sachsen äußerte bei einer gelegentlichen Anwesenheit in München, er begreife vollständig den Einfluß Richard Wagner’s auf den jugendlichen König von Baiern, habe doch er selbst sich kaum von dem Zauber, welchen Wagner auf ihn ausgeübt, zu befreien vermocht.

Der angeborene Kunsttrieb wurde durch dieselbe hohe Anschauung des Königthums, von welcher der Schlittenschmuck Zeugniß giebt, auch auf die Baukunst übergeleitet. Das Bergschloß Hohenschwangau, das stolze Werk des Vaters, soll durch einen nach Lage und Stil noch romantischeren und prachtvolleren Bau übertroffen werden. In der Nähe desselben strebt ein steiler Fels aus düsterem Waldesdunkel hoch empor. Auf diesem fast unzugänglichen Felsen, auf welchem nur schwer ein Untergrund künstlich herzustellen war, ersteht auf des Sohnes Geheiß ein zweites Königsschloß: Neu-Schwanstein. Ein anderes Gebirgsschloß ließ sich der König unweit von Oberammergau bauen: den „Linderhof“. In tiefster Einsamkeit erhebt sich ein mit Luxus gebautes und besonders im Innern mit den reichsten, aber auch geschmackvollsten Möbeln ausgestattetes und mit Frescomalereien geschmücktes wahrhaft königliches Schloß.

Noch prachtvoller ist das auch weit romantischere Schloß „Am Schachen“. In der Abgeschiedenheit eines wahrhaft kolossalen Gebirgsstockes (Wetterstein) im Rain-Thale, zwischen Zugspitz und Karwendel, schwebt hoch oben auf schwindelnder Höhe die mit wahrhaft orientalischem Luxus ausgestattete Königsburg. Maurische Säulen und Springbrunnen à la Alhambra, zwischen und über duftenden südlichen Gewächsen plätschernd, zaubern auf kalter Bergeshöhe ein Bild von „Tausend und eine Nacht“ voll südlicher Gluth herbei.

Diese Freude an der Nachahmung der Natur durch die Kunst und ebenso der durch die Kunst geschmückten Natur ließ in dem König sogar den Wunsch auftauchen, auch den Vulcan in seine Alpen hereinzurufen. Vom Schachen aus sieht man einen Bergkegel, welchem gegenüber der König gern schöne Mond- oder Sternennächte bald im Freien, bald in einem Pavillon, immer aber allein und mit möglichst entfernter Dienerschaft, zubrachte. Dieser Bergkegel entfaltete nun in einer Nacht eine kunstreiche vulcanische Thätigkeit: sein Haupt warf Feuer aus und ließ glühende Lava rinnen. Es soll ein schönes Schauspiel gewesen sein, wurde aber, der Kostspieligkeit wegen, nicht oft wiederholt.

In diesen Feensitzen weilt der junge König größtentheils „mutterseelenallein“, wie das Volk die tiefste Einsamkeit so herzig bezeichnet. Nur mit dem nothdürftigsten Personale von Dienern, welche zu strengster Verschwiegenheit verpflichtet sind, bezieht der Fürst möglichst ungesehen, wo möglich bei Nacht und Fackellicht, diese Bergasyle. Früher ritt der König, später ließ er sich eigene kleine Wagen bauen, in welchen er auf den Reitwegen auf die Höhen fahren kann. Niemand darf die neuen Bergschlösser betreten, gleichviel ob der König gerade darin weilt oder nicht. Eine auffallende Ausnahme ist es, wenn der König einmal einen andern Sterblichen auf sein Bergschloß einladet. Auch ein solcher wird nur zur Nachtzeit hinauf- und nach kurzer Audienz wieder herabgeleitet.

Selbst der Diener braucht zur Servirung des Tisches des Königs Zimmer nicht zu betreten. In Linderhof ist dazu eine Art „Tischlein deck’ dich“ eingerichtet, welches von einem untern Stockwerke unsichtbar in das obere emporgehoben und auf ein Zeichen herabgelassen und mit der nächsten Speise versehen wieder nach oben befördert wird.

In neuester Zeit äußert sich die Liebe zur Abgeschlossenheit besonders darin, daß der König selbst seine Leidenschaft für das Theater mit jenem Triebe in Einklang bringt. Er läßt ziemlich häufig im Residenztheater oder selbst im großen Hoftheater für sich ganz allein Theaterstücke oder Opern aufführen. Dieselben beginnen erst zu einer vorgerückten Stunde und endigen meist spät nach Mitternacht. Ueberhaupt übt gerade die späteste Nachtzeit auf ihn ihren Reiz aus. Früher machte der König im Gebirge insbesondere zur Nachtzeit große Ritte, nur von einem Stallknechte begleitet. Auch jetzt liebt der König noch vorzugsweise zur Nachtzeit zu reisen, nur geschieht es seit den letzten Jahren immer zu Wagen oder Schlitten wie wir ja selbst gesehen haben.

Als das Verhältniß zu Richard Wagner gelockert und der Wunsch der nächsten Verwandtschaft des Königs durch Entfernung Wagner’s von München erfüllt war, trat unseres Wissens alsbald eine gewisse Vorliebe für Louis den Vierzehnten und sein ganzes Wesen ein. Insofern lag hierzu schon eine Anlage vor, als der junge König, unvorbereitet zum Throne wie er war, das Königthum in einer gewissen subjectiven Weise auffaßte. Zu verwundern ist es darum nicht, wenn, auch nachdem die constitutionelle Auffassung des Königthums ihm heiliger Ernst geworden war, mitunter der Gedanke durchbrach: es wäre denn doch recht hübsch, zur Zeit Ludwig’s des Vierzehnten gelebt zu haben, oder – er selbst gewesen zu sein. Gewiß ist, daß diese Vorliebe zu einem sehr hohen Grade gedieh. Trotz der königlichen Abneigung gegen das republikanische Frankreich wurde plötzlich nach Paris und Versailles gereist und das Musterschloß des vierzehnten Ludwig in Augenschein genommen, obwohl Baiern in dem königlichen Lustschloß Nymphenburg bei München bereits eine Stylnachahmung und eine sehr schöne Copie des berühmten Versailler Theaters in dem sogenannten Residenztheater besitzt. Auch der Literatur über die

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Nächtliche Bergfahrt Ludwig’s des Zweiten mit dem Königsschlitten.
Originalzeichnung von Gustav Sundblad.

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Wie man nun auch über diese Verwirklichungen von Phantasieen, welche bei anderen gleichbegabten Menschen stumme Wünsche oder wachende Träume bleiben, denken möge: Jeder, der dem König Ludwig dem Zweiten um seiner vielen trefflichen Eigenschaften und um seiner ungewöhnlichen Begabung willen von Herzen zugethan ist, kann für ihn nur den einen Wunsch hegen, daß Gott ihm recht bald das höchste Glück auf Erden, ein braves Weib und einen redlichen Freund schenke und dadurch ihn aus seiner auf die Länge gewiß unerträglichen Vereinsamung erlöse – zum Heil nicht bloß Ihm, sondern auch Baiern und Deutschland.

Ist es nicht etwa geboten, wegen des Hervorziehens eines solchen Gegenstandes an die Oeffentlichkeit uns zu entschuldigen? Müssen wir einem Manne, der auf den höchsten, dem Menschen in unserem Staatsleben erreichbaren Höhen weilt, nicht das Recht einräumen, als Mensch sein Haus und sein Leben sich frei nach eigener Weise einzurichten? Und wenn Beides von der gewohnten und gewöhnlichen Art der Zeitgenossen abweicht, darf es deshalb schon der öffentliches Besprechung verfallen?

Darüber mögen die Meinungen so verschieden sein, wie die Stellung der Einzelnen auf den Rangstufen der Gesellschaft von der Ebene des Bürgerlebens bis zu den Thronen hinauf. Unsere Meinung darüber ist diese: die Gegenwart hat mit vielen Vorrechten und Vorurtheilen der Vergangenheit gebrochen und namentlich den ehemaligen Abstand zwischen Kronenträger und Unterthan ausgefüllt mit neuen, der Erhabenheit der Stellung entsprechenden Pflichten des ersteren. Geblieben ist aber das höchste Recht der Krone, daß ihr Träger im Leben wie in der Geschichte sein Volk repräsentirt. Tausende von Männern, als Menschen von gleichem und oft von weit höherem Werthe, als der Fürst, verschlingt die Zeit, ihre Spur geht dahin, wenn sie nicht durch eigene Kraft ihren Namen für die Nachwelt retten: der Fürst allein steht von selbst ewig im Lichte der Geschichte. Dieses ungeheure Vorrecht wird nur durch die Pflicht des Fürsten ausgeglichen, daß sein Leben nicht ihm, sondern seinem Volke gehört. Er steht auf der höchsten Höhe, um von Allen gesehen zu werden, und darum hat er nicht die Freiheit des Privatmanns, sich und sein Leben beliebig von seinem Volke abzusondern und vor ihm zu verhüllen. Dieses unbestreitbare Volksrecht auf das Fürstenleben erachten wir als entschuldigend genug für unser Unterfangen, über Dinge zu reden, von denen man seit Jahren nur flüstert und die bisher wohl das Heraustreten an die Oeffentlichkeit nur scheuten, weil sie längst öffentliches Geheimniß sind.

M. v. M.