Einiges über die sogenannten Universalmittel

Textdaten
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Autor: C. Schmitz
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Titel: Einiges über die sogenannten Universalmittel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 587–588
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Einiges über die sogenannten Universalmittel.
Von C. Schmitz.

Die Menschheit ist in ihrem bei weitem größten Theile mit ihrem Verstande noch nicht so weit auf’s Reine gekommen, daß sie die ihr innewohnende Sucht für das Abergläubige, Wundergläubige, Unnatürliche aufgeben und dafür die gesunde Vernunft in ihr angestammtes Recht einsetzen sollte. Das Gefühl vom Mystischen, Unerklärlichen, Unnatürlichen ist Jedem, der nicht mit Ernst dem Studium der Natur obliegt, zu sehr an’s Herz gewachsen, als daß er dagegen die allzu geringe Kenntniß der Naturgesetze durch seinen Verstand zur Geltung bringen könnte. Es zeigt sich hierin förmlich ein krankhaftes Sträuben des Menschen gegen seine gesunde Vernunft, und daß dieser Gegensatz etwas Krankhaftes sein muß, liegt schon in dem alten Ausdruck „gesunde Vernunft“. Wie wäre es auch sonst zu erklären, daß sogar gebildete Leute gegen die einfachsten Naturwahrheiten trotzen? Versuche einmal, einer Frau ihre über Nacht gehabte Geistererscheinung auf natürlichem Wege zu erklären, indem Du ihr etwa zu überlegen gibst, ob nicht auch vielleicht der Mondschein diese Täuschung hervorgebracht haben könnte, so bist Du von vorn herein ihr abgesagter Feind. „Greifen kann man nur das Greifbare“, „sehen kann man nur das Sichtbare“ u. dergl., solche einfache Naturgesetze sind diesen Leuten geradezu abgeschmackt; sag’ ihnen dagegen: „Auch das für den gewöhnlichen Menschen Unsichtbare kann das Auge des Erleuchteten schauen,“ so wird solche Behauptung von vorn herein als wahr anerkannt und viel beifälliger aufgenommen, schon weil Niemand zu den gewöhnlichen Menschen gehören will, selbst um den Preis – Gespenster sehen zu müssen.

Diejenige Sorte von Gespenstern, mit welchen wir uns hier specieller beschäftigen wollen, sind die sogenannten Universalmittel. Man wird den Uebergang von den obigen allgemeinen Betrachtungen zu unserem Gegenstande sonderbar finden. Aber ist die Erscheinung eines Universalmittels nicht wie ein Gespenst? Es erscheint plötzlich, fanatisirt alle Welt, die Menschen stürzen sich ihm blindlings in die Arme, dann verraucht der Fanatismus, des Mittels Universalheilkraft ist verduftet und – „ward nicht mehr gesehn.“ – War die Somnambule in der Blumenstraße in Berlin etwa nicht ein solches Gespenst? Oder reist etwa heute noch Jemand zum heiligen Rock nach Trier, um sich heilen zu lassen? Nein! aber das will nichts sagen, denn von ihrem Aberglauben werden die Leute doch niemals geheilt; taucht ein neues Gespenst, ein neuer Wunderdoctor auf – der Fanatismus ist gleich wieder da. Du, der Du Dich heute schämst, vor Jahren zum heiligen Rock gewallfahrtet zu sein, Du läßt Dir vielleicht morgen schon von einer alten Frau Dein Blut besprechen, und findest es ganz selbstredend, daß Dein Blut durch die Zauberformel mit den obligaten drei Kreuzen sympathetisch (!) zum Stillstand gebracht worden sei; während die natürliche und vernünftige Erklärung, „daß das Blut die Eigenschaft habe, nach einiger Zeit an der Luft zu gerinnen, wodurch sich die Blutgefäße selbst verstopfen,“ Dich vollständig kalt läßt. Was hätte auch „die unerlaubte (!) Selbsthülfe der Natur“ für eine Berechtigung, von Deinem Begriffsvermögen acceptirt zu werden, gegenüber der klar zu Tage liegenden Zauberkunst der alten Frau?!

Da treten mir nun aber sieben Leute entgegen, die alle sieben mit pharisäischer Ruhmredigkeit ausrufen: „Herr Gott, ich danke Dir, daß ich nicht so dumm oder abergläubig bin, wie einer von Jenen! Ich habe für alle Gefahren dieses Lebens ein wirkliches handgreifliches Universalmittel, welches mir durch die ihm wirklich innewohnende Heilkraft in allen Fällen hilft.“ Der Eine schwärmt für die Universalheilkraft des Bullrich’schen Salzes und würde es für eine Sünde hatten, irgend ein anderes Medicament jemals über seine Lippen zu bringen. Der Andere sucht sein ganzes körperliches Heil in Morison’s Pillen. Der Dritte geht von der Muttermilch direct zu Petsch’s Aepfelwein über und genießt sein Lebtage nichts Anderes, als den wunderthätigen Saft des Apfels. Der Vierte verdankt seine ganze Gesundheit der Revalenta arabica, und wie sollte er auch nicht? Ist doch das schöne Wort „Revalenta“ allein schon das „Wiedergenesen“! Der Fünfte zwingt Alles mit dem reinen, kalten, frischen, klaren Wasser, womöglich einem Bergquell entnommen; rein macht wieder rein, das ist natürlich. Der Sechste trägt seine Haut nur noch dem Braunscheidtismus zu Markte, denn seitdem auch das kalte Wasser ihm nur geschadet hat, glaubt er an kein anderes Mittel mehr. Und der Siebente endlich haßt alle Mittel, mögen sie naß oder trocken sein, und wirft sich ganz und gar dem wunderthätigen Imponderabile, der Elektricität, in die Arme. Das sind sieben Fanatiker, die sich alle sieben auf ihren Glauben todtschlagen lassen, und kein einziger von ihnen wird eingestehn wollen, daß er sich von Aberglauben oder Wunderglauben leiten lasse.

Wer hat denn nun aber von allen diesen sieben Leuten den besten Glauben? – Der gesunde Menschenverstand entscheidet diese Frage mit kaltem Blute und ohne Vorurtheil, und sagt natürlich: Keiner von ihnen! Sie sind alle Sieben verblendet, sie haben Augen, aber sehen nicht, – sie haben Ohren, aber hören nicht, Sie haben ihre Mittel gebraucht, – jeder ein ganz anderes, sie sind gesund geworden, und haben nur die Unachtsamkeit begangen, daß sie nicht bemerkt haben, wie die Natur so eigenmächtig verfahren ist und sich mit „unerlaubter Selbsthülfe“ ganz heimlich in die Gesundheit hineingeschlichen hat, und zwar in der großen Mehrzahl der Fälle nicht weil, sondern obgleich eines jener Mittel [588] nebenbei angewandt worden war. Eigentlich sollte doch wohl jeder unbefangene Mensch, der nur den Willen hat, seinen Verstand zu gebrauchen, einsehen können, daß hundert der verschiedensten Krankheiten durch ein Mittel zu beseitigen, eine absolute Unmöglichkeit ist, da in der Natur das Wechselverhältniß zwischen Ursache und Wirkung doch einmal in allen Fällen ein bestimmt gegebenes ist. Etwas verständiger würde es schon sein, wenn sich Einer sagte: „Ich will keins dieser sogenannten Universalmittel verachten, sondern jedesmal, wenn ich krank bin, mir dasjenige aussuchen, welches mir am zweckmäßigsten zu sein scheint, und mir aus jedem dieser Universalmittel ein Specialmittel machen.“ Darin läge schon Logik, und wenn er nun so logisch fortführe, und zu obigen sieben Mitteln noch 93 andere sich dienstbar machen könnte, und dann in jedem Erkrankungsfalle das richtige auszuwählen und anzuwenden verstände, siehe! – dann wäre schon ein ganz leidlicher Prakticus fertig. Welcher Arzt möchte wohl das doppelt-kohlensaure Natron in seinem Arzneischatz entbehren? – Aber Bullrich kann er darum doch nicht werden. Welcher Arzt möchte sich in seiner Praxis wohl ohne Aloe und Jalappe behelfen? – Wollte er aber mit diesen, den wirksamen Bestandtheilen in den Morison’schen Pillen, alle Krankheiten durch die Bank behandeln, man würde ihn bald als Giftmischer zum Thore hinaus bringen. Aepfelwein (bitte aber den Zucker nicht zu vergessen!) trinkt auch wohl der Arzt einmal im Sommer, – aber Petsch!? – O nein! – Daß Wicken-, Linsen- und Gerstenmehl recht nahrhaft sind, weiß jeder Bauer, – aber Revalenta arabica?! (Der pseudonyme Erfinder Barry du Barry hat sich wenigstens nicht den Magen dran verdorben, – er ist reich geworden!) – Das kalte Wasser – alle Achtung! Welcher praktische Arzt hätte wohl den greisen Prießnitz mit seinen nassen Einwickelungen, Abreibungen u. s. w. nicht in gutem Andenken und stets im Gedächtniß? Welcher Arzt würde wohl das kalte Wasser in seinem Arzneischatz entbehren wollen? Keiner! – Aber die sogenannte Hydropathie ist ein eben solches „Universalmittel“, wie die andern alle; als Universalmittel hat das kalte Wasser keinen höheren Werth als – „Franzbranntwein und Salz“. Ja, das kalte Wasser unter der Hand eines Unverständigen richtet oft großes Unheil an und schadet oft rascher, als die langsam tödtenden Gifte Wundram’s, Morison’s u. s. w. u. s. w. Eine Lungenentzündung z. B., die durch einen rechtzeitigen Aderlaß vielleicht beseitigt worden wäre, wird von ungeschickter Hand „hydropathisch behandelt“, – der Kranke stirbt am zweiten oder dritten Tage am – „Lungenschlag“, ja wohl! und zwar in diesem Falle wahrscheinlich weil – nicht obgleich – (siehe oben).

Es ist eine bemerkenswerthe Erscheinung, daß die wundergläubigen Anhänger eines Universalmittels nach der Bekehrung von ihrem Aberglauben meist in den größten Haß gegen den früheren Gegenstand ihrer Verehrung verfallen. So habe ich Jemanden gekannt, der Jahre lang für Wundram’s Kräuterpulver geschwärmt hatte, da machte er eines unglücklichen Tages die Entdeckung, daß er mit den schönen, reinen Kräutern doch auch eine ganze Menge Glaubersalz mit verschluckt hatte, und – armer Wundram, Du warst verdammt! So wird dann das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, und keine Messerspitze voll einer Laxanz, möge sie einen Namen haben, welchen sie wolle, darf jemals wieder die Eingeweide dieses Schwergetäuschten verunreinigen. So geht es natürlich auch oft genug der Wassercur. Ich hörte einen Mann schwören, daß ihm kein nasser Lappen jemals wieder an seinen Leib kommen sollte, nachdem ihn die Schmiercur gerettet hatte.

Die Wissenschaft des Hippokrates sieht diesem Jahrmarktstreiben der Welt ruhig zu, leuchtet mit der Diogeneslaterne schweigend umher, prüfet Alles und behält – leider wenig.