Bilder aus dem Seeleben/Das Schiffsgespenst

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Bilder aus dem Seeleben/Das Schiffsgespenst
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41–42, S. 588–591, 605-608
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[588]
Bilder aus dem Seeleben.
2. Das Schiffsgespenst.

Obwohl ich von Geburt ein Deutscher bin, und daher weder einen Lord der Admiralität, noch irgend ein sehr verehrliches Parlamentsmitglied meinen Gönner und Protector nennen kann, war es mir doch gelungen, mich im englischen Seedienst vom anspruchslosen Midshipman zum ersten Lieutenant auf Ihrer Majestät Fregatte „Minerva“ emporzuarbeiten. Ich hatte bisher immer Glück gehabt; der erste ernstliche Unfall traf mich, als die Minerva vor Boston ankerte – ich erkrankte heftig, so heftig, daß der Schiffsarzt erklärte, ich wäre so gut wie todt, wenn ich auf der Minerva bliebe, die am nächsten Tage nach Portsmouth unter Segel gehen sollte. Das Schiff konnte meine Genesung natürlich nicht abwarten, und da ich dem Capitän niemals Gelegenheit gegeben hatte, meinen Tod zu wünschen, so ließ er mich bereitwillig an’s Land setzen, drückte mir seinen Wunsch aus, mich bald und gesund in Portsmouth auf meinem Posten zu sehen, und überließ mich meinem Schicksale. Tags darauf lichtete die Minerva die Anker.

Nach etwa drei Wochen war ich wieder hergestellt und hätte mich gern ohne allen Verzug nach England eingeschifft. Es traf sich glücklich, daß ein Kauffahrercapitän mit Namen Bentham, dessen Bekanntschaft ich zufällig gemacht hatte, sein Schiff eben für Portsmouth segelfertig machte. Ich begab mich zu ihm und ersuchte ihn, mich als einfachen Passagier die Fahrt mitmachen zu lassen.

„Geht nicht, Sir,“ erwiderte er, „durchaus nicht.“

„Warum?“

„Von wegen dem Rheder. Ich darf Niemanden mitnehmen, der nicht zum Dienst gehört.“

„So nehmt mich meinetwegen als Lieutenant mit.“

„Das ginge an, Sir“, sagte Mr. Bentham schmunzelnd, „Ihr brauchtet Euch darum nicht anzustrengen.“

„Wir sind also einig?“

„Hm – was hab ich davon, wenn ich meinen Rheder betrüge?“

Ich gab ihm zu verstehen, daß der Sold, der seinem Lieutenant gebühre, dann in seine Tasche fließen würde, fügte ein kleines Präsent in Gestalt meiner silbernen Uhr hinzu, die ihm in die Augen stach, wofür er mir großmüthig genug ein altes Fernrohr aufdrang, von dem er sich einbildete, daß es mir gefiele, und schloß mit dem Versprechen, mich morgen bei Zeiten auf der „Patience“ einzustellen.

„Gut denn“, sagte Mr. Bentham, indem er nach Yankee-Manier sich das Kinn frottirte. „Ich hab’ zwar schon einen Lieutenant, ich nehm’ Euch als zweiten in’s Register, wenn’s Euch recht ist. Mein Rheder ist ’n verd– Filz; ’s ist nicht mehr als billig, wenn ich ihn auch ein wenig schnüre.“ –

Als ich am nächsten Tage an Bord der Patience kam, war eben ein neuer Matrose der Mannschaft eingereiht worden. Er lehnte an einer Kanone und sah theilnahmlos den kurzen Ceremonien zu, die meine Ankunft begrüßten. In seinen Zügen drückte sich eine Verzweiflung aus, die mir Interesse einflößte. Ich näherte mich ihm und fragte ihn, warum er so finster drein sehe. Anfangs wollte er mit der Sprache nicht heraus; aber nach einigem Zureden wurde er mittheilsamer. Ich fragte ihn, was er getrieben habe, bevor er auf das Schiff gekommen sei.

„Das kann Ihnen all’ Eins sein, Sir“, entgegnete er. „Wenn Sie aber gerade wissen wollen, warum ich hier bin – ich hatt’ in Boston ein Mädel, Sir – o, Sir! Ein Kernmädel, sag’ ich Ihnen. Ich hab’ sie lieber wie mich selbst, meiner Seel’. – –“

„Nun?“

„Nun, Sir! Vorgestern traf ich einen von meinen Cameraden bei ihr, mit dem ich ohnedies im Unfrieden lebte; ich machte nicht viele Umstände und hieß ihn sich zum Teufel scheeren; er schlug mich in’s Gesicht, und da hieb ich ihm meinen Knittel über den Kopf, daß er hinfiel, wie todt. Ich hatt’ nun nichts Eiligeres zu thun, als auf die Gasse zu laufen und mich von ’n Paar Matrosen anwerben zu lassen; denn besser auf’m Schiff, als auf’m Galgen, dacht’ ich. Vierundzwanzig Stunden hielten sie mich in einer Kneipe versteckt, und als sie mir ’nen falschen Bart ’naufklebten und mich auf das Schiff schmuggeln wollten, da begegnete mir – was glauben Sie, Sir, wer mir begegnete?“

„Euer todter Camerad?“

„Jemmy Consly, wie er leibte und lebte! ’N bischen angegriffen [589] sah er aus, aber von Todtsein keine Spur. Ich kann nicht sagen, daß mir das leid that, Sir; was mir aber leid that, das war, daß mich die Theers fest hatten. Ich hatte das Handgeld genommen und mich für zwei Jahre versagt; da half kein Bitten. Unterwegs entsprang ich ihnen – aber so’n verdammter Schlingel von Hochbootsmann – Block hießen sie ihn – war mir auf den Fersen und hatt’ mich gleich wieder fest. Ich werd’s ihm aber gedenken.“

Ich empfahl ihm, sich nichts aus seinem Mißgeschick zu machen, und verließ ihn; denn der Capitän ertheilte Befehl zum Ankerlichten. Der erste Lieutenant ging ihm an die Hand, ich war überflüssig und machte den Zuschauer. An die strenge Ordnung und Disciplin eines Kriegsschiffes gewöhnt, ward ich von dem Chaos von Unordnung, Lärm und Durcheinanderlaufen angewidert, welches auf den Ruf des Capitäns folgte. So streng und musterhaft auch auf den amerikanischen Kriegsschiffen die Mannszucht gehandhabt werden mag – auf einem Jankee-Kauffahrer darf, oder wenigstens durfte man damals nicht viel von Ordnung suchen – zumal wenn ein Capitän commandirte, wie Mr. Bentham.

Wir befanden uns kaum auf hoher See, als er bemerkte, daß er vergessen hatte, sich mit Wein zu versorgen, und schleunigst wenden ließ. Als es dunkelte, lagen wir wieder vor Boston, der Capitän ließ sein Gig aussetzen und fuhr mit Block, dem Hochbootsmann, der ein guter Weinkenner war, und mehreren Matrosen an’s Land. Ich ging in meine Kajüte und machte mir’s bequem, aber ehe eine Stunde vorbei war, rief mich der Allarmruf der Schildwache auf’s Deck. Oben fand ich bereits Mr. Smith, den ersten Lieutenant, welcher mir sagte, der Matrose „von heute“, Jack Watson, sei eben über Bord gesprungen, augenscheinlich in der Absicht, zu desertiren. Ich fragte ihn, warum er nicht schnell ein Boot habe aussetzen lassen, um ihn wieder einzubringen. Worauf er mir antwortete, die Schildwache habe erst gerufen, als man in dem Dunkel nichts mehr habe unterscheiden können. „Eine verd– Mannszucht hier auf der Patience!“ setzte er knirschend hinzu. „Hätte ich’s früher riechen können, ich hätte nie einen Fuß auf ihr schmutziges Verdeck gesetzt. Wenn man einem von den faulen Burschen hier die Katze geben will, muß man erst vierzehn Tage bei Mr. Bentham petitioniren. Dam!!! Ich wollte –“

Mr. Smith mußte seinen Expectorationen ein Ziel setzen, denn eben legte des Capitäns Gig an. Gleich nach Mr. Bentham sahen wir mit Erstaunen Block an Bord erscheinen, der den entwichenen Watson am Kragen hielt. Dieser machte, von Wasser triefend, die Hände auf dem Rücken zusammengebunden, eine jämmerliche Figur. Der Arme war schwimmend dem Gig begegnet, und ohne zu ahnen, wer darin säße, hatte er den Rudernden, die ihn sonst sicherlich in der Dunkelheit nicht bemerkt hätten, lustig zugerufen, ob Land nahe sei? Zu spät hatte er seinen Mißgriff erkannt und war trotz aller Anstrengungen eingeholt und von Block an Bord gezogen worden.

Mr. Smith trug für den Deserteur auf mindestens zwölf Dutzend an, Watson aber schwur hoch und theuer, er habe nicht durchgehen, sondern nur seine Liebste ein letztes Mal sehen wollen, und Capitän Bentham hätte ihm am liebsten die Strafe ganz geschenkt, um nur den Lärm nicht mit anhören zu müssen; da aber Mr. Smith hiergegen gewiß Einsprache erhoben hätte, so erkannte er dem Ausreißer zwei Dutzend zu, die derselbe auch anderen Morgens auf dem Gangwege vom Hochbootsmann vollwichtig aufgezählt erhielt. Watson muckte nicht; aber von dem Augenblicke schrieb sich sein Haß gegen Block her – ein Haß, den er auf alle mögliche Weise äußerte und den ihm dieser mit Zinseszinsen zurückgab. Block schnupfte gern – eine Gewohnheit, die dem ersten Lieutenant in den Tod zuwider war. Wollte Block daher seiner Lieblingsneigung fröhnen, so schlich er zu dem Plätzchen, wo er seine Dose versteckt hatte, und nahm eilig eine Prise, wenn er sich unbemerkt glaubte. Watson bemerkte dies bald, und als der Gegenstand seines Hasses auf einen Augenblick vom Deck mußte, stibitzte er die Dose, schüttete ihren Inhalt in die See und füllte dafür eine Mischung von Pfeffer und Schießpulver hinein, die er sich zu diesem Zwecke verschafft hatte. Dann prakticirte er die Dose wieder an ihren Platz.

Als Block wieder auf Deck kam, war sein Erstes, sich eine Prise zu holen; aber kaum hatte er den Finger zur Nase geführt, als er mit einem fürchterlichen Fluch zurückfuhr. Er hatte den Braten bei Zeiten gerochen und erkannte bald, was den Tabak in seiner Dose ersetzte. Er ließ seine Wuth nicht merken, war aber keinen Augenblick darüber in Zweifel, wer ihm den Possen hatte spielen wollen; das verriethen die Blicke, die er von Zeit zu Zeit auf Jack warf. Dieser bot ihm selbst Gelegenheit zur Vergeltung. Neben dem Maste lag ein Haufen schadhaften Tauwerks sammt den dazu gehörigen Blöcken, d. i. den Rollen, in welchen die Taue laufen. Watson ging zufällig daran vorbei, spie aus und beschmutzte ein Paar von den ohnehin rostigen Blöcken. Im Nu stand Block neben ihm.

„Wer heißt Dich das Deck mit dem schmutzigen Primchensaft besudeln, Du Kerl von einem Ausreißer?“ schrie er, indem er ihn bei der Jacke faßte.

„Es war ja nur ein rostiger, Sir“, entgegnete Jack mit verstellter Demuth. „So’n alter Block ist so nichts Bess’res werth, als angespuckt zu werden.“

Ein lautes Gelächter der nahestehenden Matrosen, ein wüthender Faustschlag von Seiten des Hochbootsmanns lohnte diesen Ausfall; Jack nahm das Erstere schmunzelnd, den letzteren gleichgültig hin, und ich, der ich der ganzen Scene beigewohnt hatte, ohne von den handelnden Personen berücksichtigt zu werden, schritt nicht ein, weil ich mir vorgenommen hatte, mich an Bord der liebenswürdigen Patience an durchaus nichts zu betheiligen, was mich nicht anging – ich betrachtete mich nicht als Officier der Patience, obgleich ich den Titel eines solchen führte.

Daß sich Watson durch tausend Possen, die er dem Hochbootsmann spielte, bei diesem nichts weniger als beliebt machte, läßt sich leicht denken, und wenn ihn Block aus seinem linken Auge – das rechte war ihm bei einer Balgerei von einem Marinesoldaten ausgeschlagen worden – anblickte, so schien es mir, als hätte er jeden Augenblick Lust, seinen Gegner beim Halse zu fassen. Watson hingegen besaß, wenn er nicht eben an sein verlassenes Mädchen dachte, ein fröhliches Temperament, welches ihren Zwist zu einem Quell unerschöpflicher Heiterkeit für die Matrosen machte, und Niemand hätte gedacht, die Sache könne ernstliche Folgen haben, wenn nicht Block’s Jähzorn sie auf eben so schnelle, als tragische Weise zu Ende geführt hätte.

Es war ein sonniger Tag, ein reiner, wolkenloser Himmel – so’n Wetter, wie’s der Städter wunderschön, unvergleichlich, der Seemann aber häßlich und langweilig nennt. Die schwache Brise reichte kaum hin, die Segel zu blähen, das Schiff schien kaum vom Fleck zu kommen, und die Matrosen, mißmuthig und gähnend, beschäftigten sich theils mit Faulenzen, theils mit dem Ausbessern des Takelwerks. Jack stand in den Wandtauen[1], den einen Fuß auf die Webeleinen[2] den andern auf die Brüstung gestützt, und flickte an dem Tauwerk. Dicht über ihm befand sich Block, der mit dem Amt eines Hochbootsmanns das eines Segelmeisters verband, und ihm die nöthige Anleitung gab. Eine Zeitlang arbeiteten sie emsig und stille fort; mit einem Male rief Block, der die Pfeffergeschichte schon vergessen zu haben schien, dem Anderen zu:

„Du, Jack! Du könntest mir ’n Primchen schenken. Ich hab’ meinen Tabaksbeutel leer und möcht’ was zu kauen.“

„Ja, ja, Sir,“ rief Jack bereitwillig. „Bei mir hab’ ich keins, aber ich will eins holen.“ Er eilte in den Raum hinunter, nachdem er zuvor, von Block unbemerkt, bei dem Tabaksdosenversteck Station gemacht hatte, kam zurück, sprang auf die Brüstung und reichte dem Hochbootsmann ein dickes, schwarzgebeiztes Primchen, das dieser nickend in Empfang nahm und zum Munde führte – aber nur, um es gleich wieder puhstend und sprudelnd auszuspeien.

„Warte, Du Schurke!“ knirschte er. „Du hast mir das Primchen in Schnupftaback eingetunkt; bei meinen lieben Augen, ich schlage Dir dafür die Zähne in den Hals.“

Jack lachte.

„Du lachst? Du – Du –“

„Ja, Sir. Wenn Ihr Euren Schwur haltet, geschieht mir nichts.“

„So?“

„Ja, Sir. Ihr habt bei Euren lieben Augen geschworen; Ihr habt ja nur eins.“

Ein Matrose, der in der Nähe beschäftigt war, lachte laut [590] auf; Block aber, den nichts so sehr aufbringen konnte, als eine Anspielung auf seine körperlichen Mängel, hob, schäumend vor Wuth, das Bein in die Höhe und stieß den Absatz seines schweren Schuhes dem Spötter in’s Gesicht, daß dieser taumelte und den Halt verlor – er stürzte – seine Hände griffen vergebens nach einem Halt, er fiel rücklings über die Brüstung – sein Kopf schlug heftig an den Krahnbalken, dann platschte er in’s Wasser und verschwand unter der spiegelglatten Oberfläche, die sich leicht und willig theilte, um ihr Opfer aufzunehmen. Ein paar Luftbläschen, die rasch hintereinander aufstiegen, zeigten die Stelle an, wo er verschwunden war; sie zergingen schnell, wie sie gekommen waren, und Alles war wieder still, ruhig und eben, wie zuvor. Nicht so an Bord.

Block saß unbeweglich auf seinen Ratlines, entsetzt über seine eigene That. Der Ruf: „Ein Mann über Bord!“ hallte durch das Schiff, und so träge und gleichmüthig die Mannschaft der „Patience“ auch sonst sein mochte, dieser Ruf sammelte sie im Nu. Mr. Smith war rasch zur Stelle, ein Boot wurde ausgesetzt und man ruderte nun im Kreise um den Punkt, wo Watson verschwunden war. Plötzlich stießen einige der Rudernden einen Schrei aus und deuteten auf das Haupt des Verunglückten, welches über dem Wasser sichtbar wurde. Man hielt schnell auf ihn zu. Ich stand auf der Dunette und beobachtete mit gespanntem Interesse Alles, was vorging. Watson hob sich plötzlich mit halbem Leibe aus dem Wasser; seine Augen richteten sich auf Block, der noch immer in den Wandtauen saß und ihn seinerseits anstarrte – er schüttelte die Faust gegen ihn, und in der Secunde, wo das Boot dicht an ihm war, als das vorgestreckte Ruder ihn berührte und die ermuthigenden Rufe der Leute im Boote an sein Ohr drangen, sank er unter und verschwand zum zweiten Male. Vergebens ließ Mr. Smith die Leute noch eine halbe Stunde hin und herrudern; sie mußten unverrichteter Sache zurückkehren. Armer Jack! Noch vor kurzem lustig, aufgeräumt, im Vollgenusse Deiner Lebenskraft im Tauwerk gestanden – und jetzt! –

Block, der aus unbekannten Gründen ein Schützling des Capitäns war, ging straflos aus. Trotz meines Vorsatzes, neutral zu bleiben, machte ich diesem bemerklich, ein solches Verfahren müsse einen schlechten Eindruck auf die Mannschaft machen, worauf er mir entgegnete, er selbst wisse am besten, was er zu thun habe, Block sei von Watson gereizt worden und habe jedenfalls nicht die Absicht gehabt, diesen in’s Wasser zu werfen. Ich schwieg und ging meiner Wege.

Seeleute haben einen leichten Sinn, und nach zwölf Stunden dachte Niemand mehr daran, daß es je einen Jack Watson an Bord gegeben habe. Aber sie sollten bald genug an ihn erinnert werden.

Es war in der zweiten Nacht nach dem eben erzählten Vorfalle, als ich durch ein fürchterliches Geschrei, das durch mehrere Cajütenwände gedämpft an mein Ohr schlug, aus dem Schlaf geschreckt wurde. Im Nu war ich aus dem Bett, fuhr in die Kleider und eilte auf’s Deck, wo ich Mr. Smith bei den Matrosen der Wache traf. Alle hatten das Geschrei gehört; Niemand aber wußte, woher es rührte. Da kam Jones, der Steuermannsmate, die Schiffstreppe heraufgelaufen und berichtete mit zitternder Stimme, der Lärm käme aus des Hochbootsmanns Koje. Wir begaben uns dahin; das Geschrei hatte inzwischen aufgehört.

In einem engen Breterverschlag, der eben nur Raum für zwei Hängematten hatte, befand sich, getrennt von den Kojen der übrigen Matrosen, die Schlafstelle von Jones und Block. Der Erstere hob die Lampe in die Höhe, die er mitgenommen hatte, und wir sahen seinen Schlafcameraden zusammengekauert, ohne Lebenszeichen, das Gesicht in die Hängematte gedrückt, daliegen. Mr. Smith näherte sich ihm und tippte ihn auf die Schulter, worauf Block ein tiefes Grunzen ausstieß und zusammenschauderte, ohne sich sonst zu bewegen. Erst als ihn Mr. Smith beim Namen rief und aufstehen hieß, erhob er langsam den Kopf und zeigte uns ein entstelltes Gesicht, welches alle Schattirungen von Hellroth bis dunkelblau zur Schau trug. Er sah gräßlich aus. Mr. Smith ließ ihn ein wenig zu sich kommen, dann fragte er ihn um den Grund seines Geschreies. Block sah sich lange mit leerem, ausdruckslosem Auge um.

„O, Sir!“ sagte er endlich sich aufrichtend und seine tiefe Stimme so viel als möglich dämpfend, „Watson’s Geist ist mir erschienen.“

Nach und nach hatte sich das ganze Schiffspersonal versammelt. Was in der Koje nicht Platz hatte, stand außen und drängte neugierig vor.

„Unsinn!“ sagte Mr. Smith.

„O, Sir! Nichts von Unsinn. Ist das da Einbildung?“

Er zeigte nach seinem Halse, auf dem die Spuren von fünf Fingern deutlich und leserlich eingegraben waren. „Ich kam auf, Sir, weil mich Einer am Halse packte, und da rief mir Watson’s Stimme in’s Ohr, ich sei ein Mörder und solle bezahlt werden – und dann würgte er mich – ich schrie, so gut ich konnte – und da war er weg. O, Sir! Ich wollte ihn meiner Seel’ nicht in’s Wasser werfen.“

Mr. Smith wollte weiter forschen, aber aus Block war nichts mehr herauszubringen, und Jones sagte aus, er sei überzeugt, es sei Watson’s Stimme gewesen, und wie er sie gehört, sei er still und unbeweglich liegen geblieben, was er, einem Gespenste gegenüber, für das Beste halte. Erst als Block still gewesen, sei er auf Deck gelaufen.

Keiner von den Matrosen, die heruntergekommen waren, suchte seine Hängematte wieder auf; sie standen in Gruppen umher und flüsterten. Mr. Smith wandte sich an mich:

„Was denken Sie von der Sache, Sir?“

„Ich denke, es wird sich Einer aus der Mannschaft einen Spaß gemacht haben – vielleicht Jones selbst.“

„Sein bester Freund!“

Ich zuckte die Achseln und schwieg. Am anderen Morgen wurde dem Capitän gemeldet, was vorgefallen war. Er nahm die Kunde mit seinem gewohnten Phlegma auf und machte es wie ich: er zuckte die Achseln und schwieg. Aber es sollte ärger kommen.

Außer der Schildwache befand sich kein Mensch auf Deck – abgesehen von dem Steuermaten. Block, der seit der verwichenen Nacht außerordentlich still und schweigsam geworden war, hatte die Leute eben zum Nachtessen gepfiffen, als man in des Capitäns Kajüte heftig und dauernd läuten hörte. Fast im nämlichen Augenblicke sah ich den Steward über Hals und Kopf vor meiner Kajütenthüre, die ich offen gelassen hatte, vorüberstürzen. Ich hielt ihn auf, und er erzählte mir, am ganzen Leibe zitternd, bleich und athemlos, er habe Mr. Bentham sein Abendessen in die Kajüte bringen wollen, da sei plötzlich dicht vor ihm Watson’s Geist aus dem Boden gestiegen und habe Miene gemacht, sich auf ihn zu stürzen. Er habe in aller Hast die Schüsseln von sich geworfen und sein Heil in der Flucht gesucht. Ich ging nach des Capitäns Kajüte, während der Steward auf’s Deck eilte und Angst und Entsetzen unter der ohnehin schon eingeschüchterten Mannschaft verbreitete. – Von Watson’s Geist war keine Spur zu sehen; wohl aber fand ich auf dem Kajütengange Scherben und Speisen umhergestreut.

Ich traf Mr. Bentham tief in eine Sophaecke gekauert. Er war sehr blaß und sprang hastig auf, als er mich erblickte.

„He, Mr. H…! Habt Ihr – habt Ihr ihn gesehen?“

„Ich verstehe Sie nicht, Sir,“ versetzte ich trocken.

Mr. Bentham erhob sich und ging mit etwas unsicherem Schritte auf mich zu.

„Hört – hören Sie, Sir! Ich hör’s draußen klirren, und wie ich die Thür’ öffne, steht Watson vor mir. Ich bin kein Hasenfuß, Sir; aber wie ich ihn sah – der Teufel hole mich! Ich schaute, daß ich in’s Zimmer zurück kam.“

Ich ließ Mr. Bentham, der fest überzeugt war, einen Geist gesehen zu haben, allein und ging Mr. Smith aufzusuchen. Ich traf ihn auf dem Quarterdeck und fragte ihn, ob er von dem Vorgefallenen schon unterrichtet sei. Nebenbei gesagt – der erste Lieutenant zeigte sich mir gegenüber immer sehr höflich, wenn auch etwas zurückhaltend; er hatte mein Verhältniß zum Capitän gewiß längst durchschaut, vermied es aber, sich darüber zu äußern.

„Ja wohl, Mr. H…“, erwiderte er auf meine Frage. „Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich von der Sache halten soll. Die Leute sind in Bestürzung, Block ernsthafter als je, Jones wie verrückt und der Schiffskoch liegt in Krämpfen.“

„Der Schiffskoch?“

„Ja. Er hat den Burschen auch gesehen. Er erzählt, wie er in die Cambüse gekommen, hätte Watson’s Geist dagestanden und wäre bei seinem Anblick ohne das geringste Geräusch durch die Luke hinaus und in’s Meer gesprungen. – Sonderbar! –“

Ich ging zu dem Koch und hörte aus seinem eigenen Munde das wiederholen, was Mr. Smith gesagt hatte. Konnte das Alles [591] auf einer Täuschung beruhen? Block, Jones, der Koch, der Capitän selbst, Alle hatten ihn gesehen – nur ich nicht. Man mußte sich überzeugen. Das Schiff wurde gründlich durchsucht – durch und durch, von der Mastspitze bis in den Kielraum; aber von Watson keine Spur. Ich hatte gehofft, dadurch das Gespenst zu entdecken und die Mannschaft zu beruhigen – aber es erfolgte das Gegentheil. Sie waren nun fest überzeugt, Jack’s Geist sei an das Schiff gebannt, und Einige behaupteten sogar, das einzige Mittel, ein solches Schiff vor dem sicheren Untergange zu retten, sei – den Mörder über Bord zu werfen. Block wagte sich nicht mehr ohne Waffen auf Deck. Wir, nämlich ich und der erste Lieutenant – der Capitän, der selbst von der Gespensterfurcht besessen war, war nicht zu zählen – trafen alle Maßregeln, die Wachen wurden verdoppelt, wir selbst paßten scharf auf – aber vergebens. Einem nach dem Anderen erschien der Geist; die Leute von der Wache sahen ihn, wenn sie auf ihrem Posten standen, an derselben Stelle über die Brüstung an Bord kommen, wo er seiner Zeit hinuntergestürzt war, und wenn sie ihn anriefen, war er verschwunden. Sonderbarer Weise zeigte er sich nie, wenn ich oder Mr. Smith oben war. –

Es war gegen 9 Uhr Abends und ich saß lesend in meiner Kajüte, als ich’s an der Thüre pochen hörte. Es war ein Matrose von der Wache, dem ich eine Flasche Rum geschenkt und dann eingeschärft hatte, mich schleunigst zu rufen, wenn er Watson’s ansichtig werde. Ich fragte ihn nicht erst aus, sondern rannte unverzüglich die Kajütentreppe hinauf. Ich setzte den Fuß auf’s Verdeck und mein erster Blick fiel auf – Watson, der unbeweglich, mit verschränkten Armen an einer alten verrosteten Caronade lehnte und mich starr ansah.

Ich blieb unwillkürlich stehen. Ganz hinten, an der Backbord-Leiter des Quarterdecks, standen die Matrosen von der Wache, dicht zusammengedrängt, wie eine Heerde Schafe, und sahen zitternd nach dem Gespenst hin; dicht hinter diesem stand todtenbleich der Hochbootsmannsmate, Block’s Gehülfe, sonst ein tüchtiger Bursche, und wagte nicht, sich zu rühren.

Watson war völlig naß; Haar und Kleider trieften. Ehe ich mich völlig gesammelt hatte, trat er einen Schritt vor, langte wie grüßend nach dem unbedeckten Haupte, dann ging er lautlos und still zu der Brüstung, und ohne merkliche Anstrengung, ohne das geringste Geräusch schwang er sich hinüber – ich sprang hinzu und sah ihn in den Wellen verschwinden. Mich überlief ein Schauer. Was ich gesehen hatte, war unbegreiflich.

[605] Ein Ereigniß, das sich Tags darauf zutrug, setzte dem Ganzen die Krone auf.

Ein Matrose, Namens Larson, der ungeschickteste Bursche am ganzen Schiffe, stürzte beim Reffen von der Raa in’s Meer. Er konnte nicht schwimmen, und während das Boot losgemacht wurde, war er schon im Sinken – da tauchte vor meinen Augen und vor denen von etwa zwanzig Matrosen, die im Segelwerk hantirten, dicht hinter ihm Watson’s Kopf aus der See – Watson’s Arm umschlang ihn, Watson hielt den schon Bewußtlosen über dem Wasser, und als das Boot flott und an ihm war, war Watson wieder verschwunden – Larson aber gerettet. Es war in der That merkwürdig, unerklärlich. Außer mir und Mr. Smith gab es keinen Skeptiker mehr an Bord, und die Mannschaft befand sich in einem Grade von Aufregung und Furcht, der uns die höchste Besorgniß einflößte.

Aber die Krisis war nicht ferne. –

Die Sonne war im Untergehen. Ich lag wieder auf dem Sopha in meiner Kajüte, wie ich denn überhaupt mehr da als auf dem Verdeck war, und dachte über die Geschichte mit Watson nach; denn ich hätte das Schiff nicht gern verlassen, ohne der Sache, [606] die mich nicht wenig interessirte, auf die Spur gekommen zu sein. Wir hatten schön Wetter, das heißt, die Brise legte sich hübsch in die Segel und trieb die alte Patience stätig ihrem Ziel entgegen. Wir liefen wohl 6 Knoten – sehr viel für das wurmstichige Fahrzeug, das mich trug; morgen mußten wir in Portsmouth sein. So lag ich denn und sann nach, bis ein Schuß, der am Verdeck fiel, mich plötzlich aufschreckte. Es war der Allarmschuß der Schildwache; außer dieser hatte Niemand an Bord Feuerwaffen zur Hand. Im Nu war ich oben und stieß beinahe an Block, der sich nicht vom Flecke rührte und mit offenem Munde nach der Mastspitze starrte. Nie werde ich den Ausdruck des furchtbaren Entsetzens vergessen, welches sich auf seinem Angesicht spiegelte. Seine Augen schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen, und er holte mit Mühe Athem. Mein Auge folgte dem seinigen, und hoch oben am Vordermast, auf dessen Raa er stand, gewahrte ich Jack Watson – er verschmähte es, die Rückenpaarden als Stütze zu gebrauchen, und stand frei da, die Linke drohend gegen Block ausgestreckt, von dem Abendroth des Horizontes, von dem die Sonne noch nicht ganz verschwunden war, scharf, geisterhaft abstechend.

Ich sah wieder auf das Verdeck nieder. Dieses bot einen wirklich interessanten Anblick! auf allen Punkten des Schiffes zerstreut die Matrosen, alle nach der Erscheinung hinaufstarrend, Einer bleicher und erschrockener als der Andere; – an eine Speiche des Gangspills lehnend Mr. Bentham, dessen Schrecken vielleicht nur durch den des Hochbootsmanns übertroffen wurde; – Mr. Smith der Einzige, der seine Besonnenheit behalten hatte. Als ich hinaus kam, rief er eben nach seinen Pistolen; aber da war Keiner, der seinem Rufe Folge geleistet hätte. Ich trat zu ihm und ersuchte ihn um sein Sprachrohr, das er mir willig reichte. Ich setzte es an den Mund, kehrte die Mündung nach oben und schrie, was ich schreien konnte:

„Watson!!“

Wer sich nicht rührte, war Jack. Ich zog ein Pistol aus der Tasche und richtete es auf ihn.

„Komm ’runter, mein Junge!“ rief ich dann, „komm schnell, sonst müßt’ ich Dich holen,“

Auf dem weiten Raume des Verdecks hörte man nicht einen Laut, Alles wartete gespannt auf den Erfolg meines Anrufs. Dieser schien zu wirken, Jack rührte sich. Ich hätte meine Drohung gewiß unter keiner Bedingung ausgeführt; aber sie war ein Mittel, durch das meine Neugierde vielleicht befriedigt werden konnte, und daß von den Matrosen keiner sich auf die Oberbram-Raaen gewagt hätte, um ihn festzunehmen, darauf hätte ich ohne Zögern 100 Pfund gegen 2 Pence gewettet. Ich wiederholte meinen Ruf. Jack wiegte sich noch einen Augenblick auf seiner Raa, dann glitt er schnell wie ein Gedanke nach den Sahlingen der Bramstenge, ohne daß ich bemerken konnte, wo er sich hielt, ergriff hier das Marssegel-Drehreep und schoß daran hinunter; – ein Satz, und er stand mitten unter den Matrosen, die nach allen Seiten auseinanderstoben. Er sah bleich und hager aus, seine Miene aber zeigte nichts von Furcht oder Niedergeschlagenheit. Festen Schrittes ging er auf Mr. Bentham zu, der bis zum Quarterdeck vor ihm zurückgewichen wäre, wenn ihn die Ankerwinde nicht gehindert hätte, blieb dicht vor ihm stehen, langte wieder nach seinen triefenden Haaren und sagte mit tiefer Stimme:

„An Bord gekommen, Sir.“

Mr. Bentham vermochte kein Wort zu erwidern und glotzte Watson unverwandt an; man sah und hörte seine Zähne klappern. Da trat Mr. Smith rasch vor, und indem er Jack am Rockkragen faßte, rief er den Matrosen zu:

„Kommt her, ’n Paar von Euch! Nehmt mir den Ausreißer da ab.“

Aber Keiner machte Miene, zu gehorchen. Es war in der That ein eigenthümlicher Anblick, wie der Delinquent, die auf seinen Schultern lastende Hand völlig ignorirend, mit ruhigem Lächeln die Seeleute betrachtete, die vor ihm zurückbebten, den sie ergreifen sollten. Aber Mr. Smith verlor die Geduld. Er rief vier der Matrosen beim Namen auf, und diese traten denn scheu und zögernd vor. Der erste Lieutenant feuerte sie fluchend an, sie mußten Hand an Jack legen, der zu ihrem unbegrenzten Erstaunen ihnen nicht unter den Fingern verschwand; unter Mr. Smith’s Aufsicht ward er dann nach einer kleinen Zelle hinuntergeführt, die als Gefängnißraum diente, in Fußeisen und Handschellen gelegt und wohl eingeriegelt. Dann kam Mr. Smith mit seinen vier Mann wieder herauf, näherte sich Mr. Bentham und redete ihn folgendermaßen an:

„Bitte um Instructionen, Sir, Watson ist gut verwahrt. Soll er nach aller Form morgen verhört werden, oder gleich jetzt ein Paar Dutzend bekommen – zum „Kosten“? Das würde die Leute von ihrer eselhaften Furcht curiren.“

„Wa – was, Kosten!“ stotterte Mr. Bentham, der seine Käsefarbe noch immer nicht verloren hatte, und eben an Block’s Schicksal denken mochte. „Ich habe den Teufelsspuk satt. Wer hieß Sie ihn hinunterführen, Sir? – Wie?“

„Ich dächte, Sir –“

„Ni – nichts da. Lassen Sie ’n herauf – vielleicht springt er wieder über Bord. Werft ihn über Bord, wenn er nicht selber springt. Aber ich will ihn – ich mag –“

Ich trat nun gleichfalls hinzu, um Mr. Smith zu unterstützen, und unserem beiderseitigen Zureden gelang es, des würdigen Capitains Aufregung einigermaßen zu beschwichtigen. Mr. Smith begab sich nun sogleich nach der Gefangnenkammer, um Watson in’s Gemüth zu reden; denn es war wichtig, daß er offen gestand, wie er seine Kunststückchen ausgeführt – wurde der Schiffsmannschaft ihre Gespensterfurcht nicht benommen, so desertirte gewiß die Hälfte, so wie wir im Hafen lagen.

Rathlos kam der Lieutenant wieder herauf. Watson hatte auf all’ seine Fragen, auf all’ sein Drohen und Fluchen auch nicht eine Sylbe geantwortet. Mr. Smith war wüthend: auf eine solche Verstocktheit hatte er nicht gerechnet.

Ich entschloß mich, mein Glück gleichfalls zu versuchen, und begab mich mit seiner und des Capitains Zustimmung zu dem Gefangenen hinunter. Ich muß gestehen, ich war gespannt und aufgeregt – mehr, als es sich für einen Lieutenant, einem simpeln Matrosen gegenüber, ziemen mochte.

Ich trat in die Zelle und rief Jack, der mit dem Rücken gegen die Thüre gekehrt saß, beim Namen.

Mr. Smith hatte seine Maßregeln gut getroffen. Er hatte die Luke, die in halber Mannshöhe über dem Fußboden angebracht war, fest verschließen und verrammeln lassen und dem Gefangenen ein Stümpfchen Licht dagelassen, welches den schmalen Raum kärglich erleuchtete. Quer über den Boden ging eine eiserne Stange; an ihr waren zwei runde Spangen angebracht, in welche Jack’s Füße eingeklemmt waren. Seine Hände staken in einem einzigen eisernen Ringe, der ihnen nicht die geringste Bewegung gestattete.

Er wandte schnell den Kopf, als er meine Stimme hörte. „O, Sir!“ flehte er mit unterdrückter Stimme, „aus Barmherzigkeit, öffnen Sie schnell die Luke – ich muß sonst ersticken.“

Es war in der That sehr dumpfig und schwül in der engen Zelle, aber ich wunderte mich, daß eine solche Kleinigkeit einen Mann von Watson’s Constitution belästigen konnte. Indessen erfüllte ich seinen Wunsch, schob den Riegel weg und ließ die frische Luft hineindringen.

„Tausend Dank, Sir!“ seufzte Jack und ließ den Kopf matt auf die Brust herabsinken.

Ich trat dicht vor ihn hin. „Jack!“ Er schwieg. „Es scheint, Du willst mich wie Mr. Smith behandeln. Ist das Deine Absicht, Jack? – Du schweigst? Gut denn. Ich will Dich Deinem Schicksale überlassen. Ich habe Dich oft gegen Block, heute erst gegen den Capitain in Schutz genommen; ich hätte es morgen wieder gethan –“

„Dafür danke ich Ihnen heute, Sir.“

„Willst Du mir Rede stehen?“

„Nein, Sir,“ sagte Jack, in seine frühere Apathie zurücksinkend.

„Nun, dann sind wir fertig miteinander,“ sprach ich, nun wirklich aufgebracht. „Ich war Dir zugethan, weil ich Dich für ’nen braven, aufrichtigen Burschen hielt – aber ich habe mich getäuscht. Du bist undankbar ... Du hast Alles nur zum Narren halten wollen, mich ebenso, wie die Matrosen...“

„Das sind harte Worte, Sir!!“

„ ... und die Geschichte, durch die Du meine Theilnahme erregtest, wird wohl auch nur ein Kunstgriff sein...“

„Nein, o nein, Sir! Ich will ’n schlechter Dieb sein, wenn ich Ihnen ’was vorgepinselt habe. Aber was wollen Sie denn eigentlich von mir? Und Was haben Sie davon, wenn mir Block – daß ihn Gott verdammen möge! – die Fetzen vom Rücken haut, nachdem ich Alles auseinandergesetzt habe, was Sie wissen wollen, Sir?“

[607] Meine Neugierde war stärker, als mein Eifer für das Wohl der Patience, darum zögerte ich nicht, ihm mein Wort zu geben, daß ich ihn nicht verrathen wolle.

„Wenn ich ein Wort sage, was Dir schaden kann, Jack, so schilt Deinen Lieutenant einen Spitzbuben. Ich will aus Deinem eigenen Munde hören, wie Du’s angefangen hast, die ganze Mannschaft so lange an der Nase herumzuführen.“

„Ich will’s Ihnen erklären, Sir. Sie sollen mich nicht un- undankbar – o, o!“ Er unterbrach sich, indem er schmerzhaft das Gesicht verzog und die gefesselten Hände heftig schwenkte

Ich fragte, was er habe.

„O, Sir!“ stöhnte er, „das Eisen schneidet ein. Verdammt! Ich glaube, die Hände fallen mir ab.“

Ich überlegte nicht lange, und da ich die Fußeisen für mehr als hinreichend hielt, ihn festzuhalten, so langte ich den Schlüssel herab, der über der Thüre hing, und befreite den Armen von dem eisernen Armband.

„Danke herzlich, Sir,“ sagte er, indem er die Arme schlenkerte. „Und nun will ich – aber, Sir – nicht wahr, Sie werden mir nichts in den Weg legen, mag geschehen, was immer?“

„Ich verspreche Dir’s.“

„Nun, so hören Sie, Sir. Wie Sie mich damals fragten, was ich in Boston getrieben, da sagt’ ich’s nicht: ich dachte, vielleicht sei’s besser so. – Ich bin von meinem achtzehnten Jahre an Schwimmmeister gewesen, Sir, und hab’ mich mein Lebtag gut auf mein Handwerk verstanden. Ich glaube nicht, daß mir’s irgend Einer so leicht im Schwimmen und Tauchen zuvorthut – ebensowenig im Klettern. – Ich hatte schon lange so ’ne Art Plan im Kopfe: ich wollte verschwinden und dann bei der ersten Gelegenheit an’s Land schwimmen. Wie ich nun über Bord plumpte, dachte ich nicht an meinen Fall, denn das Wasser fürchtete ich nicht, sondern es flog mir ’n Gedanke durch den Kopf, als wär’ das gerade ’ne gute Gelegenheit. Der Krahnbalken versetzte mir wohl ’nen tüchtigen Puff, aber das genirte mich wenig. Ich sank ganz lustig, steckte den Kopf noch einmal über’s Wasser, um Block die Faust zu zeigen, dann tauchte ich unter und schwamm zum Stern der Patience. Dort, Sir –“

„Nun?“

„Dort war des Capitains Fischkasten angebunden. Das hatte ich lange früher bemerkt. Der Koch hatte längst den letzten Fisch herausgenommen und in Boston keinen frischen Vorrath gefaßt, der Kasten war also leer –“

„Ah!“

„Und da er durch den Vorsprung an der Hintergallerie verdeckt war und Niemandem im Wege stand, so dachte auch kein Mensch daran und ließ ihn ruhig nachschleppen.“

Mir begann ein ungeheures Licht aufzugehen.

„Dort schwamm ich hin, Sir. Ich schob den Deckel auf und sprang in den Kasten; die Gucklöcher rechts und links verstopfte ich mit ein Paar Fetzen von meinem Gürtel. Das Zeug ging nun zwar ein bischen tief, sickerte auch immer ’n bischen Wasser herein, aber das machte nichts.“

„Aber wie stelltest Du’s an, den Blicken Mr. Smith’s und der Matrosen zu entgehen, die Dich suchten?“

„Ruderten sie Backbord, schwamm ich Steuerbord. In den Fischkasten sprang ich erst, als sie wieder an Bord waren. Da haben Sie das ganze Geheimniß, Sir.“

„Wir sind noch lange nicht zu Ende, mein Junge. Wie hast Du’s denn in dem Fischkasten so lange ausgehalten? Und vor Allem, wo hast Du Speise und Trank hergenommen?“

„Was das Aushalten betrifft, Sir, das hat wenig auf sich; ich bleibe vierundzwanzig Stunden im Wasser, auch wenn ich kein Bret unter den Füßen habe. Und das Andere wußte ich mir leicht zu verschaffen. Ich schwamm Nachts an die Schiffsseite, klomm daran hinauf – ich wußte es gut, daß die Schildwachen der Patience öfter schlafen, als wachen – und sprang durch die offene Luke in die Cambüse, aus der ich mir Vorrath holte, von Allem ein wenig, damit der Koch nichts merke. Einmal freilich war die Luke geschlossen, da trieb mich der Hunger an Bord. Das war erst unlängst. Ich kam glücklich und unbemerkt unter Deck, bis vor des Capitains Kajüte, da hörte ich Jemanden kommen. Ich duckte mich an den Boden, und als er um die Ecke bog – es war Jones – stand ich plötzlich auf. Ich meinte, den Kerl müsse der Schlag treffen, so entsetzt sah er aus. Er warf die Schüsseln von sich und rannte wie besessen.“

Ich begriff nun, wie so Jones Watson’s Geist hatte aus dem Boden steigen sehen.

„Dann kam gar der Capitain heraus; ich ließ mich aber nicht abschrecken, sondern ging geradewegs in die Cambüse, wo zum Glück Niemand war. Aber kaum hatte ich mich verproviantirt und ein Glas Whisky geleert, so kam der Koch. Ich hatte nichts mehr zu suchen, und meinen Vorrath wohl verwahrt; die Luke hatte ich wohlweislich früher aufgemacht, ich sprang nun hindurch und schwamm zu meinem Fischkasten, wo ich das Erbeutete ruhig verzehrte. Das Salzen konnt’ ich mir ersparen.“

„So weit wären wir im Klaren. – Und die Geschichte mit Block?“

„Die freut mich noch am meisten unter Allem, was ich angestellt habe, ’s war’n bischen gefährlich, aber ich konnt’ mir’s nicht versagen, gleich in der ersten Nacht einen Abstecher nach seiner Koje zu machen. Ich jagte ihm einen tüchtigen Schrecken ein, würgte ihn ein klein wenig, und wie ich mein Müthchen an ihm gekühlt hatte, lief ich davon. Unvorsichtig war ich nur ein einziges Mal, das war, wie Larson über Bord fiel. Ich tauchte unter und hinter ihm wieder auf, Alles im ersten Feuer. Damals hatt’ ich Angst, man möchte mir auf die Spur kommen; ich wunderte mich, daß es nicht geschah.“

Ich selbst wunderte mich jetzt darüber; es schien mir unbegreiflich, daß es uns nicht eingefallen war, auch die Außenseite des Schiffes zu untersuchen – und doch, wer sollte daran denken?

„Mir ist nun Alles klar, Jack,“ sagte ich, als er Miene machte, sich müde am Boden auszustrecken. „Aber noch Eins. Sage nur, was wolltest Du mit all dem Hokuspokus? Was sollte Dir das Alles nützen, wenn Du beabsichtigtest, Dich am Ende selbst wieder auszuliefern, und zwar, Du Unglücksvogel! gerade in einem Augenblicke, wo wir kaum ein paar Meilen von Portsmouth sind?“

„Wenn ich das gewußt hätte, Sir! Aber das ist’s ja eben, was mich mit Verzweiflung erfüllt. – Ganz zuerst wollt’ ich nur Block ein wenig erschrecken, und dann wieder an Bord kommen; nachgerade gefiel mir’s aber, die Mannschaft so in Schach zu halten, und ich nahm mir vor, bis Portsmouth auszuhalten.“

„Und warum führtest Du Dein Vorhaben nicht aus?“

„Ich bildete mir ein, Sir, in zwei Tagen längstens würden wir dort sein, vielleicht gar in einem; ich Dummkopf hatte nie darüber nachgefragt. Nun wurden mir die Strapazen zu groß, im Fischkasten konnt’ ich mich nicht rühren, schwimmen mocht’ ich auch nicht in einem fort, und so entschloß ich mich denn, mich dem Capitain zu stellen. Todtschlagen wird er Dich nicht, dacht’ ich. – Als die Leute eben am Besahnmast beschäftigt waren, kletterte ich zum Bugspriet hinauf, lief schnell zum Vormast hin – hell war’s nicht sehr, und wenn mich schon Einer sah, so hielt er mich für einen von den Leuten – ich stieg hinauf und blieb oben stehen, bis mich Einer sah und den Anderen zeigte. Das Uebrige wissen Sie selbst, Sir. Und nun, wie sie mich herunterführen, höre ich Mr. Smith zu Dukes sagen, er solle des Capitains Gig in Bereitschaft setzen, weil wir so gut wie im Hafen seien – ich meinte, der Donner erschlage mich. Wir sind wohl nicht mehr weit vom Land, Sir?“

„Armer Junge! Näher als ich selber dachte. In einer halben Stunde können wir vor Anker liegen.“

„Und was wird’s wohl mit mir, Sir?“

Ich zuckte die Achseln. „Ich will mein Möglichstes thun, Dir zu helfen – von meiner Seite soll Dir gewiß nichts in den Weg gelegt werden...“

„Ich halte Sie beim Wort, Sir!“

„... aber Mr. Smith – es thut mir leid um Dich.“

„Der Capitain wird mich nicht freilassen?“

„Gewiß nicht.“

„Ganz gewiß nicht?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Dann will ich mein eigener Capitain sein, Sir,“ sagte Jack und mit einem Ruck stand er vor mir auf den Füßen.

Ich prallte erschrocken zurück und sah verblüfft nach den Fußeisen; sie standen offen. Als ich wieder aufblickte, war Jack an der Luke.

„Ich erinnere Sie an Ihr Wort – Gott erhalte Sie, Sir!“

Und ehe ich einen Schritt vorwärts thun konnte, war er durch die Luke und unter dem Wasser. –

[608] Ich war überlistet und mußte gute Miene zum bösen Spiel machen. Wie er sich von den Fußeisen befreit hatte, ist mir noch heute nicht klar. Waren seine Füße ungewöhnlich klein, oder die Ringe zu groß – jedenfalls war es schon geschehen, als ich in die Kammer trat, und er hatte seine Beine nur pro forma wieder hineingesteckt, um mich zu täuschen, was ihm nur zu wohl gelungen war. Ich verschloß die Luke so wie auch die Fußschellen – nicht ohne über meine eigene Einfalt zu erröthen. Dann ging ich auf’s Verdeck zurück und berichtete Mr. Bentham vor den Ohren der ganzen Mannschaft sehr ernsthaft und der Wahrheit gemäß, Watson sei vor meinen Augen aus seinen Fesseln geschlüpft und durch die Luke in’s Wasser gesprungen, ohne daß ich ihn habe zurückhalten können.

Der Capitain gab sich gern und willig zufrieden. Es fiel ihm nicht ein, nachzuforschen, ob die Luke offen oder verschlossen gewesen war. Mr. Smith hingegen sah sehr ungläubig aus und blieb es, bis ich ihn einmal später in einem Londoner Kaffeehause traf und ihm die ganze Sache aufklärte.

Als wir in derselben Nacht vor Portsmouth Anker warfen, deutete Mr. Bentham, der neben mir am Backbord stand, nach einem dunklen Gegenstand, der vom Stern der Patience aus rasch dem Lande zutrieb, durch Nacht und Nebel kaum bemerkbar, und sagte:

„Da treibt was ab, Sir – aber es lohnt sich nicht, nachzuseh’n. Vermuthlich ’n Stück Spiere, ’ne leere Tonne oder so was.“

Ich wußte es besser.





  1. Wandtaue: das strickleiterförmige Tauwerk, welches von den Masten nach der Schiffsseite hinunterläuft.
  2. Webeleinen: Leinen, welche quer über die Wandtaue laufen, wie die Sprossen einer Leiter und worauf die Matrosen beim Hinauflaufen den Fuß setzen.