Eine republikanische Kaiserburg
[398] Eine republikanische Kaiserburg. (Mit Abbildung.) Trotzdem unsere Abbildung auf S. 395 von der malerischesten Seite aufgefaßt ist, würde sie die Blicke des Lesers nur vorübergehend auf sich ziehen, wenn die Unterschrift nicht wäre; das Wort hat diesmal mehr Bedeutung als das Bild.
Habsburg! Wer denkt dabei an ein altes Mauerwerk auf einem Schweizerberge? Ein Stück Weltgeschichte thürmt sich vor uns auf, ein in mehr als halbtausendjährigem Glanze strahlendes Herrschergeschlecht steht vor uns in Europas Mitte – wir glauben es kaum, daß aus der unbedeutenden Burg auf dem Wülpelsberge bei Brugg an der Aar die Dynastie hervorgekommen sei, welche ihr großes Donaureich über die Völkersplitter von den drei Hauptstämmen Europas ausbreitete; wir müssen den Eichbaum mit der Eichel vergleichen, um das für möglich zu halten. Dennoch haben beide, die Burg und das Haus Habsburg, Verwandtes insofern, als beide den Blick auf eine reiche Vergangenheit hinlenken.
Man steigt von dem bekannten Bade Schinznach aus auf einem angenehmen Waldwege in etwa zwanzig Minuten zur Habsburg hinauf, deren Berg sich tausendsechshundertsiebenundzwanzig Fuß über die Meeresfläche erhebt. Droben findet man ein ebenso altes als einfaches Bauwerk, welches in einzelnen Theilen den Eindruck einer Ruine macht. Was von demselben noch gut erhalten ist, verdankt dies weniger der Sorgfalt der Menschen, als der außerordentlichen Festigkeit des Baues. So besteht u. A. der Thurm aus acht Fuß dicken Mauern, die aus unbehauenen Steinen aufgeführt und dicht von Epheu überwuchert sind. Die mittleren Zimmer des Schlosses sind noch benutzbar; einige derselben soll Rudolph, der Kaiser, noch als Graf bewohnt haben, wie man dem Fremden erzählt; sicherer ist, daß die Kaiser Joseph der Zweite 1777 und Franz der Erste 1815 auf der Burg waren und ersterer ein Steinchen aus einer Wand abbröckelte und als Andenken in die Tasche steckte.
Der Ausblick von der Habsburg ist beschränkt in das Land, aber bedeutend in die Geschichte. Dort im Nordosten, wo Aar und Limmat sich vereinigen, stand vor eintausendzweihundert Jahren die größte Niederlassung und Handelsstadt der Römer im alten Helvetien: Vindonissa. Die Ortschaften Brugg, Windisch, Altenburg, Königsfelden, Gäbisdorf und Hausen sind jetzt auf dem Raume zerstreut, welchen jene eine Stadt bedeckte, und Hunnen und Franken waren es, die sie noch vor dem Schlusse des sechsten Jahrhunderts völlig vom Boden vertilgt hatten. Und dort die Abtei Königsfelden, das fromme Denkmal der furchtbar blutigen Rache der Wittwe Kaiser Albrecht’s an dessen Mördern. Schloß Brunegg erinnert an den Landvoigt Geßler, dessen Söhne dort hausten. Freundlicher begrüßt uns Brugg, das „Prophetenstädtli“ genannt, weil die Reformation in den Bürgersöhnen eine seltsame Vorliebe für den geistlichen Stand erweckt hatte; und ebenso der Neuhof, wo Pestalozzi als Kinder- und Menschenfreund gewaltet; vor seinem Denkstein im Friedhofe in Birr vergißt man gern das Birrfeld, auf welchem Cäsar die Helvetier geschlagen. Auf dies Alles schaut man von der Habsburg hernieder, welche gegenwärtig der Sitz eines eidgenössischen Feuerwächters ist.
Feuerwächter sind leider auch die meisten Habsburger gewesen; sie haben so eifrig gewacht und durch Priesterschaft und Adel wachen lassen, daß das Feuer des Geistes von den Völkern Oesterreichs fern gehalten würde, bis aus Mangel an Licht und Wärme der Staatskörper erkrankte. Es ist traurig, wenn man von einem so regentenreichen Geschlechte die guten an den Fingern herzählen kann, ohne eine ganze Hand dazu zu bedürfen: Rudolph der Erste, Maximilian der Erste und der Zweite und Maria Theresia. Das ist Alles, was vom Hause Habsburg vor dem Richterstuhl der Geschichte besteht. Dann kommen die Lothringer, und gleich der erste derselben wird ewig seine Stelle im Herzen der Deutschen behalten: Joseph der Zweite. Mit ihm schließen wir die Reihe; die Lebenden deckt das Preßgesetz. – Aber Geschichte ist’s, daß die Feuerwacht vergeblich war, als von den Nachbarhäusern die Lohe das gekrönte Dach ergriff. Was ist in Oesterreich erlebt worden seit vierundzwanzig Jahren! Seitdem Metternich und sein System niedergeschmettert wurden auf einen constitutionellen Boden mit breitester demokratischer Grundlage – wie viel Rachegeister wurden da losgelassen von dem Arader Galgen und dem Sandhügel in der Brigittenau bis zu dem von Queretaro! Und wie Metternich das Jahr Achtundvierzig ertragen mußte, ohne sich an einem vollständigen Sieg der Reaction wieder erquicken zu können, so ist seinen gelehrigsten Schülern und Schülerinnen es nicht erspart worden, noch Deutschland frei von Oesterreich und geschmückt mit seiner eigenen Kaiserkrone zu sehen.
Die große Sendung der Habsburger als römische Kaiser deutscher Nation und als Herrscher des Donaureichs wäre es gewesen, Culturvermittler zwischen Deutschland und ihren östlichen Völkern und Völkerbruchtheilen zu sein und sie durch die Wohlthaten guter und freier staatlicher Einrichtungen an sich zu knüpfen. Sie befolgten in ihrer Mehrzahl den entgegengesetzten Grundsatz: Divide et impera! Theile und herrsche! Und nun die Saat des gegenseitigen Hasses der stärksten Reichsnationen aufgeht, sucht man vergeblich nach dem rettenden Wort, das die bösen Geister wieder bannen könnte. Möge es noch zu rechter Zeit gefunden werden! Das ist ein Wunsch aus deutschem Herzen, das auch dort der Kraft einer gesunden Cultur den Sieg wünschen muß. Gelingt dies nicht, so spricht das Schicksal sein Divide! und dann erlebt Europa den furchtbaren Anblick der Zerbröckelung eines so großen Reichs, das Staatsconglomerat löst sich in seine sich feindlich einander abstoßenden Bestandtheile auf, Verwandtes drängt sich Verwandtem zu und zur Wahrheit wird das Dichterwort:
Was gegen die Natur verbunden ist, zerfällt.
Das ist nicht Menschenthat: das ist Gesetz der Welt!