Textdaten
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Autor: Ludwig Löffler
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Titel: Eine magnetische Dame
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 413–414
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[413]
Eine magnetische Dame.

„The public are respectfully informed that Miss Poole will give experiments in electro-biology etc. etc.“ (Das Publicum wird ergebenst benachrichtigt, daß Fräulein Poole Experimente in dem Lebensmagnetismus geben wird.)

Mit diesen Worten kündigten kolossale Anschlagezettel eine Vorstellung an, welche die überflüssigen Schillinge der Bewohner der kleinen Fabrikstadt M. im nordöstlichen England aus ihren Verstecken hervorlocken sollte. Es war dies ein Feld, auf dem der Aberglaube der Engländer alle Zügel schießen läßt. Ein Zufall führte mich in das kleine Städtchen, und da ich just nichts Besseres wußte, mir die Zeit zu vertreiben, beschloß ich den Humbug anzusehen.

Erster Auftritt der magnetischen Dame.

Wir traten in die Town-Hall, ein blasses, gelangweiltes Gebäude, und hierin wiederum in einen öden, saalähnlichen Raum ohne jegliche andere Auszeichnung, als daß sich eine Reihe von Holzbänken, in dem feierlichen Arrangement einer Schulstube, hindurchzog. Auf diesen saß der Fabrikarbeiter mit Jacke und Mütze, in seiner ewigen Stellung, den Händen in den Hosentaschen, vor einer aus einem paar aufeinander gesetzter Tische errichteten Tribüne, und stierte den größten Humbug an, den die speculative Frechheit der Menschen vielleicht je ersonnen. Auf besagter Tribune erschien, beleuchtet von einer Gaskrone, die schmucklos, wie die kahlen Wände – Miß Poole, eine nicht zu junge, nicht zu hübsche und auch nicht zu anständig scheinende Dame in einem braun carrirten Thibetkleide, aus dessen kurzen weiten Aermeln ein paar herausfordernd-rothe Unterärmel hervorschienen. Die etwas ramponirten Züge der unter dem Protectorat der Fabrikarbeiter stehenden Dame fingen, nachdem sie ihre Pose eingenommen, an sich zu verfinstern, ihr Kopf senkte sich, und mit dem Blicke einer inspirirten dodonischen Priesterin streckte sie ihre beiden Hände über das Auditorium aus, und machte mit denselben zu wiederholten Malen die Bewegung, als ob sie dasselbe mit irgend etwas bewerfe.

Tiefe Stille im Saal; aber allmählich entsteht ein kleines Geräusch unter den Zuschauern, und man sieht einige der gemeinsten Verbrecher-Physiognomien die Gesellschaft verlassen und sich in schlaftrunkener Weise nach der Tribüne durcharbeiten.

Magnetisirte.

Jetzt hatte Miß Poole ihre gedungenen Taugenichtse und die Vorstellung begann. Die Dame entwickelte nun nach und nach eine unglaubliche magnetische Kraft, die sich sofort äußerte, wenn sie dieses oder jenes Organ des Vagabonden mit ihrer Hand, ja selbst mit ihrem Battistschnupftuche, das sie fortwährend umherschleppte, berührte. Hier lachte der Eine laut auf, der soeben noch jämmerlich schluchzte, nur durch die Berührung der Lachmuskeln; dort blieb der Andere in einer Verzückung verrathenden Stellung wie angewurzelt stehen. Dann fing der Dritte an zu pfeifen und an den Wänden hinaufzufühlen, als ob er Tauben fangen wollte, die Andern folgten ihm nach und nach, bis sie allmählich anfingen, verschiedene Instrumente zu spielen, und dann plötzlich verstummten. Miß Poole nahm sich jetzt den einen ihrer Helfershelfer besonders vor; er hatte einen mit dickem, trocknem, blondem Haar bedeckten Kopf, und war dem Faulen aus Hogarth’s „Industry and Idleness“ wie aus den Augen geschnitten. Dieser schien der Matador der Bande zu sein.

Er mußte singen und wurde dabei von der geheimnißvollen Zauberin wie eine Drehorgel behandelt, indem sie ihn durch die zarte Berührung dieser oder jener Walze diese oder jene Melodie anstimmen und dann sofort in eine andere übergehen ließ, oder er mußte irgend eine Scene aus einer Tragödie declamiren, was er mit dem Pathos eines Bänkelsängers durchführte. Plötzlich fing einer nach dem andern der Uebrigen, die während dieser Zeit in Verzückung stehen geblieben waren, an zu lachen – nervös zu lachen. Sie umringten den Declamator, sie schütteten sich aus vor Lachen – während der große Mime im stolzesten Selbstbewußtsein seine Talente weiter entfaltete.

In diesen kleinen Scherzen ging es eine Weile fort, bis endlich die Hauptscene, eine Scene, ohne die eine englische Posse nicht zu denken ist – eine Prügelei – entstand, in der die Gruppe durch die Ruhe gebietende Magnetiseuse plötzlich wie ein Steinbild gefesselt in den verschiedenen Kampfstellungen verharrte, bis die Acteure, auch hieraus wieder erlöst, sich gegenseitig an die Nasen faßten, diese wie Blumen abpflücken wollten, und sich an dem lieblichen Dufte labten und dann endlich „Unsinn der Augenbanden losließ“ und eine größere Erholungspause das Ende der ersten Abtheilung anzeigte.

Die überirdisch ausgestattete Dame, die sich bei allen diesen Geschichten sehr maschinenmäßig ruhig verhielt, und nur auf etwas plumpe Weise ihre dicken, rothen Hände herumarbeiten ließ, drückte sich von Zeit zu Zeit das Battisttuch auf den Mund, und ich glaube, die Zauberin war noch nicht abgebrüht genug, um nicht selbst über die hanswurstigen Späße zu lachen. Ein verkommener Herr der Schöpfung, welcher während der Scenen, in denen es weder auf Hauen, noch auf Skandal, sondern nur auf stumme Ekstase ankam, einer kranken Geige jämmerliche Klagetöne entlockt hatte, war den Zwischenact hindurch der Schützer der Circe.

[414] Als die zweite Abtheilung mit ähnlichen Dummheiten begann, und bei den jungen Herrn das Organ des Diebstahls von der Dame geweckt wurde, und nun einigen Personen der leichtsinniger Weise auf den ersten Bänken sitzenden Haute volée Sachen mit bewundernswürdiger, fast an das Mögliche grenzenden Geschicklichkeit zu verschwinden anfingen, da dachten wir an das eigene Verschwinden. Wir hatten genug! Wir waren hinlänglich, bis zum Ekel gesättigt und mit dem Ausruf: „Herr Gott, ist es denn möglich?“ verließen wir den furchtbarsten aller Schwindel, der in der Verdummung des menschlichen Verstandes sein Leben findet.

L. Lffl.