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Titel: Eine kirgisische Sultanin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 666
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
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[666] Eine kirgisische Sultanin. Der Sultan der Kirgisen der Orenburger Steppe, Suleiman, den Heinrich Moser auf seiner großen asiatischen Reise besuchte, gemüthlich angeregt durch die Branntweinflasche seines Gastes, ließ ihm die größte Ehre widerfahren, welche einem Christen zu Theil werden kann: er drückte ihm den Wunsch aus, ihn seiner Lieblingsgemahlin vorzustellen. Moser schildert uns, wie ihn schon bei ihrem Eintritt in das Zelt Fatme durch ihre Schönheit und den Reichthum ihres Kostüms blendete. Sie war eine etwa zwanzigjährige, frisch aussehende, wunderhübsch gebaute Frau; sie trug einen cylindrischen sammetnen Kopfputz, der buchstäblich mit Edelsteinen bedeckt und am unteren Rande mit Zobel besetzt war. Eine Art Sack, ähnlich wie an den alten ungarischen Kalpaks, an dessen Ende ein Türkis von seltener Größe befestigt war, fiel auf das linke Ohr herab. Als Unterscheidungszeichen ihrer Würde trug die Favoritin einen Busch von Reiher- und Straußfedern auf dem Kopfputze. Als sie bemerkte, daß der Reisende ihre Person und ihr Kostüm bewunderte, ließ ihn ein Lächeln der Befriedigung ihre hübschen spitzen Zähne sehen. Mit offenbarem Vergnügen und echt weiblicher Koketterie machte sie ihn auf die einzelnen Theile ihrer Kleidung aufmerksam. Vom obern Rande der Mütze fielen von Goldfransen eingesäumte Musselinschleier bis auf die Schultern herab. Eine Art Priestermeßgewand aus weißem Atlas, das mit breiten Goldborten und einer hinter dem Kopfputze beseitigten Franse aus reinem Golde besetzt war, reichte bis auf die Kniee herab. Unter dem Meßgewand sah man einen Sarafan aus Goldbrokat. Dieses zierliche Kostüm wurde durch ein goldgesticktes Beinkleid aus sehr dünner weißer Seide, das an den Knöcheln fest anschloß, vervollständigt. Die sehr kleinen Stiefelchen aus rothem Maroquin bedeckten ebenfalls Goldstickereien und Edelsteine. Fatme nahm arglos die übertriebenen Schmeicheleien des Reisenden hin und obschon eine verheirathete Frau niemals wagen darf, ihr Haar sehen zu lassen, ließ sie ihn doch ein Endchen ihrer kohlschwarzglänzenden Zöpfe erblicken. Er faßte es zart an und war boshaft genug, daran stark zu ziehen, um sich zu überzeugen, ob der Stoff wahr oder falsch sei. Selbst in Europa hätte eine Frau sehr stolz auf diesen Haarschmuck sein können.

Nun mußte ihr Moser von seiner Heimath und der dortigen Frauenwelt erzählen; er zeigte ihr das Medaillon einer jungen Dame in Balltoilette. Da ergab es sich, wie verschieden die Begriffe von dem, was sich ziemt, in der Orenburger Steppe und in den Salons von Paris, Wien und Berlin sind; denn Fatme konnte sich anfangs nur denken, daß eine Dame in solcher Weise ihre Schönheit nur dem Geliebten zeigen könne, und glaubte daher, der Reisende habe das Bild selbst gemacht. Als sie erfuhr, daß ein anderer es gemalt, sagte sie: „Diese Frau liebt Dich nicht, sonst hätte sie sich nicht so wenig bekleidet einem Dritten gezeigt.“ Und als sie gar erfuhr, daß sämmtliche Frauen auf den Bällen in Europa so erschienen und von dem Arm eines Tänzers in den eines andern übergingen, da wuchs ihre Verwunderung.

Später vergrößerte sich der gesellschaftliche Kreis: es kamen Verwandte und Freundinnen der Sultanin und andere Gäste. Es wurden Gesellschaftsspiele gespielt, die mit den europäischen große Aehnlichkeit haben, Taschentücher versteckt, der Wirbelknochen eines Schafs in die Höhe geworfen, was an das Spiel „Kopf oder Wappen“ erinnern mag: fällt er auf die Seite, so hat der Spielende verloren und es werden ihm Strafen zudiktirt, die allerdings einen stark asiatischen Beigeschmack hatten. So mußte ein anwesender dicker Militärarzt aus Orenburg einen Hund nachmachen, und wenn er im Bellen nachließ, wurde er durch die Peitsche des Sultans und der Sultanin zur Fortsetzung seiner Rolle ermuthigen. Andere mußten mit den Zähnen ein Geldstück aus einem mit saurer Milch gefüllten Gefäße herausholen. Der Reisende selbst aber hatte eine liebenswürdige Nachbarin, eine Verwandte der Sultanin, die in großem Nationalkostüm neben ihm Platz genommen. Ihre Augen waren zwar nicht groß, aber ausdrucksvoll und tiefschwarz, ihre wenig plastische Nase hatte bewegliche Flügel und die Zähne waren von merkwürdiger Weiße; der kleine Kopf auf dem prächtig gebauten Körper erhöhte das Anziehende ihrer Erscheinung. Chalisa war der melodische Name des hübschen Mädchens. Sie streckte ihrem Nachbar, sobald sie Platz genommen, zwei weiße Händchen entgegen, welche dieser recht herzlich drückte. Diese Gastfreundlichkeit erschien ihm reizend. Beim Abschied bemerkte er einen Ring am Finger der reizenden Nachbarin; auf seine Frage, woher sie ihn habe, zog sie ihn ab und bot ihm denselben mit folgenden Worten an: „Nimm ihn hin! Ein armes Kind der Steppen giebt ihn Dir! Möge er an Deinem Finger stets nur eine befreundete Hand berühren, das wünscht Dir Chalisa.“

Er erwiderte das Geschenk mit einer alten Reliquie, die er an der Uhr trug und ihr mit den Worten überreichte: „Du wirst diese Reliquie Deinem künftigen Geliebten schenken. Möge er Deiner würdig sein, das wünsche ich Dir.“

Mit der stolzen Amazone machte er noch viele schöne Ritte durch die Wüste, und lange noch sah er sie vor sich, wie sie am Tage seiner Abreise aus der Kirgisensteppe zu Pferde, in den Steigbügeln stehend, eine Hand an der Stirn, die andere aufs Herz gelegt, sich von ihm verabschiedete.

Man sieht, das Bild der schönen Kirgisensultanin Fatme wird durch das der reizenden Chalisa etwas in Schatten gestellt.
†