Eine arabische Fantasia

Textdaten
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Autor: Theodor Küster
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Titel: Eine arabische Fantasia
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 727-729
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Eine arabische Fantasia

Es war im Sommer des Jahres 1856, in den letzten Tagen des 40tägigen Ramadhan ober der mohammedanischen Fastenzeit, als ich, nach einer längeren Excursion in die nach der großen Sahara zu gelegenen äußersten Punkte der französischen Besitzungen in der Provinz Constantine, nach Biskra zurückkehrte. Schon bevor ich mit meiner aus Spahis bestehenden kleinen Escorte die Oasis, in welcher Biskra liegt, erreicht hatte, traf ich mit meinem alten Freunde, dem Kaïd von Biskra zusammen, der, von der Zeit meiner Ankunft durch meine Cameraden benachrichtigt, es sich nicht hatte nehmen lasten wollen, mir entgegenzureiten. Nachdem die üblichen, doch von beiden Seiten aufrichtigen und herzlichen Begrüßungen stattgefunden und der Kaïd seinen herrlichen arabischen Rappen neben meinem Grauschimmel nach einiger Mühe in ruhige Gangart gebracht hatte, erzählte er mir, während seine geübten Finger mit bewundernswerther Geschwindigkeit die so beliebte spanische Cigarette rollten, daß am letzten Tage des Ramadhan eine große Fantasia auf der Ebene vor dem Fort Saint-Germain abgehalten werden solle und daß der General Montauban zu dieser Festivität aus Constantine erwartet werde.

„– Also eine Fantasia?“ fragte ich; „und auf wessen Anregung?“

„– Auf die meinige,“ entgegnete Sidi-Soliman-bel-Hadj; „und eine noch unübertroffene,“ fügte er hinzu, indem er mit sichtlichem Behagen die aromatischen blauen Rauchwolken seiner feinen Cigarette beiden Nasenlöchern entströmen ließ. „Wollen Sie mir es glauben, Lieutenant,“ fuhr er nach einer kleinen Pause fort, „daß die Krieger und Reiter meines Stammes begierig sind, ihre Ueberlegenheit und Gewandtheit vor den Fremden (den Europäern) sowohl, als auch den Nachbarstämmen gegenüber geltend zu machen? Ich gebe Ihnen mein Wort, es wird etwas ganz Außerordentliches geleistet werden, und Sie selbst sollen eingestehen, daß Sie etwas Ueberraschenderes noch nicht gesehen. Uebermorgen ist der letzte Fasttag, die Fantasia beginnt um 8 Uhr früh, Abends mit Einbruch der Dunkelheit findet ein großes Feuerwerk statt und um 9 Uhr beginnt der Ball im Officier-Cercle. Nun, pas trop tôt,“ schloß der nicht allzustrenggläubige Muselmann seine Mittheilung, „nun wird man endlich wieder anfangen das Leben zu genießen.“

Sidi-Soliman, Kaïd von Biskra, war ein schöner, in der vollsten Manneskraft stehender Araber, sehr reich, sehr in Gunst beim General-Gouverneur, energisch in seinem Handeln, streng, doch gerecht gegen seine Untergebenen und ein entschiedener Freigeist. „Wenn der Prophet.“ sagte er oft, „den Château-Margaux, den Château-Lafitte, den Cliquot u. s. w. gekannt hätte, er würde ihn seinen Gläubigen nicht verboten haben. Nehmen wir daher an, sein Verbot rührt eben blos von dieser Unkenntniß her, und thun wir dem edlen Safte, den Gott hat für seine Menschenkinder werden lassen, möglichste Ehre an.“ Und er hatte einen exquisiten Weinkeller, der brave Kaïd, ich habe oft Gelegenheit gehabt ihn kennen zu lernen. Auch machte er kein Geheimniß aus dieser steten Uebertretung der Gesetze des Propheten; sie schadete auch dem großen Ansehen und dem noch größeren Einflüsse nicht, deren er bei seinen Glaubensgenossen sich erfreute. Und doch schmückten drei grüne Seidenquasten seinen Burnus, untrügliches Zeichen einer dreimaligen Pilgerfahrt nach dem Grabe des Propheten. Auch französisch sprach Sidi-Soliman, und zwar so fertig, daß nur wenig in seiner Aussprache den Nicht-Franzosen verrieth. Doch schwärmte er für Alles, was geeignet war den Ruhm und die Nationalität seines Volkes hervorzuheben, und deshalb bot er auch jetzt Alles auf, um seine „Fantasia“ so glänzend als möglich herzustellen.

„Was ist eine arabische Fantasia?“ wird der bei weitem größere Theil der verehrten Leser der Gartenlaube fragen. – Ich will versuchen, in Kürze ihnen ein Verständniß dessen zu geben, was der Araber unter diesem Worte begreift.

Der Araber – und vorzugsweise derjenige des französischen Algerien – kann sich kein öffentliches Fest, keine allgemeine Volksbelustigung oder Feier der Anwesenheit hoher und berühmter Gäste ohne eine solche Fantasia denken. Auf einem weiten, je nach den Umständen und Erfordernissen ebenen oder auf coupirtem Terrain belegenen Platze versammeln sich zahlreiche Reitertrupps in kriegerischer Rüstung und führen Kampfspiele, Scheingefechte, verwegene Reitkunststücke und Exercitien vor den Augen der Zuschauer aus. Eine erhöhte Tribüne, welche sich gewöhnlich im Centrum des Schauplatzes befindet und ringsumher einen freien Blick gewährt, dient zur Aufnahme der Ehrengäste und Notabilitäten, während die große Masse des schaulustigen Publikums in einem weiten Kreise den Platz umgiebt. Es ist selten, daß eine solche Fantasia ganz ohne Unglück, ja ohne Todesfälle abläuft; ja oft ist es vorgekommen, daß ein fanatischer oder hinterlistiger Bursche die Gelegenheit benutzte, um sich eines persönlichen Feindes zu entledigen. Doch nehmen wir unsere Erzählung wieder auf; sie wird am besten ein Bild einer solchen arabischen Festfeier geben.

Am frühen Morgen des vom Kaïd bezeichneten Tages strömten von allen Seiten größere und kleinere Trupps berittener Araber auf das Fort St.-Germain zu, welches, nur um einige hundert Schritte nördlich von dem eigentlichen Biskra belegen, Sitz der Militair-, Justiz- und Verwaltungsbehörden des Bezirks ist, deren obere Leitung sich in der Person eines Obersten vereinigte, welcher Chef des Kreises von Biskra, ich glaube des umfangreichsten von Algerien, ist. Doch nicht im Innern des Forts hielten die schwarzen, braunen und weißen Krieger ihre meist unansehnlichen, aber darum nicht minder ausgezeichneten Pferde an, sondern draußen, gegenüber dem nördlichen Eingangsthor des weitläufigen Forts, auf einem weiten, sandigen Platze, in dessen Mitte eine mit der französischen Tricolore gezierte kolossale Tribüne sich befand. Einige dieser Reitertrupps kamen weit her und hatten mehrere Tage gebraucht, um an ihren Bestimmungsort zu gelangen, andere hatten kaum tausend Schritte zurückzulegen gehabt.

Zu Fuß, in Begleitung des Kaïds und mehrerer Officiere unseres Bureau’s oder von den verschiedenen, im Fort garnisonirenden Truppentheilen, hatte ich mich früh schon auf den Weg gemacht. Wir wollten vor dem Beginn der Spiele die Contingente der verschiedenen Stämme in Augenschein nehmen. Der Kaïd ließ uns schlauerweise erst alle die nicht seinem Stamme angehörenden Pferde und Reiter besichtigen, und erst dann wurde uns das Glück zu Theil, seine eigenen, allerdings mehr imponirenden Leute zu sehen.

Wie traurig und unbeweglich stand die Mehrzahl der kleinen, dürren Pferde da, als wollten sie einschlafen ober drohten jeden Augenblick vor Erschöpfung umzusinken! Einer unserer Officiere, seit Kurzem erst in Afrika angekommen, machte eine hierauf bezügliche, halb spöttische Bemerkung. Schlau und verschmitzt lächelte Sidi-Soliman, und erst nach Beendigung der Besichtigung näherte er sich jenem Officier mit den französisch gesprochenen Worten: „Wenn es Ihnen gefällig ist, mein Herr, so sagen Sie mir Ihre Meinung über diese Pferde nach der Fantasia.“ – Und ihn weiter keines Wortes würdigend, noch seine Antwort abwartend, führte er uns nach der großen Tribüne, wo auch bald der Divisions-General und Commandeur der Provinz anlangte, welcher expreß aus dem neun Tagesmärsche entfernten Constantine zu dieser Feierlichkeit eingetroffen war, gefolgt von seinem Stabe, allen Officieren, welche nicht durch den Dienst behindert waren, und was sonst an Standespersonen augenblicklich anwesend war. Auch ein reicher Damenflor nahm auf den vordersten Plätzen der Tribüne Platz.

Nun endlich begann die Fantasia. In geschlossenen Reihen defilirten zunächst die sämmtlichen Trupps, je nach ihren verschiedenen Stämmen geordnet. Die Einen waren mit der langen orientalischen Flinte, Andere mit langen Lanzen, wieder Andere nur mit dem arabischen Schwerte bewaffnet. Der Kleidung nach ließen sich die Stämme ebenfalls leicht unterscheiden. Da sah man die braun- und schwarzgestreiften Burnusse der Beduinen, die schneeweißen des Stammes Beni-Otta, die schwarzen und dunkelbraunen der Gebirgsvölker von der tunesischen Grenze und die weißen, jedoch schmutzigen der nomadisirenden Araber; endlich kam auch ein Trupp ohne Burnusse: es waren Kabylen, braune, dürre, jedoch markige Gestalten, einen schmutzigen rothen Fez auf dem kahl geschorenen Kopfe, ein Haïk (Hemde) auf dem Leibe, welches, ohne Aermel und nur leicht in der Schulter- und Halsgegend zusammengeheftet, den kräftigen, muskulösen Arm unbekleidet sehen ließ; dieses Hemd und ein weites, unter dem Kniee geschürztes orientalisches Beinkleid von weißem Baumwollenstoff werden zusammen durch eine bunte, bald seidene, bald wollene Schärpe um die Taille gehalten. In dieser Schärpe stecken kurze Waffen aller [728] Art: Dolche, Pistolen, Yatagans etc. Die Füße und Beine dieser verwegensten Reiter sind unbekleidet und ohne Sattel noch Bügel sitzen sie auf ihren kleinen Pferden, mit denen sie Eins zu sein scheinen.

Nachdem sämmtliche Contingente vor der Tribüne und um dieselbe herum defilirt hatten, theilte sich die Masse in drei Gruppen, deren eine bei der Tribüne blieb, während die beiden andern in entgegengesetzter Richtung sich von einander entfernten und ziemlich weit von dem Mittelpunkt des Schauplatzes Stellung nahmen. Der zurückgebliebene Trupp begann sich nun aufzulösen und seine wirklich im höchsten Grabe erstaunliche Gewandtheit in allen Reitkünsten zu zeigen. Bald jagten sie auf einander los, bis zu einer Nähe, daß man eine Collision für unvermeidlich hielt; doch fast Kopf an Kopf warfen die Reiter ihre Pferde zurück, jagten in rasender Carrière auseinander, um im nächsten Moment wieder in wilder Hast auf einander zuzustürzen. Dann feuerten sie die im schnellsten Jagen geladenen, sehr langen Flinten in den unglaublichsten Positionen ab, luden wieder, warfen sie hoch in die Luft, fingen sie mit erstaunlicher Gelenkigkeit, feuerten ab, im Augenblick, wo sie das Gewehr wieder berührten, ließen sich im vollsten Lauf des Pferdes von demselben hinabgleiten, voltigirten – Alles im Laufen – wieder hinauf auf den Rücken des Thieres, knieten, lagen, standen auf demselben, warfen das Gewehr weit von sich, legten sich zur Seite an das Pferd an, ergriffen im Fluge die fortgeschleuderte Waffe, luden sie, auf dem Pferde stehend, zielten, feuerten rück-, vor- und seitwärts … ein tolles, wirres Durcheinander, begleitet von dem wilden Schreien, mit welchem sie ihre Thiere anspornen; und bei alledem stets in den weiten, bis auf die Füße niederfallenden Burnus gehüllt. Man muß eine solche Hetzjagd mit angesehen haben, um sich einen Begriff machen zu können von der unglaublichen Geschwindigkeit und Gelenkigkeit, welche der Araber in Benützung seines Pferdes und seiner Waffe bekundet; die beste, wahrste Illustration würde nicht im Stande sein, einen vollen Begriff von dem zu geben, was man bei einer solchen Fantasia zu sehen Gelegenheit hat und was man, einmal gesehen, nie vergißt. Und diese mageren, vorher so schläfrigen und hinfällig aussehenden Pferde … wie werden sie munter, sobald sie den bekannten Reiter auf sich fühlen! Es ist. als ob ein ganz anderer Geist in das zuvor so ruhige, unbewegliche Thier gefahren, als ob es sich bewußt sei, daß von seiner Schnelligkeit, von seiner Sicherheit seine, seines Herrn, ja die Ehre des ganzen Stammes abhängt, zu welchem dieser gehört. Wie es plötzlich den Kopf hebt, die Nüstern sich erweitern, das Auge lebhaft und glänzend wird, und wie es dahin fliegt, ohne Ruhe, ohne Rast, ohne Futter, ohne Trank, wenn es nicht anders geht, auf den Ruf seines Herrn heranspringt wie ein Hund, die Datteln aus seiner Hand nimmt, auf sein Wort sich niederlegt oder ausrichtet, langsam geht oder dem Winde gleich fliegt … auch das muß man gesehen haben, um es zu verstehen. Doch expatriirt das Pferd dieser – ich möchte sagen zweiten – arabischen Race, und sein Werth ist dahin; dieses Pferd gedeiht und entfaltet sich nur in der Wüste: in Ausdauer, im Entbehren kommt ihm keines gleich, so schäbig, so verkommen es auch aussehen mag.

Der erste Act des Schauspiels war vorbei, der zweite begann. Sobald die Reiter, welche bereits ihre Künste producirt ballen, zur Seite geritten waren, begannen die beiden andern Trupps, welche eine Entfernung von mindestens 3000 Schritten zwischen sich hatten, sich erst langsam, dann schneller und immer schneller in Bewegung zu setzen. Die Aufgabe, welche sie zu lösen hatten, war das sogenannte Durchreiten, d. h. beide Trupps in gleicher Front und gleicher Stärke und jeder in Zwanzig hinter einander folgenden Gliedern oder Reihen, ritten im rasendsten Lauf der Pferde einander entgegen und ein Trupp durch den andern hindurch, ohne anzuhalten, ohne zu visiren, ohne daß zwischen den einzelnen Reitern mehr überflüssiger Raum vorhanden war, als um eben einen andern hindurch zu lassen, der in entgegengesetzter Richtung dahinjagte. Der Zusammenstoß, oder besser gesagt, die Vermischung mußte, der Berechnung nach, gerade vor dem Platze, welchen der General inne hatte, erfolgen, und so geschah es auch. In bewunderungswürdig gerichteten Reihen flogen die Wüstenkinder auf einander zu, und obgleich gewiß an tausend Pferde in jedem Trupp sich befanden, waren sie schneller durch einander und wieder getrennt, als der Leser Zeit gebraucht, um zehn von diesen Zeilen zu lesen. Und kein Unfall, kein Stürzen, kein Straucheln nur.

Und doch ist dies eines der gefährlichsten Manöver, welche selten ganz ohne Unfall verläuft; und Staub und in die Lüfte hinaus geschleuderter Sand hüllten die verwegenen Reiter ein, deren die Einen auf dem Rücken des Pferdes mit dem Gesicht nach vorn, Andere verkehrt saßen, wieder Andere standen, knie’ten, lagen, kauerten … Es war ein unbeschreibliches Durcheinander, ein fabelhafter Anblick, das Herz klopfte, der Athem stockte, als diese zwei mit Windeseile sich entgegen fliegenden, compacten Reitermassen dicht vor unsern Augen sich mischten und einen Moment, einen kurzen, darauf der Plan vor uns frei war und nach wenigen Schritten und in bester Ordnung beide Haufen Front machten und unbeweglich dastanden. Ein jubelnder Applaus erscholl von den Tausenden, welche dieses Schauspiel mit angesehen. Kaum war er verhallt, als der eigentlich militärische Theil, der dritte Act der Fantasia, begann.

Dieser bestand in einem Scheingefecht, welches ein treues Bild der eigenthümlichen Kampfesweise der Araber gab. Da jedoch ähnliche Scenen schon zur Genüge in deutschen Blättern geschildert sind, so begnüge ich mich hier nur die Folgen dieses sogenannten Scheingefechtes mitzutheilen. Es gab da Verwundete und Todte in Masse, fingirte und wirkliche. Der letzteren waren drei, zwei Verwundete, deren Einer auch nach acht Tagen starb, und ein Todter. Die beiden Ersteren hatten ihren Unfall sich selbst zuzuschreiben, dies war erwiesen und unbestritten; allein mit dem Todten hatte es eine ganz andere Bewandtniß. Die allgemeine Stimme seiner Freunde und Stammesgenossen bezeichnete sofort Denjenigen, welcher ihm den Garaus gemacht, und schrieb diesen Mord der Eifersucht – – – auf ein Pferd zu. Ben-Masa hieß der Getödtete, Abd-el-Cofra der Mörder. Beide waren Jünglinge, Beide gehörten reichen Familien an, Beide hatten im Handel um dasselbe Pferd gestanden; Ben-Marsa war es geglückt, die „Perle der Pferde“ zu erlangen. Abd-el-Cofra hatte ihn von diesem Augenblicke an der Rache geweiht. Die Fantasia bot ihm, wie er glaubte, hierzu eine günstige Gelegenheit; bei einem der Scheingefechte rannte er ihm, wie unversehens, den Yatagan in den Leib. Allein er beging die Thorheit (wenn man es so nennen darf), sofort sich flüchtig zu machen. Dieser Umstand, sowie der, daß man von dem zwischen den beiden Jünglingen stattgehabten, auf's Aeußerste geschraubten feindlichen Verhältniß unterrichtet gewesen, genügten auf ihn die Anklage des Mordes zu werfen. Noch im Laufe des nämlichen Tages ward er gefangen eingebracht und der richterlichen Behörde überliefert. Ich kann über sein Geschick ein Mehreres nicht sagen; durch Veränderung des Aufenthalts ist mir dasselbe aus dem Sinn gekommen, doch hat er jedenfalls unter dem Yatagan des mit den Executionen für Eingeborene betrauten Schahous (Gerichtsdieners) sein Leben verhaucht.

Gegen 11 Uhr Vormittags war die „Fantasia“ zu Ende, und so schnell als möglich suchten Alle die Kühle der Wohnungen, der Zelte oder des Palmenwaldes, der in unabsehbarer Weite die Südseite um Biskra bedeckt. Ich gehörte nebst mehreren Freunden zu Denen, welche diesen letztern Aufenhalt dem dumpfigen Zimmer vorzogen. Dort, unter dem Dache riesiger Palmenblätter und zur Seite einer lustig murmelnden Quelle der Oasis ließen wir uns das Mittagsmahl serviren und saßen dann bei Pfeife, Mokka und unterhaltendem Gespräch, bis es Zeit war zum Feuerwerk zu gehen, zu dessen Beginn der im Augenblick des Verschwindens der Sonne auf den Wällen des Forts abgefeuerte Kanonenschuß[1] das Zeichen geben sollte.

Wie so eigen doch das Leben der Menschen ist und wie wahr das Wort, daß man stets bereit sein müsse, vor den höchsten Richter zu treten, zeigte mir dieser Tag. Unter den in unserm gemüthlichen Kreise unter den Palmen lustig und guter Dinge Seienden befand sich auch ein liebenswürdiger, junger Mann; sein Name war Müller, er war gebürtig aus Bautzen oder aus Görlitz, nicht sicher bin ich aus welcher dieser beiden Städte, doch aus einer derselben bestimmt; er war Sergeant-Major (Feldwebel) einer Compagnie von Voltigeuren des zweiten Regiments der Fremdenlegion, welche augenblicklich im Fort garnisonirte. Müller (authentischer [729] Name, nicht fingirter) war 23 bis 25 Jahre alt; als Landsmann hatten wir uns einander angeschlossen. Er hatte in den nächsten Tagen sein Officiers-Patent zu erwarten, war ein vielseitig gebildeter junger Mann, von einnehmendem Aeußern und hatte, wie ich gehört, Deutschland in Folge der politischen Ereignisse der Jahre 1848 und 49 verlassen. Eine zärtlich geliebte Braut war ihm daheim geblieben, mit der er eifrig correspondirte und der er, so viel mir bekannt, von Zeit zu Zeit einen Theil seiner Ersparnisse schickte. Sie sollte nach Afrika kommen, sobald er Officier sein würde, und sich dort mit ihm verheirathen. Müller war geschickter Planzeichner und seit Kurzem im Genie-Bureau beschäftigt, wo man mit ihm und seinen Arbeiten sehr zufrieden war. Seine Carrière war vorauszusehen: Officier, dann naturalisirt als französischer Unterthan, ausgeschieden aus der Fremdenlegion und übergetreten zu einem technischen oder wissenschaftlichen Corps, in der Folge eine lucrative Anstellung im Civildienst – das waren so ungefähr die nach menschlichen Begriffen gewissen Aussichten, welche Müller hatte. Allein das Wort ist sehr wahr: „der Mensch denkt – Gott lenkt!“ Es sollte sich ganz, ganz anders gestalten … Armer Freund!

Noch vor dem üblichen, für dieses Jahr letzten Kanonenschusse brachen wir auf, um uns nach dem etwa eine Viertelstunde entfernten Punkte zu begeben, wo das Feuerwerk, welches unsere Artillerie arrangirt hatte, abgebrannt werden sollte. Es war dies ein Platz vor dem sogenannten Dhar-Diaf, Name einer Art Karawanserai nebst Kaffeehaus, unfern des Forts, östlich Biskra und an dessen äußersten Häusern belegen. Der Platz wird von einer breiten Chaussee durchschnitten; auf der Stadtseite derselben befand sich das obenerwähnte arabische Kaffeehaus, an dessen einer äußern Mauer eine Menge langes Bauholz aufgeschichtet lag, welchen eine Art Tribüne amphitheatralischer Art bildete. Wir fanden auf den untersten Schichten des Bauholzes noch einige freie Plätze und nahmen davon Besitz. Auf der entgegengesetzten Seite der Chaussee, und etwa zehn Schritte vom Graben entfernt, befanden sich die Vorrichtungen zum Feuerwerk, bestehend in Stangen, Gerüsten etc.

Kurz vor 7 Uhr dröhnte der Schuß, dessen Echo der Palmenwald wiederholt zurückwarf, und den die versammelte Menge, zum größten Theil aus Eingeborenen bestehend, mit Jubel als das Ende der vierzigtägigen Fastenzeit begrüßte. Unmittelbar darauf nahm das pyrotechnische Schauspiel seinen Anfang. Dasselbe sollte durch drei Kanonenschläge eröffnet werden, welche an Pfählen befestigt waren. Zwei derselben hatten glücklich von den sie beengenden Banden sich befreit und unter lautem Krachen den Anfang des Feuerwerks verkündet. Der dritte jedoch, sei es durch eine fehlerhafte Placirung oder durch ein Versehen der functionirenden Artilleristen, explodirte nicht, wie die beiden ersten, nach oben hin, sondern flog mit der Schnelligkeit einer Kugel, welche aus einem wirklichen Geschütz geworfen wird, zur Seite und direct nach dem Punkte hin, auf dem wir uns befanden. Im Moment selbst der Explosion stieß der arme Müller einen Schmerzensschrei aus und war auch sogleich über und über mit Blut bedeckt. Die compacte Hülse des Kanonenschlags hatte ihm den rechten Schenkel über dem Knie zerschlagen.

Wir brachten den Unglücklichen sofort nach dem nicht fernen Militär-Hospital, wo die anwesenden beiden Aerzte sofort und einstimmig, nachdem sie die schwere Verletzung untersucht!, erklärten, daß nur die schnellste Amputation hier retten könnte. Zu dieser ward denn auch sofort geschritten. Inzwischen hatten sich bereits der General, der Oberst und die sämmtlichen schon im Officier-Casino eingetroffenen Officiere, denen die Kunde des traurigen Vorfalls gleich berichtet war, eingefunden. Alle bezeigten die aufrichtigste Theilnahme. Die Operation wurde von den beiden, sehr jungen Militär-Aerzten (der Oberarzt, ein tüchtiger, erfahrener Chirurg, war leider abwesend) vollzogen. Es hatte bei derselben ein grobes Versehen stattgefunden; sei es die Eile, sei es die Unerfahrenheit oder Ungewohntheit der beiden Operateure, – genug, nach einer für den Verwundeten schrecklichen Nacht, sah man sich am nächsten Morgen zu einer zweiten Amputation genöthigt. Dem furchtbaren Blutverlust, zu dem sich ein gefährliches Wundfieber gesellte, und endlich den doppelten, gewiß schrecklichen Schmerzen waren die physischen Kräfte des armen jungen Mannes nicht gewachsen. Vier Stunden nach der zweiten Amputation war er todt.

Es wurde ihm ein ehrenvolles, ja selbst prachtvolles Leichenbegängniß veranstaltet. Die Theilnahme war eine allgemeine, eine aufrichtige. Die jungen Märchen Biskra’s, die ihn wohl kaum dem Namen nach gekannt, schmückten sein Grab mit Blumen und Kränzen; ein langer Leichenzug und eine Ehrengarde folgten dem Sarge; man erwies ihm die militärischen Ehren, denn er hatte zu verschiedenen Malen im feindlichen Feuer gestanden, und – war als Officier gestorben. Sein Patent hatte der General mitgebracht und wollte es ihm am Tage nach der Fantasia auf der Parade feierlich überreichen. Ob er noch zu dem Bewußtsein gelangt ist als Officier gestorben zu sein, – ich weiß es nicht und bezweifle es selbst, denn seine Schmerzen waren fürchterlich, und ich gestehe es: ich wünschte seinen Tod, um den Unglücklichen erlöst zu sehen.

Dieser traurige Vorfall wirkte entschieden auf die Stimmung der im Casino versammelten Ballgesellschaft; die Fröhlichkeit, die sonst gewiß nicht gefehlt hätte, konnte nicht durchbrechen, Alles war gedrückt, schmerzlich berührt. Ich ging nach 10 Uhr Abends nach dem Casino, um eben da gewesen zu sein, und entfernte mich eine halbe Stunde später; es ließ mich nicht in dem Kreise der Tanzenden, ich mußte zurück an das Schmerzenslager meines armen Freundes. Auch der Ball, der unter andern Umständen jedenfalls bis zum Morgen gewährt haben würde, hatte bereits um 12 Uhr sein Ende erreicht.

Das war eine „Fantasia“, die einen Mord und ein so bedauernswerthes Ende eines jungen, lebensfrischen und mit den herrlichsten Aussichten in die Zukunft blickenden Mannes zur Folge hatte.

Theodor Küster.




  1. Während der Dauer des vierzigtägigen Ramadhan verbietet das mohammedanische Gesetz jeden körperlichen Genuß, er habe Namen, wie er wolle, in der Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. In allen Garnisonsplätzen Algeriens läßt - um sich den Arabern gefällig zu erzeigen – die französische Regierung im Moment des Sonnenuntergangs einen Kanonenschuß lösen, welcher den Gläubigen das Signal zum Ende der Entbehrung und zum Beginn des Genusses ist.