Textdaten
Autor: K. Walther
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Titel: Eine alte Kommode
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aus: Tropenglut und Leidenschaft, Band 33 Menschenhaie, Seite 301–319
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Erscheinungsdatum: 1935
Verlag: Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.
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Erscheinungsort: Berlin
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[4]
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1935 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16


[301]
Eine
alte Kommode


Skizze
von
K. Walther

[302]  

[303] Anton Morwitz saß aufrecht im Bett und horchte. Durch die Spalten der geschlossenen Vorhänge drang Sonnenlicht herein, draußen lärmten im Efeu die Spatzen. Es war ein wunderschöner Frühherbstmorgen, aber der Rentner Morwitz hatte für Mutter Natur und ihre Gaben nichts übrig, im Gegenteil, – die Spatzen ärgerten ihn, weil er nicht hören konnte, was Lotte nebenan tat …

Nun erlauschte er doch etwas: Eine Tür klappte, im Flur huschte ein eiliger Schritt vorüber, und dann knarrte unten die Küchentür. Morwitz kannte eben jedes Geräusch, das in dem alten Hause irgendwo und irgendwie erklang, – jedes Quietschen der Dielen, jedes Kreischen der Türdrücker und jedes Knarren der Schiebladen.

Er erhob sich leise aus dem Bett und betrachtete sich im Spiegel, strich mit den Fingern über sein Kinn hinweg und überlegte, ob er sich rasieren sollte. Der Stoppelbart war bereits drei Tage alt, aber der alte Herr hielt nichts auf Äußerlichkeiten – nichts mehr, er zählte zu jenen verbitterten Menschen, die nie darüber hinwegkommen, daß [304] sie einen Teil ihres Vermögens halb durch eigene Schuld eingebüßt haben. Er als Architekt hätte damals die Wirtschaftslage besser überschauen müssen. Er hätte natürlich nie zugegeben, daß nur er selbst an seinem sogenannten Unglück schuld war, nein, er machte die Welt und alles mögliche verantwortlich, obwohl, und hier beginnt die tragikomische Seite der Angelegenheit, ihm trotz Verlustes etwa der Hälfte seiner irdischen Güter immer noch soviel übriggeblieben, daß er behaglich und sogar gänzlich sorgenfrei leben konnte. Doch auch das stritt er ab, – er war ein ganz grundlos verbitterter Mann, er war genau so grundlos überaus mißtrauisch und schrullenhaft geworden und hielt jeden, wer es auch sei, für einen Dieb, der es nur auf den Rest seiner Habe abgesehen hätte …

Er rasierte sich nicht … Ihm behagte es auch gewissermaßen, daß er mit den grauen Bartstoppeln weit älter aussah. Dabei war er erst Fünfzig und der jüngere Bruder des Vaters seiner fleißigen und klugen Wirtschafterin, seiner einzigen Nichte Lotte … Er fühlte sich gern als Märtyrer. Daß die Leute ihn den alten – nur – den alten Morwitz nannten (ihm hätten andere Beinamen gebührt!), hielt er für ein Zeichen des Mitleids der lieben Nächsten, die er so schlecht einschätzte und die ihn noch ganz anders einschätzten, aber das hatte ihm bisher nur die Piesecke gesagt – leider!

[305] Er schlich nun in sein Arbeitszimmer hinüber, wo noch immer wie früher der große Zeichentisch stand. Auch dieser Tisch mit den Reißbrettern und sonstigen Werkzeugen seiner ehemaligen Kunst, denn er hatte als Architekt wirklich etwas geleistet, waren für ihn nur gleichfalls geistige Foltergeräte: Er glaubte, mit dem Verlust seines halben Vermögens auch seine beruflichen Fähigkeiten eingebüßt zu haben! Soundso oft sagte er zu der alten, wirklich alten Frau, die in seinem Hause gelegentlich die schwereren Arbeiten verrichtete und die so jung und rüstig geblieben, weil sie eben nicht alt werden wollte, – in seinem weinerlichen Tone sagte er dann, auf den Zeichentisch deutend: „Auch das war einmal, Frau Piesecke! Mein Hirn ist leer wie meine Kasse! Ich bin ein beklagenswerter Mann!“

Und sie, die alte, wirklich alte und doch nicht alte Emma Piesecke erwiderte dann: „Nur immer Kopp hoch, Herr Architekt! Das findet sich alles wieder ein, – so ein Mann wie Sie in besten Jahren …!“

Worauf er sie nur wütend anstierte und sich vornahm, sie nie mehr zur Vertrauten seiner seelischen Nöte zu machen. Jetzt konnte er das nicht mehr, denn seit einer Woche war die Piesecke nach einem saugroben Brief, in dem mehr Grobheiten als ortographische Fehler enthalten, und [306] das wollte schon etwas heißen bei Mutter Pieseckes Kriegszustand mit der Rechtschreibung, nicht mehr erschienen und würde auch nie mehr erscheinen, wie sie in der ganzen Stadt erzählt hatte, – sie war für die Stadt von jeher die wandelnde Skandalchronik gewesen, ohne böse Absicht, nur so aus Geschwätzigkeit.

Anton Morwitz schlich nun mit seinen Filzschuhen lautlos auf das mit Bronzebeschlägen reich verzierte Wäscheschränkchen mit den drei Schiebladen zu. Es war wohl das älteste Stück des Mobilars im Hause und litt bereits an Alterserscheinungen. Er holte den Schlüssel hervor und schloß die oberste Schieblade auf, packte dann den Bronzeklappgriff und riß mit aller Kraft daran, die Schieblade klemmte nämlich und war so niederträchtig, daß sie manchmal spielend leicht aufging, dann wieder gar nicht, – meist gar nicht! Heute hatte sie zufällig ihren vernünftigen Tag, und … Morwitz flog zurück und wäre beinahe hintenübergefallen, aber im allerletzten Moment besann sie sich doch noch auf ihre niederträchtigen Neigungen und quietschte und blieb stecken, sonst hätte der Alte, der erst Fünfzig war, sie vollends herausgezogen und all den Kram über die Dielen zerstreut.

Anton versetzte ihr also mit dem Bäuchlein einen Stoß und trieb sie wieder an ihren Platz zurück … „Ärgerst mich auch immer nur!“ murmelte [307] er, und hierauf suchte er nach den Dingen, die er gestern absichtlich hier in ein Schächtelchen mit Pillen ganz zu unterst hineingetan hatte.

Eine Pillenschachtel ist doch gewiß unverdächtig, so hatte er spekuliert, und wenn nun wieder was verschwindet, dann kann das nur jemand getan haben, der sehr raffiniert als Diebin ist. Dies war sein Gedankengang gewesen, und er fand ihn nunmehr bestätigt: Die beiden Goldstücke aus der Friedenszeit waren nicht mehr da!

Als er am Kaffeetisch in der Veranda erschien und Lotte ihm nur sehr kühl einen guten Morgen wünschte, da schaute er sie vorwurfsvoll an und brummte etwas Unverständliches in seine Bartstoppeln.

Die zahme Dohle Peter saß auf der Lehne des Stuhles neben ihm und keckerte leise. Anton liebte sie sehr, ihr vertraute er nun seine Jeremiaden an, und sie hörte geduldiger zu als die alte Piesecke.

„Die Brötchen werden immer schlechter“, leitete er die Unterhaltung ein. „Die Butter hat auch einen Stich, und der Honig ist wieder mal verfälscht, mehr Zucker als Honig!!“

Er war ein ewiger Nörgler und ein unleidlicher Schwarzseher, eine schlaffe Natur von jeher.

Lotte wurde immer erregter. „Sie müssen einsehen, Herr Doktor, – so geht das nicht weiter [308] mit dem Onkel! Er macht uns ja zum Gespött der Menschen!“ Sie war stehengeblieben und schaute ihren schlanken und sonngebräunten Begleiter unwillig an. „So reden Sie doch! Sie kennen doch die Verhältnisse! Diesem Mißtrauen gegen all und jeden ist schon krankhaft! Nun wieder die Angelegenheiten mit der Piesecke! Wenn sie ihre Drohungen wahrmacht und den Onkel wegen Verleumdung verklagt, dann … – dann wird uns die ganze Stadt noch mehr auslachen, und mit Recht!“

Rechtsanwalt Gart, der erst vor Tagen von seinem Sommerurlaub zurückgekehrt war, blinzelte die energische Lotte etwas übermütig an. Trotzdem lag in seinen Augen ein gewisser nachdenklicher Schimmer. „Uns lacht man aus, uns beide?“ meinte er schmunzelnd. „Ich wünschte, es wäre so! Aber leider ist es nicht so! Denn wenn man uns beide auslachen würde, so hätte ich ein Recht, für Sie einzutreten, Fräulein Lotte, und …“

„Hören Sie doch bitte damit auf!“ fiel sie ihm ins Wort, senkte aber schnell den Kopf. Sobald Felix Gart sein bekanntes liebenswertes Schmunzeln um die Lippen bekam, fiel es Lotte noch schwerer, sich auch ihm gegenüber durchzusetzen …

„Um auch das ein für allemal zu klären“, fügte sie eiligst hinzu, behielt aber den Kopf geneigt … „Wir sind Freunde, nichts mehr! Wie [309] soll ich, belastet mit einem Onkel, der sich und mich zum Gespött aller macht und der mich heute früh sogar … des Diebstahls, wenn auch mit sehr gewundenen Redensarten, beschuldigte, – wie soll ich wohl je …“, sie brach mitten im Satze ab, weil sie zu spät merkte, daß in ihren Worten bereits ein Eingeständnis gelegen hatte, – sie wurde sehr rot und verlegen, und sah so noch allerliebster aus.

Doktor Gart hatte überrascht aufgehorcht. Also das war’s! Deshalb verhielt sich Lotte ihm gegenüber immer so kühl ablehnend und betonte stets, er sei ihr nichts mehr als ein guter Freund – deshalb also! Sie fürchtete, ihn mit bloßzustellen, wenn sie sich etwa mit ihm verlobte und als Beigabe dieser unmögliche Querkopf von Oheim hinzukäme!

Als er eine halbe Stunde später in seinem Büro saß, ließ er sich das Schreiben der Frau Emma Piesecke bringen, las es wiederholt durch und diktierte dann an den Rentner Anton Morwitz folgenden Brief:

„Namens und im Auftrage meiner Mandantin, der Frau …, die Sie durch die Äußerungen an Ihrem Stammtisch, sie hätte Ihnen aus einer sogenannten Kommode (Wäscheschränkchen) dreimal je zwei alte Zehnmarkstücke gestohlen, öffentlich und grundlos und ohne jeden Beweis [310] beleidigt haben (öffentliche Beleidigung, Strafgesetzbuch § soundso, Gefängnis), fordere ich Sie auf, durch Widerruf in allen Zeitungen der Stadt sowie durch eine einmalige, an die Armenhilfskasse zu zahlende Buße von …“ – und so weiter. –

Dieses Schreiben erreichte den Rentner Morwitz am nächsten Morgen, als er gerade wieder über die Brötchen und die Butter und den Honig schalt und trotzdem mit allerbestem Appetit bereits beim vierten der miserablen Brötchen war. Der Appetit verging ihm.

„Aha, von deinem Freunde, Lotte! Natürlich, der Herr Rechtsanwalt Gart! Feine Mandantin! Die Piesecke! Unerhört – dreitausend Mark an die Armenhilfskasse! Bin selbst arm und bedürftig und …“ – sein zuerst empörter Ton wurde immer weinerlicher – „und werde nun völlig ruiniert! Dreitausend Mark, – ich muß Papiere verkaufen, das bedeutet Zinsverlust, dann können wir hungern, und das haben wir nur deinem Freunde zu danken …“ in der Tonart ging es wohl zehn Minuten lang.

Nach diesen zehn Minuten war Herr Anton Morwitz jedoch schon so zahm geworden, daß er nur noch an das drohende Gefängnis und an die Blamage dachte, wenn er wirklich in allen Zeitungen sein Geschwätz am Stammtisch widerrufen müßte …

[311] Hierauf öffnete er den zweiten Brief der Morgenpost und fand darin die Aufforderung einer großen Baufirma, die für eine neue Vorstadtsiedlung die nötigen Zeichnungen und so weiter zu liefern, – persönliche Rücksprache erbeten.

Sein Gesicht klärte sich nicht nur auf, sondern seine Augen leuchteten.

„Lotte, – da, man erinnert sich meiner noch! Man weiß noch immer, was ich kann! Dieser Auftrag wird mir die dreitausend Mark einbringen und mehr als das!“ Er war völlig verändert, er streichelte die zahme Dohle und eilte dann in sein Schlafzimmer, um sich zu rasieren. Er ließ eine sehr nachdenkliche Lotte auf der Veranda zurück, und diese Lotte begab sich nun zum Telefon und rief kurz entschlossen ihren „Freund“ Gart an.

„… Bedaure …“, erwiderte Gart auf Lottes langen, mit Fragen gespickten Anruf. „Ich muß lediglich das Interesse meiner Mandantin wahrnehmen und darf Ihnen höchstens den Rat erteilen, daß Ihr Onkel hinsichtlich der dreitausend Mark bei Frau Piesecke Stundung beantragen mag, bis er das Geld verdient hat, – am besten, er zahlt der Piesecke zunächst hundert Mark Reuegeld und schreibt an mich, daß er alles zurücknehme. Wenn ich in diesem Falle nicht nur Anwalt, sondern auch berechtigt wäre, Ihre Interessen außerdem noch zu vertreten, Fräulein Lotte, so hätte ja …“

[312] … Worauf drüben mit einem leisen und scheuen „Danke“ abgehängt wurde …

Felix Gart schmunzelte … Es müßte doch mit dem Henker zugehen, dachte er erneut, wenn ich den Alten nicht wieder jung bekäme und …, – was er weiter noch dachte, gehörte auch nicht so recht mit zu den Pflichten der Piesecke gegenüber. Zehn Minuten drauf zupfte Lotte dem Onkel die Krawatte zurecht und sagte dabei: „Onkel Anton, ich habe den Doktor Gart angerufen. Die Piesecke wird auf die sofortige Zahlung der dreitausend Mark an die Armenhilfskasse verzichten, wenn …“

… Und der Onkel rief dann von der Gartentür aus: „Gut, ich werde die hundert Mark sofort an die Piesecke abschicken. Ich danke dir, Lottchen, – das war sehr nett von dir …! Du hast doch gestern aus meinen Worten beim Frühstück nicht etwa herausgehört, daß ich dich für das neuerliche Verschwinden von zwei Zehnmarkstücken verantwortlich machen wollte …? Bewahre, bewahre! Wiedersehen! Wiedersehen!“

Lotte konnte zu dieser völligen Verwandlung des Oheims nur ungläubig den Kopf schütteln. Daß die Freude, Arbeit erhalten zu zu haben, den Onkel nur deshalb so jäh verändert hatte, weil damit fast gleichzeitig die Angst verbunden gewesen, Wertpapiere verkaufen zu müssen, wußte [313] sie sehr wohl, – daß jedoch dies beides so rasch und prompt wirken würde, hatte sie nie für möglich gehalten. Im stillen dankte sie dem, der dies alles in die Wege geleitet hatte, von ganzem Herzen, – mehr noch, sie bewunderte Garts feine Diplomatie, die sie längst durchschaut hatte, er war ja der Anwalt der großen Baufirma und hatte dieser bestimmt geraten, sich an Anton Morwitz zu wenden.

Und trotzdem: Wer mochte nur die Goldstücke gestohlen haben, wer? Ihr sinnender Blick schweifte zu dem schlauen Peter hinüber. Die zahme Dohle hockte mit ganz unschuldigem Gesicht auf der Stuhllehne, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Aber, überlegte sich Lotte weiter, – aber Peter hat noch nie etwas verschleppt, denn von stehlen kann man ja bei einem Vogel nicht gut sprechen. Peter tut so etwas nicht. Und die Piesecke erst recht nicht! Wo sind nur die Goldstücke geblieben? Ob der Onkel etwa doch in der Schieblade nicht genau genug gesucht hat? Das muß ich doch sofort mal feststellen …!

Sie ging also nach oben, und da der Schlüssel in der obersten Schieblade der Kommode steckte, versuchte sie sie herauszuziehen. Die Schiebelade hatte gerade ihren ganz guten Tag, und Lotte brauchte nicht lange zu rütteln und zu schütteln, bis ihr ein Erfolg beschieden. Nach zehn Minuten [314] saß sie auf dem großen Zeichentisch und lächelte und baumelte übermütig mit den Beinen, pfiff leise vor sich hin und überdachte die Lage und kam auch zu einem Entschluß.

Anton Morwitz kehrte strahlend heim. „Lotteken, ich bin selig! Ich habe den Auftrag erhalten. Nun geht’s sofort mit Nachdruck an die Arbeit – und wie! Bei deinem Freunde Gart war ich auch, ein recht vernünftiger Mann. Die Sache mit der Stundung und dem Verzicht auf die Widerrufe in den Zeitungen ist in Ordnung. Außerdem hat dieser Gart überraschend reife Ansichten über die Pflicht eines jeden, selbst mit dazu beizutragen, daß wir aus der Wirtschaftsdepression herauskommen. Diese jungen Männer von heute: Einfach fabelhaft, wie die das Leben so ganz anders ansehen als unsereiner. Mir scheint wirklich, ich war so etwas unmodern und überaltert. Na, damit ist’s ja nun vorüber …! Ich habe Arbeit! Wie schon allein der Gedanke aufpulvert, nicht mehr lediglich so fünftes Rad am Wagen zu sein! Unglaublich wie das mein Selbstgefühl hebt und frische Kräfte weckt, die nur geschlummert haben können!“

„Geschlummert?!“ meinte Lotte, die so energische und kluge Lotte schmunzelnd, und in diesem Augenblick glich ihr Schmunzeln verblüffend dem des Herrn Doktor Gart. „Geschlummert, Onkel? [315] Nein, eingeschläfert hast du diese Kräfte nur höchstpersönlich! Das war’s: Du dachtest nur immer an deine Vermögensverluste und nie an die Möglichkeit, sie wieder einzuholen und auszugleichen durch verdoppelte Tätigkeit! Mit einem Wort: Du hast dich selbst ausgeschaltet!!“

Onkel Anton starrte die hübsche Nichte erstaunt an. „Du, Lottchen, das ist mal komisch: Der Gart hat mir beinahe wörtlich dasselbe gesagt!!“

„Kein Wunder! Er kannte ja die Zustände hier zur Genüge!“ erklärte Lotte nur. Worauf der Onkel mit sehr langem Gesicht und unter verlegenem Hüsteln verschwand.

Von Stund an war er jedoch für immer kuriert: Er rasierte sich täglich, er arbeitete seine zehn Stunden am Zeichentisch, er pfiff dabei muntere Lieder und hatte sogar die Piesecke schriftlich gebeten, die Arbeit im Hause wieder aufzunehmen. Und die Piesecke war auch gekommen, hatte ihm zunächst zur Begrüßung ein paar saftige Grobheiten an den Kopf geworfen, und dann war der Friede wiederhergestellt.

Nach zwei Wochen hätte niemand in diesem neuen bienenfleißigen und so jung gewordenen Anton den Nörgler und Griesgram und von Mißtrauen erfüllten Anton von einst vermutet. Den Verlust der Goldstücke hatte er längst verschmerzt, [316] er dachte gar nicht mehr daran, und wenn er daran dachte, dann nur mit einem Achselzucken und mit seinem neuesten Scherz: „Lotteken“, sagte er immer, wenn die Nichte ihm mal oben im Arbeitszimmer Gesellschaft leistete, „Lotteken, dies hier ist meine Sparbüchse wider Willen!“ Und dann klopfte er mit dem Finger auf die alte Kommode und erläuterte beim ersten Male diesen Scherz etwas näher: „Sparbüchse wider Willen, – zuerst hatte ich dort meine Goldstücke versteckt, ich weine ihnen nicht nach. Nun liegen in der obersten Schieblade die fertigen Zeichnungen und Berechnungen, und die sind mehr wert, die sind Bargeld und eine ganze Menge sogar! Somit ist die Schieblade und die alte Kommode wirklich zur Sparbüchse wider meinen Willen und jetzt zu meiner größten Freude geworden!“

Als er dies so zum ersten Male auseinandergesetzt hatte, da hatte er Lotte sehr mißtrauisch betrachtet, denn das Mädel bog sich plötzlich vor Lachen und bekam davon Tränen in die Augen und kicherte noch minutenlang hinterher:

„Sparbüchse wider Willen! Sparbüchse wider Willen! Köstlich, großartig, einzig dastehend!!“ – Eine Erklärung für ihre Heiterkeit gab sie nicht, – erst nach Wochen …

Nämlich an dem sonnigen Herbsttage, als sie sich mit Felix Gart im Stadtpark verlobt hatte. [317] „Jetzt sträube ich mich nicht mehr, dir auch Baut zu sein“, hatte sie Gart glücklich angelächelt. „Jetzt brauche ich mich Onkels nicht mehr zu schämen, er ist keine komische Figur mehr: Er arbeitet …!

Und dann nahm sie ihren Felix mit heim und führte ihn und den Onkel und die Mutter Piesecke sowie die Dohle Peter vor die berühmte und berüchtigte Kommode und deutete auf das alte Möbel und sagte ganz feierlich:

„Lieber Onkel Anton, du hast sie deine Sparbüchse wider Willen getauft. Du ahnst nicht, daß dies in doppelter Bedeutung zutrifft. Ich weiß dies schon lange.“

Sie zog die oberste Schieblade mit aller Kraft auf. Das Ding klemmte wieder und quietschte und knarrte. Aber Lotte kriegte sie doch auf. Was Lotte schaffen wollte, das erreichte sie auch. Drinnen lagen die fertigen Zeichnungen. Früher hatte dort allerlei unnützer Kram, so die Pillen, gelegen. Lotte nahm die Zeichnungen heraus und zog die Schieblade noch weiter auf.

„Schau’ mal hinein, Onkel …! Siehst du was?!“

„Nein …! Leer!“

„Stimmt … Und doch übersiehst du das Wichtigste: Die breitgedrückten Pillen zwischen dem [318] Bodenbrett der Schieblade und deren Vorderwandung!“

„Allerdings … allerdings … Es sieht wie getrockneter Tischlerleim aus …“

Lotte kicherte, wurde aber schnell wieder ernst. „Es sind deine Pillen! Und gerade diese breitgedrückten Dinger brachten mich damals auf den Gedanken, daß das Bodenbrett doch lose sein und sich beim gewaltsamen Öffnen der Schieblade von der Vorderwand gelöst haben müßte, so daß eine breite Ritze entstanden sein könnte, durch die deine Goldstücke hinabgerutscht sein mochten. Ich zog also auch die zweite Schieblade auf. Bitte, so … Was siehst du? Da steht das Bodenbrett fast fingerbreit von der Vorderwand ab, also auch eine Ritze, und nun die unterste Schieblade, bitte: Hier bewahrst du deine Winterstiefel und Gummischuhe auf, was an sich schon ganz ungehörig ist … Gerade vorn stehen deine Gummischuhe, mit Zeitungspapier halb vollgestopft, damit sie die Fasson bewahren. – Was über den Gummischuhen durch die Ritze der zweiten Schieblade fällt, rutscht in den Gummischuh! Hebe ihn doch mal auf und kippe ihn um!“

Onkel Anton tat’s. Was rollte auf die Dielen und auf den Teppich?! Acht goldene Zehnmarkstücke! Und eine Menge Pillen!

Onkels Gesicht war zum malen.

[319] „Also war die Kommode eine doppelte Sparbüchse wider Willen!“ und Lotte drehte sich um und schaute ihren Verlobten an. „Jetzt kannst du beichten. Beichte mal, daß die Geschichte mit den dreitausend Mark und mit dem Widerruf in den Zeitungen nur ein Bluff war! Du hattest den Onkel eben richtig durchschaut und auch das richtige Heilmittel gefunden! Felix, was habe ich nur für einen klugen Bräutigam!“

Doktor Gart zog sie lachend an sich. „Und das betonst du noch, daß ich klug bin?! Wo ich dich zum Frauchen erwählt habe?! Gerade Dich! Ich glaube, daß spricht am eindruckvollsten für meine Klugheit!“

„Bestimmt – ganz bestimmt!“ pflichtete Onkel Anton aus tiefster Seele bei.

Und dann hob er die Goldstücke und die Pillen auf, die Goldstücke bekam Mutter Piesecke geschenkt, und die Pillen flogen zum Fenster hinaus.




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Tropenglut und Leidenschaft

Eine Reihe einzigartiger tropischer Erzählungen




Von Gino F. von Moellwitz ist bisher erschienen:

   Weiße Frau auf Borneo

   Das Lächeln des Tuan

   Weiße Rose von Fangaloa-Bai

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   Skandal um Evelyne

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   Der Wüstenflieger

   Lockvögel der Südsee

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Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.

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