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sie einen Teil ihres Vermögens halb durch eigene Schuld eingebüßt haben. Er als Architekt hätte damals die Wirtschaftslage besser überschauen müssen. Er hätte natürlich nie zugegeben, daß nur er selbst an seinem sogenannten Unglück schuld war, nein, er machte die Welt und alles mögliche verantwortlich, obwohl, und hier beginnt die tragikomische Seite der Angelegenheit, ihm trotz Verlustes etwa der Hälfte seiner irdischen Güter immer noch soviel übriggeblieben, daß er behaglich und sogar gänzlich sorgenfrei leben konnte. Doch auch das stritt er ab, – er war ein ganz grundlos verbitterter Mann, er war genau so grundlos überaus mißtrauisch und schrullenhaft geworden und hielt jeden, wer es auch sei, für einen Dieb, der es nur auf den Rest seiner Habe abgesehen hätte …

Er rasierte sich nicht … Ihm behagte es auch gewissermaßen, daß er mit den grauen Bartstoppeln weit älter aussah. Dabei war er erst Fünfzig und der jüngere Bruder des Vaters seiner fleißigen und klugen Wirtschafterin, seiner einzigen Nichte Lotte … Er fühlte sich gern als Märtyrer. Daß die Leute ihn den alten – nur – den alten Morwitz nannten (ihm hätten andere Beinamen gebührt!), hielt er für ein Zeichen des Mitleids der lieben Nächsten, die er so schlecht einschätzte und die ihn noch ganz anders einschätzten, aber das hatte ihm bisher nur die Piesecke gesagt – leider!

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K. Walther: Eine alte Kommode. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1935, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eine_alte_Kommode.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)