Textdaten
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Autor: Heinrich Noé
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Titel: Eine Weihnacht in Tirol
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 36-39
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Gang zur Mitternachtschristmesse in den Tiroler Alpen.
Nach der Natur aufgenommen von Stauber.

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Eine Weihnacht in Tirol.
Von Heinrich Noé.

Der freudenvolle Vorabend ist es des heiligen Christtages. Wäre ich jetzt in Berlin oder Dresden und schaute auf die Straße, so erblickte ich das geschäftige Umherrennen der Leute, hin- und hereilende Carossen, den Glanz der Magazine. Selbst in unsern süddeutschen Hauptstädten, in Wien oder München, für deren öffentliches Leben das große Fest der Christenheit nicht jene Bedeutung hat, wie für unsere Brüder im Norden, würde sich eine bewegtere Stimmung, eine gesteigerte Bewegung sofort bemerkbar machen. Wenn ich dagegen den dichten Hauch von den Fensterchen wegwische, hinter denen ich unter dem gastlichen Dache der vielbekannten Scholastica augenblicklich hause, sehe ich einen beschneiten Zaun, eine schmale Straße und an diese fluthet der tiefblaue Achensee heran, tief in die Klüfte der norischen Alpen eingebettet. Sein Südende ist in Wolken verschwommen, wie die Spitzen und Rücken der Berge, deren ungeheure Felswände jäh in seine ungemessene Tiefe fallen. Dichte Nebelstreifen fließen von den weißen Höhen auf die dunkle Fluth, die in regelmäßigen Tactschlägen ihre niedrigen Wellen auf den Strand wirft, dessen zermahlene Kiesel sie von Schnee befreit hat.

Der Leser wird sich vielleicht wundern, wenn ich von Wellenschlag und dunkeln Wassern spreche, während spitze Eiszapfen von dem steinbedeckten Dach dort hängen, die meisten Bäche schon längst erstarrt sind und wohl auch draußen im Norden die Wintersonnenwende schon überall ihre krystallenen Decken ausgebreitet haben wird. Aber man erinnere sich, daß die berühmtesten Geologen, Leopold von Buch an der Spitze, die Tiefe der Fluth, die gegen mein Häuschen anschwillt, auf dreitausend Pariser Fuß anschlagen und daß es deshalb der Einwirkung einer mehrmonatlichen harten Kälte bedarf, um den Austausch der erkälteten oberen Schichten mit den vielen darunterliegenden wärmeren durch eine tief hinabgreifende Erstarrung endlich zu verhindern. Auch darf man die unzähligen Quellen nicht vergessen, die in den schwarzen Gründen aus dem Schooß der zerklüfteten Kalkalpen ihr Wasser ungesehen in den See einsprudeln lassen - auch diese helfen dem gewaltigen See gegen die eisigen Fesseln. So kommt es, daß von den großen und tiefen Seen des Hochlandes keiner vor Ende des Monates Januar oder dem Anfange des Februars dem Schlitten oder Schlittschuh einen sicheren Boden bietet, und auch dazu ist es fast immer nothwendig, daß langanhaltendes Schneegestöber vorher die Oberfläche des Sees in einen ungeheuern Brei von Eisnadeln verwandelt hat. Seien wir froh, daß dem noch nicht so ist; denn es ist nichts Schönes um einen zugefrorenen Alpensee, weil das Gemenge des hineingefrorenen Schnees vom Wasser fast nichts mehr erkennen läßt und so ein Wanderer, der vom Vorhandensein einer Seefläche nichts wüßte, auch gar nichts davon wahrnehmen, sondern das im Sommer so herrliche Becken für eine verschneite Schlucht, ein verwehtes Thal halten würde, ganz wie es Gustav Schwab in seinem Reiter vom Bodensee so grausig schön geschildert hat.

Treten wir, von dem dunkeln Blut des „Heurigen“, des [38] neuen Weins, gestärkt, welchen der Fuhrmann erst gestern aus dem sonnigen Etschland mitgebracht hat, hinaus ins Freie, so wird uns, wenn wir Flachländer sind, vor Allem der am Wege liegende Schnee auffallen. Nicht als ob er etwa nicht weiß wäre, wie die Flocken, die auf die Dächer anderer Menschenkinder fallen, im Gegentheil, seine Farbe ist vielleicht noch blendender, als die der feuchteren Decke, welche auf den Niederungen lagert – aber er zeigt uns eine Bildung, wie man sie fast nur in den hohen Lagen der Alpen antrifft. Große, viereckige Tafeln, die vertical nach oben schauen, sind zu den zierlichsten Rosetten zusammenkrystallisirt; der ganze weiße Plan sieht aus, als ob er mit blinkendem Moos bedeckt wäre. Diese großen Krystallbildungen rühren von der geringen freien Feuchtigkeit her, die sich zwischen den Schneenadeln befindet; es ist dies eine Folge der trocknen scharfen Luft und der hohen Lage, welche der Verdunstung überaus förderlich sind. Man erinnere sich, daß unser See dreitausend und dreihundert Fuß über dem mittelländischen Meere lagert, eine Höhe, welche schon derjenigen der höchsten Gebirge in Mitteldeutschland nahe kommt. Ein seltsamer Anblick dieses blätterige Geschiebe! Zerstören wir die schönen Ornamente neugierig mit dem Stock, so dämmert uns aus den Brüchen ein fahler Lasurschein entgegen, der schwach an den tiefern Glanz des körnigen Eises mahnt, das oben in sicherer Mulde der auflösenden Strahlen des Hochsommers harrt.

Den Weg am öden Gestade, an das unablässig die Welle rollt, geht selten ein Mensch. Ein Jäger vielleicht in brauner Joppe mit Gewehr und Bergstock, die Pfeife mit dem übelriechenden österreichischen Soldatenknaster im Mund, oder ein Knecht, der einen mit Streu beladenen Schlitten zieht, sind die einzigen, denen wir begegnen. Hier und da liegt ein alter, halbverfaulter Stamm im Wasser, laichenden Fischen ein willkommener Zufluchtsort. Die Alpenrosenbüsche, die im Juli den felsigen Strand mit purpurnen Sträußen schmücken, ragen nur mit ihren Spitzen, oft vom weißen Berghasen benagt, aus der dichten Schneedecke. Die Legföhre, die hier bis an’s Wasser herabsteigt, wird aber von dieser nicht gedrückt; denn niedrig und leicht vom Winde bewegt schüttelt sie sich die frostige Last bald vom Leibe, daß es aussieht, als ob nur blinder Zufall einige spärliche Flocken über sie ausgestreut hätte.

Der immer höher angehäufte Schnee treibt uns wieder in unsere Behausung, zur viellieben Scholastica zurück. Wir nehmen um den viereckigen Kachelofen Platz, zünden uns eine „Havanna“ oder „Cuba“ zu vier Neukreuzer ö. W. an, fahren in der Probe des rothen Etschländers fort und betrachten uns, was in der Weihnachtsdämmerung vorgeht.

Das Land Tirol ist ein Juwel im Kranze unserer Germania, aber sein Volk ist arm an geselligen Freuden. Ich brauche hier nicht erst zu sagen, wer vor Allem den finstern, ich möchte sagen, ascetischen Geist in das Leben eines Völkchens gebracht hat, dem die karge Natur allerdings auch sonst wohl wenig Genüsse zu bieten vermöchte. So sieht man den Hausvater, der jetzt in andern Gegenden des Vaterlandes, selbst wenn er wenig besitzt, in freudvollen Sorgen für die Ueberraschung seiner Lieben thätig ist, hier schweigend im dumpfen Zimmer sitzen und große Rosinen von kleinen ausklauben, zur Bereitung des „Kletzenbrodes“, des einzigen Luxus, welchen er zur Feier des herrlichen Festes kennt. Denn der heilige Abend, zwar in allen katholischen Ländern ein Fasttag, ist doch hier von besonderer Strenge, und wenn man die gedrückten Gesichter der Mägde betrachtet, die im Lichte des ergrauenden Tages wie Maschinen an ihren Spinnrocken sitzen und ihr Rädchen schnurren lassen, möchte man sich eher in den Buß- und Bettag eines Arbeitshauses versetzt glauben, als in die unserm Andenken heilige Märchenzeit, aus welcher noch dem alten und verlassenen Manne die goldenen Bilder des Weihnachtsbaumes, seiner lächelnden, längst in der Erde ruhenden, lieben Eltern und ihrer gutgemeinten theuern Geschenke auftauchen, von dem Glanze der einzigen Glückszeit seines sinkenden Lebens, seiner Jugend, umstrahlt. Nur das strenge Fasten und die Mitternachtsmesse in der kalten Kirche machen die Weihnacht. Statt des liebelächelnden Christkinds, das unsichtbar sich anderswo in Deutschland in geschmückte Häuser niederläßt und Geschenke spendet, sieht das Tiroler Kind blos den goldbedeckten Priester am Altar und hört in der Finsterniß die Glocke, die sonst um diese Stunde der Nacht nur erschallt, wenn Fluthen und Lawinen Verderben und Tod drohen. Draußen „im Lande“, das heißt in den größeren Thälern Tirols, besonders im Innthal, wo durch Eisenbahnen und sonstigen Verkehr viel fremdartige Sitten in das alte Rhätien hereingeschleppt werden, sieht man wohl hier und da einen lichterglänzenden Christbaum; doch das ist immer nur noch vereinzelt und wird auch von gewisser Seite, der nicht diese Lichter allein zuwider sind, gar nicht gern gesehen.

Gehen wir lieber wieder hinaus aus dem Zimmer mit seiner bedrückenden Stille!

Schwarz, wie der Fluß der heidnischen Unterwelt, kommen die Wellen des Sees an die morsche Schiffhütte heran; es ist ein unheimliches, feindseliges Klucksen. Drüben auf der Kante des hohen Spieljoches liegt, wie auf jenem Berg des Märchens, ein funkelnder Rubin; es ist die röthliche Scheibe des Mars, die hinter dem scharfen Grate schwebt. Er zittert, wie zornig, in der frostklaren Luft, der grimme Gott. Es ist, als ob er heute in der heiligen Nacht wieder besondere Wuth verspürte, daß sein und seiner Genossen Reich von dem Unbekannten aus Judäa zerstört worden ist. Bei diesen heidnischen Erinnerungen fallen mir die „verbannten Götter“ unseres armen Heinrich Heine ein, von denen einer, der schöne Dionysos, hier an unserm See ein sonderbares Abenteuer unternimmt. Er kommt Nachts – sie mag so finster und undurchsichtig gewesen sein wie diese Frostnacht – zu einem jungen Fischer am Strande und entlehnt sich einen Kahn, den er in wenigen Stunden zurückzubringen verspricht. Der Fischer schlich sich dem Unbekannten nach und sah ihn so an einer wenig besuchten Uferstelle auf einen Triumphwagen steigen und mit Satyrn, Faunen und Bacchanten jene seltsame Orgie feiern, die uns Mythologiekundigen als Bacchuszug wohlbekannt ist. Der schlichte Sohn der Berge hielt die Erscheinung für höllisches Blendwerk und wollte sie, sein Gewissen zu erleichtern, dem Prior eines Franciscanerklosters mittheilen, der in der ganzen Umgegend den Ruf eines großen Geisterbanners genoß. Wie groß war aber sein Entsetzen, als dieser die Kapuze zurückschlug und er in ihm den nächtlichen Gast erkannte! Auch wurde sein Anliegen sehr ungnädig aufgenommen, indem ihn der Prior für einen betrunkenen Knecht erklärte, der nicht wisse, was er sage, und die Fuchtel verdiene. Darauf befahl er ihm, reinen Mund über das Vorgefallene zu halten.

Noch ein wenig von dem duftigen Rothwein Tirols, und es wäre auch für uns nicht unmöglich, seltsame Gestalten von den Wänden wiedergespiegelt zu sehen. Denn im Scheine einer der Fackeln, die, bereits zum Christnachtgange vorbereitet, da standen und von uns mit in die Nacht hinausgetragen worden sind, schneidet der Fels, an den der grasgrüne Eiszug eines Gießbaches angeklebt ist, mit seinen Ritzen, Spalten und Vertiefungen wunderliche Gesichter. Unten steht er auf unförmlichen Klumpfüßen, denn das klare Eis ist ihm mächtig und bauschig über die Sohle angeschwollen, die bereiften kahlen Sträucher hängen ihm wirr über den Kopf, und ein sonderbarer Geifer, halb Reif, halb Schnee, luftig schwebend wie die Fäden des alten Weibersommers, hängt an seinem krausen Bart, den Latschen.[1] Es ist, als ob er höhnisch zu den Klängen grinste, die eben aus unserm Häuschen herübertönen – denn, o Wunder, es muß eine Festlaune, eine Ahnung der Weihnacht unter die Spinnerinnen gekommen sein. So deutlich, wie es der Anprall des Sees an das ausgehöhlte Ufer zuläßt, höre ich ein im nördlichen Tirol weit bekanntes Lied durch die Dunkelheit tönen, in dessen halb feierliche, halb wehmüthige Melodie sich der weiche Resonanzklang der Cither mischt:

„Auf der Alma ragt a Haus
Still und öd in’s Thal hinaus;
Drin im Haus mit munterm Sinn
Wohnt eine schöne Sennerin.
Die Sennerin singt manch ein Lied,
Wenn durch das Thal der Nebel zieht,
Und da ertönt’s durch Luft und Wind:
Auf der Alma, auf der Alma giebt’s koa Sünd’.“

Dazu fletscht er spöttisch, der alte venwitterte Stein, denn es ist ein Sommerlied und er weiß es aus der Erfahrung von Jahrtausenden, wie weit die goldene Zeit noch fern absteht und wie viele Schneestürme noch den empörten See peitschen werden, ehe aus den Matten droben wieder laue Lüfte wehen und die grauen Zinken schneelos gegen den Himmel ragen.

Neugierig wenden wir uns zu unserm zeitweiligen Asyle [39] zurück, und beim Lichte der hochhängenden Steinöllampe gewahren wir eine der seltensten Erscheinungen Tirols, einen Citherspieler. Es ist ein armer Bursche aus dem Innthal, der im Sommer draußen in Baiern als Zimmermann gearbeitet hat und jetzt heimgeht, um sich durch seine Musik während der herannahenden Faschingszeit ein wenig Geld zu verdienen. Wohl werden noch allerlei Stücke gespielt, aber keine mehr zum Singen, zum Beispiel der Marsch vom alten Radetzky und ein paar alte Walzer von Strauß. Zwei tridentinische Hausirkrämer benutzen die fröhliche Stimmung zum Auslegen ihrer Waaren, Messer, Scheeren, Pfeifenköpfe und Taschentücher. Aber bei Burschen und Mädchen verfangen heute derartige Sachen nicht, denn ganz besonders der Sinn letzterer ist auf etwas Anderes gerichtet. Haben doch schon manche während des Gebetläutens Eierdotter in’s Wasser gegossen und sich aus den Figuren, welche die zerrinnende zähe Flüssigkeit zu bilden schien, Vorstellungen von den Schicksalen des kommenden Jahres gemacht. So bedeutet z. B. ein Thurm, daß man in die Stadt heirathen wird, geflammte Zacken einen Hausbrand, ein Kreuz gar den Tod. Wollen wir wünschen, daß sie schöne Dinge gesehen haben, denn um die hübschgewachsenen Mädchen wäre es jammerschade. Wie anmuthig haben sie ihre Köpfe, auf denen die Zöpfe nach Tirolersitte rund herum zusammengeflochten sind, zu den Spinnrocken geneigt, während das gemeinschaftlich gesungene Almenlied sie in der traurigen Stube erheiterte. Wenn sie sich dann vor der Christmette das Gesicht waschen, ohne sich wieder abzutrocknen, was sie gern thun, so hoffen wir, daß es ihnen in der Kirche der künftige Ehemann abtrocknet, denn sonst wird es, glauben sie, der Tod thun.

Endlich wird zur Christmesse aufgebrochen. Draußen hallen von der fernen, hochliegenden Kirche die Glocken durch die Finsterniß. Die Polizei, welche die Fackeln nicht liebt – es könnte durch Wehen der Funken der Schnee Feuer fangen – hat die Laternen doch nicht einzubürgern vermocht, und so geht es denn durch die rabenschwarze Nacht, in welche unsere Kienhölzer ovale Lücken reißen, auf dem knarrend fest gefrornen Boden vorwärts. Hier und dort eilen Funken von den Bergen herab; es sind die Fackeln, die von den Bauern hochliegender Höfe getragen werden. So mag einst der einsam lebende Germane zum gemeinsamen Opfer des Jul gewandelt sein; es war für ihn ein ebenso freudiges Fest, wie dem Christen die Weihnacht. Freute er sich doch der Wiederkehr der Sonne, die sich seinen verschneiten Wäldern näherte, um sie langsam und unter unendlichen Kämpfen mit dem Frost seiner harten Erde, aber doch endlich sicher aus dem erdrückenden Schlaf zu wecken.

Eine der hochstämmigen Dirnen, die jetzt eine mächtig brennende Fackel trug, war mir während des Abends besonders aufgefallen. Sie war im Gegensatze zu den übrigen schwarzhaarigen Mädchen goldblond und blauäugig. Auf meine neckischen Fragen, ob sie sich heute Abend auch bei dem Eidottergießen betheiligt habe, antwortete sie ausweichend, gab aber endlich aufrichtig zu, daß sie vor drei Tagen, in der Thomasnacht, in der Holzlege eine Anzahl Scheite auf’s Gerathewohl herausgenommen und in’s Zimmer getragen habe. Es war eine gerade Zahl, eine gute Vorbedeutung für’s Heirathen. Auch hatte sie schon mehrmals in den Backofen hineingehorcht und allerlei Versprechungen gehört. Um sich ganz zu vergewissern, habe sie sich, fügte sie hinzu, auch auf den Boden gelegt und den Schlappschuh mit dem Fuß über den Kopf hinaus geschleudert. Richtig zeigte die Spitze gegen die Thür und jetzt war für die Glückliche kein Zweifel mehr, daß sie im Lauf des nächsten Jahres vom Freier aus dem Hause geholt werden würde. Ein hübscher, aber noch unbärtiger Bursche, den ich vorher neben dem Citherspieler sitzen gesehen hatte, war der augenscheinliche Beweggrund aller dieser Exercitien.

So schritten wir plaudernd weiter. Von Zeit zu Zeit stieß sie ihre Fackel gegen den Schnee, um losgelöste glimmende Theilchen zu beseitigen, und ich blies mir hie und da in die Hände, um sie lebendig zu erhalten. Dumpf dröhnte die Ache aus der Schlucht herauf und mischte das Tosen der Wasser in die immer näher und stärker hergetragenen Orgelklänge der Kirche, aus deren hellerleuchteten Fenstern breite gelbe Lichtstreifen die gegenüberliegenden Felswände hinanklommen. Bald schauen die Kerzen, welche ihr Licht auf den Hochaltar werfen, durch die geöffnete Kirchenthür, und der davon erglänzende Schnee vor der Thür erscheint wie der lichte Antrittschemel zum Heiligthum. Die Fackel meiner Begleiterin ist niedergebrannt und der Stumpf fliegt Funken werfend auf die starre Decke. Mit einem Händedruck nehme ich Abschied, da die ländliche Sitte dem schönen Geschlecht die linke, dem sogenannten starken die rechte Seite der Betstühle anweist. Der Lehrer – beiläufig gesagt, der einzige Mensch im Achenthal, der seinen Kindern einen Weihnachtsbaum anzündet – dirigirt auf dem Chore die bescheidene Musik, welche dem rauhen Alpenthale die Geburt des Heilandes kündet. Die Einfachheit der Scene in der niedrigen Kirche, die aber von Lichtern taghell erleuchtet ist, gemahnt mich an jene Vision der Hirten, welche in der finstern Mitternacht die Glorie eines ungeahnten Himmels umfloß und deren Armuth die Gewißheit eines neuen seligen Bundes wurde. Das feierliche Amt ist bald zu Ende; vor dem gegenwärtigen Gott haben sich die Kniee dieser Mühseligen und Beladenen gebeugt, und nun gemahnen die ernst einfallenden Accorde der Orgel zur Heimkehr in die finstern kalten Thäler, aus denen erst eine neue Weihnacht die Andächtigen wieder zur Mitternachtstunde in das Haus des Herrn rufen wird.

Es ist etwas Sonderbares und Rührendes um diese Feier. Man denke sich in der öden, unsäglich langen Decembernacht, in welcher Wolken, Wasser und Eis im gemeinschaftlichen Lager über der kalten Erde schweben; in der Nacht, welche den Mond löscht und die Sterne verschlingt; in der stillen, stillen Einöde der Finsterniß, in der nichts lebt, als der Pulsschlag unserer Adern und die wilden Wasser draußen, die der Frost noch nicht gebändigt hat; in der dunkeln Nacht, die so still und taub ist, als ob sie nie enden würde; in der Nacht, welche die Qual des Leidenden und der Alp des Gesunden ist – in dieser Nacht, in Mitten dieser Nacht erklingen mit einem Schlage im vereisten Thal der Alpen, das von den Nebeln des Sees durchzogen wird, wie durch die wimmelnden Straßen der Großstadt, in welche Gas und Gold ihren Schimmer werfen, die ehernen Glocken, welche der Welt verkündigen, daß vor achtzehnhundert vierundsechszig Jahren in einem versteckten Winkel Palästinas ein armes Kind geboren wurde, dessen reine Lippen bald jenes einfache helle Evangelium der Liebe und Menschlichkeit predigen sollten, aus dem später Priesterherrschsucht und scholastische Sophisterei so engherzige, dunkle Dogmen zusammengedeutelt haben.

Nun sind wir, vom vobiscum dominus des Priesters entlassen, wieder vor der Thür. In der Dunkelheit, die uns um so schwärzer erscheint, je mehr uns drinnen das Licht geblendet, erkennen wir nicht sogleich unsere Bekannten und Begleiter wieder. Aber was ist das? Eine laue Luft schlägt uns entgegen und ein sonderbares Schwirren und Klingen geht über den Himmel und die Alpen, als wenn die Banden, welche die feste Erde halten, klirrend sich lösten. Das „wilde Gejaid“, Wuodans Gefolge, will die starre Luft durchjagen und das Knacken und Knarren auf den hohen Firsten rührt von den Hufen der Rosse her, welche über die eistragenden Gipfel dahineilen. Es sind Töne, als ob der See unten, der vorhin im Froste seine braunen Nebel nach oben gesendet, die Bergwand durchbrochen hätte und sich anschickte, die Aeonen lang in dem unergründlich tiefen, aber engen Gefängniß eingelegten Gewalten in die erzitternde Ebene hinab zu wühlen; auch von den Bergen berstet und kracht es herüber, als wähnten die Riesen, die drinnen wohnen, die Götterdämmerung sei gekommen, daß sie heraustoben könnten; die Ache unten heult, als wären ihre Wasser aufgestaut und müßte sie den Urkalk durchbohren, daß er darüber in zerwühlte Trümmer zusammenstürzt – aber nein, dies Alles ist es nicht. Der welsche Wind, der Scirocco, ist in’s Land gekommen, bindet das Gefesselte los und schlägt den Frost in die tiefsten Klüfte nieder, über die er warm und lebenerweckend als Sieger dahinjagt.

Wann aber wird der Morgen tagen, wo ein anderer Wind einbraust in das alte erstarrte Tirol, kein schwüler Wind von jenseits der Berge im Süden, nein der scharfe erfrischende, reinigende Wind vom Norden, welcher den Bann löst, der auf den in die Fesseln finstern Wahns geschlagenen, verdüsterten und verschüchterten Seelen haftet?



  1. Pinus Mughus Scop.