Textdaten
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Autor: Johannes Scherr
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Titel: Eine Verschwörung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20–23, S. 326–328, 342–345, 360–363, 374–377
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine Verschwörung.

Von Johannes Scherr.


1.0 Von einer Rabenmutter und einem Säbelheiland.

Rabenmutter Revolution hatte, wie Vergniaud es trauervoll vorhergesagt, viele ihrer besten und auch manche ihrer schlechtesten Söhne verschlungen. Allerschlechteste, wie die Barère, Fouché und Talleyrand, hatte sie verschont, weil ja im öffentlichen Leben, wie im privatlichen, grundsatzlose Streber und abgefeimte Schufte das meiste Glück haben. Die Rabenmutter hatte sich aber in ihrer wahnwitzig-terroristischen Verschlingungsgier den Magen so mit Blut überladen, daß sie schließlich zerbarst – am 9. Thermidor (27. Juli) von 1794.

Der robespierre’schen Diktatur des Schreckens folgte die thermidorische Anarchie und dieser das direktoriale Regiment der Lüderlichkeit. Dann schmiegte sich Voltaire’s „Tiger-Affe“, durch die eigenen wüthenden Leidenschaften müdegehetzt, als eine richtige Schmeichelkatze dem korsischen Abenteurer zu Füßen, welcher es verstand, einem vom „Tollrausch“ der „Freiheit“ kläglich ernüchterten Volke die Tyrannei des Säbels als einzige Rettung aus gränzenlosem Elend aufzuschwindeln.

Von einer gerechten Würdigung der französischen Staatsumwälzung konnte zunächst keine Rede sein. Namentlich in Frankreich nicht. Die ungeheuren Geschehnisse standen den Menschen noch so nahe, daß sie ihrem ganzen Umfange, ihrer ganzen Bedeutung und Wirkung nach gar nicht zu überblicken und zu schätzen waren, sondern vielmehr mit ihrer Wucht die Unbefangenheit des [327] Urtheils geradezu erdrückten. Darum erschien die Vergangenheit schon im verschönernden Lichte der Ferne. Alle die namenlosen Leiden, welche zur Zeit des Ancien Régime der Despotismus über das französische Volk gebracht hatte, galten jetzt, auf der Schwelle zum 19. Jahrhundert, für nichts, verglichen mit den in frischester Erinnerung stehenden Nöthen, womit die terroristische Blutraserei und die alle socialen Bande lösende Anarchie Frankreich geschlagen. Nicht die selbstlosen Idealisten und ehrlichen Enthusiasten, welche die Revolution begonnen hatten, lebten im Gedächtnisse der Franzosen vom Jahre 1800, sondern nur die hirnlosen Phantasten, welche die Bewegung fortgesetzt und überspannt, sowie die steinherzigen Fanatiker, welche dieselbe besudelt, und die selbstsüchtigen Schurken, welche sie zu Grunde gerichtet hatten.

Die Erkenntniß des Guten und Großen, was die Revolution angeregt, vollbracht und geschaffen, ging erst späteren Geschlechtern auf. Beim Eintritt in das neue Jahrhundert waren aber die Franzosen mit verschwindend wenigen Ausnahmen leidenschaftlich widerrevolutionär gestimmt und sie blickten nur mit den Gefühlen der Erbitterung, des Abscheu’s und der Rachgier auf die Jahre zurück, welche sie unter allen den Schrecknissen, Gefahren und Mühsalen, die ein wüstes Pöbelregiment, eine räuberische und mörderische Sansculotterie mit sich gebracht, hatten durchleiden müssen. Es stand ihnen ja in schmerzlicher Erinnerung, was das verfälschte Evangelium von der „liberté, égalité et fraternité“, in die Wirklichkeit übersetzt, zu bedeuten hätte. Sie wußten jetzt oder glaubten wenigstens zu wissen, daß dieses Symbolum nur eine Maske für leichtfertige Abstraktoren, betrogene Betrüger und herzlose Bösewichte gewesen sei. Auch an dem seit einem Jahrzehnt unaufhörlich schwirrenden parlamentarischen Schwatz hatten die Franzosen schließlich sich verekelt. Die ganze Nation war nachgerade phrasenmüde geworden oder wollte wenigstens, daß die Phrasendrehorgel wieder einmal auf eine andere Tonart gestimmt würde. Vor allem wollten die Leute Ruhe haben, Ruhe, Ruhe, Ruhe um jeden Preis! Ja, sie lechzten nach Ruhe und Ordnung, auf daß sie wieder in Sicherheit den Pflug führen, Gewerbe und Handel treiben, essen, trinken, heiraten, sich amüsiren, schlafen, in ihren Betten sterben und schließlich anständig begraben werden könnten. An den Säbel Bonaparte’s glaubten sie als an einen allmächtigen Zauberstab, welcher ihnen „Brot und Spiele“ schuf und zudem als ein wundersamer Schwertfiedelbogen sich auswies, der dem gallischen Größewahn zum hochwillkommenen Gloiretanz aufspielte.

Daß dieser Säbel eigentlich ein cäsarisches Skepter, das war gleich nach dem 18. Brumaire (9. November) von 1799 für alle denkenden Franzosen eine ausgemachte Sache. „Wir haben einen Herrn, und zwar einen Herrn, der alles weiß, will und wagt“ – sagte sauersüß der Verfassungenfabrikant Sieyès, als er vom ersten Rathschlag der drei Konsuln herauskam, allwo Bonaparte ohne Umstände den Vorsitz genommen und diktatorisch gesprochen hatte. Schon an jenem Tage wurde dem neuen Staatsbau der Stämpel einer absoluten Despotie aufgedrückt. „Ich bin nicht gemacht zu einem konstitutionellen König-Mastschwein à la König von England,“ sagte wachtstüblich-drastisch der neue Gebieter Frankreichs. Die verfassungsstaatlichen Ornamente, womit die Konsularverfassung herausgeputzt wurde – (Gesetzgebender Körper, Senat, Tribunal) – erwiesen sofort ihre kläglich-gipserne Natur und es war nur ein Hohn, so eines Tiberius würdig gewesen wäre, wenn der Erste Konsul solche Statisten wie Roger-Ducos und Sieyès, dann Lebrun und Cambacérès als „Mitkonsuln“ eine Weile um sich duldete und allergnädigst gestattete, daß sein Frankreich noch etliche Jahre lang amtlich eine Republik hieße.

Auf die Walstätten der italischen Feldzüge von 1796–97 hatte Bonaparte mit der Spitze seines Siegerdegens das falsche Testament der Revolution geschrieben, kraft dessen er sich als ihren „legitimen Erben“ Frankreich auflog. Denn an diesem Menschen war alles Lüge, ausgenommen sein Genie und seine Selbstsucht. Diese überragte jenes noch weit. Denn alles zusammengehalten, konnte der Mann, wenigstens innerhalb der Zeit seines aufsteigenden Sterns, den Menschen nur darum so riesengroß erscheinen, weil seine Gegner so zwerghaft klein waren. Es erforderte ja fürwahr keine übermenschliche Kraft, Kunst und Mühe, unter lauter Liliputanern sich als ein Gulliver aufzuspielen. Man hat es bekanntlich dem Göthe verübelt, daß er vor dem Bonaparte so gewaltigen Respekt gehegt. Aber, du lieber Gott, wenn der kosmopolitische Dichter aus dem Schneckenhause seiner krähwinkeligen Ministerschaft heraus mit ansah, wie der französische Machthaber mit dieser armsäligen Gesellschaft von Fürsten, Generalen und Ministern umsprang, die er so zu sagen im Handumdrehen aus Gegnern zu Vasallen und Dienern machte, da mußte er doch wohl vom Bonaparte denken wie Shakspeare’s Cassius vom Cäsar: –

„Fürwahr, er schreitet durch die enge Welt
Wie ein Koloß daher, derweil die Zwerge
Ihm zwischen den Gigantenbeinen wuseln.“

Als einen Haupthebel seines staunenswerthen Glückes handhabte der „Erbe der Revolution“ seine gränzenlose Menschenverachtung. Er wußte die Leute bei ihren Schwächen, ihren schlechten Instinkten und gemeinen Leidenschaften zu fassen und darum hatte er sie und war er ihres Gehorsams und ihrer Dienste sicher. Denn nur in selten wiederkehrenden und immer schnell welkenden Frühlingen der sogenannten Weltgeschichte ist es von Wirkung und Erfolg, an die edleren Triebe der Menschen zu appelliren. Der idealischc Aufschwung ist dauerlos, das realistische Bedürfniß dauerhaft. Die Begeisterung ist eine hochauflodernde, aber zumeist rasch sich verzehrende Flamme, die Freude an einem sorglos-genüsslichen Dasein eine langhin glostende Kohle. Auf das Gemeine demnach, woraus unserem großen Propheten des Idealismus zufolge „der Mensch gemacht ist“, muß seine Berechnungen bauen, wer die Völker beherrschen will. Seit Oktavian Augustus hatte das kein Despot mehr so gut gewußt und so keck bethätigt, wie Bonaparte es wußte und bethätigte. Und wie er die Menschen allgemein verachtete, so die Franzosen ganz besonders. Dieser Verachtung gab er gelegentlich schroff-grobianischen Ausdruck. So schon an jenem Junitag von 1797, allwo er mit Miot und Melzi im Parke von Montebello spazierenging und sich über die „eine und untheilbare Republik“ Frankreich lustigmachte. „Das ist nur eine Chimäre, für welche die Franzosen augenblicklich schwärmen, die aber so schnell vorübergehen wird wie andere Chimären. Gloire brauchen die Franzosen, Kitzelungen ihrer Eitelkeit; aber Freiheit? Bah, davon verstehen sie nichts. Kinderklappern muß man ihnen geben, das genügt. Sie werden sich damit die Zeit vertreiben und sich leiten lassen, falls man ihnen nur geschickt das Ziel verbirgt, welchem man sie zuführt“ – (Miot, Mem. I, 163–64).

So war es. Der Menschenverächter hatte richtig vorhergesehen. Mit wahrhaft asiatischer Sklavenhaftigkeit stürzten sich die Franzosen, die ihnen in die Hände gedrückten Gloire-Kinderklappern schüttelnd, in die Knechtschaft, welche ihnen ihr Vergewaltiger vom 18. Brumaire aufthat. Das Wort „Gesellschaftretter“ war dazumal noch nicht erfunden. Es kam erst ein Halbjahrhundert später auf, als der vorgebliche Neffe des angeblichen Onkels seinen 18. Banditen-Brumaire verübte, den 2. December von 1851. Im Jahre 1800 sprach man dafür von einem „Wiederhersteller (restituteur) der Gesellschaft“, als welchen, wie auch als „Wiederaufrichter der Altäre“, den Ersten Konsul einer jener Glattschwätzer anschmeichelte, welche jedes gelungene weltgeschichtliche Verbrechen lobpsallirend beflöten und beharfen, Monsieur de Fontanes, ein gelungener Typus jenes knechtschaffenen Gelehrten- und Literatenthums, das allzeit und überall um die Gunst des Erfolges und der Macht wettkroch, wettkriecht und wettkriechen wird.

Mit alledem soll nicht bestritten werden, daß Frankreich, das Frankreich von 1800, eines Herrn und Meisters dringend bedurfte, der mit einem Willen von Erz und mit einer Hand von Stahl in dem chaotischen Trümmerhaufen, zu welchem die liebe „Freiheit, Gleichheit und Bruderschaft“ das Land gemacht hatte, wieder Ordnung schuf. Ursprünglichkeit der Anschauung, eigene und neue Gedanken brauchte der „Wiederhersteller der Gesellschaft“ nicht zu haben. Ideen und Tendenzen lieferte ihm die gewaltsam beerbte Revolution genug. Er eignete sich davon an, was ihm in den Kram seines Despotismus zu passen schien, und wo sie sich nicht in denselben hineinpassen lassen wollten, verfälschte er sie unbedenklich oder verkehrte sie geradezu in ihr Gegentheil. Das Reich der Schönheit war und blieb ihm verschlossen. Für Poesie nahm er die rhetorische Phrase. Erziehung, Wissenschaft und Unterricht waren für ihn nur soweit vorhanden und berechtigt, als sie ihm anstellige Ingenieure, tüchtige Officiere und brauchbare Beamte lieferten. Alles ideale Streben verfolgte er mit unerbittlichem Haß. [328] Ganz natürlich also, daß ihm der Staat nichts war als ein blindlings seiner herrschenden Hand gehorchender Mechanismus, eine komplicirte und wohlgeölte Polizeimaschine, deren Räder in stummem Gehorsam zu arbeiten hatten. Auch die von ihm „wiederhergestellte“ Kirche sollte nur ein solches Rad in der besagten Maschine sein. Neben die eine Grundsäule des bonaparte’schen Staates, den Gendarm im Uniformsfrack, wurde als andere der Gendarm in der Soutane hingestellt, der Priester. Mittels der Thätigkeit und Wachsamkeit dieser weltlichen und geistlichen Gendarmerie war das Regiment im Innern dergestalt bestellt, daß es dem französischen Volke wieder möglich, sein Brot, obzwar im Schweiße seines Angesichts, aber doch in Sicherheit zu erarbeiten. Für die „Spiele“, für die Ausstaffirung der bewußten Gloire-Kinderklapper mit mehr und mehr Schellen, für immer gesteigerte Kitzelungen der Nationaleitelkeit, für buntwechselnde Befriedigungen der Schaulust der lieben Pariser sorgte die auswärtige Politik des Bonapartismus, – sorgte dafür immer eifriger, rücksichtsloser, heftiger, bis zuletzt die zügellose Eroberungswuth und Herrschaft des weiland armen Schluckers von Artillerieleutnant sogar im Imperatorenmantel sich beengt fühlte und zu dem bekannten Kaiserwahnsinn ausschlug, dessen rasende Launen die Glückgöttin schließlich so verstimmten, daß sie ihrem so lange gehätschelten Galan hohnlachend den Rücken kehrte.


2.0 Warum die Verschwörung gemacht wurde.

Mittels der Siegesschläge von Marengo und Hohenlinden – jener geführt von Bonaparte am 14. Juni, dieser gethan von Moreau am 3. December 1800 – hatte die französische Republik der deutschen Reichsruine und Oestreich den Friedensschluß von Lüneville abgezwungen (8. Februar 1801), allwodurch Deutschland etwa 1150 Quadratmeilen Gebiet mit nahezu 3,500,000 Bewohnern einbüßte. Der deutsche Michel war ja dazumal, wie seit dem 16. Jahrhundert allzumal, der bekannte Prügeljunge der Weltgeschichte und mußte sich alles gefallen lassen. Auch den „Reichsdeputationshauptschluß“, wie man das jammersälige Ding bandwurmig nannte, vom 25. Februar 1803, das Vorwort zu jenem schmachtriefenden Blatt unserer Geschichte, worauf bald das Kapitel „Rheinbund“ geschrieben werden sollte, geschrieben vom „Protektor“ Napoleon und unterthänigst unterzeichnet von unseren vieltheuren „Angestammten“.

Noch vor dem Reichsdeputationshauptschluß war in Amiens zwischen Frankreich und England ein Friedensschluß zustandegekommen (27. März 1802). Freilich nur ein Scheinding, nur eine Friedensphrase, von englischer Seite unterhandelt und zuwegegebracht durch das Ministerium Addington, welches im übrigen den Pittismus fortsetzte, obzwar ohne Pitts Geist und Energie. Die große Mehrzahl des englischen Volks begrüßte diesen zu Amiens todtgeborenen Friedensengel mit ausgelassener Freude – „with extravagant joy“, sagt ein vollwichtiger Zeuge. Es wußte ja nicht, wie wenig ernsthaft seine herrschende Oligarchie den Frieden nahm, diese englische Oligarchie, welche wie an Tugenden: Muth, Standhaftigkeit, Zähigkeit – so auch an Lastern: steinherzigem Hochmuth, brutaler Selbstsucht, broncestirniger Heuchelei – glücklich mit der altrömischen wetteiferte. Allerdings war sie zum Mißtrauen gegenüber dem neuen Herrn Frankreichs berechtigt, insofern derselbe ja bereits als ein sehr gefährlicher Konkurrent im Länderverschlingungs- und Völkerausbeutungsgeschäft sich ausgewiesen hatte. Solche Konkurrenz war im grünen Neidauge der Großkrämerin Britannia nicht nur ein schmerzender Splitter, sondern ein ganzer Qualbalken. Die oligarchischen Geschäfteführer der englischen Großkrämereifirma erkannten scharfsichtig, daß der Frieden von Amiens nur einen Waffenstillstand bedeutete, weil die Gefahr der bonaparte’sch-französischen Konkurrenz eben bloß mittels eines Kampfes auf Leben und Tod beschworen werden könnte. Moralische Skrupel hinsichtlich der Mittel, diesen Kampf zu führen, kannte der englische Pharisäismus ganz und gar nicht. Alles, was zweckdienlich war oder auch nur schien, fand seine Billigung und Unterstützung. Das Ministerium der „hochherzigen Briten“ hielt in seinem Solde die ganze Bande französischer Emigranten, von den Prinzen des allerchristlichsten Hauses Bourbon bis herab zum letzten „Chouan“, um diese Bande bei Gelegenheit gegen Frankreich auszuspielen – sei es im offenen Felde oder aus dem Hinterhalt, als Soldaten oder als Attentäter und Meuchelmörder, je nachdem. Das „Geschäft“ brachte es so mit sich. Beweise für dieses Verhalten der englischen Oligarchen lagen handgreiflich vor. Die emigrirten französischen Royalisten trachteten dem Ersten Konsul nach dem Leben, sobald ihnen klargeworden, daß ihre Hoffnung, derselbe würde sich zur Rolle eines Monk hergeben, eine lächerliche Illusion gewesen. Mit englischen Staatsgeldern war jenes Komplott großgefüttert worden, welches, durch den charaktervollsten und entschlossensten Chouansführer, den Müllerssohn Georges Cadoudal aus dem Morbihan, fernher geleitet, am Abend vom 24. December 1800 in der Straße Sainte-Nicaise in Paris die „Höllenmaschine“ vergebens gegen Bonaparte losgebrannt hatte.

Der Erste Konsul hatte also seinerseits vollauf Ursache, dem „mordstiftenden Albion“ zu mißtrauen und zu glauben, die englischen Oligarchen meinten es mit dem Frieden von Amiens nicht ehrlich. Warum also sollte er es thun? Dennoch muß gesagt werden, daß der Bruch dieses Friedens nicht von dem französischen Machthaber ausging. Die Erneuung des Krieges mit England kam ihm dazumal sogar sehr ungelegen. Er hatte ja vorderhand noch in Frankreich selbst gar viel zu thun. Er mußte seine Gewalt befestigen, sein Verwaltungssystem ausbauen, die Finanzen neu ordnen, die Einführung des „Code civil“ vorbereiten und das Konkordat durchsetzen, nebenbei auch mit seiner „Mediation“ die Schweiz beglücken, d. h. in höflicher Form dieselbe zu einem französischen Vasallenland machen, und endlich mußte er den allbereits fertiggeschneiderten Kaisermantel anprobiren. Ihm war überdies gar wohl bewußt, daß, um den Engländern mit Aussicht auf Erfolg den Krieg machen zu können, die Herstellung einer großen Seestreitmacht unumgänglich wäre. Dazu aber, rechnete er, bedürfte es einer Frist von 7 bis 8 Jahren. Auf solange wünschte er demnach den Krieg mit England vertagt. Allein dieses merkte die Absicht und wurde so verstimmt, daß es schon im Mai von 1803 kriegerische Parlamentsbeschlüsse faßte. Darauf gab Bonaparte zur Antwort die Schaffung des Lagers von Boulogne, allworin 150,000 Mann, zum Einfall in England bestimmt, versammelt und aus republikanischen Wehrmännern vollends in kaiserliche Soldaten umgewandelt wurden. Die kolossalen Rüstungen zu Land und Wasser, welche der Erste Konsul damals betrieb, waren keineswegs eine bloße Spiegelfechterei. Der Plan einer Kriegsfahrt nach England war durchaus ernstgemeint und wurde bis in alle Einzelnheiten hinein mit außerordentlicher Sorgfalt vorbereitet.

Jenseits des Kanals hatte man ein sehr beängstigendes Gefühl der Gefahr, obzwar die Mandatare der „oberen Zehntausend“ sich noch für eine Weile den Anschein zu geben suchten, das, was drüben auf der französischen Küste vorging, nur für einen riesigen Humbug, für eine großartige Finte oder gar nur für eine thörichte Bramarbasenschaft anzusehen. Bald aber konnte man doch nicht umhin, in England die Sache ebenso ernst zu nehmen, als sie in Frankreich gemeint war, und eilends die ausgedehntesten Vorbereitungen zur Abwehr des Bedrohlichen zu treffen. Kriegerische Vorbereitungen und – meuchelmörderische. Helfe, was helfen mag, dachte der britische Pharisäismus, lief in die Kirche, schlug sich zerknirscht an die Brust und – steckte dem Georges Cadoudal eine Million zu, auf daß der Chouanshäuptling „nervum rerum“ besäße, in seiner Art gegen diesen verteufelten Bonaparte, der uns in unserm Inselkontor aufsuchen will, um unsern Großkram an der Wurzel zu vernichten, bourbonischen Krieg zu führen, Krieg bis aufs Messer!.

Daß die Verschwörung, welche nach ihrem Hauptmann Georges Cadoudal benannt ist, mit englischem Gelde gemacht wurde, kann gar keinem Zweifel unterstellt werden. Woher sonst hätten alle diese armen Schlucker von Emigranten, welche, vom Grafen Artois bis herab zum bettelhaftesten Exsoldaten von der „Condé’schen Armee“, sammt und sonders vom aus der englischen Staatskasse bezogenen Almosen lebten, die sehr bedeutenden Summen genommen, welche das Komplott kostete? Natürlich existiren keine den englischen Zahlmeistern von den Verschworenen ausgestellten Quittungen. Ueber derartige Machenschaften pflegen keine Protokolle aufgenommen und keine Aktenfascikel angelegt zu werden. Auch in lichtscheuen Zettelungen bewanderte und verhärtete Leute hegen ja ein gewisses Gefühl von Scheu, wenn nicht von Scham, ihre Nichtswürdigkeiten schwarz auf weiß vor sich zu sehen.

[342]
3.0 Wer sich verschwor und wasmaßen.

Auf der Schwelle zum Jahre 1804 standen der Bewohnerschaft von Seine-Babel gewaltige Sensationen und Emotionen bevor. Zwei große Spektakel schickten sich an, in Scene zu gehen: eine Tragödie, die Cadoudal-Pichegru’sche Verschwörung, und eine Komödie, die Verkaiserung Bonaparte’s. Gleichzeitig sollte in den Tuilerien ein Thron und auf dem Grève-Platz ein Schaffot aufgebaut, auch im Schloßgraben von Vincennes ein Grab gegraben werden. „Blut ist ein ganz besondrer Saft.“ Das Blut eines Bourbon, meinte der Erste Konsul, würde den Purpur seines Kaisermantels nur leuchtender machen.

Der Gegensatz von Bourbonismus und Bonapartismus war schon von Haus aus ein unversöhnlicher. Zwei Zwischenfälle hatten aber denselben noch grimmiger gemacht. Der Graf von Provence, welchen die französischen Royalisten als ihren König Ludwig den Achtzehnten anerkannten und welcher dazumal mit seinem älteren Neffen, dem Duc d’Angoulème, in Warschau „residirte“, hatte an den Ersten Konsul einen Schreibebrief gerichtet, worin er denselben aufforderte, das Werk der Wiederaufrichtung Frankreichs mit der Zurückführung der legitimen Herrscherfamilie der Bourbons zu krönen, war aber mit dieser naiven Zumuthung vonseiten Bonaparte’s barsch und harsch abgewiesen worden. Später sodann hatte der Erste Konsul seinerseits die Naivität begangen, dem Könige in partibus, Ludwig dem Achtzehnten, zuzumuthen, selbiger möchte für sich und seine Familie allen Ansprüchen auf den französischen Thron förmlich und feierlich entsagen um den Preis einer jährlichen Rente von 2 Millionen, war aber von dem Exulanten in Warschau mit diesem Antrag heimgeschickt worden in einer Tonart, welche ihm den Standpunkt klarmachen sollte. Nämlich den Standpunkt, allwovon eine „allerchristlichste Majestät“ auf einen „Parvenu“ von Usurpator herabzusehen geruhte.

Der Bonapartismus und der Bourbonismus waren also quitt. Aber mit einander fertig waren sie darum noch lange nicht.

Der Wiederausbruch des Krieges zwischen England und Frankreich gab das Signal zu einer großen Rührigkeit im Lager der Emigranten, welche auf britischem Boden ein Asyl gefunden hatten und, wie schon erwähnt, auf Kosten der englischen Staatskasse lebten. An ihrer Spitze stand thatsächlich Georges Cadoudal, welcher nach der endgiltigen Beruhigung der Vendée das Anerbieten des Ersten Konsuls, ihm in der Armee eine lohnende Laufbahn zu eröffnen, charakterfest, als ein in der Wolle gefärbter Royalist und Katholik, ausgeschlagen und sich in die Bretagne zurückgezogen hatte, von wo er dann nach England gegangen. Dem Namen nach waren die Führer der emigrirten Franzosen, so viele deren noch in England sich befanden, der Graf von Artois und sein jüngerer Sohn, der Herzog von Berry. Der alte Prinz von Condé und sein Sohn, der Herzog von Bourbon, hielten sich von dem Treiben der Flüchtlinge abseits in der Erwartung, etwa wieder gegen die französische Republik zu Felde ziehen zu können, wie sie sammt ihrem Enkel und Sohne, dem Duc d’Enghien, der aber nicht bei ihnen auf britischem, sondern auf deutschem Boden lebte, vordem schon gethan. In der Umgebung von Artois und Berry hatten den größten Stand der Marquis de Rivière-Riffardeau und die Brüder Armand und Jules de Polignac aus jener für Frankreich und die Bourbons so fatalen Familie.

Innerhalb dieses Kreises trieben ihr lärmendes Spiel alle die Illusionen, von welchen bekanntlich Verbannte allzeit und überall sich umgaukeln zu lassen pflegen. Demnach sahen die Prinzen und ihr Anhang Menschen und Dinge drüben in Frankreich so, wie sie dieselben zu sehen wünschten. Sie wähnten, die Popularität Bonaparte’s sei schon verschwunden oder doch wenigstens stark im Verschwinden begriffen. Insbesondere darum, weil Frankreich die Kriegslust des Ersten Konsuls fürchtete. Item, er hätte nicht nur den Rest der Republikaner gegen sich, sondern auch eine starke Partei im Heere, welche um seinen Nebenbuhler in militärischer Autorität und im Feldherrnruhm, um den Sieger von Hohenlinden, um den notorisch unzufriedenen General Moreau sich sammelte. Item, die Royalisten, durch die ihnen vom Ersten Konsul gewährte Heimkehr aus der Verbannung und durch die theilweise Wiedererlangung ihrer Güter neu gekräftigt, würden natürlich bereit sein, eine Erhebung zu Gunsten der königlichen Sache – zu welcher Erhebung der Hebel am erfolgreichsten abermals in der Vendée anzusetzen wäre – mit Gut und Blut zu unterstützen. Endlich, die französische Klerisei würde selbstverständlich für das legitime Königthum Himmel und Hölle in Bewegung setzen, sowie das Lilienbanner in Frankreich entfaltet wäre.

Das alles war nur ein willkürlicher Mischmasch von halb wahren Vorstellungen und ganz falschen Einbildungen.

Die sehr wenig zahlreichen Republikaner, welche es dazumal noch in Frankreich gab, haßten allerdings in Bonaparte den Despoten, aber auch das kaum Denkbare angenommen, sie hätten dem Bourbonismus Beistand leisten wollen, so würden sie es in ihrer Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit gar nicht vermocht haben. Item, die Unzufriedenheit im Heere beschränkte sich auf eine kleine Anzahl von Officieren, welche sich vom Ersten Konsul nicht genug befördert glaubten und auf den General Moreau blickten als auf einen Gönner, von dem sie unter Umständen mehr erwarten dürften. Moreau selbst war sicherlich sehr verstimmt darüber, daß sich sein Kollege Bonaparte so hoch über ihn erhoben hatte, und diese Verstimmung war durch die geschäftige Zunge seiner Frau und die noch geschäftigere seiner Schwiegermutter, welche Damen der Madame Bonaparte die Residenz in den Tuilerien nicht zu verzeihen vermochten, zur leidenschaftlichen Verbitterung gesteigert worden. Der General, von seiner militärischen Befähigung abgesehen, ein recht mittelmäßiger Kopf und schwacher Charakter, war nach Art von Mittelmäßigkeiten dem Gefühle des Neides sehr zugänglich und hatte sich durch dieses Gefühl, sowie durch die besagten geschäftigen Zungen in die Vorstellung hineinschmeicheln lassen, der erste Platz in Frankreich gebührte ihm so gut wie dem „Usurpator von Korsen“, mindestens so gut oder eigentlich viel mehr. Aber deßhalb wähnen, er würde sich zu einem Werkzeug bourbonischer Restauration hergeben, das konnten nur Illusionäre von Emigranten. Item, die neuerlich nach Frankreich heimgekehrten Royalisten waren nichts weniger als bereit, ihre neugewonnene Stellung um der Bourbons willen schon wieder auf’s Spiel zu setzen. Im Gegentheil, sie waren es gar wohl zufrieden, vom Bonaparte gnädig angesehen zu werden, und drängten sich an den Hof des Ersten Konsuls, um diesen militärischen Hof monarchische Formen zu lehren und dem „Usurpator“ eine überreiche Anzahl von beflissenen und in der Etikette bewanderten Hofschranzen zu liefern. Die Bauern der Vendée ihrerseits hatten die Schwerenoth, welche ihre jahrelangen Kämpfe gegen die „Blauen“ über ihr Heimatland gebracht, noch in zu schmerzlich-frischer Erinnerung, als daß sie Neigung verspüren konnten, diese Kämpfe wieder anzuheben. Endlich, die französische Geistlichkeit erinnerte sich allzu lebhaft, wie ihr mitgespielt worden, wann zur jakobinischen Zeit die „Göttin der Vernunft“ in Notre-Dame gethront hatte, als daß sie jetzt schon hätte vergessen mögen, welche Summe von Dank sie dem Ersten Konsul schuldete als dem Wiedereröffner der Kirchen, dem Wiederaufrichter der Altäre, dem Urheber des Konkordats, welches der Klerisei neben dem himmlischen Manna auch das irdische Brot zurückgab.

Weit besser begründet als die so eben in ihrer Nichtigkeit aufgezeigten Voraussetzungen der Emigranten wär die, daß die englische Regierung jedes Vorgehen gegen Bonaparte bereitwilligst unterstützen würde. Das ist denn auch wirklich geschehen, obzwar, aus den früherhin betonten Ursachen, ein urkundlicher Beweis für die Betheiligung des englischen Ministeriums an der gegen den Ersten Konsul gesponnenen Verschwörung nicht beigebracht worden und wohl niemals beigebracht werden kann. Selbst im geheimsten Schranke des britischen Geheimarchivs wird sich schwerlich jemals ein bezügliches Dokument finden lassen. Dagegen ist der Indicienbeweis für die Mitschuld der englischen Machthaber vollständig erbracht. Wer bezahlte die Kosten des Komplotts? England. Wer schaffte mittels eines Fahrzeugs seiner Kriegsmarine die verschiedenen Schübe der Verschwörer [343] verstohlen an die Küste von Frankreich? England. Wem mußte der Zweck des Komplotts, die „Beseitigung“ Bonaparte’s zunächst und zumeist zu gute kommen? England. Für jede nicht mit Leuten, welche absichtlich nicht sehen und nicht hören wollen, besetzte Geschworenenbank müßte das ausreichen, einen auf Mitschuldig lautenden Wahrspruch zu fällen. Die englische Regierung fand es ja außerdem auch in ihrem Interesse, Verbindungen mit auf dem Festland zerstreuten französischen Emigranten zu unterhalten, und zwar namentlich durch Vermittlung von drei ihrer diplomatischen Agenten, nämlich ihrer Gesandten Drake in München, Spencer-Smith in Stuttgart und Taylor in Darmstadt. Irgendwelche Beziehung dieser Diplomaten zur Cadoudal'schen Verschwörung ist jedoch nicht nachweisbar.

Mit Bonaparte, so phantasirten die Emigranten in London, fiele die einzige Möglichkeit des Bestehens der Republik in Frankreich. Nach der Republik aber könnten nur die Bourbons kommen. Folglich mußte der Erste Konsul „beseitigt“ oder „expedirt“ werden. Und wer sollte das besorgen? Natürlich Georges Cadoudal.

Es ist wahrscheinlich, daß der erste Gedanke des Mordkomplotts in dem ränkevollen Kopfe des skrupelfreien Marquis de Rivière entsprang. Die Polignacs gingen darauf ein, auch der Herzog von Berry und mit Feuereifer dessen Vater, der Graf von Artois. Der König in partibus, der Graf von Provence, wurde von dem Anschlag verständigt, mißbilligte aber denselben und wollte nicht weiter davon hören. Vielleicht schon deßhalb nicht, weil sein Bruder Artois, den er nicht leideu konnte, dafür eingenommen war. Die Verschwörungslustigen kümmerten sich nicht um den Widerspruch ihres achtzehnten Ludwigs. Diese Herren Absolutisten dachten, was ein erst später erfundenes Wort sagte: – „Und der König absolut, wenn er unsern Willen thut.“ Die Prinzen Condé blieben ganz außerhalb des Spiels. Man hielt es für überflüssig oder gar für unrathsam, sie einzuweihen.

Der Müllerssohn aus dem Morbihan, welcher sich vordem in den Wäldern, Haiden und Mooren der Bretagne als ein sehr tüchtiger Führer im kleinen Krieg, im Kriege der Hinterhalte und Ueberfälle, ausgewiesen hatte, war willig und bereit, den Streich gegen Bonaparte zu führen. Nur hegte er in seiner bäuerischen Seele ein Bedenken, welches in die adeligen Seelen der mit ihm verschworenen Prinzen und Junker keinen Zutritt fand. Er wollte dem „korsischen Usurpator“ den Krieg machen, den Krieg bis auf’s Messer, ja wohl; aber er wollte nicht für einen Meuchelmörder angesehen sein. Vielleicht auch machte ihn die Erinnerung an seine beim Höllenmaschinekomplott umsonst geopferten Gefährten diesmal heikler in der Wahl seiner Mittel. Er legte also einen Plan vor, dessen Ansführung dem beabsichtigten Anfall auf den Ersten Konsul das Aussehen nicht einer meuchlerischen, sondern einer kriegerischen That geben sollte. Man wußte, daß Bonaparte bei seinen Fahrten von den Tuilerien nach St. Cloud oder Malmaison im Hin und Her nur von einem Dutzend reitender Grenadiere der Konsulargarde begleitet zu werden pflegte. Auf diese Bedeckung wollte Cadoudal an der Spitze von einem Hundert wohlbewaffneter und entschlossener Royalisten fallen und also in offenem Kampfe im offenen Felde den Usurpator erschlagen. Damit aber das Abenteuer so recht Form und Farbe einer royalistisch-kriegerischen Unternehmung erhielte, müßten zwei Prinzen vom Stamme Bonrbon oder wenigstens einer mit dem Degen in der Hand dabei mitthun, Artois und Berry oder wenigstens einer von beiden.

So inscenirt, würde, wie der Chouanshäuptling wähnte, das geplante Attentat aus der gemeinen Sphäre des Meuchelmordes in die erhabene eines wohlberechtigten kriegerischen Wagnisses sich erheben. Man erkennt hier wiederum, wie so häufig im Leben und in der Geschichte, daß in der Kunst der Selbstbelügung die menschliche Erfindungsgabe alle Wahrscheinlichkeitsberechnungen weit hinter sich zurücklaßt.

Das Beseitigt- oder Expedirtsein Bonaparte’s vorausgesetzt, trat im Rechenexempel der Verschworenen die Ziffer Moreau in den Vordergrund. Die Prinzen und Junker bildeten sich ein, der frondirende General wäre unschwer zur Uebernahme der Monk-Rolle zu bestimmen. Seine Pantoffelheldenschaft war bekannt. Wie, wenn man seiner Frau und – nicht zu vergessen! – seiner Schwiegermutter verspräche, daß Moreau, mit der Würde eines Connétable bekleidet, dem wiederaufgerichteten bourbonischen Königsthron zunächst stehen sollte? Das müßte ziehen, dem wäre nicht zu widerstehen. Die beiden frauenzimmerlichen Zangen würden viribus unitis schon dafür sorgen.

Aber wie an Moreau gelangen? Durch Vermittelung seines alten Waffengefährten und Freundes Pichegru, den man in London zur Hand hatte. Der General, welcher als Eroberer von Holland unter den Kriegsleuten der Republik einen berühmten Namen gewonnen, hatte ja schon unter dem Direktorium die königliche Fahne zu erheben versucht, aber diesen verfrühten Versuch mit der Verbannung nach Guyana zu büßen gehabt. Von dort entflohen und nach England gelangt, war er in das Treiben der Emigranten hineingeraten, obzwar der ernste und scharfsichtige Mann davon sehr wenig erbaut sein mochte. Er konnte sich in der Werthung von Leuten wie Artois und Berry, Rivière und Polignac unmöglich täuschen und von den Verschworenen allen flößte ihm nur Georges Cadoudal Vertrauen ein, obzwar er den von seiner republikanischen Generalschaft herstammenden Widerwillen gegen die Chouanerie nie ganz verwinden konnte. Die Lage war jedoch so, daß es begreiflich, wenn Pichegru sich in die Verschwörung hineinziehen ließ, immerhin widerwillig genug. Es darf auch wohl angenommen werden, daß er es nur gethan in der geheimen Hoffnung, er würde in Verbindung mit Moreau imstande sein, den Geschicken Frankreichs eine andere Wendung zu geben als die von den Chouans gewollte. Iu der Flüchtlingstäuschung über die Zustände und Stimmungen in Frankreich war übrigens auch Pichegru befangen.




4.0 Von geheimen Buchten, Schleichwegen und Verstecken;
fernerweit von allerhand Ränken und Zettelungen.

Nach gehaltenen Rathschlägen beschlossen die Verschwörer, zum Handeln zu schreiten.

Zuvörderst war es angezeigt, drüben in Frankreich das Terrain aufzuklären und die nöthigen Anschickungen einzuleiten. Man fand auch, daß es unräthlich, wenn das ganze Personal des Komplotts, soweit es sich in London vorfand, mitsammen über den Kanal ginge. Die Ueberfahrt sollte truppweise und allmälig geschehen. Zuerst sollte Cadoudal mit einer kleinen Bande auserlesener Chouans die heimliche Reise nach Paris antreten. Nach einer Weile würde Pichegru, nachdem er schon von England aus durch diese oder jene Mittelsperson mit Moreau angebändelt hätte, nachfolgen, begleitet von de Rivière und den Polignacs. Die Prinzen selbst müßten erst dann nach Frankreich kommen, wann das Hauptstück des ganzen Unternehmens, d. h. der Anfall auf Bonaparte, völlig zur Ausführung gereift wäre.

An Reisegeld konnte es natürlich das englische Ministerium den lieben Leuten, welche auszogen im ruchlosen Frankreich den bekanntlich niemals bemakelten Lilienthron wieder aufzurichten, nicht fehlen lassen. Georges Cadoudal allein nahm in Banknoten und Wechseln 40,000 Pfuud St. in englischem und also 1 Million Francs in französischem Gelde mit, eine für dazumal, wo die Millionen noch nicht so wie heutzutage aus den Aermeln der Börsenbaronem geschwindelt wurden, ganz respektable Summe. Denn daß zum Kriege vor allem Geld, wieder Geld und abermals Geld gehöre, hat nicht nur der alte Montecuculi gewußt. Sehr liebenswürdig vonseiten der britischen Regierung war es auch, daß sie ein schnellsegelndes Fahrzeug ihrer Marine, befehligt von dem kühnen Captain Wright, zur Verfügung der Verschworenen stellte, um dieselben sicher nach Frankreich hinüberzubringen.

Auf dieser Brigg ging Cadoudal mit seiner Million im Gurt und begleitet von seinen Getreuen im August 1803 zu Hastings unter Segel. Das Schiff steuerte der Küste der Normandie zu, wo man einverstandene Leute, einen geheimen Landungsplatz und einen Schmugglerpfad zu finden sicher war. Dort, zwischen Dieppe und Tréport, steigt das Ufer in jäher Felsengestalt aus dem Meere, scheinbar ganz unzugänglich. Aber es gab da in einer kleinen Bucht eine Stelle, Biville geheißen, wo sich ein leiterartiger Pfad in einer schmalen Klamm durch die Felswand emporwand, freilich nur mit Beihilfe eines Seils zu ersteigen, welches die Helfershelfer der hier landenden Schmuggler auf ein verabredetes Signal hinabließen. Die Kenntniß dieses Pfades hatten in Eu ansässige „Wissende“ den Verschwörern für gutes Geld verkauft. Da legte der Captain Wright nach Einbruch [344] der Nacht an, landete seine Passagiere und suchte dann wieder die hohe See. Cadoudal und seine Gefährten klommen den Felsspalt hinauf und wurden droben von einem „Vertrauten“, welcher das Seil in die Kluft hinabgelassen, empfangen und weitergeleitet. Auf Schleichwegen wanderten sie, mit Vermeidung von Straßen, Dörfern und Städten, durch Wälder und über Haiden, von Versteck zu Versteck, von einem sichern Nachtquartier zum andern. Solche Verstecke und Rastorte boten einsame Meierhöfe verschwiegener Pächter und die Schlösser verlässlicher Royalisten. Also gelangte Cadoudal, bevor der Monat August zu Ende, nach Paris, wo in der Vorstadt Chaillot seiner ein Unterkommen harrte, welches vor dem Späherblick der Polizei geschützt war. Von dort aus pflegte er dann nachtschlafender Weile mit seinen Chouans zu verkehren, welche in der Stadt selbst Unterschlupfe gefunden hatten.

Sobald er nun über die Sachlage in Paris sich gehörig unterrichtet hatte, mußte er sich gestehen – und er war der Mann, die Wahrheit zu sehen und sich dieselbe zu sagen – daß die Dinge hüben in Frankreich anders aussähen, als sie, wenigstens in Emigrantenaugen, drüben in England ausgesehen hatten. Bonaparte und die Konsularregierung waren nicht unpopulär. Die schwachen Reste der republikanischen Partei erwiesen sich als bis zur vollständigen Kraftlosigkeit und Resignation herabgebracht. Die Royalisten erschienen zurückhaltend, mit dem bestehenden Regiment so ziemlich versöhnt und jedenfalls nicht im mindesten zu abenteuerlichen Wagnissen geneigt und bereit. Die Priester sangen eifrig: „Domine, salvum fac consulem!“ und stimmten schon ihre Kehlen für das „Domine, salvum fac imperatorem!“ Cadoudal mußte auch erfahren, daß sein Name zwar in der Vendée noch immer einen guten Klang hätte; aber nicht minder, daß es unmöglich, den Vendéergeist von weiland wieder zu erwecken und eine irgendwie belangreiche Bewegung zu Gunsten der weißen Fahne zuwegezubringen. Sogar die Förderung der ihm zunächst liegenden Aufgabe stieß auf ungeahnte Schwierigkeiten. Um den beabsichtigten Anfall auf den Ersten Konsul mit Hoffnung auf Gelingen thun zu können, schien ihm ein Hundert wohlbewaffneter und zuverlässiger Männer vonnöthen. Er hatte aber große Mühe, die kleine Bande seiner mitgebrachten Chouans auf den Bestand von 30 Mann zu bringen, und er mußte die äußerste Vorsicht aufwenden, diese von ihm besoldete Schar mit Waffen und einer Art von Uniform zu versehen.

Trotz alledem beharrte der muthige Mann bei seinem Vorhaben. Er rechnete so: – Den Bonaparte zu beseitigen, dazu reicht, wenn alle Stränge reißen, eine Handvoll entschlossener Leute aus. Ist er todt, so findet sich das Weitere von selbst, d. h. Frankreich kommt dann in eine Lage, daß ihm nichts übrigbleibt, als die Bourbons wieder einzusetzen.

Derweil war von London aus ein anderer nach Paris herüberreichender Faden der Verschwörung weitergesponnen worden, Pichegru nämlich hatte durch einen ihm von altersher befreundeten ehemaligen Armeelieferanten Namens Rolland bei Moreau anklopfen lassen. Zunächst nur mit der harmlosen Frage, ob der General noch seines alten Waffenkameraden Pichegru sich erinnerte. „Ja wohl, gern und mit Theilnahme.“ Dann, ob er sich wohl für die von Pichegru gewünschte Erlaubniß zur Rückkehr desselben nach Frankreich bei dem Ersten Konsul verwenden wollte. „Nein, das kann ich nicht thun. Ich bin mit Bonaparte zerworfen, und setze keinen Fuß mehr in die Tuilerien.“

Auf der Basis dieser willkommenen Kunde wurde weitergebaut. Pichegru erinnerte sich eines Officiers, welcher bei Moreau ehemals viel gegolten hatte. Er wußte, daß dieser General Lajolais unzufrieden, ränkesüchtig und geldbedürftig wäre, und entsandte demzufolge an denselben einen gewandten Agenten mit Briefen und Geld, um ihn für die Verschwörung anzuwerben und durch ihn auf Moreau zu wirken. Lajolais ließ sich unschwer gewinnen, machte sich an den General und horchte ihn aus. Sei es nun, daß Moreau in seiner Verbitterung und Unbesonnenheit gegen den Versucher sich zu weit herausließ, sei es – was wahrscheinlicher – daß Lajolais zu hören glaubte, was er zu hören wünschte, genug, der Anschicksmann wähnte, der Zustimmung und Mitwirkung des Generals sicher zu sein, oder that wenigstens so. Er witterte die Herkunft des ihm zugeflossenen Geldes und kalkulirte, daß dessen noch mehr aus der britischen Staatskassequelle zu schöpfen sein würde. Daher voll Eifer für „die gute Sache“, machte er sich, obzwar halb lahm, mit dem Sendling Pichegru’s eilends über Hamburg nach England auf, um die gute Botschaft persönlich dorthin zu tragen. In den Kreis der verschworenen Emigranten eingeführt, berichtete er, was er wußte, und höchst wahrscheinlich noch mehr. Denn sein Bericht erregte große Freude, so große, daß ein Theilhaber der Verhandlung ausrief: „Wenn unsere Generale einig sind, werde ich bald wieder in Frankreich sein.“ Dieser Ausruf kennzeichnete den, der ihn that, den Grafen von Artois, welcher eben sein Lebtag ein leichtfertiger Schwachkopf gewesen ist. „Unsere Generale!“ Es sollte sich bald zeigen, daß Moreau keineswegs gewillt war, den bourbonischen General zu spielen.

Der Bericht von Lajolais hatte in Verbindung mit den dringenden Mahnungen Cadoudals, endlich zu handeln, die Wirkung, daß in London beschlossen wurde, einen zweiten Schub von Verschwörern, Pichegru, Rivière, die Polignacs und andere, nach Frankreich abgehen zu lassen, wobei verabredet wurde, daß Artois oder Berry oder beide nachfolgen sollten, sobald sie vonseiten des Marquis, dem man, wie es scheint, ein maßgebendes Urtheil zutraute, dazu aufgefordert würden. Captain Wright trat demzufolge wieder in Thätigkeit und am 16. Januar landeten die Genannten und ihre Begleiter am Felshang von Biville, kletterten die Klamm hinauf und wurden unfern von der Landungsstclle von Georges Cadoudal empfangen, welcher den Komplottbrüdern entgegengereist war, um sie auf den ihm schon vertrauten und jetzt zur Winterszeit noch einsameren Schleich- und Schlupfwegen nach Paris zu geleiten. In aller Heimlichkeit langte die ganze Gesellschaft am 20. Januar in der Vorstadt Chaillot an.

Cadoudal, der ihn umringenden Gefahren wohlbewußt und des langen Stillsitzens überdrüssig, erbot sich, jetzt sofort mit seinen dreißig Schwartenhälsen den Handstreich gegen Bonaparte bei einer von dessen Fahrten nach St. Cloud oder Malmaison zu führen, und nur ungern ließ er sich beschwichtigen, noch zu warten, bis man mit Moreau ins Reine und zu bestimmten Abmachungen gekommen wäre. Man müßte ja jedenfalls zum voraus wissen, was nach der „Beseitigung“ Bonaparte’s geschehen sollte und was man von dem General, dessen Befähigung und Einfluß die Verschworenen offenbar viel zu hoch anschlugen, zu erwarten hätte. Verschwörungen ist es überhaupt eigen, aus willkürlichen Voraussetzungen phantastische Schlußfolgerungen zu ziehen. Verschwörer gleichen mit Scheuledern versehenen Pferden, welche nur geradaus, nicht aber rechts und links zu sehen vermögen.

Pichegru ließ Moreau durch Lajolais und Rolland von seiner Ankunft in Paris verständigen und den General um eine Zusammenkunft bitten. Moreau ging darauf ein, bestimmte aber, daß das Stelldichein weder in seiner Stadtwohnung noch auf seinem Landsitze Grosbois stattfinden sollte, sondern am späten Abend auf dem Boulevard der Madeleine. Er wollte wohl der Zusammenkunft den Anschein eines nur zufälligen Begegnens geben. Pichegru, welcher sich in der Gesellschaft von Chouans ohnehin unbehaglich fühlte, wäre zu dieser Zusammenkunft gern allein gegangen; allein Cadoudal, der dem weiland republikanischen General nicht ganz traute und mit eignen Augen und Ohren sehen und hören wollte, was von dem Republikaner Moreau zu erwarten wäre, bestand darauf, mit dabei zu sein.

An dem verabredeten Abend und zur ausgemachten Stunde begegneten sich Pichegru und Moreau an der bezeichneten Stelle des Boulevard. Der General zeigte Bewegtheit beim Wiedersehen seines alten Waffengefährten, fiel aber sofort in kühle Zurückhaltung, als Cadoudal hinzutrat und sich zu erkennen gab. Er verhehlte nicht das Unbehagen, welches ihm die Gegenwart des bekannten Chouanshäuptlings verursachte, und er ließ sich nur mit Noth durch Pichegru zu einer zweiten Begegnung bestimmen. Als er dann sich entfernt hatte, faßte Georges die empfangenen Eindrücke in die Worte zusammen: „Das geht schief!“

Die zwischen den beiden Generalen hin- und hergehenden Ränkler ruhten jedoch nicht und brachten die zweite Zusammenkunft zuwege, in Moreau’s Stadtwohnung. Was hier unter vier Augen zwischen ihm und Pichegru verhandelt worden, wissen wir mit ziemlicher Bestimmtheit aus den nachmaligen Proceßverhandlungen. Es mußte mit der Sprache herausgegangen werden, und Pichegru ging damit heraus, ohne freilich geradweg zu sagen, daß mit der geplanten Beseitigung der Konsularregierung vorweg die Tödtung des Ersten Konsuls gemeint wäre. Moreau erwies sich als der [345] beschränkte Kopf, der er war, und dabei als von einem Ehrgeiz besessen, welcher zu seinen Fähigkeiten in einem geradezu komischen Gegensatze stand. Er steifte sich auf die große Partei, welche er, wie er wähnte und behauptete, im Senat und in der Armee hätte. Wäre das konsularische Regiment beseitigt, so würde die oberste Staatsgewalt unzweifelhaft in seine Hände gelegt werden. Pichegru bemühte sich umsonst, dem General diese thörichte Illusion auszureden und ihn zu überzeugen, daß nach Bonaparte nur die Bourbons übrigblieben. Davon wollte Moreau nichts wissen und blieb dabei, nach Bonaparte käme er, könnte niemand kommen als er. Von einem spontanen Handeln, von irgendeiner Initiative seinerseits war aber keine Rede. Er schien völlig überzeugt zu sein und zu erwarten, daß man ihm die Herrschaft über Frankreich so zu sagen auf einem Teller darbieten würde.

Pichegru ging von diesem Stelldichein sehr niedergeschlagen in sein Versteck zurück. Der Mittheilung, welche er Cadoudal machte, fügte er bei: „Auch Moreau ist ehrgeizig und herrschsüchtig. Auch er möchte Frankreich regieren. Der arme Mann! Nicht vierundzwanzig Stunden würde er die Herrschaft zu behaupten vermögen.“ Worauf der Chouanshäuptling herausfuhr: „Was, der? Wenn es doch einmal ein Usurpator sein soll, so ist mir der Bonaparte immer noch lieber als dieser Moreau, der weder Kopf noch Herz hat.“

Unter solchen Umständen mußte auch eine dritte Zusammenkunft Pichegru’s mit Moreau – sie fand in der Wohnung Cadoudals statt – ergebnißlos bleiben und demzufolge war die Enttäuschung und Entmuthigung der Gescheidesten unter den Verschworenen, also Pichegru’s und De Rivière’s, vollständig. Georges seinerseits war noch immer bereit, auch mit unzureichenden Mitteln das Attentat auf Bonaparte zu unternehmen, konnte aber auf die Frage seiner Mitverschworenen: Wozu dasselbe unter den obwaltenden Umständen dienen sollte? keine befriedigende Antwort finden. Hoffnungslos mußte übrigens auch er sein. Lag es doch jetzt am Tage, daß die ganze Verschwörung nur ein Schwindel, weil auf eitel Illusionen gebaut. Der Marquis und der General sannen ernstlich auf Flucht, auf die Rückkehr nach England. Sie, wie die Polignacs, hatten das Zusammensein mit den nichts weniger als feinen Chouans satt, übersatt. Allein zum Fliehen war es zu spät. Späher und Sbirren waren ihnen schon an den Fersen.

[360]
5.0 Von der Spürnase eines ci-devant Jakobiners und wie
die feine Witterung selbiger Nase sich bewährte.

Da war nämlich der Fouché, zur Schreckenszeit einer der langfingerigsten und erbarmungslosesten „Konventskommissäre“, später Polizeiminister Bonaparte’s und unlängst, als sich der „erste“ Konsul zum „lebenslänglichen“ hatte vorrücken lassen, seiner Ministerschaft entkleidet. Dazumal hatte es der Gewalthaber noch für angezeigt erachtet, der öffentlichen Meinung dann und wann eine kleine Zubilligung zu gewähren, wenn auch nur eine formale. Darum war das allgemein verhaßte Polizeiministerium aufgehoben und die Polizei mit dem Justizministerium vereinigt worden, welches der „Großrichter“ Régnier leitete. Dieser überließ die oberste Verwaltung der Polizei dem Staatsrath Réal, welcher weder das Schieß- noch ein anderes Pulver erfunden hatte. Fouché jedoch setzte als der Polizeikünstler, der er war, auch im Privatstande das Spähen und Kundschaften liebhaberisch fort. Er hatte es einzurichten gewußt, daß ihm seine vormaligen Mouchards auch jetzt noch dienstbereit zur Hand waren, und da er um jeden Preis wieder Minister werden wollte und demzufolge seine Unentbehrlichkeit dem „Lebenslänglichen“ darthun mußte, so ließ seine Spürnase Tag und Nacht vom eifrigen Schnüffeln nicht ab. Besagtes Organ besaß in der That eine feine Witterung und der Besitzer desselben war dadurch zur Zeit seiner terroristischen „Missionen“ in Toulon, in Lyon und anderwärts in den Stand gesetzt worden, die 12 oder 14 Millionen zu wittern und aufzuspüren, welche er – immer zur größern Ehre der Freiheit, Gleichheit und Bruderschaft – damals für seine Privatkasse zusammengefingert hatte. Die Herren – was sag’ ich? – die Bürger Konventskommissäre hatten ja, mit wenigen ehrenwerthen Ausnahmen, schon so ungeheuer lange Finger entwickelt, daß sogar die napoleonischen Marschälle nachmals auch mit dem besten Willen die ihrigen kaum noch mehr zu verlängern vermochten. Item, die Generale der Republik hatten die Philosophie der Langfingerfertigkeit ebenfalls von Grund aus verstanden. Waren doch sogar an den Fingern des „biederen“ Moreau von den Kontributionen, welche er in Deutschland für Rechnung der französischen Republik erhoben hatte, 3 oder 4 Millionen nur so hängen geblieben.

Fouché also ist es gewesen, welcher den Ersten Konsul aufmerksam machte, daß vonseiten der Royalisten etwas wider ihn im Werke sein müßte. Der weiland Polizeiminister war von seinen Agenten zu gut bedient, als daß ihm die Anwesenheit einer nicht geringen Anzahl von Emigranten und Chouans, die ja doch nicht immer in ihren Schlupfwinkeln stillliegen konnten oder wollten, hätte entgehen können. Bonaparte mochte sich erinnern, daß Fouché’s Spürnase schon dazumal nach dem Mordkrach der Höllenmaschine nach der richtigen, d. h. nach der bourbonischen Seite hin geschnüffelt hatte, und er war daher sehr geneigt, auf die Zuflüsterungen des ci-devant Jakobiners zu hören. Zudem hatte er sich ja schon gesagt, daß der Wiederausbruch des Krieges mit England die Bourboneriche in Bewegung bringen würde, und seine Besorgnisse mußten nach dieser Richtung hin bedeutend verschärft werden dadurch, daß ihm ein Einblick in die vom englischen Gesandten in München betriebenen Machenschaften aufgethan worden war. Diese Machenschaften, der Konsularregierung verrathen durch einen von Drake’s Agenten, einen Franzosen, der aus einem Republikaner ein Soldknecht der englischen Diplomatie geworden, hatten zunächst den Zweck, die Geheimnisse des französischen Kriegsplanes aufzuhellen; dann aber auch, alle vonseiten der Emigranten gegen Bonaparte gerichteten Anschläge zu unterstützen. Ein unmittelbarer oder auch nur mittelbarer Zusammenhang der Umtriebe des Gesandten mit der Verschwörung Cadoudals hat jedoch nicht stattgefunden.

Bonaparte’s Argwohn war geweckt, und weil gleichzeitig da und dort, in der Normandie, in der Vendée, bourbonische Regungen, obzwar nur schüchterne, bemerkbar wurden, so beschloß er, um Licht in das Dunkel zu bringen, auf’s Gerathewohl eine Anzahl von der Chouanerie mehr oder weniger verdächtigen Leuten verhaften zu lassen, welche man in Paris und in der Provinz gerade unter der Hand hatte. Diese Verhaftungen gingen vor sich und der Erste Konsul wählte aus der Liste der Verhafteten fünf, in der Hoffnung, dieser oder jener derselben würde dem Kriegsgerichte, vor welches sie gestellt wurden, Geständnisse machen. Zwei sprach das Kriegsgericht los, drei verurtheilte es zum Tode. Zwei davon ließen sich erschießen, ohne mehr bekannt zu haben, als daß sie nach Frankreich gekommen, der Sache des legitimen [361] Königs zu dienen – welchem Bekenntniß sie eine kräftige Verwünschung des „Usurpators“ hinzufügten. Dem dritten aber sank angesichts des Todes das Herz und er ließ sich zu dem Geständnisse herbei, daß er im August mit Georges Cadoudal am Felshange von Biville an’s Land gestiegen und durch Wälder und über Haiden hehlings nach Paris gekommen, um einen Mordanfall auf Bonaparte mitzumachen. Außerdem gab er verschiedene von den Geheimquartieren und den vertrauten Kneipen an, welche den Chouans von Cadoudal’s Bande Unterschlupf gewährten.

So hatte sich denn Fouché’s Polizeinase und nicht minder die Berechnung des Ersten Konsuls bewährt. Es war einiges Licht in das Dunkel gebracht. Man wußte jetzt, daß der hochgefährliche Chouanshäuptling Georges in Paris wäre. Man kannte die Landungsklamm von Biville, sowie die Schleichwege und Rastorte zwischen dort und der Hauptstadt. Ebenso etliche von den Bergewinkeln der Verschwörer in den Vorstädten.

Zu dieser Aufklärung fügte der Zufall, dieser Leibzwerg der Riesin Historia, welcher hinter den Falten ihres blutpurpurnen Mantels häufig so schelmisch lachend oder auch so boshaft grinsend hervorguckt, noch eine weitere.

Die Bucht und Kluft von Biville mußte die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden auf sich gezogen haben. Denn wir erfahren, daß gerade in den Tagen, wo die vergeblichen Zusammenkünfte zwischen Pichegru und Moreau in Paris stattfanden und die Regierung mittels der gemeldeten Kriegsgerichtsprocedur von dem Bestehen eines Mordkomplotts Kunde erhielt, dort am Felsgestade der Normandie zwischen Gendarmen, welche den Paß bewachten, und Chouans, welche zu landen versuchten, ein Feuergefecht geliefert worden war. Ein für seinen Dienst gut beanlagter Gendarm hatte nach beendigtem Schüssewechsel einen aus einem Chouangewehr gekommenen Papierpfropf aufgehoben und auf demselben den Namen Troche geschrieben gefunden. Nachforschungen auf dieser Spur ergaben, daß dies der Name eines in Eu wohnenden Uhrenmachers, welcher einen Sohn hatte, dessen Gebaren schon seit einiger Zeit der Polizei verdächtig vorgekommen war. Der junge Troche wurde demzufolge in aller Heimlichkeit aufgehoben, nach Paris gebracht und einem Verhör unterzogen, welches ihn alles gestehen machte, was er wußte. Und er wußte nicht wenig.

Denn dieser junge Mensch war es, welcher den Briefwechsel zwischen den Verschworenen in Paris und den Emigranten in London vermittelt hatte. Er war es auch, welcher die verschiedenen Schübe der Komplottgenossen an der Klamm von Biville empfangen und sie von dort weitergeführt hatte. So im August von 1803 den Georges Cadoudal und dessen Reisegefährten, so dann im Januar von 1804 den Trupp, bei welchem Pichegru, De Rivière und die Polignacs sich befanden. Wer diese Herren waren, hatte Troche nicht erfahren und konnte sie daher nur allgemein als „vornehme“ bezeichnen, welche von ihren Begleitern sehr respektvoll behandelt worden seien – namentlich einer. Im Februar, gestand der Gefangene schließlich noch, sollte wiederum eine Landung stattfinden und er, Troche, wäre beauftragt, auch diese Ankömmlinge zu empfangen und weiterzugeleiten.

Im Besitze von allen diesen Nachweisen begann die Polizei auf der ganzen Linie von Paris bis Biville eine außerordentliche Thätigkeit zu entwickeln. Nicht so fast unter der Leitung von Réal als vielmehr unter der von Fouché, welchen Bonaparte wieder zu Gnaden angenommen hatte und stillschweigend als wirklichen, obzwar vorderhand noch unbetitelten Polizeiminister schalten ließ. In den ersten Februartagen gelangen zwei wichtige Fänge. In einer der signalisirten Weinkneipen wurde nach verzweifelter Gegenwehr ein junger Chouan, Picot geheißen und in Cadoudal’s persönlichen Diensten stehend, dingfest gemacht. Kurz darauf der Edelmann Bouvet de Lozier, welcher sich „Generaladjutant der königlichen Armee“ titulirte und als der Leutnant von Georges anzusehen war. Beide Verhaftete waren schwer bewaffnet und mit beträchtlichen Geldsummen in den Taschen betroffen worden. Durch Picot erfuhr man eigentlich nicht mehr, als man schon wußte. Dagegen kamen aus dem Munde des Herrn Athanase Hyacinthe Bouvet de Lozier Angaben, welche die ganze Verschwörung klarstellten und den General Moreau schwer belasteten.

In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar machte Bouvet in seinem Gefängniß einen Versuch, sich zu erhängen. Das mißlang und der Gefangene wurde dadurch in eine an Raserei gränzende Aufregung versetzt. Er schrie nach dem Wärter und erklärte diesem, daß er sofort zu Protokoll vernommen zu werden verlangte, bevor er für die Sache seines rechtmäßigen Königs sterben würde. Der Staatsrath Réal wurde herbeigeholt und erstaunte nicht wenig über das, was der wüthende Mann hervorsprudelte. Réal ließ den Großrichter und Justizminister Régnier benachrichtigen und in dessen Gegenwart wurden sodann die Geständnisse des Gefangenen protokollirt, welcher als richtiger Franzos sich in Positur warf und theatralisch anhob: „Ein Mann, der von den Pforten des Grabes kommt und noch bedeckt ist mit den Schatten des Todes, will Rache nehmen an Leuten, welche durch ihre Treulosigkeit ihn mitsammt seiner Partei in den Abgrund gestürzt haben.“[1]

Auf diese Präambel ließ er umfassende Geständnisse über Thatsachen folgen, die wir bereits kennen. Von Gewicht war besonders die Enthüllung, daß zur für passend erachteten Stunde „Monsieur“ (d. i. der Graf von Artois als Bruder Ludwigs des Achtzehnten so betitelt) in Frankreich erscheinen sollte, um sich an die Spitze der Royalisten zu stellen; fernerweit die Aussage, daß Moreau versprochen, für die bourbonische Sache einzutreten, dann aber sein Wort zurückgenommen hätte, weil er selber nach der Diktatur strebte. Davon hätten aber die Royalisten ihrerseits nichts wissen wollen und das Hin- und Herverhandeln mit dem unzuverlässigen General trüge die Schuld, daß die Ausführung des Anschlags gegen den Ersten Konsul verzögert, die Zeit vertrödelt und die Polizei endlich auf die Fährte der Verschworenen geführt worden sei. Zu diesen Angaben Bouvets lieferte dann ein nochmaliges Verhör Picots die Ergänzung, daß nicht allein Cadoudal, sondern auch Pichegru zweifellos in Paris anwesend sein müsste.

Sobald Bonaparte von den Ergebnissen dieser Verhöre durch Réal in Kenntniß gesetzt worden, am Morgen vom 14. Februar, zauderte er nicht, zu handeln. Er machte es demnach ganz anders als die Komplottbrüder, welche so viele Zeit mit Schwatzen verloren hatten. Auch Georges war ja in dieser ganzen Angelegenheit keineswegs als der zum Vorschein gekommen, für welchen er galt, als der Mann des entschlossenen Zugreifens und des unbedenklichen Anpackens. Er sogar hatte sich aufs Diplomatisiren eingelassen und mußte nun erfahren, daß die Fäden einer Verschwörung um so leichter reißen, je feiner sie gesponnen sind.

In der Nacht vom 14. auf den 15. Februar ward in den Tuilerien eine vom Ersten Konsul berufene Rathsversammlnng gehalten, der die beiden konsularischen Statisten Cambacérès und Lebrun und die Mitglieder des Kabinetts anwohnten. Auch der unentbehrliche Fouché war dabei. Das Mordkomplott stand für die Rathschläger als Thatsache fest. Die Verschwörung erschien ihnen unter dem Gesichtspunkte, daß zur „Beseitigung“ Bonaparte’s und zum Sturze der Konsularregieruug Royalisten und Republikaner eine Verbindnng eingegangen oder wenigstens einzugehen versucht hätten. Pichegru habe dabei den Vermittler gemacht. Leider wäre zur Stunde weder dieser noch Cadoudal in den Händen der Behörden, aber sie wären in Paris und würden wohl aufzufinden sein. Es müßte jedoch von Wichtigkeit sein, die Möglichkeit eines weiteren Verkehrs dieser beiden Komplottchefs mit Moreau abzuschneiden. Daher der Beschluß, den General, sowie die Zu- und Zwischenträger Lajolais und Rolland, ungesäumt verhaften zu lassen. Aber was dann? Cambacérès meinte, Moreau sollte einem Kriegsgericht überwiesen werden. Der Erste Konsul wandte dagegen ein, es würde heißen, er hätte durch ihm blindlings ergebene Officiere seinen „Nebenbuhler“ richten lassen. Daraufhin wurde beschlossen, Moreau vor den Strafgerichtshof vom Seinedepartement zu stellen, aber – die wächserne Konsularverfassuug bot dazu eine Handhabe, wie zu [362] jeder Willkürlichkeit – für diesen Fall die Geschworenenbank zu suspendiren. Das machte freilich, wie unschwer vorauszusehen, auf die öffentliche Meinung einen noch schlimmeren Eindruck, als vielleicht ein Kriegsgericht gemacht hätte. Aber was war dem bonaparte'schen Säbelskepter die öffentliche Meinung? Ein Windhauch.




6.0 Wie die Pariser die Verschwörung bewitzelten und wie ihr Witz eine Maulschelle abbekam.

Die angeordneten Verhaftungen wurden vollzogen. Moreau ist in seinem Wagen auf der Brücke von Charenton zwischen Grosbois und Paris aufgehoben und in den Temple gebracht worden – mit aller Höflichkeit, versteht sich. Innerhalb der Mauern der alten Templerburg, allwo Ludwig der Sechszehnte geseufzt, Marie Antoinette geweint und der unglücklichste aller Dauphins das Martyrium jakobinischer Rohheit durchgelitten hatte, konnte der General darüber nachdenken, was dabei herauskomme, wenn der Ehrgeiz eines Menschen beträchtlich viel länger ist als sein Verstand. Der Großrichter Régnier richtete eine amtliche Botschaft an die drei großen Staatskörperschaften, welche die Komödie des Parlamentarismus zu agiren hatten, um denselben die Verschwörung und was dagegen vorgekehrt wäre bekanntzugeben. Als die Neuigkeit in der Stadt bekannt wurde, nahm sich der vorhin erwähnte Windhauch doch heraus, etwas schneidend oder wenigstens spöttisch zu blasen. „Eine Verschwörung Moreau's? Ach, das sollte wohl heißen: eine Verschwörung gegen Moreau?“ Oder: „Die ganze Geschichte ist eine Fabel, aber eine schlecht ersonnene.“ Oder: „Cadoudal und Pichegru seien die Hauptverschwörer? Hat man sie? Bewahre! Sind sie in Paris? Ja, vielleicht in Gedanken.“ Derartige Witzeleien fanden natürlich großen, obzwar nur hehlings kichernden Beifall und es bewahrheitete sich eben auch hier wieder, daß die liebe öffentliche Meinung gar häufig nichts anderes ist als ein aus dem hohlen Bauch der Unwissenheit oder aus der vollen Gallenblase der Bosheit hervorgegurgelter Klatsch.

Nun war aber dazumal Bonaparte gegen den besagten Windhauch noch etwas empfindlich, was er sich später gründlich abgewöhnt hat. Er gerieth daher in eine Zornwallung, welche bis zur Wuth gesteigert wurde durch den Umstand, daß die Pariser oder wenigstens viele Pariser in ihrem Unglauben an die zweifellose Thatsache des Komplotts beharrten, noch mehr aber dadurch, daß die mit Bouvet und Picot fortgesetzteu Verhöre immer Bedenklicheres ergaben. Insonderheit dieses, daß unter den nach Paris gekommenen Verschwörern vornehme Herren aus der nächsten Umgebung der bourbonischen Prinzen sich befänden, De Rivière und die Polignacs. Weiterhin, daß mit dem nächsten Emigrantentrupp, welcher im Februar bei Biville landen sollte, der Graf von Artois oder der Herzog von Berry oder beide kommen würden, um sich an die Spitze der Angreifer des Ersten Konsuls zu stellen. Endlich, daß Pichegru seine alten Bekanntschaften im Gesetzgebenden Körper und im Tribunat, ebenso Moreau seinen Einfluß im Senat und seine Autorität in der Armee geltend und fruchtbar machen sollten, um durch die gemeinsame Wirksamkeit von allen diesen Hebeln die Wiederaufrichtung des bourbonischen Throns zu bewerkstelligen.

Es liegt kein Grund vor, zu bezweifeln, daß Bonaparte an die Thatsächlichkeit dieses Schreckgemäldes in dessen ganzem Umfange geglaubt habe, und darum ist es auch glaubhaft, daß der Mythograph und Glorificirer des Bonapartismus, Monsieur Thiers, die Wahrheit sage, wenn er meldet, daß der Erste Konsul in wilde Drohungen gegen die Bourbons ausgeborsten sei und erklärt habe, er würde jeden Prinzen, dessen er habhaft werden könnte, erschießen lassen. Er ging auch unverweilt auf die Habhaftwerdung aus. Der Oberst Savary, Kommandant der Elitegendarmerie, welchen er als ein verlässliches, völlig skrupelfreies, zu jedem Dienst bereites Werkzeug kannte, erhielt Befehl, mit einer Schar seiner Leute stracks nach der Normandie abzugehen und in aller Heimlichkeit auf der Höhe der Klippen von Biville einen Lauerposten zu beziehen um die landenden Emigranten, mit welchen der oder die Prinzen kommen sollten, abzufangen und nach Paris zu liefern.

Derweil dieser Befehl zur Ausführung kam, rückte auch der verhaftete Lajolais mit Geständnissen heraus. Immerhin jedoch nur soweit, als er bekannte, nach London gereist zu sein und Pichegru mit nach Paris und zu Moreau gebracht zu haben – einzig und allein, wie er sagte, damit der letztere für die Heimberufung des ersteren sich verwende. Lajolais ahnte nicht, wie sehr er mit diesem halben Geständniß Moreau beschwerte, weil die Regierung ja schon von anderwärtsher die Verbindung Pichegru's mit Cadoudal und die Zusammenkünfte des Generals mit den beiden Verschwörern kannte. Moreau hinwiederum hatte keine Ahnung, daß Lajolais verhaftet wäre und überhaupt etwas gestanden hätte, und daraus erklärt sich sein Gebaren gegenüber dem Großrichter Régnier, der im ganzen Pomp seines Amtes zum Temple gefahren kam, um den Sieger von Hohenlinden zu verhören. Dieser benahm sich hierbei ebenso ungeschickt als unehrlich, indem er sich durch den Großrichter in einen ganzen Knäuel kläglicher Lügen verwickeln ließ. Régnier befragte ihn über seine Beziehungen zu Lajolais, Pichegru und Cadoudal. Moreau erwiderte, er wisse nichts von solchen Beziehungen. „Aber Sie haben doch die Genannten gesehen und gesprochen?“ „„Nein, weder gesehen noch gesprochen. Ich begreife auch gar nicht, warum man mich mit solchen Fragen behelligt.““ Der Großrichter trug dieses Ergebniß des Verhörs in die Tuilerien und nach erstattetem Bericht soll der Erste Konsul ausgerufen haben: „Nun denn, wenn er sich mir nicht entdecken und anvertrauen will, so mag die Sache ihren gerichtlichen Verlauf nehmen!“

Ihm, dem Machthaber, mußte vor allem daran gelegen sein, mittels der Einfangung von Cadoudal und Pichegru vor Paris und Frankreich den Beweis der Wesenheit des Komplotts zu führen. Der Gesetzgebende Körper, zur Sklavenhaftigkeit des römischen Senats unter Caligula und Nero herabgebracht, mußte ein ungeheuerliches Gesetz votiren, welches allen, die Pichegru, Cadoudal und sechzig signalisirten ihrer Mitverschworenen Zuflucht oder Unterschlupf gewährten, die Todesstrafe androhte, sowie allen welche die Verstecke der Verschwörer kennten und nicht anzeigten, sechsjähriges Zuchthaus. Die Thore von Paris wurden geschlossen wie zur Zeit des Septembermordgräuels von 1792, die Stadtmauer unausgesetzt durch Reiterschwadronen umritten, die Ein- und Ausflüsse der Seine scharf bewacht. Dann ging in der Stadt eine unerbittliche Jagd los, welche die Verschworenen von einem Schlupfwinkel in den andern hetzte. Ihre Lage war schrecklich. Die Drang- und Trübsal, welche sie bei Tag und Nacht auszustehen hatten, überstieg oft die Kraft von Fleisch und Blut. Hungernd, frierend, fiebernd irrten sie umher. Nicht selten mußten die von ihnen, welche die Mittel dazu besaßen, die Gewährung einer elenden Nachtherberge mit 6000, ja mit 8000 Franken bezahlen. Es ist wie ein tröstlicher Lichtstral in diesem Dunkel, daß einer der Minister des Ersten Konsuls, Marbois, seinem Freunde von ehemals, dem jetzt vogelfreien Pichegru, welcher eines Abends in der Verzweiflung, kein Nachtlager finden zu können, an die Thür des Ministerhôtels klopfte, für eine Nacht das erbetene Asyl gewährte und daß Bonaparte seinem Minister, der ihm später Mittheilung davon machte, diese Gastlichkeit nicht verübelte.

Pichegru war es auch, welcher zuerst in die Hände der Späher und Spürer fiel. Ein Mitverschworener, welcher bei dem General Adjutantendienst gethan, verrieth den letzten Schlupfwinkel, den er gefunden, und überlieferte ihn den Gendarmen, welche den verrathenen und mit Mühe überwältigten Mann in den Temple brachten, aus dessen Mauern er nur im Sarge wieder herauskommen sollte. Bald darauf wurden De Rivière und die Brüder Polignac aufgejagt, gestellt und zur Haft gebracht. Cadoudal zuletzt, erst am 9. März. Die Spürhunde hatten sein letztes Versteck ausgewittert. Als er es Abends 7 Uhr verließ, um ein anderes zu suchen, verfolgten sie ihn bis zum Pantheon, allwo ein vertrauter Chouan mit einem Kabriolet auf ihn wartete. Georges, welcher die Verfolger hinter sich spürt, steigt ein und treibt den Kutscher zur Elle. Die Meute stürzt nach. Auf dem Platz Bussy fällt ein Polizist dem Pferde in die Zügel. Cadoudal entladet ein Pistol auf ihn und schießt ihn todt. Dann springt er aus dem Wagen und streckt mit einem zweiten Schuß einen zweiten Polizisten schwerverwundet zu Boden. Allein er wird umringt, nach verzweifelter Gegenwehr bewältigt, entwaffnet und dingfest gemacht. Die 60,000 Franken oder mehr, die er in Gold und Banknoten bei sich getragen, sind der Frau von Rémusat zufolge (Mém. I, 310) der Witwe des getödteten Polizeimanns gegeben worden.

[363] Der hochgewachsene, breitschulterige Müllerssohn aus dem Morbihan mit seinem offenen, bäurischgesund-rothbackigen Gesicht macht auch im Untersuchungsverhör auf der Polizeipräfektur, wie später vor Gericht, von allen seinen Komplottgenossen die beste Figur. Statt sich wie Moreau auf’s Lügen und Leugnen zu verlegen, ging er freisam mit der Sprache heraus und man merkte, daß diese der energische Ausdruck einer felsenfesten Ueberzeugung sei. „Warum kommen Sie nach Paris?“ – „„Um den Ersten Konsul anzufallen.““ – „Womit?“ – „„Mit offener Gewalt.““ – „Was beabsichtigten Sie und Ihre Mitverschworenen weiter?“ – „„An die Stelle des Ersten Konsuls einen Bourbon zu setzen.““ – „Was für einen?“ – „„Ludwig den Achtzehnten.““ – „Welche Rolle sollten Sie bei dem beabsichtigten Angriff auf den Ersten Konsul spielen?“ – „„Die Rolle, welche mir einer der französischen Prinzen, der dabei sein sollte, zuweisen würde.““ – „Also in Uebereinkunft mit den ci-devant französische Prinzen ist der Attentatsplan entworfen worden und so sollte er auch zur Ausführung kommen?“ – „„Ja.““ – „Sie haben sich mit den ci-devant französischen Prinzen in England verabredet?“ – „„Ja.““ („Procès instruit“ etc. II, 79, 83.)

Man sieht, Georges sprach ganz offen und bestimmt, als ein Mann, welcher nicht mit einer Unwahrheit auf den Lippen dem Tod entgegengehen wollte, der ihm, wie er wußte, unbedingt gewiß war. Ebenso bestimmt aber verweigerte er jede Auskunft über seine Verstecke und Herberger, sowie über seine Mitverschworenen. „Ich will die Zahl der Opfer nicht vermehren,“ sagte er; „es sind ihrer ohnehin genug.“ De Rivière und die Polignacs suchten ihre Geständnisse, zu welchen sie sich doch auch herbeilassen mußten, mittels allerhand Ausflüchten und Verklausirungen möglichst abzuschwächen und zu verdünnen.

Als Summe aller von den verhafteten Verschwörern erwirkten Bekenntnisse konnte die Regierung die unbezweifelbare, deutlich sichtbare, handgreifliche Thatsache eines bourbonischen Mord- und Umsturzkomplotts vor die öffentliche Meinung hinstellen.

Jetzt hörten die Pariser auf, zu witzeln und hohnzulächeln. Das ging ihnen doch über den Spaß.

[374]
7. 0Wie der Bonaparte den korsischen Banditen herauskehrte.

Wer gerecht urtheilen will, wird anerkennen müssen, daß bis dahin der Erste Konsul in dieser Sache durchaus ordnungsgemäß und regelrichtig gehandelt hatte. Er war im Besitze der Macht und folglich – wie die Welt nun einmal ist, wie sie allzeit gewesen und immer sein wird – im Recht. Dieses seines Rechtes, d. h. seiner Macht wollte man ihn berauben und ihn zugleich mörderisch anfallen und umbringen. Dagegen durfte, nein, mußte er sich bis auf’s Aeußerste wehren. Dies heischte seine Stellung, seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und es lag auch in den Zuständen Frankreichs. Wie, nachdem er das Land aus dem Chaos der Anarchie herausgerissen, sollte er es der bourbonischen Unfähigkeit überliefern lassen? Welche Zumuthung! Welche Absurdität!

Ein gerechter Urtheiler muß aber dem Manne noch mehr zubilligen. Nämlich dieses, daß es sehr begreiflich und verzeihlich, wenn er in seiner korsisch-leidenschaftlichen Art, in seiner bekannten Feuerteufelsmanier gegen die Bourbons ausfiel. Hatten diese nicht an dem gegen ihn gesponnenen Mordkomplott sich betheiligt? Wenigstens von zwei derselben, Artois und Berry, war es erwiesen, durch die Eingeständnisse ihrer Mitverschworenen erwiesen. Ja, es war begreiflich und verzeihlich, wenn der Erste Konsul rachelustig ausrief. „Ein Bourbon gilt mir nicht mehr als ein Moreau und Pichegru, im Gegentheil weniger; fällt mir einer in die Hände, lass’ ich ihn erschießen!“ und man muß sagen, daß, wenn er in den Fall gekommen, diese Drohung etwa an dem Herrn Grafen von Artois, welcher an der Aussendung von Attenthätern mitarbeitete, aber wohl sich hütete, die Gefahren der mordlustigen Sendlinge zu theilen, in Erfüllung zu bringen, dies für Frankreich kein Schaden, sondern vielmehr ein Glück gewesen wäre, ein großes Glück.

Allein nicht an dem schuldigen Artois, sondern an einem schuldlosen, d. h. an dem Komplott gar nicht betheiligten Bourbon ließ Bonaparte seine Wuth aus. Das gab der Sache eine ganz andere Wendung. Dazu kam dann noch die zugleich tückische und grausame Art und Weise, allwomit der glückliche Verschwörer vom 18. Brumaire seine Rachedurststillung einleitete und durchführte. Schleichende Bosheit und erbarmungslose Brutalität vereinigten sich hier zu einer Schandthat, welche erschreckend und entsetzend darthat, wie tief dem Napoleone Buonaparte der korsische Bandit im Blute steckte.

Sein Zorn wurde noch heißer, als sich ihm zuvörderst keine Gelegenheit bieten wollte, denselben an einem Sprössling des Hauses Bourbon zu kühlen. Der Oberst Savary nämlich, welcher, selber verkleidet, mit seinen 50 in allerlei Verkleidungen steckenden Gendarmen nun schon seit drei Wochen am Felshang von Biville auf der Lauer lag, wußte von dort nur zu berichten, daß kein Prinz kommen wollte, um sich von ihm abfangen zu lassen. Zwar – so meldete er – zwar wäre draußen vor der Bucht eine englische Brigg, höchst wahrscheinlich die vom Captain Wright geführte, deutlich sichtbar. Auch näherte sich dieselbe allabendlich der Küste, aber statt zu landen lavirte sie nur eine Weile hin und her, um dann wieder in See zu stechen. Wie zu vermuthen, hätten die Emigranten, die sich am Bord des Schiffes befinden möchten, von Paris aus einen Abwink bekommen oder aber erwarteten sie von der Klippe her ein Signal, dessen Ausbleiben ihnen die Landung verböte.

Allein Bonaparte wollte und mußte einen bourbonischen Prinzen haben zum Todtschießen lassen, und da ihm keiner von England her ins Fanggarn laufen wollte, so suchte er anderwärts nach einem. Fouché und Talleyrand – dieser hat später die Spuren seiner Thätigkeit in solcher traurigen Sache fuchsschwänzig zu verwedeln gesucht – halfen ihm bereitwillig bei dieser Späherei. Die Liste der Bourbons wurde durchgenommen. Provence und Angoulème waren in Warschau, Artois und Berry, sowie der Prinz von Condé und der Herzog von Bourbon in London. An diese sechs Prinzen war also nicht zu kommen. Aber Condé’s Enkel, der Herzog von Enghien, der befand sich ja in erreichbarer Nähe, zu Ettenheim im (damaligen) Kurfürstenthum Baden. Der gesuchte Bourbon war gefunden. Freilich hatten alle die Verhöre der dingfestgemachten Verschwörer nicht die leiseste Andeutung von einer Betheiligung Enghiens an dem Cadoudal’schen Komplott ergeben. Aber was hatte das zu sagen? Er war ein bourbonischer Prinz, war erreichbar und folglich sollte er todtgeschossen werden – Punktum.

Die gute Frau von Staël hatte doch nicht so ganz Unrecht, wenn sie den Bonaparte einen „Robespierre zu Pferde“ nannte. Es war im ganzen Verfahren des Ersten Konsuls gegen den jüngsten und letzten Sprossen der Condé’s etwas jakobinisch-terroristisch Wildes, was an die schlimmsten Tage und Nächte der Sansculotterie erinnerte. Ganz in der Ordnung daher, daß, wie im Januar von 1793 unter den Ohnehosen das Wort umgegangen: „Man muß dem monarchischen Europa einen Königskopf als Fehdehandschuh hinwerfen!“ so jetzt in der betressten Sklavenschar, welche sich am Hofe des neuen Cäsars drängte, das Geraune umging: „Einen Bourbon todtschießen lassen? Recht so! Das heißt zwei Fliegen mit einem Schlage treffen, das heißt den Royalisten Schrecken einjagen und den Republikanern ein Pfand geben …“

Louis Antoine Henri de Bourbon, betitelt Duc d’Enghien, war am 2 August 1772 zu Chantilly geboren, folglich jetzt (März 1804) nahezu 32 Jahre alt, von männlich schöner Gestalt und gewinnendem Benehmen. Er hatte unter den Befehlen seines Großvaters und seines Vaters die Waffen gegen die französische Republik getragen und als Vorhutführer des Condé’schen Korps mehrfach im Felde sich hervorgethan. Eine solche Befehdung des Vaterlandes war und ist, vom menschlichen wie vom patriotischen Standpunkt aus angesehen, unbedingt verwerflich. Allein man muß, wenn man billig sein will, beachten, daß ein in legitimistisch-dynastischen Anschauungen gezeugter, geborener und erzogener bourbonischer Prinz es nicht nur für sein selbstverständliches Recht, sondern auch für seine gebieterische Pflicht ansah und ansehen mußte, die französische Republik zu bekämpfen. Denn er war ja des guten Glaubens, dieser Kampf gälte nicht Frankreich, sondern nur einer Frankreich tyrannisirenden, räuberischen und mörderischen Faktion. Wenn die drei Condé’s, Großvater, Vater und Enkel, in Verbindung mit den gegen die französische Republik verbündeten Mächten am Rhein im Felde gestanden, so waren sie [375] ihrer Ueberzeugung zufolge dazu nicht minder berechtigt gewesen, als seiner Zeit Ludwig der Dreizehnte oder eigentlich sein Minister Richelieu berechtigt war, die rebellischen Hugenotten, und Ludwig der Vierzehnte oder eigentlich sein Minister Mazarin, die Rebellen der Fronde zu bekämpfen. Es war also rein unmöglich, dem Duc d’Enghien daraus ein Verbrechen zu machen, daß er im Korps seines Großvaters mitgefochten – unmöglich nicht allein unter dem subjektiven, sondern auch unter dem objektiven Rechtsgesichtspunkt.

Dazumal, im Frühjahr von 1804, lebte der Prinz zu Ettenheim unweit Karlsruhe, ohne irgendwie nachweisbare Verbindungen mit den übrigen Emigranten, welche sich da und dort in den deutschen Rheingegenden aufhielten. Der französische Gesandte am badischen Hofe, Massias, überwachte den Prinzen, fand jedoch über denselben nach Paris nur zu berichten, daß er leidenschaftlich dem Vergnügen der Jagd nachginge und im übrigen ganz seiner zärtlichen Verbindung mit der Prinzessin Charlotte von Rohan-Rochefort lebte, einer Nichte des Halsband-Kardinals Rohan berüchtigten Andenkens. Dieser „hochwürdige“ Prälat, welcher vordem in der für Marie Antoinette so unheilvollen Böhmer-Lamothe’schen Diamanthalsbandgeschichte eine zugleich so lüderliche und so lächerliche Rolle gespielt hatte, war ein so liebevoller Oheim, daß er nicht umhin gekonnt, den leidenschaftlich in seine Nichte verliebten Duc d’Enghien im Jahre 1801 heimlich mit derselben zu trauen, obzwar König Ludwig der Achtzehnte in partibus dieser Ehe seine Zustimmung verweigert hatte. Alles zusammengehalten, muß man sagen, daß der Prinz ein liebenswürdig-harmloser Charakter war und in Ettenheim ein harmloses Leben führte. Er muß sich auch dieser Harmlosigkeit wohl bewußt gewesen sein. Denn sonst hätte er sich so nahe der französischen Gränze nicht für so sicher gehalten, daß er bezügliche Warnungen, die ihm vonseiten seines Vaters brieflich aus London zugingen, ablehnend und beschwichtigend beanwortete. Er kannte den Bonaparte wenig.

Sobald das Auge desselben auf den Prinzen gefallen, war dieser verloren. Shée, der Präfekt von Straßburg, erhielt Befehl, einen Spion nach Ettenheim zu senden, um die Oertlichkeit, den Haushalt und die Umgebung des Herzogs von Enghien auszukundschaften. Der Präfekt schickte einen verkleideten Unterofficier Namens Lamothe, welcher den Prinzen kannte, weil er früher im Hause Condé gedient hatte. Lamothe that seinen Späherdienst und meldete seinem Auftraggeber unter anderem, daß der General Dumouriez sich in Ettenheim befände. Dumouriez, was? Der weiland General der Republik mit D’Enghien, also mit den Bourbons verbunden? Ein Seitenstück zum Pichegru ganz zweifellos! Da haben wir demnach ein Stück bourbonischer Verschwörung auch in Ettenheim …. Es mochte dem Ersten Konsul so recht wohlthun, einen Schatten von Vorwand zu seinem justizmörderischen Vorgehen gegen den Prinzen gefunden zu haben. Einen Schatten von Vorwand. Denn in Wahrheit und Wirklichkeit befand sich Dumouriez nicht in Ettenheim und überhaupt nicht im Lande. Der Spion hatte den Namen des Generals und Marquis de Thumery, welcher sich in Ettenheim aufhielt, nennen hören und daraus wissendlich oder unwissendlich Dumouriez gemacht.

Am 10. März 1804 setzte sich Bonaparte hin und fertigte an den Kriegsminister Berthier die Anweisungen und Befehle aus, kraft welcher die Generale Ordener und Caulincourt, jener mit 300, dieser mit 200 Dragonern, von Straßburg und Schlettstadt aus nächtlicher Weile über den Rhein gehen und so rasch wie möglich nach Ettenheim marschiren sollten, um den Herzog von Enghien gewaltsam aufzuheben und nach Straßburg in die Citadelle zu führen, von wo er nach Paris gebracht werden müßte.

Daß dieser banditenhafte Einbruch in das deutsche Reich, bei Friedenszeiten, ein schnöder Bruch des Völkerrechtes war, kümmerte den französischen Machthaber wenig. So ein Ding wie das Recht gehörte ja überhaupt dem Bonapartismus zufolge nur in das Wörterbuch der „Ideologie“; in und mit der Politik hatte es nichts zu thun. Und auf die arme alte deutsche Reichsruine Rücksicht nehmen? Bah! Oder auf die deutschen Reichsfürsten? Ach, diese Pappenheimer kannte man sattsam in Paris. Oder auf den Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches Teutscher Nation“, den zweiten Franz? Du lieber Gott, zu der pappendeckeligen Reichskrone paßte vollständig ihr Träger, der ja auch nur ein Kaiser von Pappendeckel war.

Nach an Berthier gegebenen Befehlen erließ Bonaparte auf das Beabsichtigte und Bevorstehende bezügliche Weisungen an seinen Schwager Murat, als an den Militärgouverneur von Paris, sowie an den inzwischen von Biville zurückberufenen Savary, welcher zur Vollendung des Banditenstreichs das Meiste thun sollte und, wie bekannt, auch wirklich gethan hat. Hierauf, sich die Hände waschend wie weiland der römische Oberpräsident von Judäa, fuhr der Erste Konsul mit seiner Frau und etlichen Vertrauten nach Malmaison, allwo während der nächsten Tage nur ausdrücklich von ihm bezeichnete Leute Zutritt erhalten sollten. Er wollte nicht sehen und hören, wie der Mordklapf, den er angeordnet hatte, in Paris wirken würde.

Wohlverstanden, er beharrte bei diesen mörderischen Anordnungen auch dann noch, als er über das Mißverständniß Thumery-Dumouriez aufgeklärt und als er in den Besitz der in Ettenheim geraubten Papiere des Duc d’Enghien gesetzt worden war, aus welchen dessen Nichtbetheiligung an der Cadoudal-Pichegru’schen Verschwörung erhellen mußte. Er wollte eben, das steht zu seiner Schmach für immer fest, um jeden Preis einen Bourbon zum Erschießen haben, er, der „Robespierre zu Pferd“, wie vordem der Robespierre zu Fuß einen Bourbon zum Guillotiniren haben wollte.


8.0 Wie der Bandit sich in den Komödianten verwandelte.

In der Nacht vom 14. auf den 15. März, unlange nach Mitternacht, wurde der Duc d’Enghien, welcher, ermüdet von den Jagdstrapazen des letzten Tages, eines tiefen Schlummers genoß, aufgeschreckt durch den Schreckensruf seines treuen Dieners Canonne: „Monseigneur, das Haus ist umzingelt! Gendarmen stoßen die Thüren ein und erklettern die Fenster!“

Die Generale Ordener und Caulincourt hatten ihre Maßnahmen so sorgfältig getroffen und der Gendarmeriekommandant Charlot führte dieselben so genau und rasch aus, daß von Widerstand keine Rede sein konnte, obzwar der Prinz, noch halb schlaftrunken, nach seiner Jagdflinte gelangt hat. Die Ueberrumpler hatten übrigens leichtes Spiel. Sie brauchten nur den Anweisungen des Ersten Konsuls nachzukommen, allworin ja alle Umstände zum voraus berücksichtigt und berechnet waren. Plan und Ausführung des Handstreichs machten ein so echtkorsisches Banditenstückchen aus, daß selbiges ebenso gut wie zu Ettenheim in einer „Macchia“ Korsika’s hätte spielen können.

Man ließ dem Ueberfallenen kaum Zeit, sich anzukleiden. Dann wurde er auf ein Wägelchen gesetzt und fort ging’s in aller Hast, dem Rheine zu. Am Abend vom 15. März befand sich der Entführte hinter den Mauern der Citadelle von Straßburg. Seine sämmtlichen im Schlößchen von Ettenheim zusammengerafften Briefschaften gingen mittels Kuriers unmittelbar an den Ersten Konsul ab.

Am 18. März, Morgens halb 2 Uhr, wurde der Prinz in seiner Zelle geweckt und aufgefordert, sich rasch in die Kleider zu werfen, um sofort abzureisen. „Man wird mir doch gestatten, Canonne mitzunehmen?“ – „„Ueberflüssig.““ – „Aber doch meinen kleinen Hund Mylof, der mit mir von Ettenheim gekommen?“ – „„Nun ja.““ – „Und Wäsche muß ich doch auch haben.“ – „„An zwei Hemden wird es genug sein.““

Man setzte den Gefangenen in eine verschlossene Postkalesche und unter der Bewachung eines Leutnants, eines Quartiermeisters und zwei Gemeinen von der Gendarmerie ging die Eilfahrt Tag und Nacht gen Paris. Am 20. März, Abends 6 Uhr, war der Prinz im Donjon von Vincennes eingethürmt, ganz ausgehungert, denn man hatte ihm unterwegs zum Essen weder Zeit noch Gelegenheit geboten. Der Kommandant von Vincennes, Harel, vermochte ihm nur ein dürftiges Abendessen anzubieten. Er genoß es zur Hälfte, um die andere Hälfte seinem ebenfalls hungerigen Mylof zu geben. Dann warf er sich auf’s Bett, um sogleich in Schlaf zu fallen.

Derweil er schlief, wurde drunten im Festungsgraben, am Fuße des sogenannten „Pavillon der Königin“, ein Grab gegraben. Der Oberst Savary war mit dem Bataillon seiner Elitegendarmen in Vincennes und für diese Nacht mit außerordentlichen Vollmachten versehen. Er ordnete alles an und befahl unumschränkt. In dieser Nacht mag er sich ja wohl seinen nachmaligen Herzogstitel (duc de Rovigo) verdient haben.

[376] Um Mitternacht weckt man den Prinzen. Er wird in ein Gemach geführt, dessen Fenster auf den Forst von Vincennes hinausgehen. Hier ist die an Bonaparte’s Befehl durch Murat bestellte „Militärkommission“ versammelt, welche den letzten Sproß der Condé’s „richten“ soll. Die Namen dieser „Richter“ verdienen am Schandpfahl der Geschichte angenagelt zu bleiben. Es sind der General Hullin, Vorsitzender, die Obersten Guitton, Bazancourt, Barrois, Ravier, Rabbe und der Major Tautaucourt, welcher als „Rapporteur“ fungirt. Im Hintergrunde des Gemaches hält sich Savary, um darauf zu sehen, daß alles „nach Befehl“ zu- und hergehe und geschehe.

Der Major Dautancourt bringt sechs Anklagepunkte vor, der Hauptsache nach lautend auf Verschwörung gegen die Sicherheit des Staates und gegen das Leben des Ersten Konsuls, sowie auf Bekämpfung der französischeu Republik mit bewaffneter Hand. D’Enghien, obgleich erschöpft und abgemüdet durch alles, was er in den letzten Tagen und Nächten ausgestanden, hält sich gefaßt und würdig. Den ersterwähnten Hauptpunkt der Anklage bestreitet er ganz entschieden, den zweiten gibt er zu mit den Worten: „Ich vertheidigte die Rechte meiner Familie. Meine Geburt und meine Ueberzeugungen zwingen mich, ein Feind der republikanischen Regierung zu sein.“

Hieraus der Form halber eine Berathung der „Richter“ und als Resultat derselben einmüthiger Schuldigspruch des Augeklagleu, selbstverständlich ein Todesspruch.

Der General Hullin hat später, freilich erst zur Zeit der Restauration, behauptet, er hätte sich nach der Urtheilsfällung hingesetzt, um an den Ersten Konsul zu schreiben. Nämlich zu dem Zwecke, denselben zu bitten, dem Prinzen die von diesem erbetene Unterredung zu gewähren, sowie auch, den Verurtheilten der Gnade Bonaparte’s – ja, der „Gnade“ Bonaparte’s! – zu empfehlen. Da wäre aber Savary hinter ihn getreten und hätte ihm die Feder aus der Hand genommen mit den Worten: „Was noch zu thun, geht Sie nichts an; es ist meine Sache …“

In die Wohnung Harels zurückgeführt, hat der „Gerichtete“ wiederum den Schlaf gesucht und gefunden. Aber man gönnte ihm denselben nicht lange. Um 3 Uhr des Morgens aufgestört, wird er eine feuchte Wendeltreppe hinab in den Festungsgraben geführt, wo am Fuße des Pavillons der Königin schon vor der Fällung des „Richterspruchs“ sein Grab gegraben worden. Dort ist ein Peloton Gendarmen aufgestellt, in zwei Gliedern von je acht Mann. Das Geflimmer einer Laterne beleuchtet nothdürftig die unheimliche nachtdunkle Scene. Man heißt den Prinzen an den Rand der Grube treten und der Adjutant Pelé verliest das „Todesurtheil“. Nach einem Augenblick bangen Schweigens fragt D’Enghien: „Ist niemand da, der eimm Sterbenden einen letzten Dienst erweisen will?“ Der Leutnant Noirot nähert sich ihm und nach einigen mit demselben gewechselten Flüsterworten wendet sich der Prinz an die Gendarmen mit der Frage: „Hat einer von Euch eine Scheere bei der Hand?“ Es wird ihm eine Scheere hingereicht, er schneidet sich damit eine Haarlocke ab, wickelt dieselbe mit einem Ring in ein Stück Papier und richtet an Noirot die Bitte, diesen Scheidegruß der Prinzessin Charlotte von Rohan-Rochefort zukommen zu lassen. Dann erhebt er die Stimme und ruft aus: „Wie traurig ist es doch, durch die Hand von Franzosen sterben zu müssen!“

In diesem Augenblick gibt der Adjutant Pelé das verabredete Signal, indem er seinen Hut abnimmt. Die Gendarmen schlagen an, die Schüsse knallen und der Prinz fällt todt zu Boden. Der noch warme Todte wird in seinen Kleidern in die Grube gelegt. Man schaufelt Erde darüber und sucht alle Spuren der Unthat zu verwischen.

Als es Tag geworden, bemerkte man, daß ein kleiner Hund kläglich winselnd die Erde, worein das Opfer der schändlichen Mordthat vergraben worden, mit seinen Vorderpfoten aufzuscharren suchte. Man schlug den armen treuen Mylof todt. Auf eine Brutalität mehr oder weniger in diesem wüsten Zwischenspiel des Drama’s der Cadoudal’schen Verschwörung kam es ja nicht an …

Bonaparte, in der Erwartung, den heimlich ausgesonnenen und unwiderruflich befohlenen Schlag fallen zu sehen, hielt sich in Ermangelung einer korsischen „Macchia“ seit dem 18. März in seinem Malmaison nicht gerade versteckt, aber doch abseits. Monsieur Thiers hat mythologisirt, der Erste Konsul wäre in diesen Tagen unruhig, zerstreut und aufgeregt gewesen, so sehr, daß er gar nicht zu arbeiten vermocht hätte. Der Napoleonzinkenist will damit andeuten, die schwebende Sache hätte den Mann gemüthlich sehr angegriffen. Fabelei! Bonaparte hat, wie seine Korrespondenz klärlich darthut, in diesen Tagen so viel, wenn nicht mehr gearbeitet als sonst. Er hielt seine gewohnte Lebensführung ein und spielte Abends viel Schach. Sein Gebaren war heiter und ruhig („serein et calme“), sein Gesichtsausdruck friedsam („paisible“), wie die Zeugin sagt, welche wir hier anrufen.

Diese Zeugin, Frau von Rémusat, ist höchlich beunruhigt gewesen über das, was im Werke war. Es hatte ja doch nicht verhohlen bleiben können, so heimlich auch die Sache betrieben worden und betrieben wurde. Die Palastdame Josephine’s ließ nicht ab, diese zu bestürmen, daß sie ihrerseits Bonaparte bestürmte, das Leben des Herzogs von Enghien zu schonen. Josephine that es, aber ihre Fürbitten richteten nichts aus. Der Herr Gemahl sagte ihr: „Die Frauen müssen derartigen Angelegenheiten fremdbleiben. Meine Politik fordert diesen Staatsstreich“ – was er dann wortreich weiter ausführte. Ab und zu erschienen Régnier, Réal und Murat in Malmaison und hatten lange Audienzen. Am Morgen vom 20. März sagte die Frau des Ersten Konsuls zur Frau von Rémusat: „Alles ist vergeblich. Der Herzog von Enghien wird heute Abend nach Vincennes gebracht und in der Nacht abgeurtheilt werden. Bonaparte hat mir verboten, ihn weiter damit zu behelligen. Er sagte auch, Ihre Traurigkeit sei ihm aufgefallen. Nehmen Sie sich zusammen!“

Frau von Rémusat wußte aber nicht so gut zu schauspielen wie der Erste Konsul. Beim Diner ließ er seinen kleinen Neffen Napoleon, den erstgeborenen Sohn seines Bruders Louis und seiner Stieftochter Hortense, vor sich hin auf die Tafel setzen und hatte seinen Spaß daran, als das Kind alles, was es erreichen konnte, umwarf oder zerschmiß. Nach dem Essen setzte er sich auf den Boden und spielte ausgelassen heiter mit dem Kleinen. Dann wandte er sich zur Frau von Rémusat, welcher diese Heiterkeit doch „etwas gezwungen“ vorkam, und sagte zu ihr: „Sie sind zu blaß. Warum haben Sie kein Roth aufgelegt?“ – „„Ich habe es vergessen.““ – „Was? Eine Frau, welche ihr Roth vergißt? Das passirt Dir nie, Josephine, gelt?“ Dazu lachte er laut und fügte dann hinzu: „Die Frauen haben zwei Dinge, die ihnen sehr gut stehen, das Roth und die Thränen.“ Hierauf erwies er seiner Frau Zärtlichkeiten, die nicht eben von Geschmack und Takt zeugten, und dies gethan, lud er Frau von Rémusat zu einer Partie Schach ein. Während des Spiels murmelte er das bekannte geflügelte Wort: „Lass’ uns Freunde sein, Cinna!“ aus dem Trauerspiel Corneille’s. Dann begann er halblaut zu singen und endlich deklamirte er die berühmte Stelle aus dem 5. Akt von Voltaire’s „Alzire“, wo der Christ Guzman zum Heiden Zamor sagt:

Des dieux que nous servons connais la différence:
Les tiens t’ont commandé le meurtre et la vengeance;
Et le mien, quand ton bras vient de m’assassiner,
M’ordonne de te plaindre et de te pardonner
.“

Gut gespielt, Komödiant! In derselben Stunde, in welcher Bonaparte der Frau von Rémusat solche Gefühle christlicher Milde, Großmuth und Barmherzigkeit vorgaukelte, versammelte sich in Vincennes die „Militärkommission“, um den ihr anbefohlenen Todesspruch über den unglücklichen Enghien zu fällen.

Frau von Rémusat hatte sich durch das Lächeln, die Lustigkeit, die Deklamationsübung des Gewalthabers für den Augenblick täuschen lassen. Ihre Hoffnung auf Erbarmen sollte aber rasch zu schanden werden. Frühmorgens vom 21. März erschien Savary in Malmaison, bleich und verstörten Gesichts. Frau von Rémusat wagte keine Frage an ihn zu thun. Die Gemahlin des Ersten Konsuls kam in den Salon, traurig und niedergeschlagen. Sie fragte Savary: „Es ist also geschehen?“ – „„Ja wohl, Madame. In der ersten Morgenfrühe ist er gestorben und zwar, ich muß es sagen, sehr muthvoll.““

Den Tag über kam eine Menge von Besuchern nach Malmaison. Man sah nur Gesichter, die ihre Bestürzung zu verbergen suchten, so gut es gehen wollte. Niemand wagte dem Ersten Konsul davon zu sprechen, welchen erschütternden, welchen geradezu furchtbaren Eindruck die Hinmordung des Herzogs von Enghien in Paris hervorgebracht habe. Er mußte es aber wohl merken. Als am Abend in dem gedrängtvollen Salon ein unheimlich drückendes Schweigen herrschte, durchmaß Bonaparte [377] finsteren Gesichts mit großen Schritten das Gemach. Dann brach er los und redete allerlei bunt durcheinander. Zuletzt mußte er aber doch dem Gedanken, welcher, wie er wohl wußte, alle Anwesenden beschäftigte, sein Recht widerfahren lassen, und so sagte er: „Alle diese Leute da – die Verschworenen – wollten Unruhen in Frankreich erregen und in meiner Person die Revolution tödten. Ich mußte dieselbe vertheidigen und rächen und ich habe gezeigt, wessen sie fähig ist. Der Herzog von Enghien hat konspirirt wie ein anderer“ – (das war verlogen und der Komödiant wußte, daß er log) – „er mußte demnach auch behandelt werden wie ein anderer. Ich habe Blut vergossen, ich mußte es vergießen, ich werde vielleicht noch mehr vergießen; aber ich werde es thun ohne Zorn und ganz einfach darum, weil so ein Aderlaß zur politischen Medicin gehört. Ich bin Staatsmann, ich bin die französische Revolution, ich wiederhole es, und ich werde sie aufrechthalten.“

„Der Staat bin Ich!“ sagte Ludwig der Vierzehnte. „Das Vaterland bin Ich!“ sagte der Herzog Karl von Wirtemberg. „Die Revolution bin Ich!“ sagte Bonaparte. Immer dieselbe Melodie, nur mit etwas verändertem Text.

Später hätte bekanntlich der Bonapartismus den Frevel des an Enghien begangenen Justizmordes gern den Werkzeugen Bonaparte’s aufgebürdet und diese Werkzeuge haben dann die böse Bürde einander gegenseitig zugeschoben. Der „diable boitoux“ der Revolution und des Kaiserreichs, Talleyrand, soll der Legende zufolge bei dieser Gelegenheit das bekannte, übrigens auch andern zugeschriebene Wort gesprochen haben: „Das ist schlimmer als ein Verbrechen, das ist ein Fehler.“ In Wahrheit aber hat Talleyrand, als Herr von Hauterive, einer der Divisionschefs in seinem Ministerium, ihm von dem Entsetzen sprach, welches durch das Verbrechen von Vincennes hervorgerufen worden, wegwerfend zur Antwort gegeben: „Ach was! Das ist eine Geschäftssache, weiter nichts.“


9.0 Was nach verkrachter Verschwörung mit den Verschwörern geschah.

Der Tod D’Enghiens markirte den Höhepunkt unseres Verschwörungsdramas. Es wurde dabei so viel „Schrecken und Mitleid“ verbraucht, daß für die übrigen Opfer nicht mehr viel davon übrigblieb. Wenigstens nicht für den Plebeier Cadoudal und seine plebeischen Todesgefährten. Die mußten die Suppe ausessen, welche die vornehmen Herren eingebrockt hatten. Es ist ja immer und überall so in der Welt: die ehrliche Ueberzeugung muß büßen, was die berechnende Selbstsucht verschuldet hat.

Auch der weiland hochangesehene General der Republik, Pichegru, ist ein Opfer dieser historischen Tragödie geworden und noch dazu hat er mit eigener Hand sich geopfert. Denn daß er auf Anordnung Bonaparte’s selber oder wenigstens auf Anstiften von Bonapartisten in seinem Kerker erdrosselt worden sei, das war nur eine von der Parteigehässigkeit aufgebrachte Lüge und noch eine ganz dumme dazu, nicht der Mühe der Widerlegung werth. Der Selbstmord Pichegru’s dagegen war eine logische Folge seiner Lage. Monsieur Thiers, freilich eine fragwürdige Autorität, erzählt, der Erste Konsul habe den „Eroberer von Holland“ nicht nur schonen, sondern auch einer ersprießlichen Thätigkeit im Dienste Frankreichs zurückgeben wollen. Er habe nämlich beabsichtigt, im französischen Guyana (Cayenne), welches ja Pichegru als Verbannter kennen gelernt, durch diesen eine Kolonie im großen Stil gründen zu lassen, und habe den Staatsrath Réal beauftragt, dem General bezügliche Eröffnungen zu machen. Möglich immerhin, daß so ein Gedanke dem Gewalthaber gekommen, aber gewiß ist, daß es beim Gedanken verblieb. Pichegru wollte anfangs an die Großmuth Bonaparte’s gar nicht glauben, ließ sich aber dann durch Réal gern davon überzeugen und ging mit Lebhaftigkeit auf den Kolonisationsplan ein. Allein Réal ließ sich nicht mehr sehen oder von sich hören, und so verfiel der Gefangene auf die naheliegende Vorstellung, die Mittheilung vonseiten des Herrn Staatsraths wäre nur eine Flunkerei gewesen oder wohl gar eine List, um ihn, Pichegru, zu Geständnissen inbetreff der Verschwörung zu bewegen. Seine Stimmung mußte sich noch mehr verdüstern, als die Kunde von dem, was im Morgengrauen vom 21. März im Festungsgraben von Vincennes geschehen, auch in seine Gefängnißzelle drang. In seiner Vergrämung sagte er sich, daß ihm nichts übrigbliebe, als mit einer Bande von Chouans auf der Anklagebank zu erscheinen. Unerträglich das! Eines Frühmorgens im April schlug er einen Band von Seneca auf, welchen Réal ihm geliehen, las, was der Lehrer Nero’s über den freiwilligen Tod zusammenphilosophirt hatte, und machte hierauf das Gelesene zur That, indem er sich mittels seiner seidenen Halsbinde erwürgte.

In denselben April- und Maitagen spielten sich die groteskkomischen Scenen der Verkaiserungskomödie im Tribunat und im Senat ab. Am 18. Mai begrüßte der Senat in corpore im Schlosse von St. Cloud den weiland Artillerieleutnant als Empereur mit den Anredeformeln „Sire“ und „Majestät“. Zwölf Jahre zuvor war die Monarchie in Frankreich förmlich und feierlich abgeschafft worden, „für immer“. Komödie hüben und drüben!

Sieben Tage vor der Huldigung in St. Cloud, am 11. Mai 1804, begann vor dem Kriminalgerichtshof des Seinedepartements die Procedur gegen die 47 Angeklagten der Cadoudal-Pichegru’schen Verschwörung. Die Verhandlungen, deren Darstellung nicht in den Rahmen des vorliegenden Aufsatzes paßt, währten bis zum 9. Juni. Am meisten Schwierigkeit verursachte Moreau, welcher sich in der Procedur mit Geistesgegenwart und mehr Talent, als man ihm hätte zutrauen sollen, auf den unbescholtenen Biedermann hinausspielte. Mit solchem Erfolg, daß die kaiserliche Regierung den 12 Richtern, von welchen zuerst 7 für Freisprechung und 5 für die Verurteilung des Generals zum Tode gewesen waren, nur mit Noth schließlich ein Schuldig entriß. In der Morgenfrühe vom 10. Juni verkündete der Gerichtshof die Urtheilssprüche. Sie lauteten für Cadoudal, Bouvet, Rivière, Lajolais, Armand Polignac, den Chouan Picot und 13 seiner Kameraden auf Tod; für Moreau, Jules Polignac und Rolland auf zwei Jahre Gefängniß. Von der Kriminalanklage entbunden wurden 21 Angeschuldigte, Leute, welche mit der Verschwörung nichts zu schaffen gehabt, sondern nur die Verschwörer beherbergt hatten.

Für die vornehmen Herren Verschworenen, welche zum Tode verurtheilt worden, traten sofort an dem frisch aus dem Backofen gekommenen Kaiserhofe alle Fräcke und Unterröcke in wetteifernde Thätigkeit. Infolge derselben wurde Napoleon bewogen, für Bouvet, Rivière, Lajolais und Armand Polignac die Todesstrafe in einfache Einsperrung zu verwandeln. Seinen tiefgedemüthigten „Nebenbuhler“ Moreau begnadigte der Kaiser zur Auswanderung nach Amerika, von wo der schwache Mann zum nicht wieder gutzumachenden Schaden seines Rufes im Jahre 1813 zurückkehrte, um im Quasidienst der verbündeten Monarchen gegen sein Vaterland die Waffen zu tragen und in der Schlacht von Dresden durch eine französische Kugel getödtet zu werden. Für Georges Cadoudal ließ sich von dem höfischen Geschmeiß niemand zu Bitten, Kniefällen und Thränen herbei: er war ja nur ein Müllerssohn. Am 24. Juni ist er, der beste Mann, welchen die bourbonische Partei aufzuweisen hatte, mit 11 seiner Chouans auf dem Grèveplatz unter dem Fallbeil gestorben.

Was Napoleon angeht, so ist man stark versucht, anzunehmen, daß in den Falten des Kaisermantels, den er umgethan, vom Anfang an der Kaiserwahnsinn gelauert habe, an welchem er später zu Grunde gegangen. Als er am 2. December von 1804 aus Notre-Dame, allwo ihn Papst Pius der Siebente gesalbt hatte, in die Tuilerien zurückgekehrt war, sagte er zu seinem Marineminister Decrès: „Ich kam zu spät zur Welt. Die Menschen sind heutzutage zu klug. Man kann nichts Großes mehr thun.“ – „„Wie, Sire? Was kann es denn Größeres geben, als, so man als Artillerieleutnant angefangen hat, den ersten Thron der Welt zu besteigen?““ – „Wohl, ich geb’ es zu, meine Carrière ist nicht übel. Aber welch’ ein Abstand z. B. gegen Alexander den Großen! Nachdem er Asien erobert und sich den Völkern als einen Sohn Jupiters dargestellt hatte, glaubte alle Welt daran, seine Mutter Olympias und etwa den Aristoteles und noch etliche andere Philosophen ausgenommen. Wenn aber ich heute erklärte, daß ich der Sohn Gottvaters wäre, und wenn ich nach Notre-Dame ginge, ihm dafür zu danken, jedes Fischweib auf meinem Wege würde mich auslachen. Ach, die Menschen und die Völker sind heutzutage zu klug. Man kann nichts Großes mehr thun.“

Fürwahr, es war ein gescheider Mann, welcher den Ausspruch gethan hat:

„Genie und Wahnsinn sind so nahverwandt,
Daß beide trennt nur eine dünne Wand.“


  1. Meine Darstellung ist hier, wie durchweg, als auf ihre Hauptquelle basirt auf die große Aktensammlung: „Procès instruit par la cour de justice criminelle et spéciale du département de la Seine, séante à Paris, contre Georges, Pichegru et autres, prévenus de conspiration contre la personne du Premier Consul.“ Paris 1804, 8 vols. Was die Episode des an dem Herzog von Enghien verübten Justizmordes angeht, so lieferte mir das Aktenmaterial für meinen Bericht die Sammlung der „Documents authentiques“, welche L. Constant seiner Schrift „Le duc d’Enghien“, Paris 1869, einverleibt hat. Als eine, freilich nicht immer kristallklare Quelle für die Geschichte dieser Episode dürfen auch das 4. und 5. Kapitel vom 1. Bande der „Mémoires de Madame de Rémusat,“ Paris 1880, bezeichnet werden.