Eine Turnfahrt nach dem Rothenthurmpasse

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Titel: Eine Turnfahrt nach dem Rothenthurmpasse
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 156–158
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine Turnfahrt nach dem Rothenthurmpasse.

Anderthalb Jahre nach meiner Berufung nach Hermannstadt, behufs der Gründung der ersten Turnanstalt in Siebenbürgen, im Sommer des Jahres war es, als ich den ersten und einzigen Turnverein nicht nur Siebenbürgens, sondern des ganzen damaligen Metternichschen Oesterreichs in’s Leben rief.

Jeder deutsche Turnverein kann nun einmal ohne Fahne, um welche sich seine Mitglieder zu schaaren vermögen, nicht bestehen, und so mußte denn der Hermannstädter Turnverein auch seine Fahne haben. Bald hatten Frauen und Mädchen der Hauptstadt des siebenbürgischen Sachsenlandes eine solche dem Vereine gestickt und an einem dafür bestimmten Turnfesttage dieselbe feierlichst überreicht. Ihr zu Ehren wurde eine Turnfahrt nach dem Rothenthurmpasse veranstaltet.

Ein heiterer Sommerabend versammelte die Hermannstädter Turner, groß und klein, wohl siebenzig an der Zahl, auf der hart an der Turnschule gelegenen schönen Promenade. Bunt genug war die Schaar, denn obschon bei Weitem überwiegend aus Sachsen bestehend, waren doch auch einige Ungarn und Walachen darunter, welche die sächsischen Schulen besuchten. Das Schauspiel einer Turnfahrt war den Sachsen neu, und so hatten sich die Verwandten und Freunde der turnenden Jugend zahlreich eingefunden, um unseren Abmarsch mit anzusehen. Von ihnen geleitet, gelangten wir bald nach fünf Uhr auf die sogenannte Kaiserstraße, welche Hermannstadt mit dem Banate einerseits und andererseits mit Kronstadt verbindet.

Da lagen sie vor uns, die majestätischen Siebenbürger Karpathen, denen wir zusteuern sollten, eine hohe Wand, durchbrochen nur an der Stelle, wo der Rothenthurmpaß längs den Fluthen des Alt (der Aluta) den Eintritt in jene Walachei gestattet, die, als ein Vorland der orientalischen Zauberwelt, schon mächtig unsere Theilnahme herausfordert. Und wie um unsere Phantasie zu unterstützen, wölbte sich an diesem Abende der tiefblaue südliche Himmel über uns, welcher zuweilen die Bewohner des Sachsenlandes daran erinnert, daß sie, unter dem gleichen Breitengrade von Mailand, eigentlich Anspruch auf ein italienisches Klima machen könnten, wenn nicht die hohe Gebirgskette gen Süden ihnen den ungehemmten Zutritt der heißen, wie den Mailändern die Schweizer Alpen gen Norden umgekehrt den Zutritt der kalten Luft abwehrten. Wir hatten bis Talmesch, dessen dortiges Pfarrhaus für den Abend unser Wanderziel bildete, über drei, von dort bis Boitza und zum Rothenthurm fast eine, endlich weitere zwei Stunden innerhalb des Passes bis zur Conumaz, dem Grenzort zwischen Siebenbürgen und der Walachei, zu wandern. Die Straße, obgleich unbeschattet von Bäumen, ist keineswegs von ermüdender Eintönigkeit. Vor sich hat man, wie schon erwähnt, das bis auf achttausend Fuß ansteigende, den größten Theil des Jahres mit Schnee bedeckte Gebirge und zur Seite weidet sich das Auge an dem Anblick der gesegneten Weizen- und Welschkornfelder, jenseit welcher zur Linken niedrige, bewaldete Hügelreihen mit der walachischen Ortschaft Baumgarten und zur Rechten das sächsische Neppendorf und der fabelhafte Weißenthurn’sche „Wald bei Hermannstadt“ auftauchen. Hinter Schellenberg, dem ersten sächsischen Dorfe, schlugen wir die nach dem Rothenthurmthorpasse führende Seitenstraße ein und hatten bald, schneller als wir geglaubt, nach noch nicht dreistündigem Marsche, den Pfarrhof von Talmesch erreicht.

Ein siebenbürgisch-sächsischer Pfarrhof bot in der guten vormärzlichen Zeit, wo dessen Pfleger oft mehr Oekonom als Pfarrer war und Scheunen und Keller von dem Zehntenträger mit allem Ueberfluth an Gottesgaben gefüllt wurden, eine dem ermüdeten Wanderer gar verlockende, behagliche Ruhestätte. Der Herr Pfarrer und die „Frau Mutter“, wie die Pfarrerin von dem Hausgesinde genannt wurde, schalteten und walteten aus demselben in patriarchalischer Geschäftigkeit, die indeß nicht nur dem Zehntertrage, sondern auch noch der eigenen selbstständigen Oekonomie galt. Ein Heer von Geflügel, mit den vornehmen „Pockerln“ (Truthühnern) obenan, weiße und schwarze Kühe, unter welchen letzteren die Büffelkühe verstanden werden, die in den nordischen zoologischen Gärten als Merkwürdigkeiten paradiren, endlich Borstenvieh von allen Größen mußten bedient und beaufsichtigt werden, dazu hatte man in den Scheunen dreschen, das Getreide mahlen zu lassen und – was eine Hauptsorge erfordert – des Weines zu warten, der in den Kellern aufgespeichert lag. Nahte man als Fremder einem solchen Pfarrhofe, so durfte man der rückhaltlosesten Gastfreundschaft versichert sein, denn in dieser Beziehung wetteiferten die sächsischen Pfarrherren mit den ungarischen Edelleuten, welche sonst wohl hoch aufjauchzten, wenn ihr mehr oder minder eintöniges Leben auf ihren Edelhöfen durch die Ankunft eines lieben Gastes unterbrochen wurde.

So waren denn auch für uns Turner die Thore des Pfarrhofes [157] zu Talmesch weit geöffnet. Mit freudigen Mienen kamen uns die guten Pfarrersleute entgegen; er, der Herr Pfarrer, ein alter Jenenser, sein Pfeifchen „Fogarascher“, der besten Siebenbürger Tabakssorte, schmauchend und so Vielen von uns, wie da wollten, die Hände drückend, sie, die Frau Pfarrerin, sogleich bereit das Beste, was Küche und Keller bargen, uns anzubieten. Nur den lebhaftesten Vorstellungen seitens der Turnerschaar, welche ja just nach alter Jahn’scher Sitte bei einfachem Mahle, in der Wanderlust und in dem Naturgenuß allein ihre Befriedigung suchte, gelang es, die Hühner vor dem Schicksale, desselbigen Abends noch als „Backhähndel“ auf dem Tische zu paradiren, zu retten und die besorgte „Frau Mutter“ zur Bereitung der einfachen Kandesspeise, des „Palukes“, eines aus

Der Rothenthurmpaß in Siebenbürgen.

Wasser und Welschkorn- (Kukurutz-) Mehl bestehenden Breis, zu veranlassen. Doch wie wir so im Genusse der herrlichen Abendluft im Garten des Pfarrhofes Turnlieder sangen, nahte sich uns noch einmal der Versucher in Gestalt von derben Mägden mit Dutzenden von Weingläsern und gestillten Maßflaschen voll köstlichen Siebenbürger Weins in den Händen, um uns zum Bruche unseres Mäßigkeitsgelübdes zu bewegen, aber auch er wurde glücklich abgeschlagen, und bald daraus lagen wir Alle auf dem bei Turnfahrten üblichen Strohlager, der Nachtruhe pflegend.

Turner satteln früh, also thaten auch wir. Als die ersten Sonnenstrahlen das Thal zum Eingange des Rothenthurmpasses erleuchteten und der erste Widerschein von dem Wasserspiegel des Zood, eines in den Alt einmündenden Flüßchens, uns traf, befanden wir uns schon aus der Höhe hinter Talmesch. Hier hielten wir, und im Anblick der herrlichen Landschaft beim Eingange in den Rothenthurmpaß versunken, angeregt durch die prächtigen Burgtrümmer der um 1350 erbauten Landskrone zur Linken, sangen wir nach der Weise „An der Saale fernem Strande“ das erst kürzlich von einem der Unsrigen gedichtete Turnlied:

„Laßt uns zu der Burgen Trümmer,
      Zu der Väter Stätten gehn,
Und auf ihrem Grabe schwören,
In der Lieder lauten Chören,
      Groß im Kampf, wie sie, zu stehn.“

Ein lauter Jubelruf erscholl uns nach Beendigung des Gesanges von der Höhe der Burg entgegen, und in demselben Augenblicke sahen wir von einem der alten Thürme unsere Vereinsfahne wehen, mit welcher einige tüchtige Turner rasch vorausgeeilt waren, um sie oben aufzupflanzen.

Wenn man, das nach dieser Richtung bin gelegene zweite walachische Grenzdorf Boitza hinter sich, dem alten, erst in den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts wieder stärker befestigten Rothenthurmcastell naht, ist man einigermaßen enttäuscht. Von großartigen Befestigungen ist nichts zu sehen und nur der rothe, stärker befestigte Hauptthurm deutet auf die Absicht, einem feindlichen Heere Widerstand zu leisten. Auch hat die Neuzeit bewiesen, daß die Lage des Thurmes nicht hinreicht, den Engpaß zu sichern. Als im März 1849 Bem die Russen aus Hermannstadt und durch den Rothenthurmpaß zum Lande hinausgetrieben, vermochten diese ebensowenig sich in dem Castell einen Rückhalt zu sichern, wie einige Monate darauf die Ungarn den nun zur Vergeltung wieder auf sie andringenden Russen daselbst einen dauernden Widerstand entgegensetzen konnten. In früheren Jahrhunderten, in den Zeiten der Türkenkriege, da mochte es anders gewesen sein. Lange bevor die Türken Constantinopel erobert, schwärmten ihre verheerenden Schaaren schon aufwärts bis zur siebenbürgischen [158] und ungarischen Grenze. Oft drangen sie vom Rothenthurm, oft auch mit einem Umwege von Ungarn her in’s Sachsenland ein.

Gleich hinter dem Rothenthurm verengt sich der Paß, die herrliche Karolinenstraße, von Kaiser Karl dem Sechsten angelegt und nach ihm benannt, beginnt, dem Laufe der Aluta folgend, sich zwischen den Bergen hinzuziehen. Schäumend wälzt der Fluß seine vom Szeklerlande her in wachsender Macht andringenden Fluthen der Walachei zu, eine prächtige Wassermasse, leider aber der vielen Klippen und Untiefen ihres Bettes halber nicht schiffbar. Es mag den alten Sachsen vielen Schmerz bereitet haben, bei ihrem ausgebreiteten Handel ohne Wasserweg zur Donau geblieben zu sein. Wir älteren Turner wechselten manches Wort darüber, wie wir so, den Blick wendend, noch einmal der Landskrone ansichtig wurden und uns des geschichtlichen Momentes erinnerten, wo im Jahre 1376 der Landesbischof von Siebenbürgen, der Sachse Goeblinus, und der Castellan der Landskrone, Johann von Scherfeneck, auf Anordnung des Königs Ludwig und im Einverständniß mit der Gauversammlung, die Zünfte in den Städten Hermannstadt, Schäßburg, Mühlbach und Broos regelten. Damals zählte Hermannstadt neunzehn Zünfte mit fünfundzwanzig Gewerben, während Augsburg zu derselben Zeit nur sechszehn Zünfte mit zwanzig Gewerben besaß. Was die Hände in reichem Maße Nothwendiges und Kunstreiches zum Bedarf und im Ueberfluß schufen, ward im Handel nach allen Richtungen hin verwerthet. Die sächsischen Kaufleute standen in der Levante in Verkehr mit Geschäftsfreunden bis nach Aegypten hin, während ihre Handelsreisen sie gen Norden nach Polen und Deutschland und selbst auf eigenen Schiffen von Ofen nach Wien führten. Es muß ein herrliches, kräftiges, urwüchsig deutsches Volk gewesen sein, dieses alte siebenbürger Sachsenvolk, daß es so gleich geschickt das Schwert wie den Arbeitshammer zu führen verstand!

Die Wanderung durch den Paß nach der Contumaz gab den Turnern reiche Gelegenheit zu Ausbrüchen jugendlicher Heiterkeit. Alles, was nur an Liedern in der Kehle steckte, mußte heraus; rüstige Bergsteiger, wie die Siebenbürger sind, scheuten wir auch keine Abschweifungen von dem Wege, und oftmals überraschten uns an dessen Krümmungen, von den Höhen herab, die bewillkommnenden Rufe vorausgeeilter Gefährten. Endlich, gegen Mittag, langten wir an unserem Ziele an. Die Contumaz, deren Raine schon den Zweck andeutet, bildet die Grenzstation zwischen Siebenbürgen und der Walachei. Es ist ein aus einer Reihe größerer und kleinerer Gebäude für die Beamten, das Militär und für die der Beobachtung unterworfenen Reisenden bestehender Ort, dessen Bedeutung natürlich heute sich wenig mehr über die einer gewöhnlichen Mauthstation erbebt. Da der Grenzverkehr nicht gerade übermäßig stark ist, herrscht im Ganzen an der äußerst romantisch gelegenen Contumaz eine große Stille, welche wir siebenzig Turner nun in ganz ungewöhnlicher Weise unterbrachen. Ein Hauptreiz der jüngeren Turner lag, wie man sich denken kann, in dem Ueberschreiten des die eigentliche Grenze bildenden, in den Alt sich ergießenden Bächleins. Das war übrigens bald gethan. Ohne weitere Förmlichkeilen drangen wir in die zu jener Zeit noch äußerst gemüthliche Walachei ein, und schnurstracks ging es auf die Hütte des aus zehn Mann bestehenden walachischen Grenzpostens los.

Der Wachtposten ließ es ruhig geschehen, daß wir uns den vor der Thür angelehnten Gewehren nahten und ihn gewissermaßen bei Seite schoben; er ließ es ruhig geschehen, als wir unbekümmert die Gewehre in die Hand nahmen und unsere Meinungen über diesen Ausschuß englischen Fabrikats austauschten; er fand die Sache so wenig bemerkenswerth, daß er sogar Antheil an unserem Gespräch nahm. Die Walachei des Fürsten Bibesko war eben eine andere, als die des heutigen Fürsten Consa, ob darum glücklicher, ist noch eine andere Frage. Fürst Bibesko zahlte seinen Tribut der Pforte und – nahm seine Zahlung von Rußland. Im Lande ging es in einem althergebrachten orientalischen Schlendrian fort, der weder die von der Hörigkeit abgestumpften Bauern, noch die im Schlemmerleben entnervten Bojaren sonderlich befremdete. Der jungen Leute, welche in Paris und in Deutschland außer der Liebe zum Luxus auch eine solche zur Freiheit einsogen, gab es nicht viele; ein um so ein ehrenvolleres Zeugniß gebührt ihrer Energie, vermöge welcher sie im Jahre 1848 den Fürsten verjagen und an eine Regeneration ihres Vaterlandes denken konnten. Omer Pascha, der einstige österreichische Cadet-Feldwebel, machte zwar im Vereine mit den Russen der kurzen Blüthe walachischer Freiheit bald wieder ein Ende, aber der Anstoß war einmal gegeben, die Erinnerung an die Ypsilantis ohnedies noch nicht erloschen. Als dann Ludwig Napoleon zur Zeit des Krimkrieges seine Aufmerksamkeit auf die Donaufürstenthümer richtete und Oesterreich in unbegreiflicher Sorglosigkeit diese ihm damals gewogenen Nachbarländer dem aus die Einigung aller romanischen Stämme gerichteten französischen Einfluß überließ, konnte es dem die napoleonische Staatsweisheit nachahmenden Fürsten Consa mit leichter Mühe gelingen, das Jung-Walachenthum wenigstens für den Gedanken eines vereinigten moldau-walachischen Donaufürstenthums zu gewinnen. Welchen Antheil die Walachei oder Romanen, wie sie sich lieber nennen, des österreichischen Kaiserstaates an der Entwickelung dieses romanischen Reiches nehmen werden, das liegt noch im Schooße der Zukunft verborgen. – Doch die Politik ließ uns zu weit von der Beschreibung unserer Turnfabrt nach dem Rothenthurmpasse abschweifen. Möge es uns der Leser verzeihen, wir wären ja ohnehin am Ziele unserer Fahrt.