Eine Sclaven-Einfuhr auf Cuba

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Eine Sclaven-Einfuhr auf Cuba
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 326–328
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Eine Sclaven-Einfuhr auf Cuba.
Bericht von einem Seemanne des Sclavenschiffes.

Wenn man zu Hause in der lieben Heimath, wo man sich zur Noth doch immer noch ein paar Groschen oder die zum Leben nöthigsten Dinge borgen kann, kein Geld hat, ist man nach Goethe und unzähligen andern Autoritäten schon halb krank. „Gesunder Mensch ohne Geld ist halb krank.“ Wie aber erst in der Fremde? Geldlos in London oder New-York und fremd? Fremd und ohne Geld in einer modernen großen Weltstadt ist der Mensch zu Allem fähig. Kreuzigt ihn, steinigt ihn, Ihr, die Ihr ruhig und mit polizeilich geschützter, regelmäßiger Einnahme zu Hause vegetirt und philistrirt, aber hört einen dieser Unglücklichen an, der blos aus Mangel an Geld Sclavenhändler in New-York ward. Wir erfahren doch auf diese Weise ganz haarklein, wie’s auf einem solchen Sclavenschiffe hergeht und „wie’s gemacht wird“.

Ich saß an einem trüben Aprilmorgen des vorigen Jahres voller Gedanken, wie ich’s künftig machen solle, um weiter zu leben, in einem Logirhause New-Yorks. Mein Geld vom letzten Schiffe – denn ich bin Seemann – war bis auf die letzte Neige zusammengeschmolzen. Da klopfte es an die Thür, und herein trat mein Wirth mit einem Fremden, der mich zu sprechen wünschte und mit welchem ich allein blieb. Ein Mann von mittlerer Größe [327] mit schwarzen, blitzenden Augen, kurzem schwarzen Haar und blassem, regelmäßigen Gesicht. Alles gar nicht seemännisch; aber er sagte, daß er Capitain eines Schiffes sei, das „Palmöl“ von der afrikanischen Westküste holen wolle. Er brauche Mannschaften, besonders einen Dolmetscher, der Spanisch und Portugiesisch verstehe. Er habe gehört, das könne ich, und deshalb biete er mir eine gute Stelle an.

Ich sah ihm scharf in’s Gesicht und fragte ihn, ob unter „Palmöl“ etwas Anderes verstanden werden müsse. Er war ehrlich genug, Ja zu sagen. Nach einigem Bedenken ging ich auf sein glänzendes Anerbieten ein, denn ich brauchte Geld und hoffte auf Abenteuer. Wir accordirten, und ich fand mich am folgenden Morgen auf seiner Barke, genannt Flora, ein. Ein langes, niedriges, schwarzes Schiff von 460 Tonnen, mit Bark-Takelage und scharfem Schnabel. Das Zwischendeck lag ganz unten wie Ballast in numerirten Stücken. Auch waren die Vorräthe von Lebensmitteln und die Ladung ganz merkwürdig arrangirt und verpackt.

Nach zwei Tagen segelten wir ab, um zunächst St. Paul de Loando, 8° 48’ südlicher Breite, 13° 8’ östlicher Länge, zu erreichen – den „Windwärts-Eingang“ zu dem großen Congo-Flusse, 5° 39’ s. Breite, 12° 9’ östliche Länge, der Hauptstraße für den Sclavenhandel. Auf der Reise von 71 Tagen fiel nichts Abenteuerliches vor. Durchsuchungen von Beamten eines amerikanischen Kriegsschiffs „Marion“ und des englischen „Triton“ machten uns vollkommen verdächtig, aber sie konnten uns nichts anhaben, sodaß wir ungestört etwa 40 englische Meilen stromaufwärts bis zu der Handelsstation O’Lonia fuhren, einigen Waarenlagern der Portugiesen, Spanier und Amerikaner.

Congo, das Land oder Unter-Guinea, besteht aus den Neger-Königreichen Loango, Congo, Angola, Matamba und Benguela, hat viele Wüsten, ist aber am Flusse und unzähligen Nebenflüssen und Einbuchten voller Wald und Wild: luxuriöse Fülle, natürliche Fruchtbarkeit und üppiger Baumwollenwuchs mit deliciösen Blumen und Früchten, Papageien, Affen und tausenderlei Arten von kriechendem, fliegendem und kletterndem, buntem Gethier. Die menschlichen Bewohner laufen nackt umher und beten Sonne, Mond und Sterne an. Portugiesische Missionaire haben Manchen derselben zu beweisen gesucht, daß dies eine Sünde sei und man dafür etwas Unsichtbares, Unbegreifliches anbeten und glauben müsse, aber die Meisten bleiben bei ihrer ihnen ganz aus dem Herzen und der unmittelbaren Begreiflichkeit wachsenden Naturreligion. Doch für Branntwein und sonstige Culturproducte thun sie Alles, auch in Sachen des Glaubens. –

Nachdem wir unsere Ladung gelöscht und der Capitain mit verschiedenen Agenten und schwarzen Königen unterhandelt, schlichen wir uns den Congo hinunter, weit hinaus auf den Ocean, wo wir sofort anfingen, das Schiff für „lebendige Fracht“ total umzuwandeln. Alle Legitimations und sonstige Papiere wurden verbrannt, Jeder von uns nahm einen andern Namen an, auch das Schiff, das deshalb mitten auf dem Meere ganz neu beölt und gestrichen ward, sodaß weder Flaggen noch Namen den amerikanischen Ursprung verrathen konnten. Die Lebensmittel wurden leicht zugänglich placirt. Hierauf construirten wir aus den numerirten Stücken unten das Zwischendeck, das vorher zu verdächtig ausgesehen haben würde. Zuletzt wurden vier Sechspfünder, zwei lange Achtzehnpfünder, vier Zwölfpfünder und ein guter Vorrath von Waffen, Pulver und Kugeln auf dem oberen Deck „fertig“ gemacht, sodaß uns kein Kriegsschiff so leicht durch Boote hätte bewältigen können. Freilich sie selbst fahren mit Dampf, der auf Sclavenschiffen noch keine Dienste thun kann, weil dies einfach zu kostspielig sein würde, da das Sclavenschiff nach glücklich vollbrachtem Geschäft in der Regel verbrannt werden muß, damit hinterher Neu- und Wißbegierige nichts finden.

Während dieser Vorbereitungen auf hoher See waren wir der Insel Ascension auf etwa 70 Meilen nahe gekommen. Von jetzt an kehrten wir wieder um, den „Bestimmungsort“, oberhalb des Congo, 50 Meilen von St. Paul de Loando, zu erreichen. Hier umher warten, lungern und verstecken sich Sclavenschiffe oft Vierteljahre lang, ehe genug „Ladung“ für sie im Innern gesammelt wird. Wir kamen glücklich mit einem Monate weg.

Der Grund, weshalb wir weit hinaus in’s offene Meer geflohen waren, war der „Triton“, der, wie wir von unsern Agenten erfahren hatten, auf uns wartete und uns an der buchtenreichen Küste, wo andere Sclavenschiffe sich oft verbergen oder einzelne Partien Sclaven einnehmen, auszuspüren suchte. Unser Capitain verstand’s besser. Er war eine „alte Hand“ in seinem Fache und wußte, daß der Triton durch unsere Flucht auf das offene Meer „unsern Geruch“ verloren hatte. Im Angesichte der Küste von St. Paul de Loando segelten wir mit dem Passatwinde südöstlich entlang, bis wir in der Nähe des Ortes Ambriz durch Privatsignale erfuhren, daß Alles bereit sei.

Wir ankerten. Unsere Agenten waren sofort mit ihren Leichterbooten, deren jedes etwa 200 Schwarze brachte, bei der Hand. Die „Waare“ wurde in „Bündeln“ geliefert, in Partien von etwa je 20, die mit Kuhhautriemen fest an einander geschnürt waren. In solchen Bündeln kletterten sie herauf und wurden, wie sie kamen, in’s Zwischendeck hinunter transportirt. Im Ganzen erhielten wir 811 Schwarze der verschiedensten Stämme, mit denen wir dann sofort vollsegelig das hohe Meer suchten. Wir Alle waren gut bewaffnet und bewachten und warteten unsere kostbaren Schätze in militairischer Ordnung und sorgfältig. Es war keine Kleinigkeit, sie in Ordnung zu halten. Bei der geringsten Veranlassung fielen die verschiedenen, feindlichen Stämme mit Zähnen und Nägeln über einander her, sodaß der Wachmann nicht selten unter sie springen und sie auseinander reißen und schlagen mußte.

Von Ascension steuerten wir über 2000 Meilen gerade westwärts, um ganz aus der „Schiffsstraße“ zu kommen, die nach Westindien führt. Hernach segelten wir südlich um Jamaica und die Fichteninsel.

Unsere fünfunddreißig Matrosen etc. hatten stets vollauf zu thun in streng zugemessenen Pflichten. Ich war im Departement der Pflege und hatte speciell die weiblichen Sclaven unter meiner Obhut. Eine gewissenhaftere Pflege und ängstlichere Reinlichkeit habe ich selten auf Schiffen gesehen. Freie, weiße Auswanderer sind schon zu Tausenden durch Schmutz und Pestluft, Mangel an Nahrung ober bestialische Kost auf „christlichen“ Schiffen umgebracht worden. Unsere Sclaven hatten großen „Werth“ und wurden danach behandelt. Jeden Morgen um fünf Uhr wurden sie alle auf’s Oberdeck getrieben und beinahe wie Schafe im Mai, ehe sie geschoren werden, gewaschen. Sie mußten sich in Partieen von 15–20 um große mit Seewasser gefüllte Fässer kauern, aus denen sie wiederholt tüchtig mit vollen Eimern übergossen wurden. Triefend machten sie Andern für dieselbe Behandlung Platz und wurden mit grobem Segeltuch abgerieben, gestriegelt und gescheuert. Dann kam das Zähneputzen mit Essig und Seewasser. Sie mußten die Zähne reiben und raspeln und sich wiederholt die weiten Rachen ausspülen. Darauf ward mit ganz besonderer Strenge gehalten, da Vernachlässigung des Mundes und der Zähne bei den Afrikanern tödtlicher ist, als irgend etwas. Es setzt sich dann eine gelbe Substanz an Gaumen und Zähne an, die bald zu vollständigem Gifte wird. Es bilden sich Geschwüre, die den so Heimgesuchten leicht tödten, und wenn er einen Andern beißt, was keineswegs selten ist, entzündet sich die Wunde und kann ebenfalls zum Tode führen. Ich schlug blos einmal einen Neger mit der Hand auf das Maul, wobei sie mit dessen Zähnen in Berührung kam. In Folge davon konnte ich sie vor Schmerz und Lähmung mehrere Tage gar nicht brauchen.

Diese Reinlichkeits-Operationen beschäftigten uns täglich von 5 bis 8 oder 9 Uhr. Hierauf bekamen sie Schiffs-Biscuits mit Rum und Wasser, um 11 Uhr ein warmes Frühstück, gemischt aus Biscuits, Bohnen, Reis, Graupen und gesalzenem Fleisch, verdickt mit Mehl und Fett. Es ward in Trögen auf dem Deck entlang, für jeden „Stamm“ besonders, aufgetragen. Dabei kamen sie doch nicht selten in Zank und Schlägerei, die nur durch tüchtigeres Dareinschlagen von unserer Seite zu schlichten war.

Bei aller Pflege verloren wir doch während der Reise vierundneunzig Sclaven – ein ungewöhnlicher Lohn unserer Sorgfalt. Andere Sclavenschiffe bringen oft kaum die Hälfte bis an Ort und Stelle. – Freilich unsere Medicamente beschränkten sich auf Essig (äußerlich) und innerlich Schießpulver.

Nach dem Frühstücke mußten sie ihre Lager und das Schiff reinigen. Die, welche etwas Portugiesisch und Spanisch verstanden, wurden zu Aufsehern gemacht und zu diesem Zweck mit einem Hemd und alten Hosen versehen, wodurch sie sofort ganz bureaukratisch stolz und von den nackten Unterthanen beneidet wurden. Ein Stückchen Tau in ihrer Hand bildete ihre Bewaffnung, mit der sie bald wie ein Berliner Constabler 1848 ganz virtuosisch umzugehen verstanden. [328] Somit hatten wir im Kleinen eine ganz hübsche, stricte Beamten-Hierarchie. Wir brauchten den Behos’ten blos zu sagen, was geschehen solle, und sie sorgten mit heißem Amtseifer dafür, daß es streng und pünktlich geschah. Abends ließen wir sie nach Trommeln und Cymbeln tanzen, was sie sich mit aller Negerlust und oft zum Kranklachen zu Nutze machten. Trauer und Sentimentalität schienen ihnen auch in dieser Lage fremd zu sein. Sie haben etwas Kindliches und Thierisches und genießen mit voller Kraft den Augenblick, ohne sich durch Erinnerungen oder Befürchtungen stören zu lassen.

Um 3 Uhr gab’s eine zweite warme Mahlzeit von denselben Substanzen, wie das Frühstück, und eine dritte Abends um 8 Uhr, worauf sie für die Nacht in ihr Zwischendeck zum Schlafen vertheilt und verpackt wurden. Licht war streng verboten, selbst wir gebrauchten nie solche Beleuchtung, die von außen hätte gesehen werden können.

Nach dreitägiger Fahrt bekamen wir Bocca Grande auf der Insel Cuba in Sicht. Um die Küsten dieser Perle der Antillen schwärmen viele Fischer- und Piloten-Boote, die fast alle im Solde der Sclavenhändler und Sclavenbesitzer stehen. Sie spioniren nach Kriegsschiffen und denunciren ihnen Sclavenschiffe, um erstere irre und letztere durch geheime Signale in Sicherheit zu führen. Diese Art von Küsten-Diplomatie ist ganz ordentlich und großartig organisirt: die Leute lösen sich alle zehn Tage ab und erstatten sich gegenseitig immer sorgfältig Bericht. Auch uns kamen solche Warnungs-Engel, die unsertwegen ausgesandt waren, entgegen und berichteten uns, daß das englische Kriegsschiff Basilisk „im Winde läge“, so daß wir wieder das Weite suchen müßten. Unsere Ordre vom Lande aus lautete: vier Tage lang grade küstenabwärts zu segeln und dann zurückzukehren. So thaten wir, um abermals seewärts dirigirt zu werden. Dies wiederholte sich mehrere Male, wobei wir einmal scharf Gefahr liefen, von einem andern englischen Kriegsschiffe auf’s Korn genommen zu werden. Diese Gefahren und die Langeweile zugleich brachten uns endlich auf den kühnen Plan, in einem der vielen versteckten Cay’s von Cuba zu ankern und im Falle der äußersten Gefahr die Sclaven zu landen, wodurch uns wenigstens Straflosigkeit gesichert worden wäre. Verurtheilung und selbst bloße Confiscation eines Sklavenschiffes ist gesetzlich nur dann möglich, wenn Sclaven auf oder in demselben gefunden werden.

Inzwischen hatte der Capitain unsers Wach-Bootes, das uns die verschiedenen Ordres vom Lande gebracht, dem „Basilisk“ als Pilot, uns zu fangen, gedient und er hatte das englische Kriegsschiff natürlich in entgegengesetzte Richtung gebracht. Nachdem wir zwei Tage vor dem Cay gewartet, erschienen plötzlich fünf Boote, die für solche Zwecke immer hinter Felsenklüften versteckt liegen, gaben verabredete Zeichen, brachten Kleider für die Sclaven und Geld für unsere Mannschaft, die glänzend ausbezahlt ward, ehe ein Sclave das Schiff verließ, wie das so Gesetz in diesem gesetzlosen Geschäft ist, und nahmen die Sclaven in Empfang. Jeder gemeine Matrose bekam 200 Pfund Sterling und ich meine Extra’s für Dolmetschung etc. Nach einer Reise von fünf Monaten und vierzehn Tagen landeten wir 717 Sclaven bis zum Abende, worauf wir unser Schiff an 17 Stellen zugleich in Brand steckten. Während wir vom Ufer zusahen, rief der Capitain mit seemännischer Sentimentalität: „Da brennt er denn, Jungens, der Brave, womit wir unser Geld gemacht, der schöne, prächtige, fliegende Rosario!“

Wir landeten in Bocca Grande, dem eigentlichen Hafen der Sclaveneinfuhr, und brauchten neun Tage, um Havannah zu erreichen, da wir uns unterwegs öfter verstecken und flüchten mußten, um dem Zorne der nicht sclaveninteressirten Bewohner und Auslieferungen zu entgehen. Leute, die ahnten, wo wir herkamen, gaben uns kein Glas Wasser, so daß ich ein Glas öfter mit einem halben Dollar erkaufen mußte.

So weit der Bericht des Sclavenschiff-Seemannns aus England. Wir fügen nur noch die Moral hinzu, daß er hernach auf dem „Basilisk“ aus praktischer Erfahrung Sclavenschiffe fangen half, die ohne die hier mitgetheilte Fahrt und Erfahrung wahrscheinlich so glücklich gewesen wären wie der „fliegende Rosario“.