Am Marmortischchen von Rübeland

Textdaten
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Autor: Emil Adolf Roßmäßler
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Titel: Am Marmortischchen von Rübeland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 325–326
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Am Marmortischchen von Rübeland.
Von E. A. Roßmäsler.

Wenn kein anderer Unterhaltungsstoff mehr vorhalten will, die Natur bietet sich immer und überall als unversiechliche Quelle.

Im Café Parrot in Frankfurt a. M. haben die Tische marmorne Tischplatten. Darauf ist mir manche Tasse Kaffee kalt geworden, weil ich mich in der Entzifferung der zahllosen eingebackenen Versteinerungen vertieft hatte, während unten auf der Zeil die paulskirchlich und bundestäglich zwiegespaltene Stadt herumpromenirte. Doch waren auf jenen Marmorplatten die versteinerten Lebensformen eben so fragmentarisch und verworren untereinander gewürfelt, wie damals die politischen Zustände, oder noch besser: wie eben jetzt wieder. – Da lobe ich mir das Marmortischchen aus Rübeland, von dessen Platte[1] unser Holzschnitt eine Stelle mit vollkommener Treue wiedergibt. Dessen urweltliche Schriftzüge sind keine unleserlichen Hieroglyphen, sondern deutliche Illustrationen auf einem Blatte der Erdgeschichte.

Und doch mag vor manchem solchen Tische mancher Salon-Sterbliche sitzen und, indem er seinen Thee umrührt, nicht viel klüger auf die weißlichen Gestalten des Marmors schauen, als ein Kindlein auf die Sixtin’sche Madonna, und sich dabei vielleicht gründlich langweilen.

„Was sich der Wald erzählt,“ wissen wir; hören wir einmal, was uns ein Marmortischchen aus Rübeland zu erzählen weiß.

Marmor-Tischplatte.

Vor langer, langer Zeit – Ihr höchstens seit 15,000 Jahren auf’s Tapet gekommenen Menschenkinder macht Euch gar keinen Begriff von der Zeitlänge – krochen wir sonderbaren Schalthiere, deren Ueberreste Ihr hier vor Euch seht, auf des Meeres tief unterstem Grunde. Die paar überlebenden Abkömmlinge unseres einst großen und mächtigen Geschlechtes werden von Euren Naturgelehrten Kopffüßler genannt. Wenn darin ein Spott liegen soll, so geben wir ihn Euch zurück; denn Ihr geht ja selbst auf dem Kopfe und seht oft das Niederste als das Höchste und überhaupt Vieles verkehrt an.

Wir vorweltlichen Kopffüßler gehörten größtentheils zu der von Euch beneideten Classe der Hausbesitzer, nur mit dem Vorzuge, daß sich ein Jeder von uns, Vater, Mutter und Kinder und Kindeskinder, sein Haus selbst baute und also sicher sein konnte, daß es ihm bequem war und nicht über Nacht wieder einfiel. Da jeder Einzelne von uns sein eigenes Haus hat, so brauchte es bei unserer Genügsamkeit eigentlich auch nur ein einziges Gemach, und in Wahrheit ist es auch so. Aber wir werden immer größer, und darum muß auch unser Zimmer immer größer und weiter sein. Da sich nun das jedesmal bewohnte nicht wie Gummi Elasticum ausdehnen kann, so bauen wir von Zeit zu Zeit vor das verlassene ein neues weiteres Gemach und mauern die Thür zu dem alten bis auf eine kleine Oeffnung zu. Daß Euch dies eine komische Baukunst dünkt, läßt sich denken; aber es ist nun einmal so unsere Art. Dabei legten die Einen von uns dieses ihr Haus so an, daß der Anbau der neuen Kammern in gerader Linie stattfand, bei den Andern in einer Spirallinie. Doch das Letztere wißt Ihr ja von dem Nautilus her, einem der wenigen Unsrigen, der es in Euren gegenwärtigen Erdzuständen lebend noch aushalten kann. Von beiderlei Häusern, von geradlinigen, wie von solchen, welche eine Spirallinie bilden, seht ihr in dem Marmor der Tischplatte Beispiele genug, und Ihr werdet dann auch die Scheidewände sehen, welche allemal vor dem verlassenen Gemach angelegt wurden.

Ihr fragt, wie wir armen Thiere hierher in diesen Marmor gekommen sind? Das wollen wir Euch erzählen.

Allerdings mag es Euch Wunder nehmen, wie wir ehemaligen Seebewohner hierher auf die Höhen des Harzes in festen Marmorstein gekommen sind, von wo doch Euer nächstes Meer, die Nordsee, wohl an die dreißig Meilen weit entfernt sein mag. Wir sagen Euer Meer, denn Eure jetzigen Meere waren nicht unsere Meere. Wo Ihr jetzt zu unserer Ruhestätte hoch hinaufsteigen müßt, da hättet Ihr zu unseren Lebzeiten tief in’s Meer hinabtauchen müssen. Ihr übermüthigen Menschen seid alle miteinander blos Emporkömmlinge. Eure Länder, in denen Ihr Euch so breit macht, als müsse das ewig so gewesen sein und müsse ewig so bleiben, haben einst tiefen schlamm- und moderbedeckten Meeresgrund gebildet, der langsam emporstieg und allmählich zum Wohnplatz für Euer Leben im Trocknen tauglich wurde.

Wie das möglich gewesen sei, fragt Ihr? Ja, da fragt Eure Erdgeschichtsforscher, die sich eben jetzt darüber in den Haaren liegen, wie Ihr denn überhaupt selten einmal einen wissenschaftlichen Kampf ausfechten könnt, ohne dabei heftig und persönlich zu [326] werden, als sei ein jeder der Kämpfer verantwortlich dafür, wie die Erde entstanden ist.

So weit wir lebendig dabei gewesen sind, wollen wir Euch Auskunft geben.

Daß wir auf dem Grunde vormaliger Meere gewohnt haben, das haben wir schon gesagt. Wie diese Meere jetzt nicht mehr da sind, wie Euch das der Augenschein lehrt, so sind auch die Festländer nicht mehr da, welche ohne Zweifel einst dagewesen sind und gegenwärtig den tiefen Grund Eurer heutigen Meere bilden mögen. Von jenen ehemaligen Festländern strömten, wie von Euren heutigen, Flüsse in die ehemaligen Meere. Daß diese ununterbrochen feinen Schlamm mit sich führen, der sich im Meere allmählich in immer dicker werdenden Schichten zu Boden setzt, das wird heute auch noch so sein, wie es zu unserer Zeit war. Lest nur darüber in Euren Erdgeschichtsbüchern nach. – (Die Rübelander Kopffüßler haben Recht, denn dort ist z. B. zu lesen, daß der Hoang-Ho in jeder Stunde zwei Millionen Cubikfuß Schlamm in das Meer führt, was in 70 Tagen eine Insel von einer geographischen Quadratmeile bilden würde und, wenn dieser Schlamm alle im gelben Meere bleibt, dieses in 24,000 Jahren ganz ausfüllen wird.) – Wir selbst haben, wie ein Blick auf das Marmortischchen zeigt, viel zur Bildung dieser Schichten beigetragen.

Sterbend versanken wir in den Schlamm des Meeres, in welchem unsere festen Häuser zurückblieben, während sich der kohlige Theil unseres weichen Leibes mit dem feinen Kalkschlamm mischte und diesen schwarz färbte. Unser waren viele, unzählbar viele, und der Marmor, welcher in der eben beschriebenen Weise entstand, muß an vielen Stellen ganz mit unseren unsterblichen Ueberresten erfüllt sein.

So weit die Rübelander Kopffüßler. Unterhalten wir uns nun auf eigene Faust weiter mit dem Tischchen.

Wie fest der Marmor ist! Und das soll einstmals weicher Schlamm gewesen sein? Wem das unglaublich scheint, der erinnere sich daran, daß die ungeheure Wasserlast eines vielleicht viele Tausend Fuß tiefen Meeres die weichen Schlammschichten fest zusammenpressen mußte: und wenn er dann die außerordentliche Zeitdauer in Anschlag bringt, während welcher diese Zusammenpressung stattfand, so wird er es wohl glaublich finden.

An der Bindung der Schlammtheilchen zu festem Marmorstein haben aber auch chemische Vorgänge mitgewirkt. Das ersehen wir aus den weißen Adern unseres Rübelander Marmors, welche ausgeschiedener reiner krystallinischer Kalk, d. i. Kalkspath sind. Diese reine Ausscheidung eines Theiles der Kalkerde und Gestaltung derselben zu glänzenden weißen Adern mitten in der schwarzen Grundmasse geschah während oder bald nach dem Niedersetzen des Kalkschlammes, und bekundet eine innerliche Regung in der trägen, scheinbar todten Masse. Ueberhaupt müssen wir nicht glauben, daß nur im lebendigen Thier- und Pflanzenleibe Stoffumsetzungen stattfinden; auch in dem von Feuchtigkeit durchdrungenen Steine finden sie statt, auch er ist sonach im gewissen Sinne belebt. Wie in der reifenden Erbse aus dem Zucker Stärkemehl wird, so sind nachweisbar aus ehemaligen Kalkschieferschichten durch Verdrängung des Kalkes durch Kieselerde Kieselschieferschichten geworden. In dem ewigen Kreislauf des Stoffes sind auch jene mächtigen Marmor-, also Kalksteinschichten von Rübeland nicht sicher, daß sie Kalkstein bleiben und nicht vielmehr nach Hunderttausenden von Jahren allmählich werden in Kieselgestein mit Verwischung der Lebensformen der Versteinerungen verwandelt werden.

Viele von den, in der im Ganzen formlosen schwarzen Grundmasse eingebetteten, Gehäusen zeigen in ihren Kammerabtheilungen an beiden Flächen der Scheidewände krystallinischen weißen Kalk, und wir erkennen auch hierin ein inneres Leben in der ein weicher Schlamm gewesenen Masse, denn der Krystall ist die Lebensform des Steinreichs, an eben so bestimmte Formgesetze gebunden, wie die hundertfältig gestalteten Blüthen und Blätter der Pflanzen.

Indem wir jetzt das Bild auf diesen Hinweis ansehen, bemerken wir außer den gewundenen Gehäusen auch einige gerade, ebenfalls durch Querscheidewände gegliederte oder gekammerte Gebilde (namentlich eins oben in der rechten Ecke und von da in verschiedener Lage drei andere nach der Mitte hin). Das sind Orthoceratiten, für welche gar keine bekannten Vertreter auf unsere Zeiten gekommen sind, während, wie schon erwähnt wurde, die Kopffüßler mit spiral gewundenem Gehäuse, die Familie der Ammoniten bildend, im Nautilus noch fortleben.

Liegt es nicht nahe genug, nun auch in Gedanken der Geburtsstätte unseres Marmortischchens im Harzgebirge einen Besuch zu machen? Wir müssen aber richtiger sagen Fundstätte, da wir ja bereits wissen, daß der Marmor auf dem tiefen Grunde eines längst nicht mehr vorhandenen Meeres geboren worden ist.

Die Erdgeschichtsforscher – die sich wissenschaftlich vornehm Geologen nennen – haben uns die Beschaffenheit dieser Fundstätte unseres Marmors längst aufgeklärt, so daß wir nicht nöthig haben, darüber nachzusinnen, wie dort die verschiedenartigsten Felsschichten bald oben bald unten, bald in ebener, bald in schräger Lage auf, an und über einander geordnet sind, was uns freilich sehr wenig wie Ordnung aussehen würde.

Wenn wir nach den zahllosen Seethierüberresten in unserem Marmor nicht zweifeln konnten, daß wir in ihm den Bodensatz eines ehemaligen Meeres vor uns haben, so müssen wir uns billig wundern, daß wir im Harz diesen Bodensatz-Marmor nicht in horizontalen Schichten, wie doch jeder Bodensatz sich bildet, finden, sondern daß dort diese Marmorschichten rings um einen im Mittelpunkt liegenden Felsenkern, den der Brocken bildet, schräg angelehnt stehen. Wenn wir durch lange und ausgedehnte Wanderungen durch die Thäler und Höhen des Harzes uns ein Verständniß dieses bunten Durcheinander von verschiedenen Felsarten verschafft haben würden, so würden wir das, was wir dann fänden, nicht besser vergleichen können, als wenn wir uns vorstellten, der Boden eines mit einer dicken Eisdecke bedeckten Teiches habe sich in seinem Mittelpunkte als ein Hügel erhoben, die Eisdecke zertrümmert und dann die Schollen aufgerichtet und an seinen Seiten schräg angelehnt. Im Harzgebirge, was einen Flächenraum von etwa 36 Quadratmeilen einnimmt, muß etwas Aehnliches stattgefunden haben. Entweder der granitne Kern hat langsam von unten emporsteigend jene ursprünglich eben gewesenen Schichten gehoben und zuletzt durchbrochen, oder – eine Ansicht, die jetzt von einer Seite eifrig verfochten wird – die Schichten sind, indem sie sanken, über der Kuppe des unter ihnen feststehenden Kernes geborsten, wie wir diese Erscheinung sehr oft an einer Eisdecke sehen, wenn unter ihr das Wasser fiel und ein großer Stein bis an die Unterseite der Eisdecke reichte. Ueber diesem muß alsdann die sinkende Eisdecke zerbrechen und die Schollen rings um ihn sich geneigt anlehnen.

Das sind nun so einige Gedanken, welche aus dem Marmortischchen von Rübeland heraussprechen. Wer sie nur einigermaßen versteht, kann sich daran nicht langweilen.




  1. Das Original befindet sich in dem Besitz des Verlegers der Gartenlaube.