Eine Miesbacherin
[503] Eine Miesbacherin. (Illustration S. 501.) Ja, lach’ nur! Du hast’s freilich gut. Du bist als ein glückliches, freies Weib zu preisen, denn Du stehst unabhängig da von der gewaltigsten Tyrannin, welche in allen Städten, von der größten bis zur kleinsten, und leider Gottes auch schon in vielen Flecken und Dörfern der sogenannten civilisirten Länder die gesammte weibliche Welt in Sclavenbande legt, die, wenn man sich ungalant ausdrücken dürfte, mit einem Narrenseile die täuschendste Aehnlichkeit haben. Du weißt schon, was ich meine: die Tyrannin „Mode“, auf welche Du im berechtigten Stolze auf Deine heimische unwandelbare „Tracht“ mit Gleichmuth hinblickst. Was kümmert’s Dich, daß sämmtliche Damen in Petersburg und Rom, Wien und Madrid, London und Berlin ihre Kleider-Ordres von Paris erhalten? Du siehst höchstens neugierig die reisenden vornehmen Frauenspersonen mit dem verschnörkelten Kleiderputz Dein schönes Miesbach durchwandeln. Du wunderst Dich vielleicht; sicher ist aber: Du lachst! Und Du kannst lachen und stolz sein, denn Du hast keine Mode, sondern eine Tracht, an der man Dich erkennt. Wenn Einer von Weitem auf Dich zukommt, so braucht er nicht erst zu fragen: „Woher des Landes?“, sondern ein Blick auf die feste Gestalt in ihrer Tracht sagt’s ihm deutlich. Das ist eine Miesbacherin!
Und wodurch zeichnet sich denn die Miesbacher Frauentracht so besonders aus? Einer, der Land und Volk von Oberbaiern genau kennt, Karl Stieler in München, hat in einem Buche „Wanderungen im Baierischen Gebirg etc., von Herman von Schmid und Karl Stieler.“ sich auch darüber ausgesprochen. Er sagt, bis zum Jahr 1750 könne man der Tracht der „Bergler“ nachspüren, theils durch erhaltene Kleidungsstücke, theils durch Abbildungen, z. B. auf Votivtafeln. Damals habe die Tracht der Frauen hauptsächlich in dem „Miederleibe“ mit „Brustfleck bestanden; jenes war ein Leinwandleibchen mit meist dunkelblauen Aermeln, dieser ein Stück Pappe mit buntem Zeug überzogen und mit Borten besetzt – dazu wurde ein Goller von weißer Leinwand und um den Hals ein schwarzes Flortuch mit einer Silberzier daran getragen. Die Trachten sind natürlich im Hochgebirg und in den Alpenvorlanden verschieden, und [504] Stieler nennt sogar die sogenannte „Isartracht“, die sich seit etwa 1800 ausgebildet, eine Untracht, gegen welche glücklicher Weise das Volk selbst ein Gegenmittel in dem Wohlgefallen an der Tegernseer oder Miesbacher Tracht gefunden habe.
Bei den Männern ist das Hauptstück derselben die graue Joppe mit dem grünen Kragen, dessen Erkämpfung von den Jägersleuten, die ein Alleinrecht auf die grüne Farbe behaupteten, manchen Streit mit blutigen Köpfen gekostet. Auch der weibliche Anzug stimmt damit überein. Zu Mieder und Geschnür mit buntseidenen Halstuch erscheint überall das hohe schmalkrämpige Miesbacherhütl. Das Haar scheiteln die Mädchen und flechten es mit bunten Bändern zu Zöpfen, die sie meist um den Kopf legen.
Auch den Schmuck liebt die Miesbacherin. Ueber das blüthenweiße Hemd hängen zierlich die Fransen ihres Busentuchs auf das Mieder herab, und den Hals umschlingt sechsfach die silberne Kette mit dem Schloß von bunten Steinen. Der dunkelfarbige Rock mit buntem Rande reicht bis zu den Knöcheln. So steht sie in den festen Schuhen vor uns und lacht uns so offen und herzlich an, daß wir nicht umhin können, ihr auch zum Abschied zuzurufen: „Ja, lach’ nur! Du hast’s freilich gut!“