Eine Leipziger Künstlerwerkstatt

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Titel: Eine Leipziger Künstlerwerkstatt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 676–678
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine Leipziger Künstlerwerkstatt.

Ich war fertig mit Allem, was es in Leipzig zu „sehen“ giebt; das ist für den durchreisenden Fremden, der nicht kauft oder verkauft und nicht Zeit hat zu näherer Bekanntschaft mit der Leipziger Gesellschaft, nicht eben allzuviel. Das Rosenthal mit seinen schönen Bäumen und Wiesen – der Stolz der Stadt – war geschaut und gekostet, d. h. Kaffee getrunken in dem auch auswärts renommirten „Schweizerhäuschen“; das Museum mit seiner kleinen, aber zum Theil sehr werthvollen Gemäldesammlung durchwandelt; eine Fahrt über die Hauptpunkte des Schlachtfeldes unternommen; ein Abend bei Concert und bunten Lichtern im Schützenhausgarten verbracht worden, – es war Mittag und erst Abend ging der Bahnzug ab, der mich weiter tragen sollte … wie konnte ich die Stunden tödten bis dahin?

Etwas mißmuthig über die drohende Langweile, saß ich an der Wirthstafel meines Hotels, neben mir ein ältlicher Herr, in welchem die weiche Aussprache seines Deutsch und der singende Accent den geborenen Leipziger nicht verkennen ließen.

„Wissen Sie, daß Werner zurück ist von seiner Reise in den Orient?“ wandte er sich zu seinem Gegenüber, einem echten pleißathenischen Cockney.

„So,“ erwiderte dieser. „Hat er hübsche Sachen mitgebracht?“

„Ganz prächtige Skizzen, wie ich höre; namentlich aus Jerusalem,“ versetzte der Andere. „Ich will ihn diesen Nachmittag in seinem Atelier besuchen und seine neueste Mappe durchblättern.“

„Schade, daß ich nicht mit kann, ich muß in die Vorstandsitzung der … Eisenbahn,“ sagte das vis-à-vis.

Die Unterhaltung der Beiden hatte mich aus meiner mürrischen Gleichgültigkeit gerissen.

„Nimmt Werner in seinem Atelier auch den Besuch von namenlosen Fremden an?“ frug ich meinen Nachbar.

„Warum nicht?“ lautete die Antwort; „er ist der liebenswürdigste Mann, den man sich denken kann.“

Und so war es denn bald abgemacht, daß ich den alten Herrn zu dem Künstler begleitete.

Der in einer der westlichen Vorstädte gelegene sogenannte Lehmann’sche Garten – ehedem ein wirklicher großer Garten, jetzt meist parcellirt und mit casernenartigen Häuserzeilen bebaut – war das Ziel unserer Wanderung. Ziemlich am Ende des Grundstücks stieß uns ein alleinstehendes, von Blumen und Büschen umgebenes freundliches Haus entgegen.

„Hier wohnt Werner,“ erklärte mein Begleiter. „Sie sehen, er hat sich ganz leidlich zu betten gewußt.“

Wir traten ein. Der erste Blick bekundete mir, daß hier eine künstlerisch empfindende Frau dem Hauswesen vorstand; Treppe, Vorsaal, Zimmer – überall war der Rücksicht auf Schönheit ebenso viel Rechnung getragen, wie der auf Bequemlichkeit und Comfort. Das Allerheiligste des Hauses aber, das Atelier, erwies sich als eine rechte Heim- und Arbeitstätte der Kunst, zeigte daß ein Mann hier waltete, der sein ganzes Leben der Kunst gewidmet und sich durch sie die äußeren Mittel erworben hat, welche den Genuß des Daseins erheitern und erheben.

An der Thür zur Künstlerwerkstatt sehen wir einen schwerseidenen Thürvorhang herabrollen, welcher einst dem durch seine Ausgrabungen in Rom berühmten Cardinal Albani gehörte. In dem Zimmer selbst befinden sich geschnitzte Schränke aus Raphael’s Zeit, florentinische Arbeit; ferner ein altvenetianischer Bücherschrank aus Titian’s Tagen, ein Schränkchen von Salvator Rosa mit zwei Skizzen von demselben, einst auch in dessen Besitz. Die Stühle und Tische sind altitalienisch, die letzteren mit altitalienischen Decken belegt. An der Wand hängen mittelalterliche Lauten und Mandolinen, desgleichen mittelalterliche Waffen, unter diesen eine altitalienische Armbrust. Auf den Schränken stehen chinesische Vasen.

Inmitten dieser altehrwürdigen Erinnerungen an große Künstler und große Kunstzeiten steht der lebende und lebensvolle Künstler an seiner Staffelei und zeichnet und malt mit sicherer Hand und Alles wohlberechnendem Auge. Er ist von mittlerer, kräftiger Gestalt, lebhaft und leichtbeweglich. Sein Kopf, von blondem Haar und vollem Bart geziert, trägt das Gepräge einer höheren Geistesrichtung, wovon auch die Züge seines Antlitzes Zeugniß geben. Ein Grundzug seines Wesens ist eine sich stets gleichbleibende Heiterkeit, zu der sich eine freundliche, allseitig wohlwollende Güte gesellt, der wohlzuthun Freude ist.

Alljährlich einmal – so erzählte er mir selbst – veranstaltet er eine Bilderschau: da verwandelt er alle seine häuslichen Räume zu Ausstellungshallen, wo die zahlreich eingeladenen Beschauer einen hohen Genuß finden durch die Betrachtung der vortrefflichen Kunstwerke und der künstlerisch ausgestatteten Räumlichkeiten.

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Karl Werner in seinem Atelier.
Nach dem Leben gezeichnet von A. Neumann.

Karl Werner ist einer der geschicktesten deutschen Maler unserer Zeit. Seine Hauptmeisterschaft bewährt er in der Architecturmalerei, dies ist seine eigentliche Specialität, daher er sich auch vorzugsweise als Architecturmaler zu bezeichnen pflegt. Die verschiedensten Arten von Bauwerken: Kirchen, Paläste, Burgen, Säle, Ruinen, Trümmerhaufen und Trümmerstücke finden durch seinen Pinsel die naturgetreueste Wiedergabe, so daß seine Bilder eine in der That täuschende Wahrheit besitzen und dem Beschauer gleichsam erst den Gestalten- und Farbenreichthum der Wirklichkeit zum vollen Bewußtsein bringen.

[678] Früher malte Werner in Oel, und seine Oelgemälde fanden verdiente Anerkennung; in Italien entschied er sich für die Benutzung der Wasserfarben. Diese geben, ohne durch den fettigen Glanz der Oelfarben den Eindruck zu stören, ein helleres Licht, womit sich eine größere Durchsichtigkeit der Farben verbindet. Der Reichthum und die Weichheit dieser Wasserfarben, sowie deren leichte Mischung verleihen den Bildern Werner’s ihren eigenen Zauber.

Zu der Vortrefflichkeit der Bauwerke und der Landschaft tritt bei ihm die Lebendigkeit und Naturtreue der menschlichen Gestalten, da er auch als Geschichts- und Volksleben-Maler Tüchtiges leistet. Dieser Vorzug Werner’s ist besonders hervorzuheben, da bei den Bauwerk- und Landschaftsmalern die Gestalten belebter Wesen häufig gar Manches zu wünschen übrig lassen.

Vor Allem aber müssen wir an Werner’s Bildern den dichterischen Hauch rühmen, welcher über seinen Gemälden schwebt und dieselben sichtbar und unsichtbar durchdringt. Dieser dichterische, echt künstlerische Geist zeigt sich zuerst in der Wahl und sodann in der Zusammenstellung der Gegenstände zu einem lebendigen Ganzen, von dem jedem einzelnen Theile eine Sorgfalt zugewendet ist, als ob er die Hauptsache wäre: und doch ist das einheitliche Ganze und das in demselben athmende Leben voll Empfindung und Gedanke die Hauptsache, die durch die sorgfältige Ausführung des Einzelnen zur vollen Geltung gelangt. Da tritt uns ein Stück geschichtlichen oder volksthümlichen Lebens in bezeichnenden Gestalten im Vordergrunde vor die Augen; im Hintergrunde gewahren wir ein steinernes Baudenkmal, eine Kirche oder eine Tempelruine, und ringsum lacht uns eine zauberische Landschaft entgegen, über welcher sich ein tiefblauer Himmel wölbt; denn vorzugsweise sind es Motive aus dem Süden, die sich Werner zu seinen Aquarellen wählt.

Karl Friedrich Heinrich Werner ist den 4. October 1808 in Weimar geboren. Sein Vater war in Weimar ein geachteter Gesang- und Clavierlehrer, und seine Mutter Corona geb. Becker, die Tochter von Christiane Neumann, welche Goethe in dem Gedicht „Euphrosyne“ besungen, eine beliebte Sängerin und Schauspielerin. Künstlerisches Denken und Wirken umgab also bereits die Wiege des künftigen Künstlers und blieb ihm als elterliches Erbtheil für sein ganzes Leben. 1809 siedelten die Eltern nach Mannheim über, von wo sie Küstner 1816 nach Leipzig rief.

Zuerst für das Baufach bestimmt, besuchte Werner 1824–1827 die unter Schnorr’s Leitung stehende Akademie der bildenden Künste, um sich im Zeichnen zu üben, und ging dann, nach bestandener Reifeprüfung, nach München, um unter Gärtner seine Baustudien fortzusetzen. Hier in München wandte er sich, angeregt durch den Umgang mit jungen Landschaftern, von der Baukunst der Malerei ausschießlich zu und machte in dieser Kunst so ausgezeichnete Fortschritte, daß er 1833 von München aus der sächsischen Regierung zur Unterstützung empfohlen wurde. Diese gewährte ihm ein Reisegeld auf drei Jahre, damit er jenseits der Alpen das gepriesene Land der Kunst und dessen Schätze mit eignen Augen schauen und dort die Meisterschaft sich erringen könne.

Italien wurde Werner’s zweite Heimath; er lebte hier fast durch zwanzig Jahre. Außer Venedig bot ihm besonders Rom so viele Herrlichkeit, daß er hier seine bleibende Wohnung aufschlug. Die Schätze der frühern und gegenwärtigen Kunst, die Bauwerke und Trümmer der alten und ältesten Zeit eröffneten dem jungen, mit Aug und Herz Alles in sich aufnehmenden und verarbeitenden Künstler ein weites und reiches Feld. Berufsgenossen und Freunde, zum Theil von höchster künstlerischer Bedeutung, wie die Bildhauer Thorwaldsen und Wagner, arbeiteten an seiner Seite und förderten sein Streben.

Neben den Beschäftigungen des erwählten Berufs betrieb Werner zu jener Zeit in Rom auch freie Künste, wir meinen die Reit- und Jägerkunst. Er war ein kühner Reiter, und fleißig durchstreifte er mit der Büchse die pontinischen Sümpfe, um dort die wilden Enten und Schnepfen zu jagen. 1840 stiftete er zu Rom den deutschen Künstlerverein, welcher noch jetzt besteht und dessen langjähriger Vorsitzender er war; diese Gesellschaft ist der Vereinigungspunkt der in Rom verweilenden deutschen Künstler und zugleich ein einflußreiches Mittel, die Kunst selbst zu fördern.

Von Rom aus machte er größere Ausflüge, um das ganze schöne Italien kennen zu lernen, z. B. 1835 nach Neapel und Sicilien, sowie wiederholt nach Florenz, Venedig und Genua. Als er am 3. Septbr. 1844 die letztere Stadt verlassen wollte und bereits sein ganzes Reisegepäck und seine reichgefüllte Malermappe auf das abfahrende Dampfboot gebracht hatte, um auf demselben die Nacht zu schlafen, wurde er von dem Geschäftsführer des Bootes aufgefordert, die Nacht auf dem Lande zuzubringen. Er ging darauf ein, da eben bei einem heftigen Schneegestöber ein gewaltiger Sturm wehte und das Boot in fortwährende Bewegung versetzte. Während er nun am Lande sich ruhig dem Schlummer überließ, wurde das Boot ein Raub der Flammen, ebenso ward sein Reisegepäck und seine Mappe in Asche verwandelt – ein für ihn höchst empfindlicher Verlust. 1838 besuchte er Ungarn, 1853 Dalmatien, sowie England, was von da an alle Jahre geschah; 1856 Spanien, welcher Reise wir ein Heft „Alhambrabilder“ verdanken; 1857 verlegte er endlich seinen festen Wohnsitz nach Leipzig.

Im Jahre 1862 unternahm er eine größere Künstlerwallfahrt nach Palästina, wo er sich während des ganzen Winters in Jerusalem aufhielt und außergewöhnlicher Weise die Erlaubniß erhielt, die Moschee des Omar zu betreten und darin zu malen. Vermöge dieser Gunst haben wir zuerst durch Werner Ansichten von dem Innern dieser sonst allen Nichtmahomedanern verschlossenen Moschee erhalten. Besonders heimisch aber ist Werner in England; hier finden seine Bilder vorzugsweise Freunde, Bewunderer und Käufer.

Im Herbst 1864 unternahm er in Begleitung seiner treuen Lebensgefährtin, welche ihn auch schon nach Spanien und Jerusalem begleitet hatte, jene Reise nach Aegypten, Palästina und Syrien, von welcher er unlängst mit reich gefüllten Mappen zurückgekehrt war. Die Ausführung dieser Skizzen, die er uns mit größter Bereitwilligkeit durchblättern ließ, beschäftigte ihn eben, wie der Plan, demnächst eine Ausstellung ihrer vorzüglichsten Stückc zu veranstalten. Ein seltner Genuß erwartet da die Beschauer; sie werden aus dem alten Wunderlande Aegypten, sowie aus dem heiligen Lande und von den Bergen und Thälern des Libanon naturgetreue Darstellungen in neuer, echt künstlerischer, wahrhaft dichterischer Auffassung sehen und bewundern können.